Pünktlich um viertel nach sechs klingelte Heike. Es war Dezember und stockdunkel. In mir ging alles durcheinander: Ich freute mich sehr auf die Pferde – die edlen Olympia-Dressurcracks -, doch ich kam mir vor, als geleite die fröhlich plappernde Heike mich zur Schlachtbank. Oder zum Rapport beim Chefredakteur, was so ziemlich das selbe war.
Heike parkte. Ich spähte über den schlecht beleuchteten Platz.
„Hier sind wir falsch“, meinte ich mit Nachdruck. „Warum?“ fragte Heike, die das Territorium am Tage vorher gewohnheitsmäßig inspiziert hatte. Diesmal hatte Heike Controletti sich aber bestimmt vertan: Nicht ein Mercedes auf dem Parkplatz, von Bentleys und dergleichen ganz zu schweigen. Nur eine etwas zerknautschte Ente stand da.
Das konnte es ja wohl nicht sein, das Reitinstitut, das renommierte! Wenn da auch eine große Halle stand, aber das war wohl eine Fabrikhalle. Doch da waren auch die Borowskis und Hans, ein geradezu unsympathisch ausgeschlafener Hans.
„Was macht’n die renommierte Ente da?“ begehrte ich zu wissen. „Birtes“, sagte Hans etwas verwundert.
Ich stolperte den gutgelaunten Kollegen hinterher und fand mich in einer schummerigen Sattelkammer wieder. Etwas staubig und scharf riechend. Links ein Kleiderständer, an dem allerlei undefinierbare Sachen hingen, nichts davon allzu sauber. Mitten drin ein Schreibtisch, dran eine junge blonde Frau, offensichtlich Birte.
Birte hatte einen Pferdeschwanz. Außerdem einen Telefonhörer am Ohr. Sie schaffte es, uns gleichzeitig willkommenheißend anzustrahlen, die Augen zu verdrehen über ihren unsichtbaren Gesprächspartner, einen graubekittelten Menschen mit Blicken zu einem bestimmten Sattel zu dirigieren und etwas in ein Buch mit engbeschriebenen Seiten einzutragen. Geht hier fast zu wie in der Redaktion, dachte ich.
„Aber selbstverständlich gern, Frau Riemenberger, aber natürlich sehr gern, Frau Riemenberger, natürlich sollen sie den Manner haben“, schmalzte Birte ins Telefon, bevor sie den Hörer mit Vehemenz auf die Gabel knallte: „Blöde Kuh!“
Dann strahlte sie uns wieder an: „Willkommen im Schulstallbüro!“
Die Sattelkammer war also das Büro. Hans stellte vor. Birte strahlte mich an. Mit runden blauen Augen. Ich hatte sie auf der Stelle gern. Und ich war der Bewunderung voll: Wie konnte jemand morgens um fünf vor sieben nur permanent lächeln?
„Hans bekommt wieder den Jonas. Tara – du bist die Tara, nicht? – den Manni. Manner.“ Aha, das Tier vom Telefon.
Birte kratzte sich an der Nase. „Heike: Heidekraut.“
„Welcher Sattel?“ fragte ich schüchtern. Hans klärte mich auf: Hier sattelten nicht die Kunden, sondern die Pferdepfleger. Aha: nicht Knechte, sondern Pfleger, registrierte ich. Hans war in seinem Element, er kannte sich bestens aus. Die Tür rechts führte in den Stall. Drei Boxen, eine lange Reihe von Ständern. Ich zählte: „Zweiundzwanzig“, lächelte Birte. Nicht schlecht!
Sie zeigte mir meinen Manni, nein, Manner. Ich starrte den Fuchs etwas verwundert an. Der edle Dressurcrack blickte lieb zurück. Der Blüte deutscher Pferdezucht hing die Zunge aus dem Maul. Manner erweckte stark den Eindruck, als lehne er sich mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen gelangweilt gegen die Wand und werde gleich von herzhaftem Gähnen überkommen.
Ich riß meine Blicke von dem rassigen Sportpferd los, weil Hans noch mal vorstellte: die beiden Pfleger. „Das ist der Martin." Der war lang und hager und roch stark nach Schnaps. „Und das ist der Josef alias Sepp.“ Sepp sah väterlich und nett aus. Und so, als hätte er auch gerne einen Schnaps gehabt. Ich beschloß, mich an Sepp zu halten.
Manner, Zunge sanft schaukelnd, kam auf Sepps Ruf hin brav aus seinem Ständer und stellte sich auf der Stallgasse auf. Gesattelt war er schon. Heike, energisch und zugreifend wie immer, hatte ihre Heidekraut am Zügel gepackt, eine massive kleine Schimmelstute. Und Hans mit seinen kurzen Beinen stand neben einem dunkelroten Pferd – Jonas, hatte Birte gesagt. Ich fragte mich, wie Hans es schaffen würde, diesen Goliath zu erkraxeln. Er hätte den Kopf nur wenig einziehen müssen, um unter Jonas' Bauch durchzulaufen.
Rechts ging es in die Reithalle. Die alte oder kleine Halle, belehrte uns der Kollege. Das am Parkplatz war die Wilhelm-Milkereit-Gedächtnishalle oder kurz: die neue Halle. Jaja. Jajaja. Ich hörte kaum zu, weil ich nämlich mit meinem Manni inzwischen mitten in der dämmerigen Reitbahn stand. Manni hatte seinen Lappen immer noch 'raushängen. Das sah irgendwie beruhigend aus, jedenfalls nicht so, als wolle er gleich anfangen, wild zu galoppieren oder so.
Mein Gott, ich hatte ganz vergessen, wie groß Pferde sind. Wie hinaufkommen? Doch Sepp war zur Stelle. Er zog und schob, und ich - saß – auf – dem – Pferd. Ich fühlte mich wie eine Königin. Ich saß zu Pferd!