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|9|10|Ein abgefallenes Blatt kehrt nicht zum Baum zurück. (aus Rhodesien)

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Autor Thema: Was vom Pferd  (Gelesen 55644 mal)

Tara

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Was vom Pferd
« am: 05. April 2013, 23:11:49 »

Hier geht's um Hunde, Katzen, Hühner, Schafe... Von Pferden ist lange nichts mehr berichtet worden, obwohl wir einige Pferdeleute unter uns haben. Ich war Ostern zum ersten Mal seit dem Koliktod meines 25jährigen Zossen wieder bei einer Bereiter-Freundin in einem Vereinsstall. Die Tränen hielten sich zum ersten Mal in Grenzen, und viele Erinnerungen an die schönen Zeiten kamen wieder. Ein paar davon würde ich gerne teilen. :)

Ich möchte ein paar Geschichten erzählen - manche kürzer, manche länger, nichts davon chronologisch, sondern wie sie mir eben einfallen, und ich würde mich freuen, wenn auch andere, davon angeregt, ein paar Geschichten beitragen würden. :)

Zum Hintergrund: Ich begann mit elf zu reiten und hörte mit sechzehn auf; anständigen Unterricht gab es in der Zeit aber leider kaum. Dann eine Pause bis 34 - da landete ich in einem ehemals renommierten Reitstall mit guten Schulpferden (bis L-Kandare). Zwei Jahre später wurde ich krank, konnte die Schulpferde nicht mehr reiten und kaufte mir ein maßgeschneidertes eigenes Pferd, von dem ich dachte, ich könnte ihn vielleicht noch ein weiteres Jahr reiten. Ich ritt ihn noch zehn Jahre! :D Und das waren die besten zehn Jahre meines Lebens. :D Und betüddelt habe ich ihn mit seinem letzten Kumpel (es gab drei wechselnde Beistellpferde) danach nochmal zehn Jahre. :) Der letzte Kumpel ist jetzt Anfang 32!!!! und steht, nachdem ich den Stall wegen meiner Erkrankung und Tis Tod aufgeben mußte, bei sehr lieben Leuten im Spessart. :)

« Letzte Änderung: 06. April 2013, 00:38:50 von Tara »
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Quendula

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #1 am: 05. April 2013, 23:21:49 »

 :D
Ich werde sicherlich hin und wieder hier reinschauen, kann aber nur wenig beitragen. Mit 12 fing ich beim Voltigieren an, einige Jahre später durfte ich auch Reiten. Mit 18 zog ich zu Hause aus und etwas weiter weg. Dadurch löste sich dieses Hobby so langsam auf.
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Erwarte nichts, doch rechne mit allem!

Tara

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #2 am: 05. April 2013, 23:26:05 »

Eine Eigentumswohnung hätte ich haben können. Mit ein bißchen Glück hätte ich irgendwann vielleicht sogar einmal einen Wein-Großhändler oder einen ähnlich finanziell potenten Menschen geheiratet und wäre aller Sorgen ledig. Im Urlaub wäre ich wie jedermann in die Dom Rep geflogen, gekleidet hätte ich mich, wie es meinen damals sechsunddreißig Lenzen und meiner Stellung als Redaktionsleiterin bei einer mittleren Tageszeitung zukam, und meine Freizeit hätte ich gepflegt beim Bridge verbracht oder in einem Theaterzirkel. Und zu Hause hätte ich ein kleines Aquarium gehabt... Davon träumte ich manchmal.

Stattdessen hatte meine Bank ein ständiges Guthaben bei mir; Trauerränder verunzierten meine Fingernägel und diverse Pflaster oft genug den Rest meiner Person. Meine mich ansonsten liebende Familie unterstellte mir bedauernd einen mittelschweren Dachschaden, und die stumm leidenden Kollegen gewöhnten sich an manches: zum Beispiel an satte Duftschwaden, wenn im Winter in der Redaktion die Mohrrüben auf den Heizungsrohren auftauten. Den unschätzbaren Seidenteppich meines fassungslosen Verlegers hatte ich bei einer hochwichtigen Konferenz mit Mistbröcklein garniert...

Nach mehr als zwölf unbescholtenen Redakteursjahren war ich auf einmal im Hauptberuf Toilettenfrau und wandelnder Futterautomat für zwei leicht übergewichtige Pferde („Leicht!!! Haha! LEICHT übergewichtig!“ höhnt Freundin Birte. Dabei ist ihre Amy auch viel zu fett). Und Freizeit – was ist Freizeit? Meinen Fernseher hatte ich schon vor elf Jahren verkauft.
 
Der Schuldige ist eindeutig auszumachen: mein Ex-Kollege Hans. Und wenn wir heute auch keinen Kontakt mehr haben, so werde ich ihm doch bis ans Lebensende dankbar sein! Trauerränder und schwindsüchtiges Bankkonto eingeschlossen.
« Letzte Änderung: 05. April 2013, 23:33:09 von Tara »
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Re:Was vom Pferd
« Antwort #3 am: 05. April 2013, 23:39:03 »

Hans trabte. Leichttraben, in meiner Jugend noch Englischtraben genannt.
„Hans! Ich hab’ in zwei Stunden Andruck!“

Mein Kollege ließ sich nicht beirren; Hans, konzentriert die Stirn runzelnd, wurde von einer Woge der Begeisterung getragen. Er streckte beide Arme nach vorn, die Hände zur Faust geschlossen, und bewegte sich rythmisch auf und ab. Sein sonnengelbes Oberhemd spannte sich bedenklich. Der Kollege trabte. Sein Pferdchen zeigte sich nicht kooperativ; immer wieder drohte der Bürostuhl dem rundlichen Hans unter dem Hintern wegzurollen.

„Hans! Du machst das bestimmt schon ganz toll, aber ich muß fertig werden!“
Hans parierte seinen Stuhl durch und kam schweratmend zum Halt. Zum ersten Mal an diesem langen Arbeitstag schien er mich richtig wahrzunehmen: „Warst du schon wieder beim Frisör? Mußt dich nicht wundern, dass sie dich im Kaufhof als jungen Mann bezeichnen.“

„So lange ich mit diesem Hintern behaftet bin, wird mir das nicht allzu oft passieren. Hans, lieber Hans, du wolltest mir doch jetzt bestimmt noch bei den Sportmanuskripten helfen, oder? Diese Sportheinis können sich nie an eine Zeilenvorgabe halten!“ Ich schwitzte, denn ich stand beim Chefredakteur auf der Schwarzen Liste. Ich musste unbedingt rechtzeitig fertig werden.

Hans, der den derzeitigen Ehrenplatz auf Alts Schwarzer Liste mit mir teilte, nahm mir bereitwillig ein paar Blatt Papier ab. Und schob sie mir sofort wieder zu: „Handball! Ich müsste ja beknackt sein. Es gibt überhaupt nur einen Sport. Ich sag’ dir, also der Galopp, das kannst du dir gar nicht vorstellen...“

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #4 am: 05. April 2013, 23:44:52 »

Vor vier Wochen hatte Hans, dem ich in der Redaktion neuerdings gegenüber saß, angefangen zu reiten. Und Hans, dessen hervorstechendste Eigenschaft neben Witz und Hilfsbereitschaft seine Begeisterungsfähigkeit war, Hans sprudelte geradezu über vor Wonne. Hans war einfach hin und weg! Vergessen die Plagen und Mühen des schuftenden, unterbezahlten, geknechteten Redakteurs: Hans sprach hinfort von Longe, von Zehen nach innen und Trab-Aussitzen – „gar nicht so einfach!“ -, Hans pries in höchsten Tönen das renommierte Reitinstitut C. van Krachten, das schon Olympioniken ausgebildet habe, und dessen Schulstall, wie man ihn in dieser Qualität und Preisklasse in der ganzen Umgebung nicht wieder finde. Schulpferde bis L-Kandare, erklärte er fachmännisch. L-Kandare, das konnte sich wirklich sehen lassen.

Und Hans beschrieb vor allem seine Reitlehrerin, bis ich sie leibhaftig vor mir stehen sah: Birte, als Norddeutsche gestrandet im Hessenland, blond, etwas drall, schlagfertig und witzig und ungeheuer nett. Irgendwie gab es da wohl auch noch andere Reitlehrer, aber Hans erzählte nur von Birte. Und vom Galopp! Der Galopp!

Wieder mußte der Stuhl zur Demonstration herhalten. Ich war nur froh, daß ein deckenhoher Schrank uns vom Rest des Großraumbüros etwas abschirmte. Höchstens auf den Chefredakteur hatte man aufzupassen, der manchmal im Sturmschritt hereinkam. Hans galoppierte, wie er es im renommierten Reitinstitut gerade lernte. Im Blick aber und in der Seele hatte er weite Ebenen und wehende Mähnen, trommelnde Hufe, Husarenattacken. Die Caesarennase in den Wind gereckt, das volle Gesicht leicht gerötet, stellte sich der Kollege in die Bügel. Vehementer wurde der Rhythmus; der Kollege ritt wie Lützows wilde, verwegene Jagd...
« Letzte Änderung: 06. April 2013, 00:55:15 von Tara »
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Re:Was vom Pferd
« Antwort #5 am: 05. April 2013, 23:48:16 »

Das Gesicht eine einzige Gewitterwolke, rauschte da der Chefredakteur Alt in den Raum. Von der Tür aus konnte er Hans noch nicht sehen. Ich räusperte mich, ich schaltete den rotblinkenden Achtung-Hohes Tier!-Warnblick ein, doch Hans war jenseits aller Warnungen und Angst vor dem Feind; der ekstatische Kollege hatte sozusagen das Gebiß zwischen den Zähnen und hätte auch eine Sirene nicht gehört.

Mann Gottes, Alt kam zu uns. Doch Hans gab die Zügel hin und breitete weit die Arme aus, als wolle er die Welt an die Brust ziehen: „Es schlägt mein Herz, geschwind zu Pferd...“ zitierte er wie im Rausch. Da ging sein plötzlich wild bockendes Pferd mit ihm durch: Der Stuhl, dessen pneumatische Federung der Betriebsrat schon des öfteren als geradezu gefährlich gerügt hatte, klatschte den armen Hans wie einen Schwamm gegen den Schrank. Der Kollege rutschte langsam auf den Boden und Alt vor die Füße. Er lächelte den Chefredakteur milde an und stöhnte schwach: „Goethe...“
« Letzte Änderung: 05. April 2013, 23:50:26 von Tara »
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Re:Was vom Pferd
« Antwort #6 am: 06. April 2013, 00:16:08 »

Hans hatte seinen ersten Reitunfall tatsächlich im Büro gehabt. Doch seine Passion litt darunter nicht im geringsten. Bis ins Fitzelchen wurde ich auch weiterhin über die kleinen Siege und Niederlagen seiner Reitstunden aufgeklärt. Wochenlang! Jeden Tag. Hans ließ mich kaum noch zum Arbeiten kommen.
„Und die Zügel muß man so halten...“, zeigte er gerade und verdrehte die Daumen dabei ganz seltsam nach innen, gewiß nicht vorschriftsmäßig.

Jetzt war ich reif und mürbe: „Hans, meld’ mich an.“
Hans meldete mich an. Und Heike auch, denn auch unsere immer unternehmungslustige Redaktionssekretärin hatte seinen farbigen Schilderungen nicht widerstehen können.

„Donnerstag um sieben“, beschied uns der Kollege.
„Um sieben? Um neunzehn Uhr, ne?“, meinte ich hoffnungsvoll.
„Um sieben. Da haben wir die Halle fast für uns allein. Nur die beiden Borowskis sind noch dabei.“ Das war eine Ex-Kollegin von uns mit Ehemann. Die hatten unseren Hans zum Reiten gebracht. Schien ja ein regelrechter Journalisten-Konvent zu werden.

Gut. Sollte mir recht sein; mit den vieren würde ich wohl mithalten können.
Ich hatte nämlich ganz schön Bammel!
« Letzte Änderung: 22. April 2013, 21:48:47 von Tara »
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Re:Was vom Pferd
« Antwort #7 am: 06. April 2013, 00:22:50 »

Erstens: Aufstehen um dreiviertel sechs! VIERTEL VOR SECHS UHR! Hoffentlich hörte ich die Wecker!

Zweitens: Ich war – ich bin! - der unsportlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ein Blick auf Hans - kein Superman, der Kollege - beruhigte mich in dieser Hinsicht allerdings etwas.

Aber drittens: mein fortgeschrittenes Alter! Vierunddreißig. Verrückt, sich mit vierunddreißig Jahren noch mal aufs Pferd setzen zu wollen. Auch wenn Heike sogar zehn Jahre älter war: Die war wenigstens schlank und sportlich und völlig unbefangen.

Viertens und vor allem: das renommierte Reitinstitut! Das schreckte mich fürchterlich.

In der ziemlich schlaflosen Nacht vor meiner ersten Reitstunde stand mir das Institut deutlich vor Augen: Auf dem Parkplatz nichts unter Mercedes und BMW, in den Reithallen – es waren ihrer zwei, das wusste ich von Hans – die Blüte deutscher Pferdezucht, fachmännisch beäugt von Grüpplein aus sportlich gestählten Olympia- und Weltmeisterschaftssiegern.

Und das Casino – es gab bestimmt ein Casino – bevölkert von edel bestiefelten Herren in Loden (unerschwingliches Understatement). Die Damen, simple Perlenchoker um den mit teuren Essenzen gesalbten Hals, in mintgrünen Reithöschen und feingeplätteten Blüslein ohne einen Schweißfleck (hier schwitzte man nicht, hier transpirierte man höchstens, Transpiration hinterließ keine Flecken).

Herren und Damen in gepflegter Konversation über den neuen Intendanten der Salzburger Oper (wie hieß der noch mal, zum Kuckuck?), in der Hand ein Glas Portwein. Oder was nahmen diese Kreise in solcher Umgebung zu sich? Whisky, bestimmt Whisky, vierzig Jahre im Eichenfaß.

Mein Blick fiel auf die Turnschuhe, die ich morgen tragen wollte, nicht mehr neu und nicht mehr ganz sauber zu kriegen. Und nicht eine Perle in meinem Besitz!
Je nun. Angemeldet war ich, ich konnte es genauso gut hinter mich bringen.
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Tara

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #8 am: 06. April 2013, 00:33:45 »

Pünktlich um viertel nach sechs klingelte Heike. Es war Dezember und stockdunkel. In mir ging alles durcheinander: Ich freute mich sehr auf die Pferde – die edlen Olympia-Dressurcracks -, doch ich kam mir vor, als geleite die fröhlich plappernde Heike mich zur Schlachtbank. Oder zum Rapport beim Chefredakteur, was so ziemlich das selbe war.
 
Heike parkte. Ich spähte über den schlecht beleuchteten Platz.
„Hier sind wir falsch“, meinte ich mit Nachdruck. „Warum?“ fragte Heike, die das Territorium am Tage vorher gewohnheitsmäßig inspiziert hatte. Diesmal hatte Heike Controletti sich aber bestimmt vertan: Nicht ein Mercedes auf dem Parkplatz, von Bentleys und dergleichen ganz zu schweigen. Nur eine etwas zerknautschte Ente stand da.

Das konnte es ja wohl nicht sein, das Reitinstitut, das renommierte! Wenn da auch eine große Halle stand, aber das war wohl eine Fabrikhalle. Doch da waren auch die Borowskis und Hans, ein geradezu unsympathisch ausgeschlafener Hans.
„Was macht’n die renommierte Ente da?“ begehrte ich zu wissen. „Birtes“, sagte Hans etwas verwundert.

Ich stolperte den gutgelaunten Kollegen hinterher und fand mich in einer schummerigen Sattelkammer wieder. Etwas staubig und scharf riechend. Links ein Kleiderständer, an dem allerlei undefinierbare Sachen hingen, nichts davon allzu sauber. Mitten drin ein Schreibtisch, dran eine junge blonde Frau, offensichtlich Birte.

Birte hatte einen Pferdeschwanz. Außerdem einen Telefonhörer am Ohr. Sie schaffte es, uns gleichzeitig willkommenheißend anzustrahlen, die Augen zu verdrehen über ihren unsichtbaren Gesprächspartner, einen graubekittelten Menschen mit Blicken zu einem bestimmten Sattel zu dirigieren und etwas in ein Buch mit engbeschriebenen Seiten einzutragen. Geht hier fast zu wie in der Redaktion, dachte ich.

„Aber selbstverständlich gern, Frau Riemenberger, aber natürlich sehr gern, Frau Riemenberger, natürlich sollen sie den Manner haben“, schmalzte Birte ins Telefon, bevor sie den Hörer mit Vehemenz auf die Gabel knallte: „Blöde Kuh!“
Dann strahlte sie uns wieder an: „Willkommen im Schulstallbüro!“

Die Sattelkammer war also das Büro. Hans stellte vor. Birte strahlte mich an. Mit runden blauen Augen. Ich hatte sie auf der Stelle gern. Und ich war der Bewunderung voll: Wie konnte jemand morgens um fünf vor sieben nur permanent lächeln?

„Hans bekommt wieder den Jonas. Tara – du bist die Tara, nicht? – den Manni. Manner.“ Aha, das Tier vom Telefon.
Birte kratzte sich an der Nase. „Heike: Heidekraut.“

„Welcher Sattel?“ fragte ich schüchtern. Hans klärte mich auf: Hier sattelten nicht die Kunden, sondern die Pferdepfleger. Aha: nicht Knechte, sondern Pfleger, registrierte ich. Hans war in seinem Element, er kannte sich bestens aus. Die Tür rechts führte in den Stall. Drei Boxen, eine lange Reihe von Ständern. Ich zählte: „Zweiundzwanzig“, lächelte Birte. Nicht schlecht!

Sie zeigte mir meinen Manni, nein, Manner. Ich starrte den Fuchs etwas verwundert an. Der edle Dressurcrack blickte lieb zurück. Der Blüte deutscher Pferdezucht hing die Zunge aus dem Maul. Manner erweckte stark den Eindruck, als lehne er sich mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen gelangweilt gegen die Wand und werde gleich von herzhaftem Gähnen überkommen.

Ich riß meine Blicke von dem rassigen Sportpferd los, weil Hans noch mal vorstellte: die beiden Pfleger. „Das ist der Martin." Der war lang und hager und roch stark nach Schnaps. „Und das ist der Josef alias Sepp.“ Sepp sah väterlich und nett aus. Und so, als hätte er auch gerne einen Schnaps gehabt. Ich beschloß, mich an Sepp zu halten.

Manner, Zunge sanft schaukelnd, kam auf Sepps Ruf hin brav aus seinem Ständer und stellte sich auf der Stallgasse auf. Gesattelt war er schon. Heike, energisch und zugreifend wie immer, hatte ihre Heidekraut am Zügel gepackt, eine massive kleine Schimmelstute. Und Hans mit seinen kurzen Beinen stand neben einem dunkelroten Pferd – Jonas, hatte Birte gesagt. Ich fragte mich, wie Hans es schaffen würde, diesen Goliath zu erkraxeln. Er hätte den Kopf nur wenig einziehen müssen, um unter Jonas' Bauch durchzulaufen.

Rechts ging es in die Reithalle. Die alte oder kleine Halle, belehrte uns der Kollege. Das am Parkplatz war die Wilhelm-Milkereit-Gedächtnishalle oder kurz: die neue Halle. Jaja. Jajaja. Ich hörte kaum zu, weil ich nämlich mit meinem Manni inzwischen mitten in der dämmerigen Reitbahn stand. Manni hatte seinen Lappen immer noch 'raushängen. Das sah irgendwie beruhigend aus, jedenfalls nicht so, als wolle er gleich anfangen, wild zu galoppieren oder so.

Mein Gott, ich hatte ganz vergessen, wie groß Pferde sind. Wie hinaufkommen? Doch Sepp war zur Stelle. Er zog und schob, und ich - saß – auf – dem – Pferd. Ich fühlte mich wie eine Königin. Ich saß zu Pferd!
« Letzte Änderung: 19. September 2021, 18:35:53 von Tara »
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Tara

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #9 am: 06. April 2013, 00:42:11 »

Pferdebegeistert war ich schon immer gewesen. Schon als Kleinkind geriet ich außer mir vor Entzücken, wenn ich Pferde sah. Den üblichen ersten Worten „Mama“ und „Papa“ war zum freudigen Erstaunen meiner stolzen Erzeuger gleich der vollständige Satz „Da puff – da Loch – da weg“ gefolgt, welch sprachliche Meisterleistung das Verschwinden einer Dampflokomotive im Tunnel bildhaft prägnant zusammenfaßte und geradezu zwangsläufig auf meinen Schreibtisch in der Zeitungsredaktion zuführte. „Pferdi“ aber kam gleich an vierter Stelle.

Traktoren waren im armen Franken Ende der Fünfziger Jahre noch selten; die Bauern, die nicht mit Ochsen pflügten oder dazu gar auf ihre zwei Milchkühe angewiesen waren, hatten stolz ihr Arbeitspferd im Stall. „Pferde sind auf allen Seiten abschüssige Tiere, die dem Menschen nach dem Leben trachten“, zitierte mein Vater gern. Doch um seines Töchterleins willen tat er sein Bestes, Kontakte zu pflegen: Kein Kaltblüter in drei Landkreisen, auf dem ich nicht einmal hätte sitzen dürfen! „Dick und Dalli und die Ponys“ konnte ich auswendig hersagen, und jedes bei Karl May namentlich genannte Pferd war mir samt Stammbaum zutiefst vertraut.

Und dann, endlich, kam der große Tag: Als ich elf war, entnahm „der Chef“ der Tageszeitung, ein Reitverein sei gegründet worden! Am gleichen Tag noch sprach mein Papa dort mit mir vor.

Der Vorsitzende machte uns klar, daß der Verein bislang eigentlich nur aus ihm und sieben Gleichgesinnten bestand. Es gab keinen Reitplatz, geschweige denn eine Reithalle. Auch keinen Reitlehrer. Zwar, ein Schulpferd habe man vorsorglich bereits erworben...

Dem Charme meines Vaters war nicht so leicht zu widerstehen.
Also. Wenn ich keine Angst habe – heftig schüttelte ich den Kopf, nein, keine Angst –, wenn ich also nicht bange sei, dann wollte man mich einmal in der Woche gern auf einen Ausritt mitnehmen. Der Vorsitzende, ein Herr Doktor, musterte mich streng: „Aber nicht runterfallen!“
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Tara

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #10 am: 06. April 2013, 00:46:24 »

Endlich hatte meine Pferdesehnsucht einen Namen: Ajax. Ajax war ein Orlowtraber und sage und schreibe siebenundzwanzig Jahre alt. Seine ersten Erfahrungen hatte der Schimmel noch bei der Armee gemacht. Unserem Verein diente er übrigens noch fünf Jahre lang! Ajax konnte nicht viel, aber er war sturmerprobt und Kummer gewohnt. Das kam ihm im Umgang mit seiner ersten Reitschülerin gut zustatten.

Erst einmal, dann dreimal, später sechsmal in der Woche machte ich mich nun auf den Weg. Drei Kilometer laufen bis zum Bahnhof, neun Kilometer Eisenbahn, dann noch mal zwei Kilometer zu Fuß einen steilen, steilen Hang empor – in meiner Erinnerung ausschließlich bei glühender Hitze – bis zum Hof, der allein auf weiter Flur gelegenen Domäne. Und abends das ganze zurück. Es kam mir nicht lang vor – oh, Ajax, mein geliebter Fliegenschimmel!

Und dann ging es mit den alten Herren, vor denen ich einen Heidenrespekt hatte – sie kamen mir wie Großväter vor, waren aber damals vermutlich viel jünger als ich heute – ins Gelände. Ach, diese Ausritte! Keine Autostraße weit und breit; Rehe, Vögel und Hasen ließen sich durch die Pferde absolut nicht stören, und irgendwie schien immer die Sonne...

Die Herren gaben umfassenden Unterricht: „Was ist das Grüne da links?“
„Äh... Rüben, nee, Raps.“
„Gut“, räumte der Herr Doktor ein, „aber es heißt nicht ‚nee’, sondern ‘nein’. Was war das für ein Vogel?“
„Bachstelze!“

Ansonsten unterhielten die Herren sich abwechselnd über Aktiengeschäfte und den Stand der Wintergerste, unterbrochen nur von kurzen Kommandos an meine Adresse: „Kopf hoch! Hacken runter, Mädel!“

Sie sahen mir schon an, wenn ich wieder etwas wackelig saß: „Nicht runterfallen diesmal!“ Ich fiel jedes Mal runter, wirklich jedes Mal, und konnte mir ein Leben ohne Schrammen und blaue Flecke schon gar nicht mehr vorstellen.
Eine gewisse Stelle am Allerwertesten wollte überhaupt nicht mehr zuheilen, teilte ich verschämt mit und lernte gleich einen neuen Ausdruck: „Das Mädel hat sich ’nen Wolf geritten!“ Hirschtalg, schlugen meine kavallerieerfahrenen Beschützer vor.

Aus Sparsamkeitsgründen hatte der junge Verein einen Posten Weltkrieg-zwei-Sättel für die künftigen Schulpferde aufgekauft; ich durfte sie als erste ausprobieren. Diese Armeesättel werden heute sehr gelobt, und gewiß gehören sie zum Pferdefreundlichsten, das deutsche Sattlerkunst hervorgebracht hat. Aber ich war kein Pferd, sondern ein Reitanfänger mit einer gerade an kritischen Stellen zarten Haut. Und reitanfängerfreundlich sind diese pauschenlosen, brettharten Dinger gerade nicht!
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Dietmar

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #11 am: 06. April 2013, 13:01:39 »

Man kann also auf Pferden auch reiten? Und ich dachte, Pferde taugen nur als Lasagne-Zutat. :-)
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celli

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #12 am: 06. April 2013, 15:13:23 »

Mein erster Gedanke war auch Lasagne. :-X Aber tolle Geschichte, bitte mehr davon. :D
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Gartenhexe

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #13 am: 06. April 2013, 16:06:04 »

Ach Tara, ich wäre zu gern an Deiner Stelle gewesen! Aber köstlich geschrieben - schreib weiter!
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Tara

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Re:Was vom Pferd
« Antwort #14 am: 06. April 2013, 16:22:03 »

Mein erster Gedanke war auch Lasagne.

 :P :-\ ;)

Meiner Begeisterung tat all dies keinen Abbruch. Nur einmal wurde mir wirklich mulmig, als ich nämlich in der Abenddämmerung wieder mal den Abgang machte.

Ich lag, Sand zwischen den Zähnen und nach Luft ringend, auf dem Boden; die alten Herren waren in voller Karriere und hatten vor Begeisterung noch nicht bemerkt, daß ich ihnen wieder einmal abhandengekommen war.

Da hörte ich seltsame Geräusche: Mühsam hob ich den Kopf und sah – Wildschweine! Eine grimmig blickende Rotte Wildschweine fuhr da eben aus dem Gebüsch. Genau auf mich zu!

Ich kriegte einen Heidenschrecken, denn es war Rauschzeit, und einige Keiler waren dabei. Die meinten es ernst! In einer großen Woge wurden mir bei diesem Anblick Puste und Kräfte zurückgegeben. Auch ich war nun sofort in voller Karriere, wenn auch leider zu Fuß. Doch die Schwarzen hielten locker mit mir Schritt, im Nacken meinte ich ihren Atem zu spüren. ;D Die größten reichten mir immerhin lässig bis über den Hosenbund!

Ich galoppierte, was das Zeug hielt; die Sauen auch. Endlich, als nämlich Ajax zu ihnen aufschloß, bemerkten die Herren mein Fehlen.

„Heee – SAUHATZ!“ Der Herr Doktor stieß in ein imaginäres Horn. Die sieben legten eine perfekte Hinterhandwendung hin und galoppierten, geflochtene Reitgerten erhoben, freudig bewegt auf die Schwarzkittel zu, galoppierten in breiter Front wie die Leichte Brigade in der Schlacht von Balaclava, nur effektiver. Die Sauen schienen kalt entschlossen, die Jäger anzunehmen; sie behaupteten trotz des begeisterten „Horridoh!“-Geschreis tapfer das Feld, bis sie das Weiße im Auge des Feindes sehen konnten. Erst dann drehten sie widerwillig bei.

Sus scrofa heiße das Wildschwein auf Lateinisch, belehrte mich der Erste Vorsitzende auf dem Heimweg. Er war Tierarzt. Über Frischlinge, Überläufer, Bassen und Bachen hatte er mich schon bei früheren Ritten aufgeklärt. Ich wußte auch, was ein Malbaum ist.

Aber bitte nicht jetzt, jetzt bitte nicht. Sus irgendwas! Nichts, wirklich nichts konnte mir gleichgültiger sein. Ich hatte um mein Leben gezittert. Ich konnte gar nicht aufhören zu zittern! Und ein Schneidezahn wackelte gewaltig. Immer noch spuckte ich Sandkörner aus; ich tat mir herzlich leid. Davon stand nichts bei Dick und Dalli...

Diese Sauhatz hatte die Herren mit Gesprächsstoff für Wochen versorgt. Die Kavallerieattacke hatte ja auch ein wahrhaft köstliches Bild geboten, das ich, die ich keuchend und mit schlimmem Seitenstechen zwischen den aufeinanderzugaloppierenden feindlichen Parteien gestanden war, allerdings erst dreißig Jahre hinterher so richtig würdigen konnte. 8)
« Letzte Änderung: 09. April 2013, 00:28:56 von Tara »
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