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Staude oder Strauch? (Gelesen 24522 mal)

Die Lehre von den Pflanzen - Übersetzungen aus dem Fachchinesischen, Diskussionen um Definitionen, Alltagsphänomene wissenschaftlich erklärt
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fars
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Staude oder Strauch?

fars »

Es liegt schon einige Jahre zurück, dass Grasmuck (?) versucht hat, mich in einem anderen Forum darüber aufzuklären, dass eine Staude unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Strauch sein (werden) kann. Ich hoffe, mich richtig zu erinnern. Es ging dabei um eine Primelart.Hier habe ich nun das Beispiel einer Glockenblume (Campanula portenschlagiana), die bei mir seit etlichen Jahren in einer Mauernische wächst und dabei einen überwinternden "Stamm" gebildet hat.Meine Frage: Bleibt das Blümchen eine Staude oder wird es durch dieses Wuchsverhalten zu einem Strauch?
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Blauaugenwels
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Re:Staude oder Strauch?

Blauaugenwels » Antwort #1 am:

Hallo fars, deine Glockenblume bleibt eine Staude. Es hat sich zwar ein stammähnliches Gebilde entwickelt, das teilweise verholzt ist, aber das allein reicht nicht für die Änderung in einen Strauch aus.Eine umfassende Definition Kräuter-Stauden-Bäume-Sträucher findet sich z.B. in "Allgemeine Botanik" (Wilhelm Nultsch, 11. Auflage, Thieme-Verlag), die sich nach der Gestalt und des Baus der Sproßachse richtet (kein Zitat):Kräuter:ein- oder zweijährige Pflanzen, die in der Regel nicht verholzt sind.Stauden:mehrjährige Pflanzen; oberirdische Pflanzenteile sind nicht verholzt und sterben gegen Ende der Vegetationsperiode ab. Überwinterung mittels unterirdischer Organe (Geophyten) oder mittels der Substratoberfläche anliegenden Sprossen mit oberirdischen Erneuerungsknsopen (Hemikryptophyten).Bäume:vieljährige Holzgewächse (ober- und unterirdische verholzt), bei denen die Apikalknospe (Knospe an der Spitze) zumindest in der Jugend gefördert ist, wohingegen die ersten Seitenzweige recht bald absterben, falls in den ersten Jahren die Verzweigung nicht überhaupt unterbleibt. Dadurch entsteht ein Stamm, der später durch reiche Verzweigung der bleibenden Seitenäste eine Krone bildet.Sträucher:vieljährige Holzgewächse (ober- und unterirdische verholzt), bei denen die Basalknospen gefördert sind. _________Verholzung ist die Einlagerung von Ligninen in die Zwischenräume der Zellwand. Der Grad der Verholzung kann recht unterschiedlich sein (Vergleich eines jungen Sproßes eines Baumes im Vergleich zu einem vom letzten Jahr).Der gebildete "Stamm" der gezeigten Campanula portenschlagiana ist mit Sicherheit teilweise verholzt, was für Kräuter, Stauden, Sträucher und Bäume zutreffen kann. Allerdings ist die Glockenblume mehrjährig (=> Kräuter) und die oberirdischen Pflanzenteile sterben ab (=> Baum, Strauch). Es bleibt einzig die Definition Staude übrig.Mit mehr Substrat wäre der Stamm nicht sichtbar, daher gilt er nicht als oberirdisch.An einem Kriterium (der Verholzung) allein lässt sich der Unterschied Staude-Strauch nicht fest machen.Viele GrüßeMarkus
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Paulownia
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Re:Staude oder Strauch?

Paulownia » Antwort #2 am:

Interessant,doch wäre dann nicht Fars' Campanula ein Halbstrauch?
LG Margrit
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fars
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Re:Staude oder Strauch?

fars » Antwort #3 am:

Nun, Basalknospen werden nicht bei jedem Strauch gefördert. Sofern sie denn überhaupt vorhanden sind. Und bei der Campanula sterben die oberirdischen Pflanzenteile eben nicht ab.Auch die Substratmenge erscheint mir nicht stichhaltig. Es gibt Primelarten, die wachsen aus dem Substrat heraus. Nicht etwa weil davon zu wenig vorhanden oder die Tiefe nicht gegeben wäre, sondern weil es das natürliche Wuchsverhalten der Pflanze ist.
sarastro

Re:Staude oder Strauch?

sarastro » Antwort #4 am:

Ein Strauch verholzt, bzw. ein Halbstrauch verholzt auch an der Basis, bildet eine Borke und Rinde mit Lignin- und Pektineinschlüssen. Deswegen werden auch beispielsweise Iberis, Helianthemum, Aurinia, Alyssum, Muehlenbeckia und viele weitere ausdauernde Pflanzen botanisch als Sträucher angesehen. Selbst Dictamnus ist ein Halbstrauch. Und unter den Primeln gibt es Primula suffruticosa, die "strauchig" wächst, weil sie an der Basis verholzt. Diese hat aber nichts mit den Primeln der Sektion Auriculastrum zu tun, die lediglich verdickte, nach oben wachsende Scheinstämme bilden.
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pearl
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Re:Staude oder Strauch?

pearl » Antwort #5 am:

nun, wie seltsam diese Frage. Eigentlich ist es doch klar.Das, was aus meinen Malvengewächsen, die auch Stämme bilden, oder aus fars seiner Glockenblume austreibt sind Triebe, die nicht verholzen.Ich wüsste keinen Strauch, bei dem das so ist. Alles was aus meinen Sträuchern austreibt ist verholzt. Nur die Blätter fallen im Winter ab, oder auch nicht.Stauden haben Stengel, Sträucher Äste.Der Aufbau ist völlig anders. Xylem und Phloem und Rinde und so ...
“I love science, and it pains me to think that so many are terrified of the subject or feel that choosing science means you cannot also choose compassion, or the arts, or be awed by nature. Science is not meant to cure us of mystery, but to reinvent and reinvigorate it.”

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Blauaugenwels
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Re:Staude oder Strauch?

Blauaugenwels » Antwort #6 am:

Tja, die Grenzen sind fließend und botanisch gibt es die Unterscheidungen als exakte Definitionen genau genommen gar nicht, sondern maximal die Bezeichnungen krautartig, staudig, strauchartig... Sie entstammen der gärtnerischen Kultur.Acer campestre lässt sich beispielsweise je nach Exemplar eher den Bäumen oder eher den Sträuchern zuordnen, daher auch hier die Zwischenform Halbstrauch.Bei der Campanula findet sich sicher nur ein geringer Verholzungsgrad des Scheinstammes. Unter dem Mikroskop ließe sich recht gut und schnell klären, wie es damit im Detail aussieht. Ich gebe zu, oberirdisch zu definieren wird schwierig. Ach, wie wunderbar ist doch die Natur: so vielseitig und variantenreich - allein der Mensch will immer alles in Schubladen stecken. ::)
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fars
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Re:Staude oder Strauch?

fars » Antwort #7 am:

Und deshalb ist es auch schön, sich über ein so harmloses Thema austauschen zu können.Da meine Campanula dieses "borkige" Stämmchen schon seit einigen Jahren aufweist, dürfte ein gewisser Verholzungsgrad gegeben sein.Species nova? Halbstrauch? ;D
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Staudo
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Re:Staude oder Strauch?

Staudo » Antwort #8 am:

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sarastro

Re:Staude oder Strauch?

sarastro » Antwort #9 am:

Bei solchen Fragen ziehe ich immer den Hegi/Flora von Mitteleuropa zu Rate. Dort steht immer genau beschrieben, ob etwas verholzt oder nicht. Man hat eben vor fast 100 Jahren auch nicht alles in Definitionen und Schemata eingekastelt, sondern die Übergänge sind fließend.
Lehm

Re:Staude oder Strauch?

Lehm » Antwort #10 am:

Um die Frage Strauch oder Baum zu umgehen, hat man den Ausdruck Gehölz erfunden.Und obschon Rosmarin bei den Küchenkräutern eine Rolle spielt, handelt es sich um ein Gehölz, wohl Strauch, aber auch als Hochstämmchen ziehbar, und damit Baum?Tomaten sind Gemüse und Frucht, ebenso Rhabarber.
Blauaugenwels
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Re:Staude oder Strauch?

Blauaugenwels » Antwort #11 am:

@ LehmRosmarin ist ein Strauch, zu einem baumartigen Wesen wird er ja nur durch menschliche Eingriffe. Für gewöhnlich findet sich dann aber nicht der Begriff Baum, sondern Hochstamm.
Tomaten sind Gemüse und Frucht, ebenso Rhabarber.
Meintest Du Tomaten sind Gemüse und Obst? - Als Frucht ist nämlich definiert die Gesamtheit der aus der Blüte hervorgegangenen Organe. Früchte haben also die allermeisten Pflanzen. (Alle Pflanzen? Wie es da mit Sporophyten (Farnen) aussieht, kann ich auf die Schnelle nicht sagen.)Obst und Gemüse - das ist eine Frage der Definition:Variante 1:Gemüse: Sammelbegriff für krautige, ein- bis zweijährige Arten, die meist nur einmal tragen (egal ob Früchte oder andere Pflanzenteile). Obst: Sammelbegriff für mehrjährige Pflanzen, die mehrmals in ihrem Leben (egal ob Früchte oder andere Pflanzenteile).=> Hiernach wäre die Tomate Gemüse und der Rhabarber Obst.Variante 2:Gemüse: Sammelbegriff für Pflanzen, von denen nicht die Frucht als Nahrung dient, sondern Blätter, Stengel, Wurzeln...Obst: Sammelbegriff für Pflanzen, deren Frucht als Nahrung dient.=> Hiernach wäre die Tomate Obst und der Rhabarber Gemüse.Man kann es sich immer so drehen, wie man es gerne hätte ;)Ich bevorzuge eine Mischung beider Definitionsvarianten:Obst: Früchte, die von meist mehrjährigen Pflanzen stammen und oftmals süßlich oder säuerlich schmecken.Gemüse: so ziemlich alles andere, was der Ernährung nutzt.@ allIn "Exkursionsflora von Deutschland" (Rothmaler, 19. Auflage, Elsevier-Verlag) findet sich eine weitere, etwas detailiertere Definition für die verschiedenen Lebensformen der Pflanzen. Ich werde die heute Abend mal beschreiben, muss jetzt wieder in die Uni (Klausur in Genetik...).@ farsHast Du die Dame schon mal gefragt, wie sie angesprochen werden möchte? ;D
sarastro

Re:Staude oder Strauch?

sarastro » Antwort #12 am:

Zwischen Strauch und Baum ist wohl nur ein optischer Unterschied festzustellen. Ansonsten sind die Übergänge dieser Wuchseigenschaften der Gehölze fließend. Ein Rosmarin ist eindeutig ein Gehölz, ebenso Salbei, Ysop und viele Thymianarten.
Lehm

Re:Staude oder Strauch?

Lehm » Antwort #13 am:

Der Laie fragt sich ja auch, wozu die Schubladen dienen.
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pearl
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Weinbauklima im Neckartal

Re:Staude oder Strauch?

pearl » Antwort #14 am:

sarastro, blauaugenwels hat es hinreichend erklärt und ich finde seine Definition unterscheidet beides Strauch und Baum treffend.Die Wachstumszone, also beim Baum das Scheitelmesistem, ist am aktivsten. Das bedeutet, dass pflanzliche Wachstumshormone regulierend so eingreifen, dass das äußere Erscheinungsbild einen Baum ergibt. Dabei spielt die Schwerkraft eine Rolle. Außerdem wird in bestimmten Phasen jedes Seitenwachstum unterdrückt.Sträucher treiben aus der Basis aus, das bedeutet, dass die Unterdrückung benachbarter Meristeme durch hemmende Pflanzenhormone nicht geschieht. Die Unterscheidungen zwischen beiden Formen der Gehölze ist also nicht nur eine umgangssprachliche Angewohnheit, sondern auch in der Botanik nützlich.
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