Also, ich versuch mal, etwas Licht ins Dunkel zu bringen - Achtung, langer Text:
nun, die WHO hat Glyphosat, also Roundup, in die oberste Krebsrisiko Kategorie einsortiert.
Das stimmt nicht so ganz. Die Sache ist, wie so oft, etwas vielschichtiger.
Der Reihe nach:
1. Veröffentlicht wurde eine Neubewertung der Frage nach einer krebserzeugenden Wirkung von Glyphosat. Vorgenommen hat diese Neubewertung die IARC (International Agency for Research on Cancer), das ist die Internationale Agentur für Krebsforschung, eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Sitz in Lyon/Frankreich.
Dabei hat sich die IARC auf vorliegende Untersuchungen zur krebserzeugenden Wirkung gestützt, nicht etwa auf neuere Untersuchungen (die es nicht gibt). Die IARC hat dabei einigen wenigen Daten, insbesondere aus einem Tierversuch an Mäusen, sehr viel Bedeutung zugemessen, dafür aber anderen Untersuchungsbefunden, vor allem an Ratten, sehr viel weniger. Die IARC sagt nun, dass ein statistischer Test für diese Untersuchungsergebnisse an Mäusen ergibt, das Glyphosat in dieser Untersuchung vermehrt zu Krebs bei Mäusen geführt hat.
Diese Gewichtung unterscheidet sich von der, die alle anderen Behörden und Gremien zu Glyphosat bislang vorgenommen haben. Wohlgemerkt: Die IARC hat keine neueren Daten, die diese Behörden und Gremien nicht hatten.
Außerdem sieht die IARC Hinweise aus Studien am Menschen (Pestizidanwender in der Landwirtschaft), dass diese möglicherweise häufiger an bestimmten Krebsformen erkranken. Allerdings bestehen hier mehrere Unsicherheiten, unter anderem die, dass man nicht weiß, welche Stoffe konkret denn dafür verantwortlich sein könnten. Man weiß nur, dass der betreffende Personenkreis außer anderen Pestiziden auch Glyphosat verwendet hat.
Die ausführliche Begründung der IARC zu ihrem Vorgehen liegt noch nicht vor, die wird im Verlauf des Jahres erscheinen. Dann wird man Genaueres dazu sagen können. Derzeit gibt es nur ein zusammenfassendes Statement der IARC.
2. In ihren Bewertungen trifft die IARC keine Aussage darüber, wie stark krebserzeugend ein Stoff überhaupt ist.
Fachchinesisch ausgedrückt: Die IARC macht eine Aussage zum krebserzeugenden Potential (erzeugt der Stoff Krebs: ja oder nein?), aber nicht zur krebserzeugenden Potenz (der Wirkungsstärke).
Die IARC zieht - wie alle anderen auch - für ihre Bewertung die Daten von Tierversuchen und Befunde am Menschen heran und stuft Stoffe dann in eine der folgenden Kategorien ein:
Gruppe 1: krebserzeugend für Menschen
Gruppe 2A: vermutlich krebserzeugend
Gruppe 2B: möglicherweise krebserzeugend
Gruppe 3: nicht eingestuft
Gruppe 4: wahrscheinlich nicht krebserzeugend
Bewertet wurden bislang rund 1000 Stoffe (inkl. Gemischen).
Eine Liste, was für Stoffe in welche Kategorie eingestuft wurden, findet ihr
hier.
In Gruppe 1, also eindeutig krebserzeugend beim Menschen, findet man so illustre Stoffe wie Plutonium, aber auch Östrogene zur postmenopausalen Hormontherapie, UV-Strahlung, Holzstaub, Abgas von Dieselmotoren und alkoholische Getränke.
Wie gesagt: Über die Stärke der kanzerogenen Wirkung sagt das nichts aus, "nur" darüber, dass die Datenlage recht eindeutig ist, die da sagt: Plutonium erzeugt beim Menschen nachweislich Krebs, alkoholische Getränke auch.
Glyphosat wurde nun aktuell von der IARC in 2A, die zweithöchste Gruppe, eingestuft. Basierend auf der Bewertung von Ergebnissen an Mäusen (was offenbar zur Einschätzung "krebserzeugend im Tierversuch" geführt hat) und Daten am Menschen (mit der Einschätzung "mögliche Hinweise, aber nicht klar bewertbar").
In der Gruppe 2A steht z.B. auch der Konsum von heißem Mate-Tee und der Stoff Indiumphosphid, der z.B. in Glasfaserkabeln und LED Verwendung findet.
3. Wie gesagt, die IARC macht keine Aussage zur Wirkungsstärke und auch nicht zum Wirkungsmechanismus und nicht dazu, wie viele Menschen denn mit dem krebserzeugenden Stoff in Berührung kommen und in welcher Menge.
So ist Plutonium zwar ebenso eindeutig krebserzeugend für den Menschen wie alkoholische Getränke, aber bezogen auf die Menge reicht extrem wenig Plutonium, um Krebs zu bekommen, während man beim Alkohol schon um viele viele Größenordnungen mehr in sich hineinschütten kann, bis sich ebenfalls das Risiko, Krebs zu bekommen, merklich erhöht.
Allerdings konsumieren viel mehr Menschen Alkohol als Plutonium, sodass insgesamt gesehen sehr viele Menschen an alkoholbedingten Krebserkrankungen sterben und nur sehr wenige an Krebs durch Plutonium.
Ebenso atmen sehr viele Menschen gezwungenermaßen Dieselabgase ein und bekommen davon Lungenkrebs.
Letzter Punkt: der Wirkungsmechanismus von krebserzeugenden Stoffen.
Grob gesagt, kann man hier zwei Gruppen unterscheiden:
Stoffe der einen Gruppe schädigen direkt das Erbgut (die DNA), indem sie dort Mutationen hervorrufen, die letztendlich dazu führen, dass die betreffende Zelle entartet und zur Krebszelle wird. Für solche Stoffe, z.B. Plutonium oder auch Aflatoxin (ein Schimmelpilzgift), gibt es nach gegenwärtigem Stand des Wissens keine Wirkungsschwelle. Auch eine noch so kleine Menge kann, wenn auch mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, Krebs erzeugen. Je mehr man davon aufnimmt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dadurch Krebs zu bekommen.
Stoffe der zweiten Gruppe schädigen nicht das Erbgut, sondern beeinträchtigen den Stoffwechsel der Zellen. Dadurch können z.B. die Zellteilung angeregt werden oder die Fähigkeit der Zelle beeinträchtigt werden, Reparaturvorgänge auszuführen und so Schäden zu beheben, die durch andere Stoffe verursacht wurden.
Für Stoffe dieser Gruppe gibt es eine - von Stoff zu Stoff verschiedene - Wirkungsschwelle, also eine Stoffmenge, die dauerhaft überschritten werden muss, damit eine Wirkung zustande kommt. Unterhalb der Wirkungsschwelle bleibt eine Wirkung aus.
Nach allem, was man weiß, gehört Glyphosat in diese zweite Gruppe von Stoffen. Glyphosat erzeugt keine Mutationen an der DNA. Wenn es überhaupt Krebs erzeugt - und mit dieser Einschätzung steht die IARC allein -, dann wäre das eine Wirkung, die erst bei dauerhaft verabreichten hohen Dosen zustandekäme, die einen Schwellenwert überschreiten.
So, das war jetzt lang und kompliziert, aber hoffentlich einigermaßen verständlich.
Es wird niemanden überzeugen, der ohnehin schon immer alles besser wusste, aber ich gebe die stille Hoffnung nicht auf, dass der der eine oder die andere doch mitnimmt, dass die Welt etwas komplizierter ist als eine Sendung auf Arte oder im Bayerischen Rundfunk.