Tischfeuer? Nicht -werk?
Bräuche sind in der Tat etwas Lebendiges und immer in Entwicklung. Feuersymbolik gibt es in allen mir bekannten Religionen, auch im jüdisch-christlichen Kontext (Gott spricht aus dem brennenden Busch, als Feuersäule führt er sein Volk in das gelobte Land, später zeigt sich der Heilige Geist in Feuerflammen ...). Es ergibt deshalb wenig Sinn, sie für eine bestimmte Religion zu vereinnahmen.
Bis ins 19. Jahrhundert, Silvia, kenne ich auch keine Quelle, die sie als heidnisch oder germanisch bezeichnet. Bis dahin wurden in fröhlichster christlicher Eintracht Freuden-, Ernte- und andere Feuer entzündet, übersprungen, verteilt, gerollt und wieder gelöscht. In unseren Breiten sind alle Bräuche durch eine tausendjährige christliche Waschmaschine gegangen, und es ist schwer vorstellbar, dass ein heidnisches Stöffchen da nicht ausgefärbt, eingelaufen oder aus der Form geraten wäre. Sprich: Es hätte jemand diese Bräuche samt ihrem religiösen Substrat gegen die Dominanz der Kirche behaupten müssen. Davon ist in der ganzen Neuzeit aber nichts bekannt.
Die Hexenverfolgungen lasse ich mal beiseite, sie waren fürchterlich, aber haben mit "germanischer" Religion nichts zu tun.
Erst seit der Zeit, in der auch die Wagneropern entstanden, kommt die neue Etymologie auf. Mit deutlich antijüdischen und antichristlichen Obertönen. So wurde sie auch zu einem ideologischen Quellstrom der Nazis (die haben, Günther, fleißig kompiliert, so wie Wagner, aber sehr interessegeleitet). Und wie jede totalitäre Ideologie im Kampf um die Herzen weltanschauliche Gegenkulturen entwickelte (in christlich geprägten Regionen besonders zu Weihnachten), griffen auch die Nazis zu, deuteten kräftig um und lieferten "Beweise" etwa für die Behauptung, im nordischen Begriff "Jul" für Weihnachten stecke ein vorchristlicher Ursprung (die andere Herleitung, Silvia, würde mich interessieren, insbesondere, wie weit sie sich zurückverfolgen lässt), und sie interpretierten zB die Weihnachtskerzen zu einem "germanischen" Julleuchter um und machten ihn zu einem Standard-Geschenk bei der SS (in den letzten Jahren gab es ihn übrigens im originalen Design wieder zu kaufen) und entwarfen Anleitungen zur Feier des Julfestes (die in neueren Büchern wieder nachzulesen sind, ohne Quellenangabe). Die nordische Herrenrasse brauchte eine neue, stramme Kultur, nicht diese von einem weichlichen, verschlagenen und krummnasigen Juden erdachte Lehre von Mitleid und Erbarmen.
Das in der Brauchtumsforschung bekannte Germanensyndrom blieb und trägt dazu bei, eine Alternative zum irgendwie als überlebt, repressiv, vergangen und jedenfalls nicht gerade attraktiv empfundenen „christlich“ geprägten Kult zu behaupten. Es ist deshalb auch prickelnder, in Lügde einen "heidnisch- germanischen Sonnenkult" als wahrscheinlich hinzustellen, als zu sagen, das sei schlicht ein alter Brauch. Der Rest übrigens, der da auf der Internetseite steht, ist unendlich dilettantisch.
Die einzelnen Bräuche sind harmlos, aber das Ganze ist wegen seiner Quellen halt sehr nah dran. Deshalb finde ich gut, wenn man es weiß.