Egal, wir kreiselten wieder, die Signale ertönten, und, horridoh! ging’s zum letzten Abschnitt wieder auf die Piste. Die Strecke führte in den Wald, da stand noch Wasser auf den Wegen, und jetzt flogen die Dreckbatzen vielleicht! Auf dem rechten Auge konnte ich plötzlich nicht mehr viel sehen. Es ging eine kleine Anhöhe hoch, wieder raus aus dem Wald – und da brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete wie ein Himmelsfinger die Meute und die Rotröcke im springenden Feld unter uns. Herrgott. Mich durchfuhr jäh das Glück.
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Man sollte sich ja hüten, tiefe Gefühle beschreiben zu wollen, wenn man kein Schriftsteller ist, denn das kippt ja immer viel zu leicht ins lächerliche, aber ich habe nun mal angefangen, also…
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Es war die reine, schiere Glückseligkeit.
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Das war es. So mußte das Leben sein und nicht anders. Ja, klar, ich mußte reiten mit allem, was ich hatte – Himmel, was mußte ich reiten, jede Sekunde mußte ich hochkonzentriert reiten, um meinen kleinen Feuerstuhl unter Kontrolle zu behalten, aber verdammt, ich konnte es ja doch auch! Und jawohl, wir wurden eins, wir zwei sehr verschiedenen Kreaturen, und viel mehr noch, jetzt verstand ich es – es lösten sich alle Grenzen auf, ich war auch Herbstlaub und Hörnerklang und Matsch und schwarzweißrot und Geläut und Nebel und der Jubel, und alles verschmolz zu einem, war einfach nur tiefe reine Seligkeit, wir flogen endlos dahin, und ich zog im Galopp den rechten Handschuh aus, als hätte ich nie etwas anderes getan, und rief mit siebzig anderen „Halali!“, denn da waren wir jetzt, am Halaliplatz, einer großen Waldlichtung beim Schloß, wo ein riesiger Holzstoß brannte, und jetzt war es fast vorbei.
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Aber nichts geht beim Jagdreiten ohne Zeremoniell, und so dankten wir den nächst erreichbaren Reitern mit einem Händedruck für das gemeinsame Erlebnis, dann stellten wir uns im Kreis um die Meute beim Halali-Feuer herum auf, hinter uns am Waldsaum der Ring der Zuschauer, und warteten, daß Absitzen geblasen wurde und der Master zum Curée absaß. Nun erst saßen wir ebenfalls ab, schoben die Bügel hoch und lockerten die Sattelgurte, was für die Pferde vermutlich ist, als wenn unsereins enge Schuhe auszieht.
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Die Herren zogen feierlich die Kappe, die Damen neigten den Kopf: Der Hunderuf ertönte, der Master rief das traditionelle „Unser Dank an die Hunde“, und die Hunde bekamen ihren Pansen. Man stelle sich vor, wie zwanzig Hunde an so einem (sehr übelriechenden) Ding zerren, es ging sehr lebhaft zu. Bis sie fertig waren, standen wir so.
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Dann brachte der Master ein dreifach kräftiges Horridoh! aus – „Auf die Hunde! Auf die Pferde! Auf die edle Jagdreiterei!“, und nachdem wir als Antwort alle dreimal „Joho!“ gebrüllt und die Bläser „Jagd vorbei“ geblasen hatten, saß die Equipage wieder auf und verließ zum „Abrücken der Meute“ gemessen den Platz. Man wartete respektvoll, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
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Birte und ich sahen einander an, immer noch atemlos vor Glück, und lachten: die Stiefel nicht mehr schwarz, sondern braun, die weißen Hosen bis oben dreckbespritzt, Birte hatte getrockneten Matsch an der Backe, ich auf Stirn und Brillenglas. Wir sahen aus wie die Clowns. Jetzt mußten wir unsere Brüche abholen, aber erst entschuldigte ich mich bei dem Mann, dessen Pferd Tignous eins verpaßt hatte, doch hoppla, der sah mich verständnislos an, es war der falsche, dafür entschuldigte sich einer bei mir für etwas, was ich gar nicht bemerkt hatte. Man half einander, die Pferde zu halten, damit jeder zum Jagdherrn stiefeln und seinen Bruch abholen konnte (ein Eichenzweig, nach dem Hubertustag am 3. November Nadelbaum; nach Hubertus übrigens werden auch keine roten Röcke mehr getragen). „Waidmannsheil!“ „Waidmannsdank!“, der Herr Jagott hatte gut zu tun.
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Wir steckten den Bruch ins Knopfloch – natürlich schnappte Ti danach, so aufgeregt und müde konnte er überhaupt nicht sein, daß er etwas Eßbares nicht zu essen versuchte, aber ich rettete ihn - und führten die Pferde einige Runden zum Abregen und Abtrocknen – nun ja, also nicht wenige Runden; dann sattelten wir ab, packten sie ausnahmsweise in Decken und stellten sie auf den Hänger, hängten die Heunetze auf und machten uns selbst auf zum Schüsseltreiben. Ich hatte einen Riesenhunger; Kartoffelsuppe aus der Gulaschkanone hatte niemals besser geschmeckt.
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Jagd vorbei. Einerseits. Andererseits kann etwas so tief empfundenes ja eigentlich nie ganz vorbei sein. Niemals habe ich mich so lebendig gefühlt wie bei meiner ersten und einzigen Schleppjagd.
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Ich habe meinen Eichenbruch heute noch – er hängt im Schlafzimmer am Regal und hat schon zwei Umzüge überstanden, ohne ein Blatt zu verlieren. Albern natürlich, nicht? Und meistens nehme ich ihn gar nicht mehr wahr. Manchmal aber doch – also so um diese Jahreszeit herum… Und dann sehe ich wieder die siebzig dampfenden, bis in die letzte Faser wachen Pferde, donnere einen Waldweg entlang, rieche das Feuer, höre die Hunde… Und dann spiele ich Jagdmusik.