Immer noch OT:
Im Einzelfall ist so ein chorologischer Nachweis unter Umständen recht aufwändig, und ich bin mir sicher, dass zum Beispiel nur für auffällige Arten (wie das Schneeglöckchen) oder für Heilzwecke nutzbare Pflanzen historisch weit zurückreichende Standortdokumentationen existieren - wobei man auch diese unter Umständen mit Vorsicht behandeln muss, denn Verwechslungen und ungenaue Differenzierungen hinsichtlich der Art (und zum Teil sogar der Gattung!) gab es früher häufig und sind auch aus neuerer Zeit bekannt.
Neben solchen Aufzeichnungen gibt es aber noch andere Methoden, zum Beispiel Samen- und Pollenanalysen bei zeitlich datierten Ausgrabungen, sowie morphologische und genetische Untersuchungen, etwa bei Lokalrassen, die oft eine zeitliche Differenzierung zur Nominatrasse erlauben.
Auch statistisch-historische Überlegungen zur Wanderungsbewegung von Arten sind möglich. Das Schneeglöckchen Galanthis nivalis beispielsweise entstammt einer Gattung, die im pontischen Florenkreis entstanden ist (also rund ums Schwarze Meer) und dort eine radiative Adaption (also Differenzierung in unterschiedliche Arten) erfahren hat. Die Gattung ist im allgemeinen in Wiesen und lichten Laubwäldern beheimatet - G. nivalis speziell in letzteren. Aus der Lage des Herkunftsgebietes und der ökologischen Ansprüche läßt sich, unter Berücksichtigung der Fortpflanzungsbiologie der Art (Verbreitung der recht großen Samen durch Ameisen, anders als zum Beispiel bei Orchideensamen, die windverbereitet werden), eine statistische Abschätzung treffen über die Wanderungsgeschwindigkeit der Art nach Nordwesten nach der letzten Eiszeit (die ja auch erst 10k Jahre her ist), mit der sie sich potentielle Biotope ohne menschlichen Einfluß erschließen konnte. So kann man - auch im Abgleich mit Arten ähnlicher Pflanzengesellschaften - einen zeitlichen Verlauf der Nordwestgrenze der Verbreitung skizzieren, die bis in die Zeit historischer Dokumentationen reicht und Standorte in Norddeutschland mit einiger Wahrscheinlichkeit ausschließt.
Werden solche Abschätzungen mit anderen Untersuchungen kombiniert, lassen sich ihre Aussagen weiter verfeinern. Für einen Einzelstandort, der sich innerhalb oder nahe des natürlichen Verbreitungsareals befindet, ist eine Festlegung, ob dieser "natürlich" oder durch menschlichen Hilfe - etwa in der frühen Neuzeit - besiedelt wurde, nicht immer eindeutig zu treffen, es sei denn, er läßt sich direkt auf Gartenflüchtlinge etwa in der Nähe eines Klosters mit angeschlossenem Heilpflanzengarten zurückführen, oder die Pflanzen dieses speziellen Standortes sind genetisch zu unterschiedlich zu den benachbarten Standorten und damit mit Sicherheit aus weiter entfernten Gebieten eingeführt worden.