Ich denke der Knick ist etwas nach dem 2ten Weltkrieg. Ab da verbreitete sich ein anderes Anbau- und Handelssystem.
Die Unterscheidung nach Pflanzenschutzbedarf und Pflegeaufwand ist blödsinnig!
Genau die Unterscheidung nach Pflanzenschutzbedarf und Pflegeaufwand ist eine der für heute wesentlichen, wenn es um "Alte Sorten" geht!
Alte Sorten sind "untrennbar verbunden", so schreibt Walter Hartmann,
mit dem Streuobstbau und der untergegangenen bäuerlichen Kultur. Unsere Vorfahren hatten schlicht weder Zeit noch Geld, um den heute - uns als unverzichtbar eingeredeten - Pflanzenschutzbedarf und Pflegeaufwand zu betreiben. Der Obstanbau war extensiv, er lief mit möglichst wenig Aufwand neben der vielen anderen Arbeit auf dem Hof her. Zur Erntezeit wurde schnell heruntergeschüttelt oder abgeerntet und eingelagert und, soweit nötig, haltbar gemacht. Geschnitten und veredelt wurde im Winter, wenn die arbeitsreiche Erntezeit vorbei war. Natürlich wollten die Vorfahren für ihre Großfamilien viel ernten; sie hatten heute unverkäufliche, hoch produktive Massenträger-Sorten für Saft und Dörrobst, aber für einen Intensivanbau gab es keine Nachfrage (mit Ausnahme des Spalieranbaus für den gehobenen städtischen Konsum zuerst in Frankreich).
Der extensive Obstanbau diente ja auch primär dem Eigenbedarf; Überschüsse wurden im lokalen Handel abgesetzt - ausschließlich als Saisongeschäft.
Niemand brauchte die glänzende Warenförmigkeit des heutigen Obstes, seine fast unendliche Lager- und Transportfähigkeit und vor allem die Fähigkeit, auf Verkaufstheken bei Zimmertemperatur wochenlang makellos auszusehen.
Deshalb schmecken viele alte Sorten auch aromatischer, zumindest die zum Sofortessen bestimmten Sorten, und dies auch nach einem "schlechteren" Jahr und auf ungüstigeren Standorten.
Die meisten dieser Funktionen der bäuerlichen Wirtschaft sind heute von Konzernen übernommen. Aromastoffe und vor allem Zucker haben die "Alten Sorten" abgelöst. Staat und Agrarlobby haben mit Rodungs- und Stilllegungsprämien sowie den Obstbauinstituten und Fördermitteln kräftig nachgeholfen.
Das war die
Ausgangsfrage dieses Threads: Ob Alte Sorten definierbar sind? - Antwort 1: "Alte Sorten" sind definierbar - durch die bäuerliche Wirtschaftsweise, in der sie entstanden sind und sich bewährt haben.
- Antwort 2: "Alte Sorten" sind die Sorten, die auf den Negativ-Listen standen, mit denen seit den 1950er Jahren die Rodungsprämien gezahlt wurden (ausgehend von dem "Emser Beschluß" 1953 über die Umstellung auf Niederstammobstanlagen, seit 1970 Sortenlisten und Rodungsprämien der EG).
Weitere bekannte Kriterien ergänzen diese Definition "alter Sorten" (darunter wichtige Kriterien wie Lagerfähigkeit, Nachreife, Saison, Verwendungszwecke und andere).
Walter Hartmanns oben genannte Definition (im Einführungskapitel seines Buchs "Farbatlas Alte Obstsorten", 5. Aufl. S. 17) wird ergänzt durch die Definition des
KOB, Kompentenzzentrum Obstbau Bodensee:
Alte Sorten sind ein bäuerliches Kulturgut, das über Jahrhunderte entstanden, gepflegt und bewahrt wurde. Regionale Namen, alte Bräuche und überlieferte Rezepte zeugen von ihrer großen Bedeutung. In den Hungersnöten des 17. und 18. Jahrhunderts sicherten sie der damaligen Bevölkerung das Überleben.Mir gefällt sie diese Definiton, weil sie alle Formen des Obstbaus einschließt: Außer den Streuobstgürteln und -alleen rund um die Dörfer sind das die Hecken, in denen unsere Vorfahren gern das Steinobst wurzelecht ansiedelten, die Bauerngärten und die Spaliere und Hauswandspaliere.
Übrigens wurden in der DDR alte und neue Sorten nicht so trennscharf unterschieden, vermutlich weil es keine Rodungsprämien gab. Alle Sorten waren gut, wenn sie in der heimischen Produktion, oft auf Niederstamm, rentabel Erträge brachten und die Bevölkerung zuverlässig versorgten (darunter edler Birnengeschmack gern auch von alten Sorten, als Ersatz der seltenen Südfrüchte). Das "Handbuch Obstsorten" von Friedrich, Petzold und weiteren speist sich als Spätwerk (1980er Jahre, bisher letzte Auflage 2005) aus einem enormen Erfahrungsschatz eines
professionellen, wirtschaftlichen Umgangs mit einer Obstsortenvielfalt. Etwas derartiges werden wir in Deutschland nicht wieder erleben.
Weil "alte Sorten" ohne Giftbedarf und speziellen Pflegeaufwand in den Hausgärten gedeihen, überwiegen sie in den Baumschulen, wenn diese auf Hausgärten ausgerichtet sind und über eine größeres Obstbaumsortiment verfügen, sehr deutlich. Ihnen hinzugesellt haben sich tatsächlich auch einige, wenige neue Sorten, die ähnlich robust sind. Gerade gestern habe ich das in der Verkaufsausstellung einer solchen Baumschule gesehen.