@bristlecone
"Die Dosis macht das Gift". Dies stimmt für die Chemikalien zu, die die Leber abbauen kann. Es gibt aber auch Chemikalien, die die Leber nicht abbauen kann und die sich oft lebenslang im Körper von Mensch, Tier und Pflanzen aufkonzentrieren und die z.T. in jeder Konzentration, also auch in extrem niedrigen krebserregend sind. Neben der direkten Exposition kommt also der Giftaufnahme über die Nahrungskette eine immer größere Bedeutung zu, z.B. bei Quecksilber schon die dominierende.
Zu solchen Stoffen, die quasi in jeder Dosis gefährlich sind, zählen z.B. Plutonium, Vinylchlorid u.a..
Die von Dir zitierte Quelle sagt schon im ersten Satz, dass der in Deutschland seit Jahrzehnten gültige Grenzwert von 2 Mikrogramm/l willkührlich gewählt wurde, weil damals die Nachweisgrenze der Messverfahren so war. Heute liegt die Nachweisgrenze bei ca. 0,5 Mikrogramm/l und deshalb soll der deutsche Grenzwert mittelfristig auf diesen Wert angepasst werden. Deutschland hat aber noch lange nicht den von Dir zitierten Grenzwert gesetzlich festgeschrieben!
Der WHO-Grenzwert wurde, soviel ich weiß, aus ebendiesen Grund der Nachweisbarkeit gewählt, d.h. er ist kein gesundheitsmäßig begründeter Grenzwert (woher soll der auch kommen?), sondern ein juristisch begründeter Grenzwert, denn man muss irgendeinen Wert festlegen, bei dessen Überschreitung der Staat Sanktionen verhängen kann. Ich bin sehr skeptisch, dass die WHO als Beamtenapperat dazu in der Lage sein soll, bessere Messmethoden und ein aussagefähigeres Gesundheitsrisiko zum Vinylchlorid treffen zu können als der auf diesem Gebiet wissenschaftlich und technisch führende Mitgliedsstaat.
Die USA, mit Ausnahme einiger Bundesstaaten, z.B. Kalifornien, ist nicht gerade als sehr sensibel in ihrer Umweltgesetzgebung bekannt, eher als sehr rückständig und trotzdem ist PVC seit vielen Jahrzehnten verboten - aus guten Gründen.
Das Verbot des PVC ruht nach meinem Wissen auf mindestens 3 Säulen:
1. dem Vinylchlorid als Restmonomer
2. den in vielen Anwendungsfällen erforderlichen Weichmachern
3. dem Freisetzen von hoch toxischen Gasen im Brandfall
Mittlerweile sterben in den Industriestaaten mehr Menschen durch diese toxischen Gase bei der Verbrennung oder Verschwelung von chlorierten und fluorierten Kunststoffen als durch die Brandeinwirkung selbst.
Neben diesen klassischen Giftwirkungen haben einige Chemikalien auch langfristige und ökosystemübergreifende Wirkungen. Dies ist mittlerweile für viele künstliche Aromen und Konservierungsmittel bekannt, die neben weiteren Ursachen für die schnelle Ausbreitung von Allergien und Asthma, aber auch für Magen- und Darmkarzinome verantwortlich gemacht werden, ohne dass direkte Beweise dafür vorliegen - aber viele indirekte Beweise. Damit können diese nicht verboten werden. Andere Chemikalien wie z.B. einige Pflanzenschutzmittel und auch einige Weichmacher des PVC haben hormonähnliche Wirkungen und werden dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Qualität des Spermas (nicht nur die des Menschen) in den letzten Jahrzehnten rapide verschlechtert hat. Wenn man diese Tendenz fortschreibt, dann ist absehbar, dass in einigen Jahrzehnten die Reproduktionsfähigkeit der westlichen Industriestaaten nicht mehr gegeben ist, weil der Anteil unfruchtbarer Männer zu hoch wird. Schon jetzt steigt der Anteil ungewollt kinderloser Paare immer mehr an und eine Ursache davon ist die Erwähnte.
Warum wird PVC in Deutschland und Europa nicht verboten? Aus industriehistorischen Gründen spielt die Produktion und Verarbeitung von PVC hier eine viel größere Rolle als damals in den USA. Ein sofortiger Ausstieg würde sich so auswirken, als ob inklusive aller indirekten Auswirkungen ein Hauptindustriezweig geschliffen werden würde - mit Hunderttausenden Arbeitslosen in Europa und gigantischen wirtschaftlichen Auswirkungen. Infolgedessen kann man nur mit Hilfe eines langfristigen Ausstiegsprogramms einen Wirtschaftsschock vermeiden. Aber man muss damit einmal beginnen.
Bei der PVC-Problematik spielen mittlerweile auch geopolitische und Globalisierungsgesichtspunkte eine große Rolle. Ein isolierter Ausstieg Deutschlands und Europas ist durch die internationale wirtschaftliche Verflechtung kaum möglich und bei der Abwägung verschiedener Dilemmas der Menschheit wiegt eine Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft und die Weltpolitik schwerer als die PVC-Problematik, denn andere Bedrohungen der Menschheit wiegen noch schwerer. Also greift hier die Staatsräson.
Stell Dir mal vor, wie viele Menschen in eine Gesundheitsstatistik einbezogen werden müssten, um eine Aussage 1:1000000 Wahrscheinlichkeit seriös treffen zu können. Das müsste praktisch die gesamte Bevölkerung Deutschlands sein - aber eine derartige penible Massenuntersuchung auf Gesundheitsschädigungen hat nie stattgefunden und wäre unbezahlbar. Eine solche Aussage ist also wissenschaftlich völlig unhaltbar. Es ist nur eine Hochrechnung der wenigen bekannten und eindeutig beweisbaren direkten Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung. Da aber praktisch nahezu 100 % der Bevölkerung nicht auf diese Zusammenhänge untersucht wurden, ist die Dunkelziffer und damit die reale Gefährdung absolut nicht kalkulierbar - weder nach oben noch nach unten. Die besten Ergebnisse liegen noch bei Screeninguntersuchungen mit Zellkulturen und schnelllebigen Modelltieren vor, aber diese wurden bestimmt nicht für diese statistische Gefährdung herangezogen.