Hallo bristlecone,
ich Grunde stimme ich Dir in Deinen Ausführungen zu, würde jedoch vor all zu apodiktischen Aussagen warnen wollen. Wo setzt Du die Grenze der Intentionalität, also des absichtsvollen Handeln?
Wenn mir jemand auf den Fuß tritt, ist es für meine Lebenswelt entscheidend, ob es absichtlich geschehen ist oder nicht. Es wäre absurd, in diesem Zusammenhang zu sagen, das Ganze sei lediglich ein evolutionärer Prozess. Wenn ein Kind Süßigkeiten vom Tisch stiehlt, würden wir wahrscheinlich in den meisten Fällen auch von Absicht sprechen, was man auch daran erkennt, dass wir schimpfen. Wenn ein Hund eine Stück Wurst vom Tisch stiehlt, schimpfen wir möglicherweise auch und denken nicht an evolutionäre Prozesse, sondern an klare Absicht. Wir können die Beispiele weiterführen, es wird schwierig werden, eine Grenze zu bestimmen, ab der die Feststellung von "Absichten" ganz klar illegitim wäre. Wenn in einem Zoo ein Bär eine Krähe rettet (wie kürzlich geschehen), die in den wassergefüllten Bärengraben gefallen ist, ist dass dann Absicht oder Evolution? Vielleicht hat die Evolution ja unabsichtlich Absichten ermöglicht? Und wer verfügt dann über "Absichten" und wer nicht?
Solche Grenzziehungen (z.B. intentional vs. nicht intentional, Natur vs. Kultur) sind leicht daher gesagt (wobei ich, lieber Bristlecone, weiß, dass Du hier sehr wertvolle, aufklärende Beiträge postest, die ich immer wieder gerne lese und für die ich sehr dankbar bin), aber im Detail kaum zu halten.
Was ich sagen möchte ist, dass hervorragende Wissenschaftler häufig schlechte Philosophen sind, weil sie ihre Erkenntnisse all zu sehr in Weltbilder verwandeln, was ja an sich nicht schlecht ist, die sie dann aber als bewiesen betrachten.
Zum Abschluss ein Zitat eines Mannes, der für mich diesbezüglich noch immer von höchster Aktualität ist:
"Wenn ich einsehende Männer miteinander wegen der Charakteristik der Menschen, der Tiere und Pflanzen, ja selbst der Körper des Mineralreiches im Streite sehe, ..., so darf ich nur die Beschaffenheit des Gegenstandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, dass er für beide (streitende Seiten, Ergänzung von mir) viel zu tief verborgen liege, als dass sie aus Einsicht in die Natur des Objekts sprechen könnten." (Kant: Kritik der reinen Vernunft)
Er führt an der Stelle noch weiter aus, wie er das meint. Erfahrungen (wie würden von Fakten sprechen) müssen verbunden werden und diese Verbindungen und die Art und Weise, wie wir die Verbindungen denken, sind wiederum nicht voll durch die Faktenlage gedeckt. Dieses Vorgehen sei zwar legitim, helfe jedoch lediglich, der Vernunft "den Weg vorzuzeichnen". Heute würden wir sagen, es geht um Heuristik oder Hermeneutik, also grob gesagt, um die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen und wie wir mit einer immer und prinzipiell begrenzten Faktenlage doch versuchen, ein Weltbild zu entwerfen, dass uns Orientierung gibt.
Weltbilder sind nützlich, notwendig, manchmal erschreckend, manchmal schön und beruhigend, sie sind aber niemals durch die Faktenlage gedeckt!
Markus
Ergänzung: ich muss jetzt in den Garten, Hühner versorgen. Gruß