Wozu also noch Tomaten anbauen?
Ich weiß schon, dass die Frage ein bisschen polemisch ist, ich möchte dennoch antworten, weil du mit deinem Beitrag ins Zentrum meiner gärtnerischen Motivation triffst. (Vielleicht passt das jetzt eher in den Vorstellungensthread, aber es hat auch viel mit den Tomaten zu tun, mehr dazu folgt unten.)
Ich habe vor einigen Jahren mit Anfang 30, drei kleinen Kindern und einem Vollzeit-Job abends zu Hause gesessen und Stardew Valley gespielt, also einen Bauernhof simuliert. Ich komme aus der Kleinstadt und wohne seit 11 Jahren in Halle, bin klassisch naturentfremdet sozialisiert und war auch meine Essgewohnheiten betreffend entsprechend unreflektiert - obgleich ich einen akademischen Abschluss erworben habe. Jedenfalls saß ich vor dem Spiel und freute mich auf meinen Blumenkohl, der kurz vor der Reife stand. Doch dann dämmerte es mir.
Ich hatte mich bereits seit einigen Jahren mit Pflanzen und Gartenthemen beschäftigt, erst über Youtube und dann durch Bücher, auch viel abstraktes und philosophisches Zeug, meiner Fachrichtung entsprechend. Irgendwie kam ich mir auf einen Schlag total behämmert vor. Ich hatte nie vorher selbst Kohl angebaut, hatte auch keinen Garten dafür. Selbst dass ich Blumenkohl zubereitet oder auch nur gegessen hatte, war ein Jahrzehnt her (gebacken mit Semmelbröseln, klassisches Rezept meines Vaters).
Und auch wenn es jetzt etwas klischeehaft klingt und auch ein paar andere Faktoren ausblendet, war dieser Moment ausschlaggebend für meine Suche nach einem Stück Nutzgarten. Ich wollte der Erde potentiell leckeres Essen entnehmen (ich koche auch gern und ambitioniert), und dafür wollte ich alles, was ich gelesen und gelernt hatte, anwenden, den Boden gut behandeln und ohne typische Interventionen des konventionellen Erwerbsgartenbaus alles Mögliche anbauen. Natürlich hab ich seither viel gelernt - vor allem die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.
Was hat das jetzt alles mit Tomaten zu tun, wäre die berechtigte Frage. Nun, bis zu den eigenen Pflanzen habe ich schlichtweg keine gegessen. Natürlich habe ich sie als Kind probiert, natürlich esse ich seit jeher Tomatensauce und andere tomatenhaltige Saucen und Produkte. Aber ich ging rohen Tomaten aus dem Weg, kochte nie mit frischen Tomaten und war schlichtweg ein Gegner dieser Frucht, was selbstverständlich nur an meiner eingeschränkten Perspektive gelegen hat.
Seit ich sie selbst anbaue, schätze ich sie, und das liegt nicht zuletzt an der Mühe, die ich Ihnen widme, den Sorgen und Herausforderungen, die mir ihre Kultur bereitet. Ich ziehe von Beginn an selbst an, ohne Vorerfahrung und mit vielen Rückschlägen. Ich habe die richtige Kulturführung in unserem Garten erarbeitet und bin auch in diesem Jahr wieder extrem stolz auf meine Stauden, die nun z. T. schon wieder unter das Terassendach kriechen, weil die 2,20 vom Boden schon jetzt zu kurz sind. Jedes braune Blatt, noch mehr braune Stängel und Früchte, treiben mich um und lassen mich um sie schwirren und für sie sorgen. Eine rein technisch-pragmatosche Kulturführung mit Kunstdünger, synthetischem Pflanzenschutz und dem Taschenrechner käme für mich nie in Frage. Daher kann ich aber auch loslassen, wenn etwas nicht so gut läuft, wie z. B. mit der Phytophthora on diesem Jahr.
Ich bin also ein Nutzgarten-Romantiker und würde wahrscheinlich verhungern, ginge es um die reine Selbstversorgung. Aber ich habe das Essen und die guten Zutaten schätzen gelernt, die Mühe dahinter und die Ressourcen, die aufgewendet werden müssen. Das werde ich den Tomaten (wie auch den Rüben, dem Kohl, dem Obst und vielem anderem) nicht vergessen. Neben meiner Familie ist der Garten das wichtigste in meinem Leben geworden. Und die Zierpflanzen allein würden mich nicht glücklich machen...