Ich finde, bristle, Du warst heute - wieder mal - sehr geduldig.
Ja. Danke dafür!
Und nochmal einen Schritt zurück. Nämlich zu #1361, in dem Daniel ein paar Dinge zusammengefasst hat, die ich ganz, ganz wichtig finde (ich verkneif's mir hier, das exzellente Posting komplett zu zitieren, jede/r kann ja zurückblättern).
Ich erlaube mir mal eine persönliche Anmerkung dazu.
Als die Debatte um die Glyphosat-Neuzulassung begann, stand ich den Kampagneros, die dagegen waren, durchaus mit Sympathie gegenüber. Denn:
- Herbizid im Privatgarten = mir unsympathisch, für mich persönlich unnötig, außer im allernötesten Notfall.
- Landwirtschaft, die ohne Herbizid nicht kann = unsympathisch; "öko" mag ich aus dem Bauch raus lieber.
- Monsanto = erster Glyphosat-Urheber = indiskutabel; die Methoden der Firma sind nicht nur "jenseits von Gut und Böse", wie Daniel es salomonisch formuliert hat, sondern z. T. widerwärtig bis terroristisch. (Wobei mir von Anfang an klar war, dass die Gleichsetzung von Glyphosat mit Monsanto nicht mehr stimmt, weil Monsantos Patente auf den Stoff längst ausgelaufen sind.)
Von dieser grundsätzlich sympathisierenden Basis aus habe ich diverse Anti-Glyphosat-Kampagnen-Texte gelesen. Allerdings – langjährige Gewohnheit – mit stetem Check/ Gegencheck dessen, was dort geschrieben stand.
Und war blitzschnell vor Zorn auf dem Baum.
Zum Beispiel deshalb:
… Das per se böse Glyphosat verursacht Missbildungen an Ungeborenen, wird in einer dieser Reportagen gesagt. Wenn man sich mal damit befasst, was da noch so auf die Plantagen gesprüht wird, findet man schnell heraus, dass das überwiegend Substanzen sind, von denen bekannt ist, dass sie das Kind im Mutterleib oder die Keimzellen schädigen können. Deshalb sind diese Mittel hier lange entsprechend gekennzeichnet oder verboten ...
Beim Check/ Gegencheck stieß ich auf mehr Beispiele gleichen Typs: Die Kampagneros mach(t)en Glyphosat verantwortlich für praktisch alles, was Folge von Landwirtschafts-Chemie sein könnte. Aber ohne je zu hinterfragen, ob die fiesen Effekte vom Glyphosat selbst oder – nach Datenlage viel wahrscheinlicher – von anderen, parallel angewendeten Stoffen ausgelöst wurden/ werden. In der Kampagnero-Darstellung läuft's ausschließlich aufs pöse Glyphosat raus – beim Check/ Gegencheck sieht die Welt viel frag-würdiger aus.
Mein Zorn wuchs. Zorn auf eine Kampagne, die komplexe Vorgänge grauenhaft versimpelt, rationale Differenzierung niederbügelt und nicht mal vor wissenschaftlichem Etikettenschwindel zurückschreckt, wie er sich z. B. in der ominösen "Studie" über Glyphosat in der Muttermilch findet. Zorn auf eine Kampagne, die dem eindeutigen, schlichten Feindbild zuliebe wichtige Details völlig ausblendet (Beispiel: Glyphosat-Einsatz zur Sikkation/ Ernteerleichterung ist anders zu bewerten als Glyphosat-Einsatz zur Unkrautunterdrückung und im Dienst der pfluglosen = erosionsmindernden Kultur). Zorn auf eine Kampagne, die unter dem Etikett "öko" Volksverdummung krassester Art betreibt (oder sollte es man es sogar "Volksverhetzung" nennen?).
Der Zorn hat mich bewogen, mich intensiver ins Thema einzulesen, von laaangen Bundestags-Enquete-Protokollen über x Zeitungsartikel bis zum Thread hier (nochmal danke an Brissel für die vielen informativen Links und Argumentationen).
Die Konsequenzen:
- Ich sehe den Wirkstoff, um den es geht, mittlerweile ziemlich entspannt (den Einsatz zur Sikkation ausgenommen, darüber müsste man m. E. nochmal sorgsam nachdenken).
- Die Kampagnen gegen den Wirkstoff hingegen sehe ich nur noch mit tiefer Verachtung: Wenn die Argumente für die eigene Position so dürftig sind, dass man um massive Faktenverdrehungen nicht herumkommt, sollte man besser die Klappe halten. "Öko" ist derlei Demagogie gewiss nicht.
An meiner persönlichen Antipathie gegen Herbizide im Privatgarten hat sich dennoch kein Jota geändert. Nur im nötesten Notfall würde ich selber sowas einsetzen. Aber wenn es denn mal sein muss, dann bitte was, das gut untersucht ist – und nicht frisch auf den Markt geschmissenes, noch unerforschtes Krams, dessen einziger Vorzug es ist, nicht "Glyphosat" zu heißen.
Die politische Dimension ist nochmal was anderes: Welche Landwirtschaft wollen wir haben, um so viel Artenvielfalt wie irgend möglich zu erhalten? Zurück zur kleinräumigen Felderwirtschaft, wie sie bis zum 19./ frühen 20. Jahrhundert gängig war, führt kein Weg. Aber was lässt sich heute, in Zeiten großflächiger Intensiv-Agrarkultur, für Artenvielfalt tun? (Die Kampagneros suggerieren, dass ein Glyphosat-Verbot alle Übel heile - noch ein Punkt, der mich auf die Palme bringt: Der Verlust an Biodiversität, der mittelbar durch Herbizide in der Landwirtschaft entsteht, ist nur ein kleiner Teil dessen, was moderner Ackerbau der Artenvielfalt antut.)