Im Naturschutzbereich darf nur noch gebietsheimisches Saatgut verwendet werden. Die Kehrseite davon ist, daß die einschlägigen Saatgutproduzenten nur häufigere Arten in ihren Mischungen anbieten. Das heißt, daß seltenere Pflanzenarten nicht mehr ausgebracht werden und damit die auf sie spezialisierten Insekten nicht gefördert werden.
Nachvollziehbar ist diese Studie der Uni Geisenheim:
https://idw-online.de/de/news791330
Ich geh noch einmal an den Anfang dieses Fadens, in den ich mich damals nicht eingemischt hatte. Mir war das alles zu schnell und zu heiß gekocht.

Die ersten beiden Sätze des Eingangs-posts stimmen und dass es so ist, wie es da steht, ist gut und richtig. Pflanzen-Saatgut, das aus einere überschaubaren Zahl von Ausgangspopulationen geerntet und in großen Mengen vermehrt wird, sollte nur von solchen Arten abstammen, die in der jeweiligen Region häufig und weit verbreitet sind. Nur dann können die im Gebiet bereits vorhandenen Populationen dieser Arten ihre genetische Vielfalt behaupten.
Wenn aus sehr wenigen Herkünften massenhaft vermehrte und ausgebrachte Pflanzen der seltenen Arten in Kontakt zu den letzten, oft nur sehr kleinen natürlichen Restbeständen dieser selben Arten kommen, ist die Gefahr groß, dass die in diesen Restbeständen erhaltene genetische Vielfalt "aufgerieben" wird. Der Verlust ist nicht sichtbar, aber real. Der Rest von Vielfalt, der in diesen örtlichen Populationen steckt, "ertrinkt" in gut gemeinten, uniformierenden Massen-Ansiedelungen.
(Letztlich geht es beim Schutz der innerartlichen Vielfalt um den Schutz der evolutiven Prozesse: Was an langfristig entstandenen Ergebnissen der Sippenentwicklung, der Arealbildung und der örtlichen Anpassung in der Vielzahl weit verteilter Populationen steckt, soll als Basis der aktuellen und künftigen evolutiven Entwicklungen der jeweiligen Arten und Sippen erhalten bleiben.)
Der dritte Satz des Eingangs-posts ist diskussionswürdig. Niemand verbietet, dass Samen von seltenen Arten vor Ort besammelt, angezogen oder auch vermehrt und an geeignete Standorte in der örtlichen Umgebung ausgebracht werden. Für besonders geschützte Arten, die nicht genehmigungsfrei gesammelt werden dürfen, werden in solchen Fällen in der Regel Sammelgenehmigungen erteilt. Ebenso ist es nicht verboten, Mahdgut, Häckselgut oder Heudrusch, auch samenhaltigen Oberboden von artenreichen Flächen, die nicht aus jüngeren, unklaren Ansaaten stammen, auf andere Flächen in der näheren Umgebung zu übertragen, um diese in ihrer Artenvielfalt zu stärken.
Die Kombination aller dieser Methoden, mengenmäßige Ausbringung von Regio-Saatgut (regionales, hochwertig erzeugtes, aber genetisch bereits verengtes Saatgut) und örtliche Übertragung der selteneren Arten, sind ebenfalls denkbar und stoßen in der Regel nicht auf Widerstand.
Das Problem liegt in der Praxis: artenreiche Ansaaten werden in den meisten Fällen zur Erfüllung von Ausgleichs- und Ersatzpflichten bei baulichen Eingriffen durchgeführt. Egal, wie teuer und groß die Baumaßnahme ist: die Naturschutzmaßnahmen sollen immer vergleichsweise preiswert, vor allem aber schnell und einfach umzusetzen, möglichst auch nach ein, zwei Jahren abgeschlossen sein. (So ist das bei Investitionen: profitabel ist nur, was sich effizient und zügig abwickeln lässt.

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Unter diesen Rahmenbedingungen werden sinnvolle, örtliche Vermehrungen und Übertragungen meistens gar nicht erst in Betracht gezogen. Dennoch wird häufig lauthals geklagt, dass die Naturschutzbehörden eine schöne, bunte Artenvielfalt ("aus der Tüte") be- und verhindern.
Der verlinkte Beitrag tappt genau in diese Falle. Die AutorInnen beklagen das Fehlen einer "interdisziplinären" Betrachtung und eines "ganzheitlichen" Ansatzes. Sie meinen dabei aber nur, dass der Schutz von Tierartengruppen bitte durch weniger sorgsames und durch möglichst üppiges Ausbringen von Pflanzen in die Landschaft verbessert werden soll. Sie übersehen, dass artenreiche Ansiedelungen von Pflanzen nicht per sè verboten sind, aber an andere Voraussetzungen und höhere Anforderungen geknüpft werden müssen. - Ach ja: Was würden SchmetterlingsschützerInnen, BienenschützerInnen, SchwebfliegenschützerInnen usw. zu der Forderung sagen, dass zur Verbesserung der Komplexität unserer Biotope und Ökosysteme dringend große Mengen und viele Arten von künstlich vermehrten Schmetterlingen, Wildbienen und Fliegen in die Natur gekippt werden müssten. Vermutlich würden sie sich an die Stirn tippen und das zu recht.
(Dass der Beitrag von sehr namhaften Wissenschaftlern und auch Praktikern des deutschen Naturschutzes unterschrieben wurde, ist erstaunlich und fatal. Besser wird das Papier dadurch aber leider nicht.)