In winterlicher Abgeschiedenheit hatte ich zwischenzeitlich die Muße, mich in den Inhalt des Buches zu vertiefen und an # 64 anzuknüpfen, wo ich zunächst meinen ersten Eindruck wiedergegeben habe und vor allem auf die Fotos bzw. Aufmachung und Gestaltung eingegangen bin. Weil ich diesem wunderbaren Buch viele Leser wünsche, habe ich nun noch ein paar Notizen dazu gemacht, ich hoffe, sie sprengen hier nicht den Rahmen. Einem solch umfassenden Werk in all seinen Facetten gerecht zu werden, ist nicht leicht, im Folgenden also nur ein paar Aspekte:
“Die Alten Rosen erzählen uns ihre Geschichten oder bewahren ihr Geheimnis, was ihnen einen romantischen Zauber verleiht“, schreibt Christine Meile im einleitenden Kapitel und verrät damit eines ihrer zentralen Anliegen, nämlich diesen Geschichten nachzuspüren, mit dedektivischer Passion und unter Zuhilfenahme immer neuer, bislang ungenutzter Quellen. Da ihr Sammlerinteresse sehr bald besonders seltenen und geschichtsträchtigen Rosen gegolten hatte, war sie wiederholt hinsichtlich deren Sortenechtheit an Grenzen gestoßen, die ihr keine Ruhe ließen, und „mit zunehmender Kenntnis gesellten sich dem Mehr an Sicherheit auch immer wieder neue Qualitäten von Bedenken bei, ...“. So wird der Rosenfreund, für den züchterische und historische Hintergründe von Belang sind, seine Freude haben an der Fülle von Informationen, ebenso aber auch jener, der etwa wissen möchte, welche Rosen für kältere Gegenden geeignet sind. Denn das Erfassen der Frosthärte der einzelnen Klassen und ihrer Sorten ist ein anderes zentrales Anliegen der Autorin, die in ihrem Garten bei Augsburg wohl ein paar Teerosen und „zarte Chinesinnen“ liebevoll in Töpfen zieht, aber eben auch hinsichtlich des Klimas die Grenzen aus eigener Erfahrung kennt. Diese über lange Jahre gesammelten Erkenntnisse aus erster Hand erscheinen um vieles wertvoller als schematische Angaben zur Klimazone, lassen sie doch auch ein wenig Spielraum zu: Wer wagt, gewinnt – manchmal, im nächsten Winter kann schon wieder alles anders sein. Aber es gibt eben Rosen, die jegliche Vernunft außer Kraft setzen, so die draufgängerische Botschaft. Sie werden notfalls durch eine neue Pflanze ersetzt, die sich mitunter als robuster erweisen kann.
Mit der seltenen Gallica Séguier schließt sich quasi ein Kreis: Ihr wundervolles Portrait ziert die Seite 2, im „Nachhall“, ganz am Ende, berichtet Christine Meile über das jährlich wechselnde Farbenspiel dieser Rose. Von solcher Gewissenhaftigkeit ist das gesamte Werk geprägt, sie lässt die tiefe Verpflichtung und Achtsamkeit der Autorin ihrer Sache gegenüber erahnen; etwas anderes zu dokumentieren als eigene Anschauung lehnt sie rigoros ab.
Aber da sind auch diese beinahe unwirklich schönen Aufnahmen aus einem Garten, in dem schon lange die Rosen die Herrschaft übernommen zu haben scheinen – wahrhaft paradiesisch blüht und rankt das in wilder Üppigkeit in hohe Bäume, breitet sich darunter in funkelnden Rot- und Violetttönen aus, flankiert von leuchtendem Weiß und zartestem Rosa. Zwischendurch ein Grüppchen wilder Margariten in der Wiese, woanders blaue Akeleien, wie zufällig. Ein wundersames Gewährenlassen scheint wie das durch alte Baumkronen gestreute Licht über dem Ganzen zu schweben und in seltsamem Gegensatz zu jeglicher akribischen Forschung zu stehen.
Zu einem unverzichtbaren Standardwerk machen dieses Buch nicht zuletzt auch das Kapitel „’Rosenschreiber’ in alter Zeit“, ein besonderes Anliegen von Udo Karl, und die ausführliche Einleitung zum Abschnitt „Rosen aus uralter Zeit. Wildrosen“. Ersteres ist jenen Ärzten und Botanikern, Gärtnern und Pflanzensammlern, Schriftstellern und Malern gewidmet, „deren Verdienste nicht in der Rosenzüchtung liegen, sondern in der Sichtung und Verbreitung von Rosen und der Liebe zu dieser Gattung in all ihrer Vielfalt“. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Lebensbildern bislang kaum bekannter Personen bzw. den historischen Hintergründen der jeweiligen Zeit. Mitunter war es eine Fußnote, mit der weitreichende Nachforschungen ihren Anfang nahmen, wie etwa im Falle des Rosensammlers und Verlegers Heinrich Arnz, dessen 1835 verfaßter Text für die Subskription von Rosen-Lithografien ein beredtes Zeugnis der fieberhaften Züchtungsaktivitäten in dieser Zeit gibt.
Auch dem „Wanderer im österreichisch-ungarischen Völkergemisch“, Rudolf Geschwind, ist ein Unterkapitel gewidmet, das auf Biografisches ebenso eingeht wie auf seine züchterische Arbeit und die Frage, was von seinem Erbe geblieben ist.
Auch wenn die Lebensliebe der „Rosenschreiberin“ Christine Meile der gesamten Spezies gilt, kann sie doch gewisse Präferenzen nicht verbergen, und das liest sich dann, etwa am Beispiel der Kronprinzessin Viktoria, so: „Wer diese bezaubernde Rose nicht in seinem Garten hat, ist selbst schuld.“
Eben. Ich zum Beispiel. Noch.