Heutzutage findet man diese Zufallssorten eher an Autobahnen, wo aus weggeworfenen Appelgripschen neue Bäume entstehen.
Abgesehen davon, dass das die übliche Golden-Nachkommens-Sosse sehr enger genetischer Bandbreite ist und ein seltenes Ereignis bleibt, sieht man daran schön was an kulturellem Kontext unwiderbringlich weg ist. Denn diese Bäume werden nicht gesichtet, geprüft, sondern irgendwann ganz unprätentiös umgesägt, schliesslich sind grössere Gehölze am Strassenrand als Mörder gefürchtet, wie nach jedem Sturm zu sehen ist.
Beispiel für das ausgehende 19. Jahrhundert: Der Brettacher. In der Vor-Flurbereinigungszeit gab es aufgrund der Realteilung viele lange schmale Grundstücke und eine unglaubliche Dichte von Feldhecken. Die hat man aber auch genutzt, als wichtiger Brennstofflieferant und durchaus auch kräftig das Wildobst. Die Kinder hatten z.B. Schlehen zu pflücken, die hat man in den Most geworfen, um damit Gerbstoffe reinzubringen. Wurde rot, störte niemand. Und man hat gerne ausgepressten Trester oder faulende Äpfel in Ränder und Hecken gekippt. Daraus entstanden Sämlinge, so dass diese Hecken häufig von wild aufgegangen Obstbäumen durchsetzt waren. Sehr viele Sorten im Südwesten und vermutlich auch anderswo (Normandie!) sind so entstanden. Man hat sie auch genutzt, Sämlinge aus ausgepresstem Bittenfeldertrester sind bis heute für die wenigen Kundigen die Quelle für Veredelungsunterlagen.
So ein Wildling aus Trester unbekannter Sorten war der Brettacher (später konnte man ihn als triploiden Nachkommen von Champagner Renette und Jakob Lebel zuordnen). Der örtliche Baumwart hat ihn gesehen und ihm ist schon vor den ersten Äpfeln sein gesundes Laub und der kräftige, schöne Wuchs aufgefallen. Dann die Äpfel. Dann hat man den Kreisobstbauinspektor gerufen. Reiser wurden geschnitten, zu allen möglichen Fachleuten quer durchs Land geschickt, beurteilt, geprüft.
Nichts dieser Kultur und dieser Mechanismen existiert noch. Nicht die Trester, nicht die Hecken, nicht die Interessierten, nicht irgendein Kreisobstbauinspektor. Der Originalbaum war kerngesund und riesig gross, bis man ihn bei der Flurbereinigung 50 Jahre später "leider" umgesägt hat. Bezeichnend für die Veränderung der Kultur. Ein Autobahnrand, der alle 10 Jahre mit dem Forstschredder auf Stock gesetzt wird mit Apfelbutzen aus "Kanzi" und "Pink Lady" ist leider, leider nichts, das auch nur annähernd mit dieser untergegangenen Kultur zu tun hat. Wieviele Sorten sind denn dauraus entstanden, die vermehrt werden, einen Wert haben?