Ihm gefällt mein Garten nicht. Das Wort ‚Saustall‘ vermeidet er. Er spricht von mangelnder ‚Pflege‘. Wahrscheinlich stören ihn die Brennesseln, das rasenmäherungemähte Gras, der Wildwuchs, das Gestrüpp und die fehlenden Kanteneinfassungen. Er frägt sich, warum auf meinen Beeten nichts wächst außer Unkraut. Ich sage: Die Schnecken. Er sagt: Schneckenkorn.
(Tatsächlich einer meiner wunden Punkte: Ich habe vergeblich mit dem Schneckengott gesprochen, ich habe diese überaus hungrigen Individuen behutsam und wirkungslos an andere Orte getragen. Fakt ist: Mein Garten ernährt meine Schnecken, aber nicht meine Familie.)
Ich lasse wachsen, er stutzt. Er schneidet alles, was man schneiden kann; ich schneide nur dort, wo ich ein Durchkommen brauche.
Er ist durchweg Gartencenter-elektrifiziert und Baumarkt-motorisiert; Kantentrimmer, Heckenschere, Mulchgerät, Motorsäge…; ich dagegen bin Kunde von denen in Metten mit ihren Handwerkzeugen.
Ich kann praktisch meinen ganzen Garten essen, er nur sein Gras. Was für ihn Unkraut, sind für mich Wildkräuter. Was für ihn Pflanzenverhau, sind für mich Bienen-, Vogel-, Hummelweiden.
Sicherlich beruhigt sein Blick auf seinen Rasen sein spirituelles Gemüt: Ungestörtes, mit Füßen tretbares Grün.
Mir - der ich keinen Sport treibe - ist Gras - angesichts dessen, was an seiner Stelle wachsen könnte - seelenlose Verschwendung.
Ihm ist Gras Inbegriff des gepflegten Gartens, sofern akkurat gemäht.
Nun bin ich in der Kritik nicht nur von oben, sondern auch von unten. Man beschwert sich, dass man darin nicht spielen kann: Kein Federball, kein Fußball, kein Frisbee: Es fehlen die Flächen.
Allenfalls Wasserschlachten: Man kann dem Gegner an mehreren Stellen verborgen auflauern.
Gut, es wachsen darin Beeren. Aber wozu zupfen, wenn man die Schale im Supermarkt zupffrei bekommt?
Und die Mirabellen? Ach, in jeder ein Wurm. Und die Äpfel? Auch wurmstichig. Und die Johannisbeeren? Sauer. (Die süßen essen die Amseln.)
Bei meiner Tochter habe ich einen Teilerfolg erzielt: Salbeinudeln mit Knoblauch und Parmesan. Das schmeckt ihr. Meine hervorragenden Wildkräutersalate hingegen esse ich alleine. Man betrachtet meine Erntungen als gefährlich. Im Salat waren Schnecken, im Schnittlauch Spinnen; ich habe auch schon Ohrenhöhler, Käfer, Maden und Insekten aufgetischt. Niemand will mehr aus meinem Garten essen. Man bevorzugt die Sterilität von in Folie abgepackter Kaufware.
Ich habe gartentechnisch und erzieherisch vollkommen versagt. Gartentechnisch, weil mein Glaube an eine wohlwollende Natur - Rousseau - gänzlich zerbrochen ist und erzieherisch, weil der grüne Funke mit mir erlischt: Wozu Pflanzen, wenn man Platz braucht für Grillecke und Pool und Chilllounge plus Federballnetz.
Wozu überhaupt Pflanzen? Wenn es doch Nahrungsergänzungsmittel gibt?
Wozu bei Regen raus gehen für irgendwelche Kräuter, wenn ein Klick das Gewünschte per Prime-Versand bequem und trocken anliefert?
Wozu irgend eine Ursprünglichkeit, wenn das ganze Leben aus sekundärer Virtualität besteht?
Die Magie eines sich in Humus und Erde verwandelnden Kompostes, wenn man alles, was man so braucht, online bekommt?
Und den Rest, Basilikum, Schnittlauch, Kresse als Topfware für 99 Cent beim Discounter.
Kürzlich hat die SZ darüber berichtet: Die Gärten würden städtischer Verdichtung und explodierenden Immoblienpreisen zum Opfer fallen. (Nr. 186 vom 14.8., S. 11)
Ich glaube, sie scheitern am Generationenkonflikt.