Zu den Gäulsleut – nicht, daß sie einen solchen Dialektausdruck je in den Mund genommen hätten - gehörten Frau und Herr Dr. Kamphausen. Ihr Pferd war Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln.
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Frau Kamphausen war die perfekte Doktorsfrau, immer dabei, doch immer im Hintergrund. Sehr hübsch, sehr zurückhaltend, sehr nett und freundlich. Das perfekte Gegenstück zu Herrn Dr. Kamphausen, auch optisch: sie klein, zierlich, sehr weiblich und schwarz, er lang und schlank, aber kräftig, irgendwie militärisch und blond.
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Was mir imponierte: Kamphausens hatten für ihren Carthago – das proletarische „Kalle“ hatte Lämmchen aufgebracht; der ganze Reitstall sagte daraufhin stets „Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln“, nur Kamphausens selbst blieben bei Carthago – Kamphausens hatten für Kalle gleich zwei Boxen gemietet und die Trennwand herausnehmen lassen. Und die Boxen waren mit Gummimatten ausgeschlagen. Und das in einer Zeit, in der in normalen Reitställen kein Mensch groß über den Platzbedarf eines Pferdes nachdachte.
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Für die Tarahausener machte das allein schon die Kamphausens so ein klein wenig verdächtig. Es war ganz einfach außerhalb der Norm, sowas mochten sie nicht.
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Birte schwärmt heute noch von Kalle, den sie nach Wolfs Weggang dann statt seiner in Beritt hatte. Was ein tolles Pferd! – Birte kann sich bis heute kaum einkriegen. Sie mochte ihn sehr leiden, obwohl sie ganz schön zu tun hatte, um den temperamentvollen, imposanten Schimmel soweit hinzukriegen, daß sich auch die zarte Frau Kamphausen ohne Gefahr für Leib und Leben draufsetzen konnte.
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Der mächtige Kalle konnte viel und war wirklich begabt – ein anderes Pferd wäre für Herrn Dr. Kamphausen auch nicht in Frage gekommen. Herr Dr. Kamphausen nämlich war Perfektionist. Perfektion in allen Lebenslagen!
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Herr Dr. Kamphausen war von stets perfekter, wenn auch knappster und leicht frostiger Höflichkeit. Herr Dr. Kamphausen sah immer aus wie der perfekte Reiter und Gentleman, einer von der niemals transpirierenden Sorte. Herr Dr. Kamphausen ritt perfekt bis Klasse M. Herr Dr. Kamphausen hatte einen perfekt erzogenen Hund, eine perfekte Ausrüstung, einen perfekten Hänger und eine perfekte Gattin; er erwartete perfekten Service im Stall – niemand, der dem Personal perfektere Anweisungen gegeben hätte, und sie wurden auch perfekt befolgt - , und es wäre gut gewesen, hätte man ihn, was er wohl sehr begehrte, tatsächlich zum Ersten Vorsitzenden gewählt. Etwas Perfektion hätte uns allen nämlich sehr gut getan.
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Perfektion! Perfektion vor allem und zuvörderst beim Pferd. Leider hatte der ansonsten kerngesunde Kalle schlechte Hufe. Immer wieder zog er sich die Eisen aus. Als die ersten Hufschuhe aufkamen, kriegte Kalle prompt welche verpaßt. Das ging damals nur in Gießen in der Tierklinik, hundert Kilometer entfernt. Regelmäßig verlor er sie nach ein paar Tagen. Ohne Murren verlud Herr Dr. Kamphausen seinen Carthago und fuhr wieder nach Gießen. Freitag hatte Kalle seine neuen Schuhe gekriegt, montags wartete man in der veterinärmedizinischen Abteilung schon wieder auf ihn. Das, bitteschön, das soll den Kamphausens erst mal einer nachmachen...
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Aber verpimpelt wurde das Pferd bei aller Sorge nicht. Kalle mußte schon was arbeiten bei seinen Besitzern! Aber immer mit Maßen. Nach perfektem Plan!
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Unter der Woche ritt Herr Dr. Kamphausen Carthago nur in der Halle. Sonntags ging es dann ins Gelände. Kalle mußte die ganze Woche aufgefüttert werden, damit er den Sonntagsritt überstand. Aber das sagten nur sehr mißgünstige Leute!
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Sonntags sah man Herrn Dr. Kamphausen, Frau Kamphausen, Kalle Kamphausen und Dogge Kamphausen regelmäßig auf dem Military-Platz des Vereins. Nach vier bis fünf Runden auf der schweren Sandbahn – sie war wirklich schwer, und Tignous haßte sie - war allerdings ein Stop angesagt. Auftritt: Frau Kamphausen, bewaffnet mit Wasserschüssel und Wasserflasche. Frau Kamphausen tränkte Kalle Kamphausen, Dogge Kamphausen und Herrn Dr. Kamphausen, in dieser Reihenfolge und wie es sich gehört.
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Nach diesem Ritual wechselte Herr Dr. Kamphausen erst das Hemd, dann die Hand, und nun ging es wieder fünf Runden um die Sandbahn, in der anderen Richtung.
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Danach war Kalle so weit weichgekocht, daß man sich mit ihm ins Gelände begeben konnte. Auf Höhe unseres allsonntäglichen Ziels, XXX, überholte Kalle dann regelmäßig die Schulstall-Reiter. Die verblüffte er jedes Mal aufs Neue: Sie galoppierten viel, die Kamphausener aber sah man nie anders als im Schritt. Einen allerdings raumgreifenden Schritt, aber doch eben Schritt.
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Und wenn man nach einem Gespritzten im Ausflugslokal und herzerfrischend schnellen Galopps zurück zu van Krachten kam, stand Kalle Kamphausen schon längst, perfekt von oben bis unten abgespritzt, in seiner perfekten Box und spielte mit seinem perfekt zusammengestellten Zusatzfutter...
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Es blieb unerklärlich. Drum hieß Carthago bei allen nur „Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln“.