Hallo zusammen,
nochmal zur Frage des Samenansatzes.
Mit freundlicher Genehmigung der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ) hier die Antwort:
Es ist bekannt, dass selbst reichlich blühende Sorten oft keinen
Beerenansatz zeigen (Howard 1953, Hawkes 1957). Während Störungen des
Eiapparates relativ selten vorkommen, sind die in wechselnden Mengen
gebildeten Pollen bei zahlreichen Sorten meist aus genetischen Gründen
fehlgebildet und nicht vital. Einfluss auf den Befruchtungserfolg können
auch klimatische (Feuchte, Temperatur) oder physiologische Faktoren
(Stress, Krankheiten) ausüben. In einigen Fällen werden schon die
Blütenknospen oder Beeren in frühem Stadium an einem vorgebildeten Gelenk
abgestoßen. Dafür sind ebenfalls sowohl physiologische als auch genetische
Faktoren verantwortlich (Buhr 1961).
Neben diesen im Detail kaum untersuchten, fallweise wirksamen
Einflussfaktoren gibt es aber bei der Kartoffel einen sehr gut untersuchten
Mechanismus, der bekannterweise den Beerenansatz zuverlässig verhindert:
Unter Feldbedingungen kommt es bei der Kartoffel vorwiegend zur Bestäubung
der Narben mit dem Pollen derselben Blüte (Selbstbestäubung). Die Kartoffel
gehört zur umfangreichen Liste derjenigen Blütenpflanzen, bei denen die
Befruchtung mit dem eigenen Pollen (Selbstbefruchtung) durch natürliche,
genetisch kontrollierte Mechanismen verhindert wird. Man spricht in diesem
Zusammenhang von Selbstinkompatibilität (in der älteren Literatur auch als
"Selbstunverträglichkeit" oder "Selbststerilität" bekannt). Bei der
Kartoffel wird die Selbstinkompatibilität durch ein einzelnes Gen, das
S-Gen, kontrolliert. Ob ein Pollenkorn auf der Narbe einer Blüte mit einem
Pollenschlauch auskeimen und letztlich die Eizelle im Griffel befruchten
kann, hängt bei Kartoffelpflanzen davon ab, ob das Pollenkorn ein S-Gen
trägt, welches identisch mit dessen Gegenstück im Narbengewebe ist. Nur wenn
das S-Gen in Pollenkorn und Narbe in unterschiedlicher Ausprägung vorliegt,
kann das Pollenkorn auskeimen und befruchten; es kommt zu einem Samenansatz.
Liegt dagegen dasselbe S-Gen in Pollenkorn und Narbe vor, kommt es zu einer
Hemmung des Pollenschlauchwachstums im Griffel
(Selbstinkompatibilitätsreaktion), mit der Folge, dass der ausgekeimte
Pollenschlauch steckenbleibt und die Eizelle nicht erreichen kann.
Durch die Selbstinkompatibilität ist also gewährleistet, dass die Eizellen
einer gegebenen Kartoffelpflanze nur von Pollenkörnern anderer Pflanzen
befruchtet werden können, z.B. nachdem die Pollenkörner von Insekten auf die
Narben verschiedener Pflanzen verteilt worden sind. Allerdings müssen diese
anderen Pflanzen für eine erfolgreiche Befruchtung unterschiedliche S-Gene
tragen. Hier liegt aber bei der Kartoffel der Haken: Die bei uns angebauten
Kartoffelsorten sind Klonsorten, d.h. die Pflanzen einer gegebenen Sorte
sind genetisch identisch. Somit tragen sie alle dasselbe S-Gen, mit der
Folge, dass sich die Pflanzen in dem Bestand einer Kartoffelsorte nicht
gegenseitig befruchten können. Der Beerenansatz bleibt somit aus. Dem
Kartoffelbauer und dem Gärtner kann dies nur recht sein; denn so wird nun
die Kraft der Pflanze in die Knollenbildung statt in die Beerenbildung
geleitet.
Bleibt noch die Frage zu erörtern, warum Pflanzen überhaupt so etwas wie
Selbstinkompatibilität besitzen. Die Tatsache, dass das Vorkommen von
S-Genen bei Blütenpflanzen weit verbreitet ist, zeigt schon, dass die
Verhinderung von Selbstbefruchtung in der evolutionären Entwicklung der
Blütenpflanzen gewisse Vorteile mit sich brachte. Eine naheliegende
Erklärung ist, dass Selbstbefruchtung stets mit Inzucht und diese mit
verringerter Leistungsfähigkeit einhergeht; der Genetiker spricht in diesem
Zusammenhang von "Inzuchtdepression". Auch verhindert die Selbstbefruchtung,
dass die Gene unterschiedlicher Eltern neu miteinander kombiniert und auf
diesem Wege neue, evtl. vorteilhafte Genkombinationen entstehen können. Der
Genetiker spricht hier von genetischer Rekombination. Im Laufe der Evolution
kann es vorteilhaft gewesen sein, dass durch Förderung von Fremdbefruchtung
(z.B. durch die Ausbildung von Selbstinkompatibilität) das Entstehen neuer
Genkombinationen von Generation zu Generation gefördert und somit die
Anpassungsfähigkeit der Nachkommen an sich wandelnde Umweltbedingungen
gewährleistet wurde. Eine gute genetische Anpassungsfähigkeit ist für das
Überleben von Pflanzen-Populationen natürlich besonders wichtig, weil
Pflanzen aufgrund ihrer beschränkten Mobilität widrigen Umweltbedingungen
nicht einfach davonlaufen können.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Birgit Neumann
für die Redaktion "Experten antworten"
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Bundesanstalt für Züchtungsforschung
an Kulturpflanzen (BAZ)
Redaktion "Experten antworten"
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Ich hoffe, daß diese Frage damit geklärt ist.
Herzl.Gruß
netrag1