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Speakers Corner => Haustiere => Thema gestartet von: Tara am 05. April 2013, 23:11:49

Titel: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. April 2013, 23:11:49
Hier geht's um Hunde, Katzen, Hühner, Schafe... Von Pferden ist lange nichts mehr berichtet worden, obwohl wir einige Pferdeleute unter uns haben. Ich war Ostern zum ersten Mal seit dem Koliktod meines 25jährigen Zossen wieder bei einer Bereiter-Freundin in einem Vereinsstall. Die Tränen hielten sich zum ersten Mal in Grenzen, und viele Erinnerungen an die schönen Zeiten kamen wieder. Ein paar davon würde ich gerne teilen. :)

Ich möchte ein paar Geschichten erzählen - manche kürzer, manche länger, nichts davon chronologisch, sondern wie sie mir eben einfallen, und ich würde mich freuen, wenn auch andere, davon angeregt, ein paar Geschichten beitragen würden. :)

Zum Hintergrund: Ich begann mit elf zu reiten und hörte mit sechzehn auf; anständigen Unterricht gab es in der Zeit aber leider kaum. Dann eine Pause bis 34 - da landete ich in einem ehemals renommierten Reitstall mit guten Schulpferden (bis L-Kandare). Zwei Jahre später wurde ich krank, konnte die Schulpferde nicht mehr reiten und kaufte mir ein maßgeschneidertes eigenes Pferd, von dem ich dachte, ich könnte ihn vielleicht noch ein weiteres Jahr reiten. Ich ritt ihn noch zehn Jahre! :D Und das waren die besten zehn Jahre meines Lebens. :D Und betüddelt habe ich ihn mit seinem letzten Kumpel (es gab drei wechselnde Beistellpferde) danach nochmal zehn Jahre. :) Der letzte Kumpel ist jetzt Anfang 32!!!! und steht, nachdem ich den Stall wegen meiner Erkrankung und Tis Tod aufgeben mußte, bei sehr lieben Leuten im Spessart. :)

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Quendula am 05. April 2013, 23:21:49
 :D
Ich werde sicherlich hin und wieder hier reinschauen, kann aber nur wenig beitragen. Mit 12 fing ich beim Voltigieren an, einige Jahre später durfte ich auch Reiten. Mit 18 zog ich zu Hause aus und etwas weiter weg. Dadurch löste sich dieses Hobby so langsam auf.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. April 2013, 23:26:05
Eine Eigentumswohnung hätte ich haben können. Mit ein bißchen Glück hätte ich irgendwann vielleicht sogar einmal einen Wein-Großhändler oder einen ähnlich finanziell potenten Menschen geheiratet und wäre aller Sorgen ledig. Im Urlaub wäre ich wie jedermann in die Dom Rep geflogen, gekleidet hätte ich mich, wie es meinen damals sechsunddreißig Lenzen und meiner Stellung als Redaktionsleiterin bei einer mittleren Tageszeitung zukam, und meine Freizeit hätte ich gepflegt beim Bridge verbracht oder in einem Theaterzirkel. Und zu Hause hätte ich ein kleines Aquarium gehabt... Davon träumte ich manchmal.

Stattdessen hatte meine Bank ein ständiges Guthaben bei mir; Trauerränder verunzierten meine Fingernägel und diverse Pflaster oft genug den Rest meiner Person. Meine mich ansonsten liebende Familie unterstellte mir bedauernd einen mittelschweren Dachschaden, und die stumm leidenden Kollegen gewöhnten sich an manches: zum Beispiel an satte Duftschwaden, wenn im Winter in der Redaktion die Mohrrüben auf den Heizungsrohren auftauten. Den unschätzbaren Seidenteppich meines fassungslosen Verlegers hatte ich bei einer hochwichtigen Konferenz mit Mistbröcklein garniert...

Nach mehr als zwölf unbescholtenen Redakteursjahren war ich auf einmal im Hauptberuf Toilettenfrau und wandelnder Futterautomat für zwei leicht übergewichtige Pferde („Leicht!!! Haha! LEICHT übergewichtig!“ höhnt Freundin Birte. Dabei ist ihre Amy auch viel zu fett). Und Freizeit – was ist Freizeit? Meinen Fernseher hatte ich schon vor elf Jahren verkauft.
 
Der Schuldige ist eindeutig auszumachen: mein Ex-Kollege Hans. Und wenn wir heute auch keinen Kontakt mehr haben, so werde ich ihm doch bis ans Lebensende dankbar sein! Trauerränder und schwindsüchtiges Bankkonto eingeschlossen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. April 2013, 23:39:03
Hans trabte. Leichttraben, in meiner Jugend noch Englischtraben genannt.
„Hans! Ich hab’ in zwei Stunden Andruck!“

Mein Kollege ließ sich nicht beirren; Hans, konzentriert die Stirn runzelnd, wurde von einer Woge der Begeisterung getragen. Er streckte beide Arme nach vorn, die Hände zur Faust geschlossen, und bewegte sich rythmisch auf und ab. Sein sonnengelbes Oberhemd spannte sich bedenklich. Der Kollege trabte. Sein Pferdchen zeigte sich nicht kooperativ; immer wieder drohte der Bürostuhl dem rundlichen Hans unter dem Hintern wegzurollen.

„Hans! Du machst das bestimmt schon ganz toll, aber ich muß fertig werden!“
Hans parierte seinen Stuhl durch und kam schweratmend zum Halt. Zum ersten Mal an diesem langen Arbeitstag schien er mich richtig wahrzunehmen: „Warst du schon wieder beim Frisör? Mußt dich nicht wundern, dass sie dich im Kaufhof als jungen Mann bezeichnen.“

„So lange ich mit diesem Hintern behaftet bin, wird mir das nicht allzu oft passieren. Hans, lieber Hans, du wolltest mir doch jetzt bestimmt noch bei den Sportmanuskripten helfen, oder? Diese Sportheinis können sich nie an eine Zeilenvorgabe halten!“ Ich schwitzte, denn ich stand beim Chefredakteur auf der Schwarzen Liste. Ich musste unbedingt rechtzeitig fertig werden.

Hans, der den derzeitigen Ehrenplatz auf Alts Schwarzer Liste mit mir teilte, nahm mir bereitwillig ein paar Blatt Papier ab. Und schob sie mir sofort wieder zu: „Handball! Ich müsste ja beknackt sein. Es gibt überhaupt nur einen Sport. Ich sag’ dir, also der Galopp, das kannst du dir gar nicht vorstellen...“

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. April 2013, 23:44:52
Vor vier Wochen hatte Hans, dem ich in der Redaktion neuerdings gegenüber saß, angefangen zu reiten. Und Hans, dessen hervorstechendste Eigenschaft neben Witz und Hilfsbereitschaft seine Begeisterungsfähigkeit war, Hans sprudelte geradezu über vor Wonne. Hans war einfach hin und weg! Vergessen die Plagen und Mühen des schuftenden, unterbezahlten, geknechteten Redakteurs: Hans sprach hinfort von Longe, von Zehen nach innen und Trab-Aussitzen – „gar nicht so einfach!“ -, Hans pries in höchsten Tönen das renommierte Reitinstitut C. van Krachten, das schon Olympioniken ausgebildet habe, und dessen Schulstall, wie man ihn in dieser Qualität und Preisklasse in der ganzen Umgebung nicht wieder finde. Schulpferde bis L-Kandare, erklärte er fachmännisch. L-Kandare, das konnte sich wirklich sehen lassen.

Und Hans beschrieb vor allem seine Reitlehrerin, bis ich sie leibhaftig vor mir stehen sah: Birte, als Norddeutsche gestrandet im Hessenland, blond, etwas drall, schlagfertig und witzig und ungeheuer nett. Irgendwie gab es da wohl auch noch andere Reitlehrer, aber Hans erzählte nur von Birte. Und vom Galopp! Der Galopp!

Wieder mußte der Stuhl zur Demonstration herhalten. Ich war nur froh, daß ein deckenhoher Schrank uns vom Rest des Großraumbüros etwas abschirmte. Höchstens auf den Chefredakteur hatte man aufzupassen, der manchmal im Sturmschritt hereinkam. Hans galoppierte, wie er es im renommierten Reitinstitut gerade lernte. Im Blick aber und in der Seele hatte er weite Ebenen und wehende Mähnen, trommelnde Hufe, Husarenattacken. Die Caesarennase in den Wind gereckt, das volle Gesicht leicht gerötet, stellte sich der Kollege in die Bügel. Vehementer wurde der Rhythmus; der Kollege ritt wie Lützows wilde, verwegene Jagd...
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. April 2013, 23:48:16
Das Gesicht eine einzige Gewitterwolke, rauschte da der Chefredakteur Alt in den Raum. Von der Tür aus konnte er Hans noch nicht sehen. Ich räusperte mich, ich schaltete den rotblinkenden Achtung-Hohes Tier!-Warnblick ein, doch Hans war jenseits aller Warnungen und Angst vor dem Feind; der ekstatische Kollege hatte sozusagen das Gebiß zwischen den Zähnen und hätte auch eine Sirene nicht gehört.

Mann Gottes, Alt kam zu uns. Doch Hans gab die Zügel hin und breitete weit die Arme aus, als wolle er die Welt an die Brust ziehen: „Es schlägt mein Herz, geschwind zu Pferd...“ zitierte er wie im Rausch. Da ging sein plötzlich wild bockendes Pferd mit ihm durch: Der Stuhl, dessen pneumatische Federung der Betriebsrat schon des öfteren als geradezu gefährlich gerügt hatte, klatschte den armen Hans wie einen Schwamm gegen den Schrank. Der Kollege rutschte langsam auf den Boden und Alt vor die Füße. Er lächelte den Chefredakteur milde an und stöhnte schwach: „Goethe...“
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 00:16:08
Hans hatte seinen ersten Reitunfall tatsächlich im Büro gehabt. Doch seine Passion litt darunter nicht im geringsten. Bis ins Fitzelchen wurde ich auch weiterhin über die kleinen Siege und Niederlagen seiner Reitstunden aufgeklärt. Wochenlang! Jeden Tag. Hans ließ mich kaum noch zum Arbeiten kommen.
„Und die Zügel muß man so halten...“, zeigte er gerade und verdrehte die Daumen dabei ganz seltsam nach innen, gewiß nicht vorschriftsmäßig.

Jetzt war ich reif und mürbe: „Hans, meld’ mich an.“
Hans meldete mich an. Und Heike auch, denn auch unsere immer unternehmungslustige Redaktionssekretärin hatte seinen farbigen Schilderungen nicht widerstehen können.

„Donnerstag um sieben“, beschied uns der Kollege.
„Um sieben? Um neunzehn Uhr, ne?“, meinte ich hoffnungsvoll.
„Um sieben. Da haben wir die Halle fast für uns allein. Nur die beiden Borowskis sind noch dabei.“ Das war eine Ex-Kollegin von uns mit Ehemann. Die hatten unseren Hans zum Reiten gebracht. Schien ja ein regelrechter Journalisten-Konvent zu werden.

Gut. Sollte mir recht sein; mit den vieren würde ich wohl mithalten können.
Ich hatte nämlich ganz schön Bammel!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 00:22:50
Erstens: Aufstehen um dreiviertel sechs! VIERTEL VOR SECHS UHR! Hoffentlich hörte ich die Wecker!

Zweitens: Ich war – ich bin! - der unsportlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ein Blick auf Hans - kein Superman, der Kollege - beruhigte mich in dieser Hinsicht allerdings etwas.

Aber drittens: mein fortgeschrittenes Alter! Vierunddreißig. Verrückt, sich mit vierunddreißig Jahren noch mal aufs Pferd setzen zu wollen. Auch wenn Heike sogar zehn Jahre älter war: Die war wenigstens schlank und sportlich und völlig unbefangen.

Viertens und vor allem: das renommierte Reitinstitut! Das schreckte mich fürchterlich.

In der ziemlich schlaflosen Nacht vor meiner ersten Reitstunde stand mir das Institut deutlich vor Augen: Auf dem Parkplatz nichts unter Mercedes und BMW, in den Reithallen – es waren ihrer zwei, das wusste ich von Hans – die Blüte deutscher Pferdezucht, fachmännisch beäugt von Grüpplein aus sportlich gestählten Olympia- und Weltmeisterschaftssiegern.

Und das Casino – es gab bestimmt ein Casino – bevölkert von edel bestiefelten Herren in Loden (unerschwingliches Understatement). Die Damen, simple Perlenchoker um den mit teuren Essenzen gesalbten Hals, in mintgrünen Reithöschen und feingeplätteten Blüslein ohne einen Schweißfleck (hier schwitzte man nicht, hier transpirierte man höchstens, Transpiration hinterließ keine Flecken).

Herren und Damen in gepflegter Konversation über den neuen Intendanten der Salzburger Oper (wie hieß der noch mal, zum Kuckuck?), in der Hand ein Glas Portwein. Oder was nahmen diese Kreise in solcher Umgebung zu sich? Whisky, bestimmt Whisky, vierzig Jahre im Eichenfaß.

Mein Blick fiel auf die Turnschuhe, die ich morgen tragen wollte, nicht mehr neu und nicht mehr ganz sauber zu kriegen. Und nicht eine Perle in meinem Besitz!
Je nun. Angemeldet war ich, ich konnte es genauso gut hinter mich bringen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 00:33:45
Pünktlich um viertel nach sechs klingelte Heike. Es war Dezember und stockdunkel. In mir ging alles durcheinander: Ich freute mich sehr auf die Pferde – die edlen Olympia-Dressurcracks -, doch ich kam mir vor, als geleite die fröhlich plappernde Heike mich zur Schlachtbank. Oder zum Rapport beim Chefredakteur, was so ziemlich das selbe war.
 
Heike parkte. Ich spähte über den schlecht beleuchteten Platz.
„Hier sind wir falsch“, meinte ich mit Nachdruck. „Warum?“ fragte Heike, die das Territorium am Tage vorher gewohnheitsmäßig inspiziert hatte. Diesmal hatte Heike Controletti sich aber bestimmt vertan: Nicht ein Mercedes auf dem Parkplatz, von Bentleys und dergleichen ganz zu schweigen. Nur eine etwas zerknautschte Ente stand da.

Das konnte es ja wohl nicht sein, das Reitinstitut, das renommierte! Wenn da auch eine große Halle stand, aber das war wohl eine Fabrikhalle. Doch da waren auch die Borowskis und Hans, ein geradezu unsympathisch ausgeschlafener Hans.
„Was macht’n die renommierte Ente da?“ begehrte ich zu wissen. „Birtes“, sagte Hans etwas verwundert.

Ich stolperte den gutgelaunten Kollegen hinterher und fand mich in einer schummerigen Sattelkammer wieder. Etwas staubig und scharf riechend. Links ein Kleiderständer, an dem allerlei undefinierbare Sachen hingen, nichts davon allzu sauber. Mitten drin ein Schreibtisch, dran eine junge blonde Frau, offensichtlich Birte.

Birte hatte einen Pferdeschwanz. Außerdem einen Telefonhörer am Ohr. Sie schaffte es, uns gleichzeitig willkommenheißend anzustrahlen, die Augen zu verdrehen über ihren unsichtbaren Gesprächspartner, einen graubekittelten Menschen mit Blicken zu einem bestimmten Sattel zu dirigieren und etwas in ein Buch mit engbeschriebenen Seiten einzutragen. Geht hier fast zu wie in der Redaktion, dachte ich.

„Aber selbstverständlich gern, Frau Riemenberger, aber natürlich sehr gern, Frau Riemenberger, natürlich sollen sie den Manner haben“, schmalzte Birte ins Telefon, bevor sie den Hörer mit Vehemenz auf die Gabel knallte: „Blöde Kuh!“
Dann strahlte sie uns wieder an: „Willkommen im Schulstallbüro!“

Die Sattelkammer war also das Büro. Hans stellte vor. Birte strahlte mich an. Mit runden blauen Augen. Ich hatte sie auf der Stelle gern. Und ich war der Bewunderung voll: Wie konnte jemand morgens um fünf vor sieben nur permanent lächeln?

„Hans bekommt wieder den Jonas. Tara – du bist die Tara, nicht? – den Manni. Manner.“ Aha, das Tier vom Telefon.
Birte kratzte sich an der Nase. „Heike: Heidekraut.“

„Welcher Sattel?“ fragte ich schüchtern. Hans klärte mich auf: Hier sattelten nicht die Kunden, sondern die Pferdepfleger. Aha: nicht Knechte, sondern Pfleger, registrierte ich. Hans war in seinem Element, er kannte sich bestens aus. Die Tür rechts führte in den Stall. Drei Boxen, eine lange Reihe von Ständern. Ich zählte: „Zweiundzwanzig“, lächelte Birte. Nicht schlecht!

Sie zeigte mir meinen Manni, nein, Manner. Ich starrte den Fuchs etwas verwundert an. Der edle Dressurcrack blickte lieb zurück. Der Blüte deutscher Pferdezucht hing die Zunge aus dem Maul. Manner erweckte stark den Eindruck, als lehne er sich mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen gelangweilt gegen die Wand und werde gleich von herzhaftem Gähnen überkommen.

Ich riß meine Blicke von dem rassigen Sportpferd los, weil Hans noch mal vorstellte: die beiden Pfleger. „Das ist der Martin." Der war lang und hager und roch stark nach Schnaps. „Und das ist der Josef alias Sepp.“ Sepp sah väterlich und nett aus. Und so, als hätte er auch gerne einen Schnaps gehabt. Ich beschloß, mich an Sepp zu halten.

Manner, Zunge sanft schaukelnd, kam auf Sepps Ruf hin brav aus seinem Ständer und stellte sich auf der Stallgasse auf. Gesattelt war er schon. Heike, energisch und zugreifend wie immer, hatte ihre Heidekraut am Zügel gepackt, eine massive kleine Schimmelstute. Und Hans mit seinen kurzen Beinen stand neben einem dunkelroten Pferd – Jonas, hatte Birte gesagt. Ich fragte mich, wie Hans es schaffen würde, diesen Goliath zu erkraxeln. Er hätte den Kopf nur wenig einziehen müssen, um unter Jonas' Bauch durchzulaufen.

Rechts ging es in die Reithalle. Die alte oder kleine Halle, belehrte uns der Kollege. Das am Parkplatz war die Wilhelm-Milkereit-Gedächtnishalle oder kurz: die neue Halle. Jaja. Jajaja. Ich hörte kaum zu, weil ich nämlich mit meinem Manni inzwischen mitten in der dämmerigen Reitbahn stand. Manni hatte seinen Lappen immer noch 'raushängen. Das sah irgendwie beruhigend aus, jedenfalls nicht so, als wolle er gleich anfangen, wild zu galoppieren oder so.

Mein Gott, ich hatte ganz vergessen, wie groß Pferde sind. Wie hinaufkommen? Doch Sepp war zur Stelle. Er zog und schob, und ich - saß – auf – dem – Pferd. Ich fühlte mich wie eine Königin. Ich saß zu Pferd!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 00:42:11
Pferdebegeistert war ich schon immer gewesen. Schon als Kleinkind geriet ich außer mir vor Entzücken, wenn ich Pferde sah. Den üblichen ersten Worten „Mama“ und „Papa“ war zum freudigen Erstaunen meiner stolzen Erzeuger gleich der vollständige Satz „Da puff – da Loch – da weg“ gefolgt, welch sprachliche Meisterleistung das Verschwinden einer Dampflokomotive im Tunnel bildhaft prägnant zusammenfaßte und geradezu zwangsläufig auf meinen Schreibtisch in der Zeitungsredaktion zuführte. „Pferdi“ aber kam gleich an vierter Stelle.

Traktoren waren im armen Franken Ende der Fünfziger Jahre noch selten; die Bauern, die nicht mit Ochsen pflügten oder dazu gar auf ihre zwei Milchkühe angewiesen waren, hatten stolz ihr Arbeitspferd im Stall. „Pferde sind auf allen Seiten abschüssige Tiere, die dem Menschen nach dem Leben trachten“, zitierte mein Vater gern. Doch um seines Töchterleins willen tat er sein Bestes, Kontakte zu pflegen: Kein Kaltblüter in drei Landkreisen, auf dem ich nicht einmal hätte sitzen dürfen! „Dick und Dalli und die Ponys“ konnte ich auswendig hersagen, und jedes bei Karl May namentlich genannte Pferd war mir samt Stammbaum zutiefst vertraut.

Und dann, endlich, kam der große Tag: Als ich elf war, entnahm „der Chef“ der Tageszeitung, ein Reitverein sei gegründet worden! Am gleichen Tag noch sprach mein Papa dort mit mir vor.

Der Vorsitzende machte uns klar, daß der Verein bislang eigentlich nur aus ihm und sieben Gleichgesinnten bestand. Es gab keinen Reitplatz, geschweige denn eine Reithalle. Auch keinen Reitlehrer. Zwar, ein Schulpferd habe man vorsorglich bereits erworben...

Dem Charme meines Vaters war nicht so leicht zu widerstehen.
Also. Wenn ich keine Angst habe – heftig schüttelte ich den Kopf, nein, keine Angst –, wenn ich also nicht bange sei, dann wollte man mich einmal in der Woche gern auf einen Ausritt mitnehmen. Der Vorsitzende, ein Herr Doktor, musterte mich streng: „Aber nicht runterfallen!“
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 00:46:24
Endlich hatte meine Pferdesehnsucht einen Namen: Ajax. Ajax war ein Orlowtraber und sage und schreibe siebenundzwanzig Jahre alt. Seine ersten Erfahrungen hatte der Schimmel noch bei der Armee gemacht. Unserem Verein diente er übrigens noch fünf Jahre lang! Ajax konnte nicht viel, aber er war sturmerprobt und Kummer gewohnt. Das kam ihm im Umgang mit seiner ersten Reitschülerin gut zustatten.

Erst einmal, dann dreimal, später sechsmal in der Woche machte ich mich nun auf den Weg. Drei Kilometer laufen bis zum Bahnhof, neun Kilometer Eisenbahn, dann noch mal zwei Kilometer zu Fuß einen steilen, steilen Hang empor – in meiner Erinnerung ausschließlich bei glühender Hitze – bis zum Hof, der allein auf weiter Flur gelegenen Domäne. Und abends das ganze zurück. Es kam mir nicht lang vor – oh, Ajax, mein geliebter Fliegenschimmel!

Und dann ging es mit den alten Herren, vor denen ich einen Heidenrespekt hatte – sie kamen mir wie Großväter vor, waren aber damals vermutlich viel jünger als ich heute – ins Gelände. Ach, diese Ausritte! Keine Autostraße weit und breit; Rehe, Vögel und Hasen ließen sich durch die Pferde absolut nicht stören, und irgendwie schien immer die Sonne...

Die Herren gaben umfassenden Unterricht: „Was ist das Grüne da links?“
„Äh... Rüben, nee, Raps.“
„Gut“, räumte der Herr Doktor ein, „aber es heißt nicht ‚nee’, sondern ‘nein’. Was war das für ein Vogel?“
„Bachstelze!“

Ansonsten unterhielten die Herren sich abwechselnd über Aktiengeschäfte und den Stand der Wintergerste, unterbrochen nur von kurzen Kommandos an meine Adresse: „Kopf hoch! Hacken runter, Mädel!“

Sie sahen mir schon an, wenn ich wieder etwas wackelig saß: „Nicht runterfallen diesmal!“ Ich fiel jedes Mal runter, wirklich jedes Mal, und konnte mir ein Leben ohne Schrammen und blaue Flecke schon gar nicht mehr vorstellen.
Eine gewisse Stelle am Allerwertesten wollte überhaupt nicht mehr zuheilen, teilte ich verschämt mit und lernte gleich einen neuen Ausdruck: „Das Mädel hat sich ’nen Wolf geritten!“ Hirschtalg, schlugen meine kavallerieerfahrenen Beschützer vor.

Aus Sparsamkeitsgründen hatte der junge Verein einen Posten Weltkrieg-zwei-Sättel für die künftigen Schulpferde aufgekauft; ich durfte sie als erste ausprobieren. Diese Armeesättel werden heute sehr gelobt, und gewiß gehören sie zum Pferdefreundlichsten, das deutsche Sattlerkunst hervorgebracht hat. Aber ich war kein Pferd, sondern ein Reitanfänger mit einer gerade an kritischen Stellen zarten Haut. Und reitanfängerfreundlich sind diese pauschenlosen, brettharten Dinger gerade nicht!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Dietmar am 06. April 2013, 13:01:39
Man kann also auf Pferden auch reiten? Und ich dachte, Pferde taugen nur als Lasagne-Zutat. :-)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 06. April 2013, 15:13:23
Mein erster Gedanke war auch Lasagne. :-X Aber tolle Geschichte, bitte mehr davon. :D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Gartenhexe am 06. April 2013, 16:06:04
Ach Tara, ich wäre zu gern an Deiner Stelle gewesen! Aber köstlich geschrieben - schreib weiter!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 16:22:03
Mein erster Gedanke war auch Lasagne.

 :P :-\ ;)

Meiner Begeisterung tat all dies keinen Abbruch. Nur einmal wurde mir wirklich mulmig, als ich nämlich in der Abenddämmerung wieder mal den Abgang machte.

Ich lag, Sand zwischen den Zähnen und nach Luft ringend, auf dem Boden; die alten Herren waren in voller Karriere und hatten vor Begeisterung noch nicht bemerkt, daß ich ihnen wieder einmal abhandengekommen war.

Da hörte ich seltsame Geräusche: Mühsam hob ich den Kopf und sah – Wildschweine! Eine grimmig blickende Rotte Wildschweine fuhr da eben aus dem Gebüsch. Genau auf mich zu!

Ich kriegte einen Heidenschrecken, denn es war Rauschzeit, und einige Keiler waren dabei. Die meinten es ernst! In einer großen Woge wurden mir bei diesem Anblick Puste und Kräfte zurückgegeben. Auch ich war nun sofort in voller Karriere, wenn auch leider zu Fuß. Doch die Schwarzen hielten locker mit mir Schritt, im Nacken meinte ich ihren Atem zu spüren. ;D Die größten reichten mir immerhin lässig bis über den Hosenbund!

Ich galoppierte, was das Zeug hielt; die Sauen auch. Endlich, als nämlich Ajax zu ihnen aufschloß, bemerkten die Herren mein Fehlen.

„Heee – SAUHATZ!“ Der Herr Doktor stieß in ein imaginäres Horn. Die sieben legten eine perfekte Hinterhandwendung hin und galoppierten, geflochtene Reitgerten erhoben, freudig bewegt auf die Schwarzkittel zu, galoppierten in breiter Front wie die Leichte Brigade in der Schlacht von Balaclava, nur effektiver. Die Sauen schienen kalt entschlossen, die Jäger anzunehmen; sie behaupteten trotz des begeisterten „Horridoh!“-Geschreis tapfer das Feld, bis sie das Weiße im Auge des Feindes sehen konnten. Erst dann drehten sie widerwillig bei.

Sus scrofa heiße das Wildschwein auf Lateinisch, belehrte mich der Erste Vorsitzende auf dem Heimweg. Er war Tierarzt. Über Frischlinge, Überläufer, Bassen und Bachen hatte er mich schon bei früheren Ritten aufgeklärt. Ich wußte auch, was ein Malbaum ist.

Aber bitte nicht jetzt, jetzt bitte nicht. Sus irgendwas! Nichts, wirklich nichts konnte mir gleichgültiger sein. Ich hatte um mein Leben gezittert. Ich konnte gar nicht aufhören zu zittern! Und ein Schneidezahn wackelte gewaltig. Immer noch spuckte ich Sandkörner aus; ich tat mir herzlich leid. Davon stand nichts bei Dick und Dalli...

Diese Sauhatz hatte die Herren mit Gesprächsstoff für Wochen versorgt. Die Kavallerieattacke hatte ja auch ein wahrhaft köstliches Bild geboten, das ich, die ich keuchend und mit schlimmem Seitenstechen zwischen den aufeinanderzugaloppierenden feindlichen Parteien gestanden war, allerdings erst dreißig Jahre hinterher so richtig würdigen konnte. 8)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 06. April 2013, 22:10:20
Köstlich, Tara :D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. April 2013, 23:47:43
Eine Reitstunde in der Woche konnten die Eltern spendieren, den Rest verdiente ich mir mit Ausmisten, Putzen und „Aufhalten“, wenn der Schmied kam. Und mit Stallgasse fegen! Sinnige Sprüche lernte man dabei auch, zum Beispiel „Merk’ dir eins auf allen Wegen: Reiten lernt man nur durch Fegen!“

Demnach hätte ich fit für den Bundeskader sein müssen - alle Stallgassen zusammengenommen, muß ich mich in diesen Jahren schier von Berlin bis Paris gefeudelt haben. 8)

Bald kamen andere Schulpferde und andere Kinder hinzu. Auch einen Reitlehrer gab es nun. Der Herr Rittmeister hatte silbriggraues Haar, eine edle, nur leicht gerötete Hakennase und ein „von“ im Namen. Außerdem hatte er ein Faible für hübsche Mädchen, für angewärmtes Bier und Jägermeister, und ganz wichtig war es ihm, daß man beim Absitzen über dem Pferd die Hacken zusammenschlug.
Das konnte ich hervorragend! Vieles andere aber leider nicht.

Als meinen Eltern vorgeschlagen wurde, mich zur Landesreitschule zum Abzeichen-Kurs zu schicken, handelte ich mir eine böse Niederlage ein: Ich versagte im Springen. Komplett! Dreimal verweigert – aus. Verweigert hatte übrigens ich, nicht das wirklich sehr brave Schulpferd, ein riesiger Dunkelbrauner, der sich ob meiner flatternden Nerven angesichts dieser paar lächerlichen Hüpfer offensichtlich sehr verwunderte.

Mit dem Springunterricht hatte man’s im Verein nicht so gehabt. Zwar war ich auf dem Springplatz gesprungen, was da eben so rumstand, aber hauptsächlich, um zwei jungen Offizieren zu imponieren – ein unseliger Hang dies -, und nicht etwa, weil mir das Springen Spaß gemacht hätte.

Doch dies hier war eine offizielle Prüfung, und ich trug tatsächlich eine geborgte schwarze Jacke und meine einzigen richtigen Reithosen, nachts noch mit Nagelbürste und Haarshampoo saubergeschrubbt und mit dem Föhn halbwegs getrocknet. Schon drei Tage vorher hatte sich mein Magen unangenehm bemerkbar gemacht.

Allein das Bevorstehen einer offiziellen Prüfung reicht heute noch, all meine Fähigkeiten auf das Niveau einer angstbebenden Vierjährigen zu reduzieren. Meiner unerschütterlichen Überzeugung nach ist übrigens der Nikolaus schuld.

Dieses schreckliche Klopfen an der Tür! Kannst du dein Lied? Ja klar. Süßer die Glocken nie klingen. Und dann war der Nikolaus da, mit dem entsetzlichen Knecht Ruprecht, und ich hatte mein Lied vor Aufregung vergessen, ganz und gar. Und krähte also unter den strengen und immer strenger werdenden Augen des Heiligen, was mir gerade einfiel; ich schmetterte, was die Kehle hergab, zu Tannenduft und Glöckchenklang mit dem Mut der Verzweiflung: „Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck!“ Und noch mal, jetzt zum schallenden Gelächter der Erwachsenen: „Borstenvieh und SCHWEINESPECK!“

Den „Zigeunerbaron“ mag ich seitdem nicht mehr leiden. Und das Reitabzeichen habe ich zu meinem Kummer heute noch nicht, kein Wunder...! ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Klio am 07. April 2013, 00:50:25
Die Leichte Brigade ist genial. ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 01:01:38
 ;D ;D ;D

Ich habe bis heute einen gehörigen Respekt vor Wildschweinen. Dazu gibt es später mehr...
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 01:25:49
Mit den anderen Mädchen, deren vermögende Eltern ihnen alsbald eigene Pferde kauften, konnte ich nicht mithalten. Ich hatte ja nicht mal Lederreitstiefel! All meine Träume gipfelten in Lederreitstiefeln. Und fürs Musikreiten wurde mir eine alte Kostümjacke meiner Mutter verpaßt.

Das Musikreiten übrigens ging nur zur „Petersburger Schlittenfahrt“. Dem Herrn Rittmeister muß diese Melodie eine geradezu zauberhafte Jugenderinnerung wachgerufen haben; er duldete nichts anderes. Dieses Schlittengeklingel bleibt für mich bis ans Lebensende verbunden mit Mutters geänderter Kostümjacke mit den Wiener Nähten. Richtig als Außenseiter kam ich mir vor.

Aber zwei Pflegepferde hatte ich mittlerweile. Sonnenschein und Sonnentau, vier- und fünfjährige Holsteiner Vollschwestern. Die beiden gehörten einem Fabrikanten, der sich nur sonntags in der Reithalle sehen ließ, und dann auch erst nach einem ausgiebigen Schoppen. Dann fegte er je eine halbe Stunde mit jeder Stute wie ein Verrückter durch die Bahn. Den Rest der Woche standen die armen Tiere in den Boxen. Und wenn die jemand betrat, standen sie auf den Hinterbeinen.

Der Herr Rittmeister meinte, das müsse sich ändern. Wenn ich mich traute...
Trauen! Das köderte mich immer sofort. Tagelang saß ich erst mal nur in den Boxen und redete mit den beiden. Dann setzte ich mich das erste Mal drauf. Und fiel nur runter! Aber das hatte ich ja mit Ajax geübt.

Ich hatte nun zwei Pferde, die ich kostenlos reiten konnte, so oft ich wollte. Nur kümmerte sich leider niemand darum, ob ich noch was lernte, und vor allem, ob die Stuten Fortschritte machten. Mich kümmerte es auch kaum, solange ich nur reiten konnte.

Was mich bekümmerte, waren höchstens die Namen: „Unser kleiner Sonnenschein“, hänselten die anderen Mädchen, die Sonnis Hufen nicht zu nahe kamen. Und „Sonnentau“! Botanisch versiert, weil gedrillt durch den Herrn Doktor, fand ich es ziemlich übel, ein hübsches Pferd nach einer fleischfressenden Pflanze zu benennen. Ich nannte sie Sonja.

Das einschneidende Erlebnis meines jugendlichen Reiterlebens allerdings hatte ich nicht mit diesen beiden Stuten, sondern mit einem Hengst, und zwar nach dem Turnier zur Reithallen-Einweihung.

Bei dem sollte ich in der A-Dressur übrigens die erste und einzige goldene Schleife meines Lebens holen, als Beste von sage und schreibe vier Startern. Und mit einem von einem befreundeten Verein ausgeliehenen Schulpferd namens Rex, auf dem ich nie vorher gesessen hatte und das, dessen war ich mir wohl bewußt, sich die Schleife trotz meiner reiterlichen Einwirkung verdient hatte. In der Gesamtwertung lag ich dann auf dem vierten Platz, und so kriegte ich bei einer einzigen Prüfung gleich zwei Schleifen. Ich hob sie zehn Jahre lang auf. 8)

Die Siegerliste klebte ich aus einem anderen Grund säuberlich ins Erinnerungsalbum: Widerfuhr mir doch hier erstmals die Liebe, eine ganz hoffnungslose. Im A-Stilspringen für Jugendliche siegte ein gewisser Otto auf einer phantasielos „Farbe“ genannten Stute, dem ich schon auf dem Abreiteplatz die Daumen gedrückt hatte. Mit seinem Papa und seinem Bruder zusammen hatte er auch das Stafettenspringen gewonnen. In den verknallte ich mich auf der Stelle und rettungslos – so springen können! Und so ein Wahnsinnspferd haben!

Tja, und wenn ich später in die eiskalten Gummistiefel schlüpfte oder den Elektrodraht aus dem Schnee grub, dann saß dieser Herr Becker in irgendeiner VIP-Lounge in New York oder Stockholm...

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 01:32:08
Zum Turnier jedenfalls waren auch zwei Bauernjungens mit diesem massigen Hengst erschienen, ein wahrer Riese mit dem Namen „He Gaul“. Mindestens zur Hälfte ein Kaltblüter. Mit den anderen Mädchen war ich ausnahmsweise einmal vereint, und zwar in Spott und Hohn. Dieses Schlachtroß gehörte vor den Pflug, die Reiter – „Cowboys“ nannten wir sie abschätzig - konnten nichts, der Sattel hatte seine hundert Jahre auf dem Buckel, die Trense war rostig.

Die Cowboys traten wohlweislich nicht an zur Prüfung. Sie waren auf einmal einfach verschwunden – unter Zurücklassung ihres Hengstes. Man wußte nur, daß die beiden Müller hießen und aus X stammten, etwa sechzehn Kilometer entfernt.

Eine Woche lang stand das Tier bei uns im Stall. Jeder setzte sich mal drauf, ganz kurz allerdings nur, denn der Hengst weigerte sich stumm, eine andere Gangart als Schritt einzulegen. Er quetschte einen gegen die Bande – darin war er Spezialist –, vor allem aber ließ er sich einfach nicht lenken. Er lief, wohin er wollte, und mähte nieder, was ihm im Weg stand, stur wie ein Panzer.

Ich war komischerweise die einzige, die es geschafft hatte, ihn ohne Unfall dreimal um den Springplatz zu bugsieren. Und so wurde ich ausersehen, das liebe Tier nach Hause zu reiten, mich zu den Cowboys durchzufragen und den Hengst notfalls auf deren Hof einfach anzubinden. Man würde mich dann mit dem Motorrad abholen.

Ich ritt frohgemut und stolzgeschwängert los. Anderthalb Kilometer lang ging alles hervorragend. Dann gelüstete es den Hengst nach Gras. Er bekam es, denn gegen seine Nackenmuskeln und sein betonhartes Maul war ich absolut machtlos. Dann schafften wir wieder dreihundert Meter. Und dann kam das Gewitter... Und ich fand heraus, daß ich meine Befähigung zum Panzerlenken maßlos überschätzt hatte.

Der Panzer kam nämlich überraschenderweise gewaltig in Fahrt. Unter Donner und Blitz galoppierte das Schlachtroß auf einmal, in riesigen, holprigen Sätzen. Leider in die falsche Richtung. Und die behielt es auch bei, als es nach einer Ewigkeit endlich wieder in Schritt fiel.

Vom Weg waren wir längst abgekommen; es ging quer über die Felder. Ich hatte mich festgeklammert wie ein Äffchen und war nicht runtergefallen, na ja. Aber der Panzer reagierte auf keine Parade und auf kein Anschreien, es goß in Strömen, ich hatte keine Ahnung, wo ich war, es wurde dunkel, ich fror erbärmlich, der Hengst lief einfach immer weiter, und ich schämte mich, wie sich wohl noch nie ein Mädchen geschämt hat. Gigi saß jetzt bestimmt auf ihrer Pirouschka und war wieder mal der Star der Dressurstunde... Ich heulte Rotz und Wasser. Putzdunkle Nacht war es, als man mich endlich fand. Am anderen Ende des Landkreises.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 07. April 2013, 10:11:55
Tara, ich habe gerade alles gelesen, Du solltest davon ein Buch machen. den Titel hätte ich schon: Mensch! Erzähl mir nichts vom Pferd! ;D ;D ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 13:09:16
Mensch! Erzähl mir nichts vom Pferd! ;D ;D ;D ;D

 ;D ;D

Zu den beiden Sonnenstuten fällt mir übrigens eben noch ein: Ein durchgehendes Pferd soll man auf einen großen Zirkel abbiegen, um es wieder in die Hand zu bekommen... *hüstel* In meinem erwachsenen Reiterleben las ich diesbezüglich in einer englischen Reitlehre den praxisnahen wunderschönen Satz: "Wo das nicht möglich ist, kann nur noch das Glück helfen." ;D ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Crambe am 07. April 2013, 13:21:46
Ich kann Irisfool nur beipflichten! Köstlich zu lesen ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 14:30:50
Danke. :)

Solchermaßen war es also um die Reitkünste meiner Jugend bestellt gewesen. Dann hatte mein Leben einen gänzlich anderen Weg eingeschlagen. Nur an diesen ganz seltenen Wintertagen – die Luft so klar, der Himmel so blau, daß es an den Herzwurzeln zieht, die Schneekristalle funkelnde kleine Regenbogen – nur dann überfiel mich manchmal der Gedanke: „Und jetzt ein Galopp...“

Und nun saß ich nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder zu Pferd. Spürte seine Wärme. Roch Pferd. Roch Leder, Sattelseife, Hallenstaub. Ich war zu Hause. „Ich muß verrückt gewesen sein. Ich hab’ zwanzig Jahre meines Lebens verschenkt!“ Das platzte mir so raus, ich genierte mich sehr. Birte strahlte mich nur an.

Ich ordnete die Zügel, es kam alles zurück, es ging ganz automatisch. Hacken runter – hui, zog das in den Waden! -, Hände aufrecht. „Tara! Der Daumen muß ein Dach bilden!“ Nix Automatik. Wie zum Teufel kann jemand eine geschlagene Stunde lang seine Daumen Dächer machen lassen?! Meine waren wild entschlossen, ein Eigenleben zu führen. Schon hier war klar: Es galt, wieder ganz von vorne anzufangen.

Oh weh, jetzt sollte die Borowskifrau vorn an der Spitze – Tete, korrigierte ich mich sogleich – antraben. Antraben! Leichttraben! Bei jedem zweiten Schritt aufstehen, das wußte ich ja noch, aber bei welchem?

„Ja, geht doch schon ganz gut“, lächelte Birte. Eine kundenfangende Übertreibung! Nichts ging gut! Es ging nämlich überhaupt nicht! Hoffentlich mußten wir nicht galoppieren. Ob ich wohl noch so gut runterfallen konnte wie früher?

Frau Boroswki mußte galoppieren, während Herr Borowski als Bremsklotz für unsere Pferde eingesetzt wurde. Sie machte es sehr gut, ich starb fast vor Neid. Jetzt war er dran. Einmal um die Bahn – ausgezeichnet! Mein Sattel wurde zusehends rutschiger. Jetzt Hans! Verdammt, der Kollege galoppierte! Und schnaufte auch nur ganz wenig, als er zu uns aufschloß.

„Manner und Heidekraut!“ Nein! Nei-en! Doch mein Manni spitzte die Ohren, er galoppierte tatsächlich an, Augen auf Birte gerichtet; was ich wollte, war dem lieben Tier völlig schnuppe. Die Zunge schaukelte rhythmisch. Ich behielt den Lappen fest im Blick, damit ich nicht die viel zu schnell vorbeirasenden Wände ansehen mußte. „Gut! Nicht so steif in der Hüfte, Tara!“ brüllte Birte. Ich mußte warten, bis der liebe Manni irgendwie wieder in Schritt gefallen war, bis ich Puste fand: „Ich bin steif!“ „Das muß sich ändern“, meinte Birte lakonisch.

Das mußte sich ändern.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 16:26:28
„Warum bist Du so still?“
„Ich bin schüchtern.“ Daß ich nach dieser Reitstunde wie in Trance war, mußte ich ja nun nicht rausblöken.
„Schüchternheit paßt nicht zu Deinen Haaren“, meinte Hans, „wenn Du Dauerwellen hättest und vorstehende Augen, könnten wir drüber reden.“
„Eine Hasenscharte wäre auch hilfreich“, sagte Birte. Die schien zu uns zu passen. „Wann kommt Ihr wieder?“
„Morgen!“
„Hast Du keine Familie?!“, fragte Hans. Heike sah ihn strafend an – meine Scheidung lag erst ein paar Wochen zurück. Wir einigten uns auf zweimal die Woche.

Dann spielte Hans erstmal den Fremdenführer im Reitinstitut. Die alte Halle: 20 x 40, recht dunkel, aber sehr schön. Hier fanden Longenstunden, Anfängerunterricht und das Voltigieren statt. Ständer und Boxen für 22 Schulpferde, Tribüne. Umkleidekabinen, eine kleine Bar, eine schmuddelige Dusche, alle lange nicht benutzt. Und die neue Halle, in der reiten zu dürfen jeder Anfänger bestrebt war: 20 x 60, Tribüne und alles Pipapo, recht großes bewirtschaftetes Casino, das sich „Stübchen“ nannte, mit Panoramafenstern in die Halle und, falls gewünscht, Lautsprecherübertragung von dort. Sie wurde oft gewünscht (allerdings nicht von mir!).

50 Meter weiter „Der Hof“ – ein wunderschönes altes Vierseit-Hofgut. Das waren die höheren Weihen: Hier standen die Privatpferde, knapp 40, und zwar gute bis teils sehr gute. Und ein paar hundert Meter weiter der Billigableger, die Feldscheune, mit nochmal 15 Boxen. Das ganze war ein privates Institut, aber fast deckungsgleich mit dem Reitverein. Fast – denn es gab noch einen (natürlich zweitklassigen) Reitstall ein paar hundert Meter weiter. Und  eine Reihe von kleinen Ställen im alten Ort. Insgesamt 160 Pferde, erklärte Hans, der eben einen Artikel über das „Reiterdorf“ geschrieben hatte. Es gab außerdem einen Springplatz am Fluß und ein wenig weiter weg einen wirklich anständigen Militaryplatz.

Zweimal die Woche ritten wir nun also vor dem Dienst. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so früh aufgestanden. Hans organisierte eine Kaffeemaschine, wir reaktivierten die alte Dusche und fanden alles wunderbar. Und weil von meiner früheren Reiterei doch ein wenig übriggeblieben war, setzte mich Birte bald an die Tete (wie geht das Azzeng Zirkumflex?!), woraufhin die Borowskis beleidigt erklärten, sie seien nun fortgeschritten genug für die neue Halle.

Übrigens - Tete oder nicht: "Sei nicht so steif, Tara!" "Ich bin steif!"  ::)  :P
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 16:55:22
Nun ritten wir mit den Lülfs. Die Lülfs dachten, sie könnten reiten, weil sie in einem Urlaub mal auf einem Pferd gesessen waren (schon verloren!). Sie waren auch ein paar Mal beim Kaffee dabei, aber das einzige Lülfsche, an das wir uns je erinnern konnten, war deren im Urlaub gewonnene Überzeugung: „Wenn es eng wird – gezielt weghechten!“  ;D  ;D

Während wir „von der Zeitung“ schnell bei allen bekannt waren und ich mich am Rande dieses Mikrokosmos aus Pferden, Bereitern, Pflegern, Reitschülern, Privatpferdebesitzern und diversen Hunden (nicht zu vergessen Birtes Kater, die bei ihrem Unterricht gerne auf der Bande saßen) bald häuslich einrichtete, kannte die Lülfs kein Mensch, obwohl bald jeder gerne über sie lästerte. Sie sahen auch irgendwie überhaupt nicht aus. Leute, die man sofort vergaß. Sie konnten neben einem stehen, ohne daß man sie erkannte. Das hatte seine Nachteile.

„Wer sind die Lüfs überhaupt?“ wurden wir gefragt, „wie sehen die aus?“
„Lülf“, antwortete Hans. „LLL, soviel Zeit muß sein.“
„Sie sehen überhaupt nicht aus“, meinte Heike, „nur so wie Leute, die man immer vergißt.“
„Sie stehen immer neben einem, wenn man gerade über sie lästert“, gab ich meinen Senf dazu. Hinter mir ertönte ein Hüsteln – da standen sie, die Lülffs.  :-[  :-[  8)

Die Lülfs suchten sich daraufhin eine Nachmittags-Anfängerstunde. Als ich einige Wochen später nach dem Dienst zur Halle fuhr, kam mir ein Krankenwagen entgegen. Ich fragte nach: Der Ilsch hatte seinen Reiter abgesetzt und war durch die Bahn getobt. Statt den Reitlehrer machen zu lassen, hatte Herr Lülff (er konnte ja reiten!) auf der Dana versucht, den großen Schimmel einzufangen. Das konnte nicht gut gehen.
„Und?“
„Naja, es wurde eng. Und da ist er weggehechtet.“
Nur schlecht gezielt: Mit dem Kopf gegen die Bande…
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 17:17:25
Inzwischen ritt ich viermal die Woche. „Guuut, Tara, aber sei nicht so steif!“

Motorische Schwierigkeiten hatte ich schon immer gehabt. Der Turnunterricht war eine Qual gewesen, und als ich mich später mal überreden ließ, in die Gymnastikstunde zu gehen – einmal und nie wieder! -, nahm mich die Übungsleiterin zur Seite: „Frau Tara, ich glaube, Sie brauchen eigentlich eine andere Art von Gymnastik. Also, ähm, Sie werden mir’s nicht übelnehmen – ich denke, so eine... so eine Art von Behindertengymnastik.“

Ich brachte also wirklich nicht die richtigen Voraussetzungen mit. Kein Talent fürs Reiten, bei mir half nur üben und noch mehr üben.

Reiten wollte ich, Sport bekam ich. Daß meine Waden in keinen regulären Stiefel paßten, lag nicht an einem Übermaß an Muskeln! Ich fuhr nicht mehr mit dem Aufzug. Ich lief auch die längste Treppe nur noch auf Zehenspitzen hinauf. Stellte die Füße auf die Waschmaschine, um Sehnen und Bänder zu dehnen. Versuchte vor dem Spiegel den Bauch einzuziehen. Der wollte sich kaum einziehen lassen. Klappmesser! Jeden Morgen kamen nun Klappmesser hinzu. Zweimal die Woche ging ich schwimmen.

Ich war mittlerweile zu den Wochenblättern strafversetzt worden, nach einer politischen Diskussion mit dem Chefredakteur, die ich in großer Naivität und unter totaler Mißachtung der Machtverhältnisse selbst heraufbeschworen hatte. Das stellte sich als wahrer Segen heraus: Nun konnte das wirklich anfangen mit dem Reiten. Ich konnte mir nun nämlich meine Zeit frei einteilen – ich hatte nur den wöchentlichen Andruck zu berücksichtigen. Arbeiten wie bekloppt, Andruck, und dann – Pferde!

Das erste Ziel: Der Reiterpaß. Der Stall bot mehrmals die Woche teils mehrstündige Geländeritte an (und sogar Ganztags- und Zweitagesritte), aber ohne Reiterpaß lief da nichts. Und dafür mußte man springen können. Und dafür mußte man Cavalettistunden nehmen. Und die waren der Horror.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 19:09:00
Die Anfänger-Cavaletti-Stunde war nämlich der lokale Kino-Ersatz. Einige Leute aus dem Dorf kamen regelmäßig jeden Mittwoch vorbei – hier war immer was los! Und die fortgeschrittenen Reiter – nicht die wirklich guten, wenn die uns überhaupt zur Kenntnis nahmen, dann höchstens als die Objekte des Mitleids, die wir waren - holten sich im Reiterstübchen was zu trinken und setzten sich dann in die alte Halle. Pünktlich um 19 Uhr senkte sich erwartungsvolle Stille über den Raum. Reitlehrer kontrollierten Sattelzeug, schleppten Stangen, schnallten Bügel höher und noch höher. Und dann fing das Lästern an... Zugeguckt hatten wir schon. Wir wußten also, was uns heute erwartete.

Birte legte Trabstangen auf den Boden. Wir trabten.
„Tara! Du mußt nicht auf den Boden gucken! Das kann die Dalli ganz allein!“
Ich hatte nicht den Eindruck, denn Dalli stolperte immer wieder. Und gerade vor den Zuschauern wollte ich doch alles richtig machen!
Auf der Tribüne wurde es lebhaft; die Vorstellung hatte begonnen. Erstes Kichern wurde laut. „Schau mal der kleine Dicke da hinten. Der kann einem ja leid tun“, tuschelte es. Armer Kollege! Der Hans konnte einem wirklich leid tun.
„Und die mit den kurzen Haaren. Die fällt gleich vor Angst runter. Die Dalli sieht jetzt schon so aus, als hätte sie die Schnauze voll von ihr!“
Na klasse, das fing ja gut an. Birte stellte auf der langen Seite ein Cavaletti auf. Richtig bösartig sah es aus.

„Tara!“ Oh nein. Nicht als erste!
„Auf den Zirkel geritten. Antraben. Bei C angaloppieren.“
Dalli galoppierte an. Noch zwei Galoppsprünge, das Cavaletti! Dalli machte eine Vollbremsung. Ich fiel fast runter.
„Oh, Tara!“ stöhnte Birte.
„Dalli will nicht springen“, gab ich bekannt.
„Weil Dalli ein nettes Pferd ist und weiß, daß du nicht springen willst. Noch mal auf den Zirkel!“
Gar nicht so einfach, denn Dalli meinte, ihre Pflicht getan zu haben, als sie wieder hinter den anderen stand. Die Zuschauer amüsierten sich königlich. Ich weniger.

Jetzt endlich. Antraben. Angaloppieren. Das Cavaletti! Das Cavaletti starrte mich drohend an.
Mein Pferd stand.

„Schon zweimal verweigert“, jubelten die Zuschauer.
„Los, Tara, trau dich!“ zischte Birte mir zu.
Ich trabte an. „Angaloppieren zum dritten“, kreischte es auf den Rängen. „Los, Dalli!“ schrie ein anderer und schnalzte ermutigend. „Und hopp!“
Dalli galoppierte. Und diesmal, tatsächlich, hopste Dalli – einen Meter neben dem Cavaletti tat sie einen sauberen kleinen Sprung. Und stand wieder.

Mir tropfte der Schweiß unter dem Helm hervor, die Kopfhaut juckte. Ich wollte gern den Helm abnehmen, kriegte aber mit den Handschuhen nicht die Schnalle auf. Ich wollte auch sehr gern einige Zuschauer erwürgen.

Birte trat zu uns: „Nur die Ruhe. Tu, als wären die nicht da.“
Ich warf ihr einen verzweifelten Blick zu. Hilfe!
„Wolltest du nicht reiten lernen?“, grinste Birte. „Nimm die linke Hand ein bißchen höher vor dem Sprung.“
Das wirkte. Ich straffte mich. Reiten lernen! Springen gehört dazu. Und jetzt springe ich. Ich springe jetzt. Da, der Hans schafft das doch. Er hatte zwar einen üblen Buckel gemacht, aber er war gesprungen. Das Publikum applaudierte. Verdammt, was der Kollege kann...

Und da, Heike! Die Zuschauer kreischten begeistert, als Heike sich über dem Cavaletti beträchtlich von ihrem Pferd entfernte und, Beine weit gespreizt, ohne jeden Körperkontakt in der Luft schwebte, aber irgendwie fanden sie und Waldfee nach dem Sprung wieder zusammen. Heike lächelte stolz.
„Heike! Schon ganz gut, der Hubschraubereffekt!“

Jetzt die Lülfs. Ich schaute gar nicht hin, versuchte, regelmäßig zu atmen und meine Ohren zu verstopfen.
„Tara! An---traben! Noch mal rum!“
„Was?“
„Noch mal auf den ZIRKEL!“ brüllte Birte. „An---ga-lopPIEREN!“
Ich galoppierte an, das verfluchte Cavaletti, ich fixierte es, als säße der Chefredakteur drauf, los Dalli, eins und zwei und -, hielt meine linke Hand wohl gut auf Schulterhöhe – und Dalli sprang! Ich sprang! Ich hatte es tatsächlich beim ersten Mal geschafft! Die Zuschauer waren wie ein Mann auf die Füße gesprungen und klatschten höhnisch.

Keine Lobeshymne von Birte. „Na also“, sagte die nur, „aber stech’ dir nicht die Augen aus mit der inneren Hand! Frau Lülf! AUF dem Zirkel geritten, habe ich gesagt, nicht DURCH DEN Zirkel wechseln!“
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 19:31:14
Cavalettistunde zum zweiten:

Die Zuschauer rutschten schon unruhig hin und her. Mir rutschte das Herz in die Hose. Bis auf etwa Knöcheltiefe.

Hans knallte Waldfee über dem Sprung voll in den Rücken, löste sich mit großer Zeitverzögerung etwas vom Sattel und landete offensichtlich sehr schmerzhaft auf der Sattelkammer. Er fluchte. „Sei ein Mann, Hans!“ ermunterte ihn Heike. „Noch so’n Sprung, und ich bin keiner mehr“, quetschte Klaus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Jetzt Tara mit Duplo. Ich erinnerte mich an den alten Spruch: Wirf dein Herz über das Hindernis... Ich warf mein Herz. Duplo warf das Cavaletti um. Das war ein feiner Erfolg für meine Zuschauer: „Schau dir doch die Alte an!“ „Was macht die überhaupt schon hier! Die lernt das nie!“

Ich war geneigt, ihnen zuzustimmen. Mir tropfte der Schweiß aus dem Helm. IchWILLreitenlernen. Ich lerne reiten.

Neuer Anlauf. Wirf dein Herz... Ich warf, mit allem, was ich hatte. Dubi warf sich hinterher. Er tat einen mächtigen Satz! In der Millisekunde, bevor ich hilflos die Augen schloß, erhaschte ich den Anblick der Hallenbewässerung knapp über mir. Sie war staubig.

„Tara, das ist ein Cavaletti! Doppeloxer kommen später“, erklärte Birte trocken. „Doppeloxer!!!!“ kreischte es von der Tribüne, „bau ’nen Doppeloxer auf!!“
Ich konnte mich nicht um sie kümmern, denn ich hing irgendwo auf der linken Seite des Sattels und hatte Mühe, wieder in die Mitte zu kommen.

Birte drehte zu voller Lautstärke auf: „Ist jetzt endlich Ruhe auf den billigen Plätzen!!!“ Sie war ernsthaft böse.
„Tara, du bist zu steif. Du muß mehr in der Hüfte mitgehen“, erklärte sie mir hinterher.
„Bin ich doch! Bin ich nicht?“
„Na jaa, ne.“

Ich war ratlos. Noch mehr in der Hüfte mitgehen? Heike, die keineswegs eine bessere Figur gemacht hatte als ich – und steif war sie wie ein Stück VA-Stahl -, schlug mir vor, einen Hula-Reifen zu kaufen. Oh Mann. Neinnein. Beine auf die Waschmaschine, Klappmesser, Treppen auf Zehenspitzen, Grätschen. Und jetzt noch ein Hula-Reifen? Das fehlte gerade noch. Also irgendwo hört’s auf.

Morgens um acht stand ich im größten Spielzeuggeschäft am Platze. Diensteifrig eilte eine Verkäuferin auf mich zu. Keinen Tag älter als achtzehn, mit diesen ellenlangen Beinen. Und SCHLANK! Ich kam mir neben ihr vor wie eine Kuh. Vom Fleischtyp. Ich will reiten lernen, sagte ich mir vor, Ich. Will. Reiten. Lernen. Ich muß beweglicher in der Hüfte werden.
„Ich hätte gern einen Hula-Reifen.“
„Einen was?“
„Einen Hula-Reifen.“
„Hula-Hoop-Reifen?“
Hula-Hoop-Reifen. Jeanshosen. Haarfrisur. „Ja, einen Hula-Hoop-Reifen. Hätte ich gern.“
Sie maß mich erstaunt: „Oh, die sind aber wirklich seit Jahren aus der Mode. Seit Jahren. Ich müßte vielleicht mal im Lager nachsehen...“
Aus der Mode. Na laß mal, Mädel. Du wirst auch mal vierunddreißig.
Das Mädel kam zurück: „Drei haben wir noch da. Gelb, pink und blau. Welche Lieblingsfarbe hat denn ihr Kind?“
Ich lachte entschuldigend: „Das Kind bin ich. Ich nehme den blauen.“
Die Verkäuferin musterte mich von oben bis unten und zurück. Ein Licht ging ihr auf. Sie lächelte mich verstehend an: „Gut für die Figur, nicht?“
Die Fetzen meiner Würde um mich raffend, schlich ich mit meinem Reifen davon. Von diesen Demütigungen war bei Horst Stern nicht die Rede...

Aber abends konnte ich es plötzlich kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Mit dem Hula-Reifen war ich als Kind gar nicht so schlecht gewesen.
Auf der Treppe sah mich meine Hauswirtin: „Na, was machen sie denn jetzt? Ein Hula-Hoop-Reifen! Ist gut für die Figur, nicht?“
„Stimmt!“
Ich zog die Vorhänge vor - mein Nachbar auf der anderen Straßenseite hätte die Bauchtanz-Vorstellung bestimmt sehr genossen - und stieg in den Hula-Reifen. Mit den Händen Schwung gegeben – und... Hula!

Nix Hula, Platsch.

Noch mal. Der Reifen platschte wieder zu Boden, wackelte dort noch zweimal höhnisch auf und ab. Ich schaute zornig zurück. Ich. Will. Reiten lernen!

Hula zum dritten. Diesmal gehorchte das Ding. Ich schaffte es dreimal rum! Verdammt, als Kind hatte ich den Reifen bis zum Kinn bringen können und dann bis in die Kniekehlen und wieder rauf. Probieren wir’s mal linksrum. Linksrum ging es gar nicht.

Es hatte zu gehen! Ich wollte ins Gelände. Dafür brauchte ich den Reiterpaß. Dafür mußte ich springen können. Und wenn ich dafür mit dem Hula-Reifen üben muß, dann tu ich das! Ich übte, bis ich blau im Gesicht war. Allmählich ging es besser. Es mußte sogar beträchtlich besser gehen, denn Hans bewunderte am nächsten Tag ironisch meinen ganz neuen Hüftschwung.

Auch die Cavalettistunden klappten allmählich etwas besser, ja, ich bildete mir ein, Heike und Hans jetzt tatsächlich schon ein bißchen voraus zu sein.

Aber so richtig war mein In-der-Hüfte-mitgehen immer noch nicht. Ich verstand einfach nicht, was die Reitlehrer meinten! Birte und ihr Kollege Kaiser (es gab drei Reitlehrer plus diverse Lehrlinge, von denen noch der jüngste besser reiten konnte, als wir es jemals können würden) waren sich ausnahmsweise einmal einig – ich war zu steif, ich ging nicht genug in der Hüfte mit.

Auf meine Bitte hin mischte sich Gertrud unters Publikum, die Inhaberin des Reitladens, die ich beim mehrmaligen Abmessen meiner Reitstiefel (wie gesagt, die Waden waren nicht Konfektionsgröße) gut kennengelernt hatte. „Du bist einfach zu steif“, murmelte sie hinterher. „Du schwingst nicht richtig in der Hüfte mit! Dein Rücken sieht aus wie ein Brett!“ Sehr hilfreich. WAS machte ich aber falsch? Ich tat mein möglichstes. Ich war ganz überzeugt, es richtig zu machen! Wenn ich doch beim Springen nur gleichzeitig in den Spiegel sehen könnte!

Ich war wirklich verzweifelt.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Christina am 07. April 2013, 19:50:33
Tara, einfach wunderbar, deine Erinnerungen!

hula hoop konnte ich auch als Kind nicht, genausowenig wie Gummitwist.

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 19:59:52
Bei Gummitwist war ich auch arg schlecht! Aber Hula konnte ich tatsächlich mal gut in grauer Vorzeit. 8)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Feder am 07. April 2013, 20:26:29
Zitat
Ich war zu Hause. „Ich muß verrückt gewesen sein. Ich hab’ zwanzig Jahre meines Lebens verschenkt!“
Eine Erfahrung, die ich auch gemacht habe.
Jaja, das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde....
und das Glück der Pferde auf der Erde. ;)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 20:32:59
Das Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde. ;D Reitest Du noch, Feder?
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 20:33:17
Cavaletti zum dritten:

Heike schlug vor, mich mit der Video-Kamera zu filmen, damit ich endlich selbst sehen konnte, was ich falsch machte. Eine Filmaufnahme! Das war mir zwar ein bißchen peinlich, aber ich nahm das Angebot trotzdem dankbar an.

Birte würde mir ausnahmsweise Waldfee geben, unser Halt-dich-fest-ich-mach-das-schon-Pferd. Heike, die sie sonst immer hatte, würde ja diesmal nicht mitreiten. Mit Waldi konnte ich mich ganz auf meinen Fehler konzentrieren. Ich konnte es kaum abwarten.

Eine Stunde vorher bereitete Birte mich schonend darauf vor, daß ich das Waldviech nicht kriegen würde. „Wirklich, ich kann nicht anders. Die Marie Kunert hat sich angemeldet.“
„Und? Soll die doch den Duplo nehmen oder irgendwen!“
„Tara, mach keinen Ärger. Die Kunert reitet nur die Waldi. Die reitet sonst nicht mit.“
„Dann soll sie es halt lassen! Ich nehme auch alle Pferde! Birte, ich reite jede Woche vier oder fünf Stunden!“
Birte war verlegen, aber unerbittlich: „Und die Kunerts reiten jede Woche zusammen sechs oder acht Stunden. Und die machen uns dann Ärger. Ich geb’ dir die Waldi ein anderes Mal.“
Keine Waldfee! Das war ein Tiefschlag. Aber es kam noch schlimmer: Alle Pferde waren schon zugeteilt gewesen, und damit nicht alles wieder umgeworfen werden mußte, sollte ich Zeppelin bekommen.

Zeppelin! Der braune Holländer war erst seit drei Wochen im Schulstall, und nur die wenigsten kamen mit ihm klar, nach allem, was ich so hörte. Nur Gernot Kunert und vier, fünf andere hatten keine Probleme mit ihm.
Birte versuchte mich zu beruhigen: „Der Zeppelin ist früher M-Springen gegangen. Der macht die Cavaletti mit links!“

Der Zeppelin vielleicht. Aber ich? Na ja. Ich biß die Zähne zusammen. Aber die blöde Kunert mit ihren Haarspängchen, die immer so freundlich lächelte, die könnte ich in den Hintern treten von hier bis Bagdad. Immer nett eisern seinen Willen durchsetzen, das hab’ ich gern!

Zeppelin. Oh mein Gott. Zeppelin. Ich stand neben dem gesattelten Pferd. Zeppelin war einfach riesig. Ich kam mit der Hand kaum bis zur Sattelkammer. Na ja, scheint ja aber doch ein Lieber zu sein.
Na los, Zeppi, auf geht’s. Du mußt mit mir springen. Geb’ dir Mühe, wir werden gefilmt!

Die Zuschauertribüne war voll besetzt. Ausgerechnet heute. Heike und ihre Videokamera standen im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Daß sie ausgerechnet mich filmen wollte, löste den ersten Heiterkeitsausbruch aus.

Ich saß auf. Das heißt, ich versuchte es. Von diesem Zeitpunkt an versagte mein Erinnerungsvermögen. Gänzlich. Heike hatte mich hinterher, nachdem ich im Reiterstübchen meine Runde bezahlt hatte – es war eine arg große Runde! -, für den nächsten Tag zu Kaffee und Film eingeladen. Dabei kicherte sie wie blöd.

Heike hatte einen geradezu professionellen Film gedreht. Mit Ton. Die Kaffeetasse in meiner Hand zitterte leicht.
Undeutliches Flirren. Tuscheln von der Tribüne. Das Bild wird klar. Ein Schwenk über grinsende Gesichter.
Die Kamera schwenkt weiter zur Bandentür. Ein heiseres Krächzen von mir: „Bahn frei!“ Birte fröhlich: „Bahn ist frei!“

Und hier kommt – Tara Chaplin!

Ich stehe mit dem elefantengroßen Zeppelin mitten in der Halle. Ich angle nach dem Bügel. Ich angle und angle. Ich habe ihn! Zeppelin macht einige Schritte zur Seite, ich hüpfe auf einem Fuß hinterher, graziös wie eine trächtige Kuh. Ich rutsche wieder aus dem Bügel.

Neuer Schwenk zu den Zuschauern. Großaufnahme: das Gesicht von Gernot Kunert. Gernot, der geschickte Zeppelin-Reiter. Kunert lacht sich halbtot. Blick zurück zur Bahnmitte: Tara Chaplin hat den Bügel wieder. Tara Chaplin krallt sich in die Mähne. Stößt sich ab mit gewaltigem Schwung. Zappelt hilflos an Zeppis Seite, kriegt das Bein nicht über den Elefantenrücken, zappelt und zappelt. Sepp eilt herbei. Packt Tara am Hintern, schiebt mit Macht. Mein Blutdruck stieg: Marie Kunert latscht durchs Bild. Sieht nett aus mit der Waldi, die blöde Kuh. Tara Chaplin sitzt! Kreischen von den Rängen, „Köstlich“-Rufe, „Absitzen! Noch mal machen!“

Großaufnahme Tara Chaplin: Tara ist sehr rot im Gesicht, Schweiß perlt auf ihrer Stirn. Tara Chaplin sortiert sich, sortiert die Zügel, reitet an. Ganz gut das Anreiten. Im Bild die Mitreiter: alle okay, nur Hans klopft wieder zuviel mit dem Schenkel. Und der Lülf rutscht immer von einer Pobacke auf die andere.

In Großaufnahme: Tara Chaplin von hinten. Mir schwappte der Kaffee über. Das verzeihe ich Heike nie! Großaufnahme von Taras Po. Der schien mir fast so groß wie Zeppelins.

Birte in der Bahnmitte: „Abteilung: Arbeitstrab! Leichttraben!“ Tara Chaplin läßt sich werfen. Zeppi wirft, was das Zeug hält. Tara hat Mühe, wieder mit dem Hintern in den Sattel zu kommen; Zeppelin geht mit mächtigem Schwung. Oh weh: Tara Chaplin verliert einen Bügel, stochert mit der Fußspitze blind und hastig in der Gegend rum, kriegt ihn wieder. Oh weh.
„Abteilung – an---galoppieren!“ Die Abteilung galoppiert an, Tara Chaplin macht es ganz gut. Gar nicht schlecht sah das aus. Ich trank einen Schluck Kaffee.

Birte baut drei Cavalettis auf. Die Abteilung hält an der langen Seite an. „Duplo – antraben! Auf den Zirkel geritten! Angaloppieren!“ Zeppi will auch angaloppieren. Eine Volte, Zeppi steht wieder. Kreischen von den Zuschauern.
„Gut, Hans! Zeppelin!“
Tara Chaplin trabt an. Geht aber NICHT auf den Zirkel, sondern bleibt ganze Bahn, schneidet die Ecken und schlingert an den Cavalettis vorbei. „Was soll das denn!“ schreit Tara Chaplin frustriert. Ihr Gesicht ist jetzt sehr rot, Schweiß rinnt ihr unterm Helm hervor. „Was soll das denn!“ johlen die Zuschauer begeistert.

Tara Chaplin schafft es auf den Zirkel. „Auf, Zeppi!“ Das kommt von Kunert, dem großen Zeppi-Reiter. Dieser Armleuchter. Der Elefant galoppiert an. Meine Hand umklammerte die Kaffeetasse. Heike kicherte und gickelte. Jetzt – jetzt kommt...

Zeppi nimmt den ersten Sprung mit Riesensatz, Tara Chaplin sieht sehr ängstlich aus; Zeppi braucht nur zwei statt drei Galoppsprünge zum nächsten Cavaletti, Tara Chaplin sieht verzweifelt aus; Zeppi erhebt sich in die Lüfte, Tara auch, Zeppi nimmt Cavaletti drei, Tara Chaplin macht den Hubschrauber und kommt vor den Sattel zu sitzen. Sie hat die Füße noch im Bügel und kann weder auf den Boden rutschen noch zurück in den Sattel.
Zeppi galoppiert brav weiter. Birte versucht ihn aufzuhalten. Zeppelin rauscht durch die Halle wie die Gorch Fock unter vollen Segeln. Tara Chaplin sitzt auf seinem Hals wie eine Galionsfigur; Großaufnahme von Tara Chaplins Gesicht: Tara Chaplin wimmert leise. Der Halswickel scheint Zeppi nicht weiter zu stören.

Die Halle kreischt, die Halle tobt, die Halle trampelt mit den Füßen, Zeppi galoppiert brav weiter mit Tara Chaplin, entwischt Birte, an den Cavalettis vorbei noch eine Runde, die Halle ist ein schäumender, lachender Aufruhr, noch eine Runde – oh Gott oh Gott, das bin ich, kein Wunder, daß die kreischen! Oh nein!!! Zeppelin hat das erste Cavaletti wieder im Blick, Zeppi zieht an - meine Füße zeigen plötzlich zur Hallendecke... endlich hat ihn Birte. Birte schüttet sich fast aus vor Lachen. Zeppelin schüttelt sich auch. Dann schüttet er mich Birte zu Füßen. Schnitt.

Ich hatte den ganzen Kaffee verschüttet. Ich versuchte ein Grinsen; mir war zum Heulen. Aber es hatte sich gelohnt: Jetzt wußte ich endlich, was ich über dem Sprung falsch machte: Ich ging ganz einfach nicht genug in der Hüfte mit! ;D ;D 8) 8)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: DragonC am 07. April 2013, 21:00:17
Herrlich! Bitte nicht aufhören!! *lachtränen wegwisch*

Ernsthaft, der Vorschlag mit dem Buch ist SUPER!!!!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Feder am 07. April 2013, 21:05:18
Das Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde. ;D Reitest Du noch, Feder?
Hm, ich bin mir nicht so sicher, ob das stimmt. Die Pferde gucken oft so komisch, wo denn der Reiter bleibt nach einem übereilten Abstieg. ;)
Ja, ich reite noch, gemütlich durch den Wald. :D
Ich trinke viel Schwedenbitter und nehme mir ein Besipiel an Dr. Samst, dem "Erfinder" des Schwedenbitter. Er ist mit 104 bei einem Reitunfall gestorben
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: SusesGarten am 07. April 2013, 21:22:35
Tara, einfach köstlich. Und so lehrreich. Ich wusste bis jetzt nicht, was ein Cavaletti ist. Ich will mehr lesen :) .

Gruß, Susanne
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 07. April 2013, 22:09:19
Hut ab, Tara, vor Deinem Einsatz für das Reiten!!!! Ich hätte an Deiner Stelle längst das Handtuch geworfen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. April 2013, 22:38:50
Bitte nicht aufhören!!

Ich will mehr lesen :) .

Wenn Ihr das nicht noch bedauert! Ich ritt immerhin noch zehn Jahre ein eigenes Pferd – da kam schon was zusammen. ;)

Ja, ich reite noch, gemütlich durch den Wald. :D

Ich beneide Dich!

Zitat
…mit 104 bei einem Reitunfall gestorben

Und das ist auch beneidenswert! Aber hallo!

Hut ab, Tara, vor Deinem Einsatz für das Reiten!!!!

Naja, Rosenfee, da ist nix mit „Hut ab“. Ich war eigentlich zu tölpelhaft fürs Reiten. Aber ich wollte in meinem ganzen Leben wirklich nichts so sehr, wie halbwegs anständig zu reiten – weil es so gut tut. :)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 00:01:35
Ich habe leider einige meiner Geschichten verloren. Und bei einigen der Notizen weiß ich gar nicht mehr, worauf sie sich beziehen... :-[ ::)

Ich hatte gehofft, jemand schreibt was von seinen Geschichten derweil. Naja, ich hatte ja angekündigt, daß es nicht chronologisch wird. Hier also erst mal ein paar der Hauptdarsteller... Das ist ein paar Jahre später, da sind Kunert und ich zu den Höhen der Pferdebesitzer aufgestiegen, wenngleich auf sehr verschiedenem Niveau, wie Herr Kunert meint. ;D

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 01:15:59
Das ganze Rhein-Main-Gebiet ist zugebaut. Aber mittendrin, eingeschmiegt in eine Mainschleife, gibt es ein kleines Dorf… In einer guten Dreiviertelstunde ist man einmal flott herumgeritten um die Gemarkung.

Hier gibt es noch Graureiher und Fasane, Rebhühner, Kaninchen und mindestens eine Fuchsfamilie. Außerdem Fachwerkhäuser und sogar noch vier Bauern, die aus praktischen Gründen alle zu Ehrenmitgliedern im Reit- und Fahrverein ernannt worden sind.

Es gibt weiter ein Schild, das ausdrücklich das Betreten des Friedhofes mit Pferden untersagt. Früher durften, wie überall, nur die Hunde da nicht rein; das waren die guten alten Zeiten! So nahm Lämmchen, der beste Pferdepfleger aller Zeiten, gern die Abkürzung, wenn er ein Pferd von der Koppel holen mußte. Und er holte viele Pferde von der Koppel, denn das Dorf ist „die Reiterhochburg“, sagt die Tageszeitung.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 01:16:45
Da sind zum Beispiel Abendfeuer und Abendglanz: Trakehner alten Schlages. Die beiden Füchse, die sich gleichen wie ein Ei dem andern (sind ja auch Halbbrüder), sind nicht mehr die Jüngsten, wie ihre Leute, die Schumanns, Träger der Echt Goldenen Vereins-Ehrennadel. Die vier erschrecken vor nichts. Ohne Gustav und Erika würden hier vermutlich alle immer nur Dressur reiten. Wenn die beiden ein Problem sehen, packen sie an. Notfalls auch eine Axt... Die großen Verdienste beider Schumis um die Reitwege und die Buschreiterei können nicht genug gewürdigt werden.

Garfield: „Mit dem schaffste es nicht mal bis zur Schwarzen Wirtin“, war das vernichtende Urteil des Reitlehrers über den feurigen jungen Braunen. Aber doch, der Bastl hat es geschafft. Und Garfield hat den Bastl in seinem jetzt 26jährigen Leben nicht nur zu allen Beiseln der Umgebung getragen – deswegen werden Bastl und die anderen Vereinsgründer die „Schoppereiter“ genannt -, sondern auch in der Dressur und beim Springen. Und bei Jagden. Und bei Faschingsumzügen. Und einmal – darüber spricht der Bastl aber nicht so gern – auch in die „Rose“, weil es den Bastl auf dem Heimweg in seine Bäckerei nach Whisky gelüstete. Die Bedienung zeigt die Stelle heute noch gern: „Do is er gestanne, der Gaul. Mit beide Vorderfüß’ uff de Theke!“...

Zeppelin: „Kopf wie ein Wasserbüffel“, hat der Reitlehrer einmal gesagt. Das meinte er aber in übertragenem Sinne, denn Zeppi ist eigentlich ein Hübscher, auf eine ländliche Art. Braun mit einer auffallenden Blesse. Eine Nummer zu groß geraten vielleicht.

 Was den Kopf betrifft, so unterscheidet sich dieser Holländer nicht sehr von seinem Menschen: Gernot Kunert. Zeppis Kumpel ist das Super-Quarter Horse Mister. Mister hat eine illustre Ahnenreihe. Ihm gehört Marie. Kunerts Herz schlägt fürs Westernreiten. Alles andere haben sie schon probiert. Sie tun viel mehr für den Reitverein, als manche meinen.

Odin: Das Dressurtalent. Dem edlen Trakehner tun manchmal schon die Füße etwas weh, worüber Gertrud sehr weint, denn auch Odins Vorgängerin, die Schwimmkartoffel, hatte es schon an den Haxen. Und wenn Odin in Rente muss, wen reitet Trudi dann? Ihr gehört das Heustadel, Reitladen und wichtiges Kommunikationszentrum. Zur Familie zählen noch Kater, Zwerg und Hund Pümmi. Und Das Kind. Niemand sieht so richtig, wie viel Arbeit Gertrud hat.

Kaschka und Kaline und Kaleya und Frosch: Trakehner Mama mit Nachwuchs. Sie teilen sich in Birte aus Hamburg und leben froh und unbekümmert um Birtes Wunsch, endlich mal ein Tier für eine der großen Auktionen zu züchten. Seitdem Birte hier als Bereiterin arbeitet, ist „An der Nordseeküste“ ein beliebtes Lied geworden. Sie ertrinkt in Arbeit, und keiner merkt’s.

Max und Moritz: Die hübschesten Haflinger, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Sie schlagen so manches Großpferd, wenn’s ans Arbeiten geht! Ihren Hafer verdient Egon Speichenrieder. Der hat’s geschafft, die Fahrer an einen Tisch zu bringen. Speichenrieder liebt die Rolle der „grauen Eminenz“, und daher sieht niemand so richtig, was er alles tut für den Verein.

Sarah: Der runde Dunkelfuchs lebt ein bißchen außerhalb unter einer riesigen Bilderbuch-Weide, zusammen mit Wildschweinen, Enten, Hühnern, Gänsen, Ziegen, Hunden und Kater Munkes. Alle werden gefüttert von Herrn Lehr. Der ist sehr nett, wenn er jemanden mag. Aber er kann auch anders! Und er liefert die Möhren für alle Pferde im Ort.

Tignous des Balmes: die Hauptperson. Fälschlich Tinjus genannt; hört auch auf Fettes Pony, Kommbub, Hedusausack, Ala, Ti! oder schlicht Ti. Araber-Berber und damit nicht ganz ernstzunehmen und im Dorf eher unter „Zirkus“ abgeheftet. Fühlt sich chronisch unterernährt. Ist nach anfänglichem Naserümpfen aber überall beliebt, im Gegensatz zu seiner Sklavin Tara. Deren Haare sind im Millimeter-Bereich. Manche mögen sie natürlich trotzdem, aber niemand schätzt so richtig, was sie alles für den Verein tut.

Arturo: Tignous’ Chef. Den mag auch jeder. Der schwarze Honecker mit Trakehner-Ahnen war schon mal Vierter in der Military-Hessenmeisterschaft. Er hat den besten Schritt weit und breit. Ganz früher hat er einem der Vereinsgründer gehört. Er ist nicht mehr ganz jung, aber wenn er ein Jagdhorn hört und Geläut, wird er sehr eindrucksvoll. Jetzt bringt er Frank das Reiten bei. Der ärgert Tara manchmal, weil er nichts von Vereinsmeierei hält. Träumt aber schon manchmal vom Dorf.

Dana: Sie ist im Gelände unschlagbar, sagt Herr Raab, der einzige, der Tignous nicht mag, weil die deutsche Kavallerie sich über so ein Pferd halbtot gelacht hätte. Herr Raab ist passionierter Amateur-Historiker. Seit Jahren versucht er vergeblich, eine schlagkräftige Kostümreiter-Truppe auszuheben. Einen Hauptmann hat diese Abteilung aber schon: Herrn Raab. Herr Raab sagt auch viel, damit im Verein alles klappt.

Arsenik:
Hübsch, talentiert und lackschwarz. Ihm gehört Sina, die alle mögen. Die ist verheiratet mit Hermann Ay, den auch alle mögen. Der sorgt meistens dafür, daß der Troß funktioniert. Ohne Manni läuft im Verein gar nichts. Das sagt wirklich jeder!

Natürlich gibt es noch viel mehr, zum Beispiel die Schulpferde vom Reitinstitut C. van Krachten. Das zehrt noch heute von seinem einstmals großen Ruf – immerhin wurden hier tatsächlich mal Neckermann und Linsenhoff ausgebildet - und wird von den Kunden geliebt.

Und die Pferde vom Stall Schmitt nebenan! Der Herr Schmitt ist Ortslandwirt und will ein modernes Pferdeleistungszentrum bauen, was manche sehr erschreckt. Untereinander mag man sich nicht so sehr.

Bei der Aufzählung der Gäulsleut’ darf man eine wichtige Person nicht vergessen: Anne. Ihre lustigen, oft bissigen Kommentare über die Theke ihres Reiterstübchens hinweg treffen meist ins Schwarze (aber nicht immer). Sie schuftet ohne Unterlaß, damit der Verein und das Institut und das Dorf bleiben, wie sie sind. Ein Dankeschön hört sie nur selten.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: DragonC am 09. April 2013, 12:18:15
Ich hatte gehofft, jemand schreibt was von seinen Geschichten derweil.
Leider kann ich wenig beisteuern, da ich nie richtig Reiten lernen durfte. Der Stall war ja sooo weit weg (einmal über den Berg, in der gleichen Stadt..) und ich war ja sooo allergisch! ::)

Komischerweise wurde die Allergie im Sommer immer besser - da durfte ich nämlich im Urlaub bei meiner Großmama in Südfrankreich immer reiten. Vom selbst-ersparten, daher immer nur einmal in der Woche.. aber immer lang ersehnt! Das waren "Ställe" mit Pferden, die an die Touristen vermietet wurden. Nuja.. :-\ immerhin konnte man "reiten".. oder besser draufsitzen. Viele Camargue Pferde waren darunter, aber auch andere Rassen. Genügsam waren sie, dass mussten sie auch sein bei den Touristen. Und der Hitze im Sommer.. puh! Immerhin wurden Mittags keine Touren gemacht. Da wären nämlich die Touristen vom Pferd gekippt.. und es wäre schlecht für die Pferde, es war einfach zu heiß.

Je nachdem, wann man da war - ob also schon viele Touristen im Ort waren oder noch nicht - wurde ins Hinterland geritten und dann durch die Dünen oder aber sogar ans Meer! Das war ein Traum.. diejenigen, die sich trauten, im Galopp am Strand entlang! :D Himmlisch. Mit meine schönsten Erinnerungen an die Sommer dort. Aber leider nur selten erlebt, da die deutschen Sommerferien selten so früh waren, dass kaum andere Touristen da waren. Dann wurde nämlich der Strand für Tiere gesperrt - Hunde und natürlich auch Pferde.

Strandreiten:
Morgens, in der recht lauen Luft, am Meer entlang, die Wellen rauschen, die Luft riecht so gut - zuerst im Schritt alle zusammen. Dann wird eine Pause gemacht, die nicht-so-mutigen Steigen ab, lassen die Pferde in den Dünen grasen. Die anderen - zu denen ich natürlich immer zählte!! ;D - im Galopp weiter.. an der Wasserlinie entlang! Gischt spritzt auf, Sand fliegt (bah schmeckt nicht), die Pferde schnaufen.. dann Halt, umkehren und zurück.

Runtergefallen bin ich nur einmal - als ein anderes Pferd im vollem Galopp meinte, seinem "Reiter" mal zu zeigen, was ein Harke ist und schwups eine Kehrtwendung Richtung Heimat und Richtung Fohlen zu machen. Leider genau in unsere Bahn.. blöd. Immerhin rutschte ich mehr oder weniger elegant aus dem Sattel, klammerte mich krampfhaft am Hals fest und schaffte es, mich von den neben mir stampfenden Beinen nicht treten zu lassen. Wann genau ich losließ, weiß ich nicht mehr - stand mein Pferd schon oder galoppierte es noch? Keine Ahnung! Passiert ist jedenfalls nichts, zum Glück. Sand ist doch recht weich.. und findet sich nachher überall. Überall!!!! ;D

Danach ging es sofort an den Strand, zu meiner Großmama, die dort schon wartete. Und ab ins Meer, alles abspülen an Stroh und Heu, was mich zum Niesen und Schniefen brachte. Keine zehn Minuten später war alles gut - alles abgespült und keine Nieserei und Juckerei mehr. Meerwasser ist toll! :D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 16:25:24
Und ein Galopp am Strand ist das allertollste! :D Weil der Sand schwingt und das sowieso schon tolle Galoppgefühl noch verstärkt. :)

Um das zu erleben, fuhren wir als blutige Reitanfänger übrigens mal eines Samstags von Frankfurt nach St. Peter Ording, um am Sonntagmorgen eine Stunde am Strand entlangzureiten und wieder zurückzufahren. Wo immer wir anhielten, sangen wir aus Leibeskräften "Was kommt denn da für 'n wüster Krach aus Frankfurt Darmstadt Offebach... Erbarme! Zu spät! Die Hesse komme!" von den Rodgau Monotones... ;D

Daß es sich da um einen schlimmen Stall handelte, der Schlachtpferde dopte und noch eine Saison mit Touristen laufen ließ vor dem endgültigen Ende, erfuhren wir erst hinterher (der Inhaber erzählte es freimütig selbst), sonst hätten wir alle drei verzichtet.

In der Camargue bin ich viel später dann mal mit dem Liebsten geritten... Es war wunderschön. :) Da beneide ich Dich um Deine Kindheitsferien, DragonC!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 17:14:00
Ich hatte vor dem Reiterpaß natürlich wieder schlaflose Nächte. Ich büffelte Theorie bis zum Umfallen. „Tara, Du machst den Reiterpaß und nicht die Prüfung zum Pferdewirt!“, stöhnte Birte, die ich unablässig löcherte. „Und Richter ist der Beneken. Das kann’s gar nicht geben, daß beim Beneken jemand den Reiterpaß nicht schafft!“

Das ganze sollte auch noch in Schwarz-Weiß stattfinden. Schwarz-Weiß! Immerhin mußten wir uns nicht tatsächlich eine teure Reitjacke und weiße Hosen kaufen – graue Hosen, weiße Bluse, schwarze Wolljacke ging auch. Es waren 32 Grad. Wenigstens richtige Reitstiefel hatte ich inzwischen.

Und ich hatte Galan, weil Birte mir ein zuverlässiges Pferd geben wollte. Ich habe Galan nie vorher und nie nachher geritten. Ein dunkler Brauner, den ich nicht mochte und der mich noch weniger mochte. Prima gelaufen. Heike hatte natürlich das Waldviech, der konnte gar nix passieren. Und Hans den Duplo.

Der Richter, ein zierlicher älterer Herr, begrüßte uns auf der Wiese unten am Fluß. „Ach, diesmal haben wir ja eine altersmäßig gut gemischte Gruppe“, rief er händereibend. In der Tat: Wir waren dreizehn - zehn unter elf, dann wir: 35, 41, 45. 8)

Die praktische Prüfung klappte ganz gut, obwohl Galan sich als etwas weniger zuverlässig beziehungsweise die gegenseitige Abneigung als stärker erwies, als Birte erwartet hatte. Und weil Beneken alle Augen zudrückte. Blaurot geschwitzt war ich hinterher trotzdem wieder mal. Und die Reitstiefel hatten mir die Kniekehlen wundgescheuert.

Und ich bekam einen Anschiß von einem mir wildfremden Menschen: Es saß da auf einem dieser Regenschirmhocker ein sehr alter Herr. „Sie haben sich nicht vornübergeneigt!“, quengelte er. Der Greis sah aus, als sei er noch bei Caprilli selig in die Lehre gegangen. Ich schnaufte und sah ihn fragend an. Er deutete auf eine wirklich kaum erkennbare, also eigentlich wirklich nicht vorhandene winzige Bodenwelle: "Sie haben sich nicht vornübergeneigt!"

Dann die Theorie. Absolut nichts von dem, was ich wochenlang gebüffelt hatte, wurde abgefragt. Dafür sollte ich die Teile des Sattels benennen. Das hatte ich gar nicht gelernt, das beherrschte ich ja seit Kindheitstagen: „Blatt, Vorderzwiesel, Hinterzwiesel…“ begann ich selbstbewußt.
„Ja, so haben wir früher mal dazu gesagt“, meinte Beneken, und als ich noch verzweifelt überlegte, piepte schon die neunjährige Janine dazwischen, das blöde Gör: „Sattelkammer, Sattelkranz!“ ;D




Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 18:06:11
Ach, der Herr Beneken! Ich sollte ihn noch oft in Aktion sehen. Er war ein bekannter Pferdemann, der weit und breit große Achtung genoß. Bei unseren Prüfungen richtete er regelmäßig.

Wobei er gerne die üppige Helene Mahlberg mit ihrem Mordstrumm von Faustus plazierte, vielleicht wirklich einen Tick öfter, als es der Mahlberg zukam. Man war nicht immer Benekens Ansicht, daß es wirklich zum Treppchen gereicht hatte.

Doch diese Plazierungen hatten einen handfesten Grund: Faustus konnte geradezu schweinisch buckeln, und das tat er regelmäßig, wenn applaudiert wurde – also bei jeder Ehrenrunde. Und dann fiel die füllige Lene oft runter, und dann platzte vielleicht das eine oder andere Knöpfchen vom Frack, oder zu Benekens großer und gar nicht klammheimlicher Freude sogar manchmal die eine oder andere Naht... Beneken konnte die Ehrenrunden kaum erwarten!

Ganz schlimm wurde es, wenn neben Ulrich Beneken noch der H. richtete. Die beiden verstanden sich in mehr als einer Hinsicht; wenn sie in der Pause im Reiterstübchen hockten, war Anne noch nicht wieder an der Theke, da kam schon die nächste Bestellung, so daß sie das Pils für die Herren Richter schließlich nur noch in Halbliter-Gläsern servierte, um nicht ganz außer Puste zu kommen...

Geritten wird bei jedem Wetter. Gerichtet also auch. Und Beneken war, abgesehen von der kleinen Vorliebe für die Mahlberg, Richter durch und durch. Da soff einmal ein kleines Turnier, bei dem er richtete, regelrecht ab. Es war auf dem Platz kaum noch ein Durchkommen. Mein Zeuge schwor, den Ulrich Beneken dort gesehen zu haben: Melone auf dem Haupte, Gummistiefel an den Füßen, Knie an den Leib gezogen - in einem knallroten Kinder-Schlauchboot…
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 09. April 2013, 20:35:13
Tara, ich geniesse diese Episoden sehr! 8)
 Du Glückliche, du durftest reiten!!! Mein Grossvater war Hu-f und Wagenschmied und hatte eine grosse Schmiede,da kamen regelmässig die Tiere von der Reitschule zum beschlagen und ich mit der Nase ganz vorne. Von Opa ein ehemaliger Offizier beim Ulanen Regiment, hätte ich direkt ein Pferd bekommen. Scheunen uns Stallungen genug um's Haus. Papa hatte es streng untersagt, der sah mein bisschen Hirn schon auf dem Asphalt kleben. :'( :'( :'( Dafür fehlte nach jedem Beschlagtag der gesammte Würfelzuckervorrat meiner Oma ;D ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 21:32:40
Danke, Irisfool - das freut mich, wenn die Geschichten ein paar von Euch Spaß machen. :)

Um Deinen Großpapa beneide ich Dich! Und den Würfelzucker hatte ich von meinem Papa, der im Außendienst arbeitete und von allen Gaststätten die Zuckerchen für mich nach Hause brachte. ;) Ich hatte immer welchen in den Hosentaschen - für alle Fälle!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 09. April 2013, 21:54:41
Tja, mein Grossvater war ein Original und weit über die Vorstadtgrenzen bekannt ;D ;D ;D ;D ;)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 22:00:19
Das ist ein guter Schmied immer, und wenn er dann noch dazu selbst ein Pferdemensch und ein Original ist... ;)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 22:44:27
Als ich mich das erste Mal für den Springplatz des Vereins interessierte, fiel mir auf, daß es keine Mauer gab. Die rotweiße Mauer hatte mir als Kind immer am besten gefallen. Hier fehlte sie. Anne klärte mich auf: Der Verein hatte tatsächlich mal eine Mauer gehabt, natürlich. Und zwar war das die Werner Fuchs-Gedächtnismauer.
 
Werner nämlich, eigentlich ein recht guter Reiter, schaffte die Mauer nie! Wirklich nie. Egal, wo sie stand, egal, wie niedrig aufgebaut: Werner flog. Immer fiel er runter! "Du machst Dir keine Vorstellung", so Anne, "der Mann kann was. Der springt Dir jeden Doppeloxer und das Billard ohne hinzusehen. Der Werner ist einfach verhext!" Er sprang allerlei Mauern auf Turnieren auswärts - kein Problem. Aber er schaffte es tatsächlich in seinem ganzen langen Reiterleben nicht ein einziges Mal über diese Mauer auf dem eigenen Platz. Das war wie ein Naturgesetz.

Viele Runden hatte Fuchs damals an seine hämischen Zuschauer auszugeben. Bis dann eines Nachts die Mauer abbrannte. Alles andere Inventar war unversehrt. Und der arme Werner kann sich bis heute des Vorwurfs nicht erwehren, er habe das Ding damals eigenhändig abgefackelt...
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 22:45:25
Es gab noch andere Naturgesetze. Meist betrafen sie das Casino, in dem immer wieder rätselhafte Dinge passierten wie die mit dem Hanuta-Manuelito. Manche Gesetze betrafen aber einfach nur den Unterricht.

Wie Werner Fuchs an der Mauer, so machte auch der gut reitende Paul Walk regelmäßig den Abgang. Bei ihm war es aber egal, welchem Hindernis er sich gerade näherte: Der springende beziehungsweise der nichtspringende Punkt war, daß er in Sibylles Gegenwart immer runterfiel. Zwischen Paul und Sibylle bahnte sich damals zart die Liebe an, das Runterplatschen war Paul also ganz besonders peinlich. Und der Arme saß immer auf dem riesigen Ilscha. Er tat also einen tiefen Fall!

Sah man aus dem Reiterstübchen, wie Paul in der Halle eben den Sand küßte, sagte bestimmt jemand: „Sibylle muß eben gekommen sein!“ Und prompt öffnete sich die Stübchentür, und Pauls Angebetete erschien.

Ich saß einmal an der Bar, als mich ein kräftiger Luftzug streifte. Ganz langsam ging die Tür zur Halle auf. Erst sah man niemanden. Die Tür wollte langsam wieder zugehen und wurde von einer zierlichen weißen Hand – in Kniehöhe - wieder aufgedrückt: Sibylle, die ihren Ruf als böser Geist endlich loswerden wollte, schlich sich tatsächlich auf allen vieren ins Casino, hinter das Geländer geduckt, damit der Walkepaule sie von der Halle aus nicht sehen konnte.
 Auch das half aber leider nichts – Sibylle, wild kichernd, hatte sich noch nicht aufgerichtet, da schoß der Walkepaule schon mit elegantem Salto vom Pferd. Erst als Sibylle endlich selbst am Springunterricht teilnahm, hörte der Spuk auf.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. April 2013, 22:45:59
Und dann gab es noch den „Zapfhahn bei C“. „Oh nicht schon wieder“, stöhnte Anne hörbar, wenn Christine oder Claudia oder Christl oder Carola kamen. Die Damen blickten befremdet und waren sehr verschnupft, bis ihnen erklärt wurde, daß Anne in ihrer Gegenwart kein Mineralwasser mehr zapfen konnte. Es ging einfach nicht! Immer, wenn eine Frau die Klause betrat, deren Namen mit „C“ anfing, streikte der Zapfhahn. Wirklich immer.

Und als die Geschäfte eine Weile lang so gut gingen, daß Anne auf Claudias Mithilfe hinter der Bar angewiesen war, mußte sie ganz schnell auf Flaschensprudel umsteigen...
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 10. April 2013, 08:48:21
Tja, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde............ ::) ;D ;D ;D :D ;) 8) 8) 8)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. April 2013, 20:48:50
Die Sitten waren streng damals. Die Sporen „verdiente“ man sich wirklich noch, es ging nicht an, einfach welche zu tragen! Mit dem Roten Rock war das ähnlich – nach dem zehnten Sieg in der schwersten Klasse durfte man ihn tragen, ebenso nach der zehnten Jagd hinter der Meute im springenden Feld. Man war trotzdem gut beraten, dann nicht gleich ins nächste Reitsportgeschäft zu stürmen, um sich einen zu kaufen, sondern noch eine Weile zu warten, bis eine Respektsperson so nebenbei fragte: „Haben Sie eigentlich keinen Roten Rock?“ Und rot trugen nur die Männer, basta. Heute tragen selbst Frauen bei ihrer allerersten Reitjagd oft einen Roten Rock. O tempora, o mores!

HACH, was war ich stolz, als ich mir die Sporen verdient hatte! Als Kaiser im Unterricht – vor allen anderen, ich wuchs bestimmt gute fünf Zentimeter! – so nebenbei gesagt hatte: „Du könntest Dir auch mal ein paar Sporen besorgen“, sang ich den ganzen Weg bis nach Hause.  Ein paar Wochen später durfte auch Hans Sporen tragen. Hans platzte genau wie ich schier vor Stolz. Damit’s auch keinem entging, kam er damit nach der Stunde ins Reiterstübchen.
„Hans, zieh’ die Sporen aus!“, zischelte ich.
Hans, der dachte, ich wolle ihm die Freude verderben, wurde bockig, und er konnte sehr bockig sein.
„Hans, das kostet Dich ’ne Runde!“
„Seh’ ich gar nicht ein“, erwiderte Hans pampig. Er glaubte mir auch nicht. Er streckte die Füße richtig weit unterm Tisch vor. Die Sporen schimmerten.
Keine fünf Minuten später hatte der Goldstaub-Schulz – der so hieß, weil sein erstes Pferd vor drei Jahrzehnten Goldstaub geheißen hatte und weil man ihn von all den anderen Schulzens ja irgendwie unterscheiden mußte, und Goldstaub-Schulz würde er heißen bis ans Lebensende - die Sporen entdeckt:
„Lokalrunde!“
Freudiges Aufmerken an allen Tischen. Es waren viele Tische.
Hans wurde noch pampiger: „Seh’ ich gar nicht ein!“
Der arme Hans hatte immerhin Frau und Kind, und das edle Reithobby zog schon genug vom nicht allzu üppigen Redakteursgehalt ab. Eine Lokalrunde – das Stübchen war fast voll – müßte er seiner Frau erstmal erklären. Lieber versuchte er einen Kampf mit der versammelten Reiterschaft. Aber er hatte keine Chance – er sah bald ein, daß er im Dorf nie wieder einen Fuß auf den Boden kriegen würde, wenn er diese Runde nicht ausgab.

Auch ansonsten galt es allerlei zu beachten: Es war zum Beispiel ungeschriebenes Gesetz, nicht mit offenem Haar zu reiten. Man hatte keine weiten Oberteile zu tragen – „Wie soll ich denn bitte Ihren Rücken sehen können, Frau Schwerleberg!“, und die engen Oberteile hatten, ungeachtet des Körperumfangs des Reiters, in der Hose zu stecken. Was ich immens bedauerte. Jacken hatten geschlossen zu sein. Übertretungen kosteten keine Runden. Aber der Reitlehrer – Birtes Chef Wolfi war vom alten Schlag – machte einen so rund, daß man weinend flüchtete und es nie, nie wieder tat.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. April 2013, 20:49:28
Runden waren allerdings zu zahlen fürs „Schleifen begießen“. Gut, das kam ja nun nicht allzu oft vor. Leider.

Des weiteren für:
- Stroh im Schweif
- Gerte fallen lassen
- selbst runterfallen
- den Tetenreiter überreiten
- und der Lumpensammler hatte, egal was kam, immer hinten zu bleiben!
Da focht ich später manchen Kampf mit dem Fetten Pony aus, das nach dem Motto „lieber tot als zweiter“ vorging und nie so recht einsehen wollte, warum es ganz hinten gehen sollte. Wir hatten es leider meiner Stimme zu verdanken, daß ich gerne als Lumpensammler eingesetzt wurde, denn wenn da so ein Mädel piepte „Die Conni ist runtergefallen!“, dann konnte das dauern, bis es sich zur Tete durchgesprochen hatte. Wenn ich rief „Haaaalt!“, hörten das problemlos alle, meine Stimme trug.

Wenn die Stimmung gut war und ausschließlich fortgeschrittene Reiter dabei waren, gab’s übrigens fest eingeplante Extra-Runden: Indem nämlich die Tete (die so was natürlich konnte) die große Abseits-Falle aufbaute, nach sehr kurzem Kommando schnell aus dem Galopp in den Schritt durchparierte. Und schon schossen die Reiter links und rechts dran vorbei…

Ordentlich und sauber hatte man natürlich auch zu sein. Nach dem Ritt frischte man sich also in den Umkleideräumen etwas auf, säuberte die Stiefel und betrat das Reiterstübchen, um die Runde zu genießen oder aber eben auch zu bezahlen. Wo ich bald von Anne mit den Worten in Empfang genommen wurde: „Machst Du Dir die Stiefel auch unten am Waschbecken sauber?“
Ich nickte, meine Pflicht getan.
„Kannst Du das nicht vielleicht wie ein normaler Mensch an den Tischbeinen machen?! Alle Naslang ist unten das Waschbecken verstopft!“

Die Runde wurde mit Zeremoniell eingenommen.

Einer: „Ein dreifach kräftiges Horridoh!“
Alle: „Joho!“
Einer: „Horridoh!“
Alle: „Joho!“
Einer: „Horridoh!“
Alle: „Joho!“
Einer: „Hussassa!“
Irgendwer: „Packt die Sau am Schwanze!“
Anne von der Bar her: „Fürchtet euch nicht!“

Die arme Birte lernte es nie. Bei ihr im Norden hieß das nämlich „Hufschlag---frei! Hufschlag---frei! Hufschlag---frei!“ Wenn sie, was sie zu vermeiden trachtete, hier mal den Vorsänger abgeben mußte, würgte sie regelmäßig ein „Horrido! Hu-hurrido! Huuuooo-rido!“ hervor.

Der dänische Thomas, der seinen Militärdienst bei der berittenen Garde Ihrer Majestät abgeleistet hatte, führte später kurzfristig eine neue Sitte bei uns ein: Unter seinen Offizierskollegen setzte man einen Fuß auf den Stuhl, den anderen auf den Tisch, wenn man einen Reiter-Trinkspruch aussprach. Nun weiß man natürlich nicht, ob die auch fast jeden Tag zu Trinksprüchen Gelegenheit hatten. Anne jedenfalls, sonst Neuerungen gegenüber stets sehr aufgeschlossen, hielt dies für einen weniger schönen Zug von Thomas und sah es mit großem Mißfallen, zumal in den zwei Jahren mit Thomas ihr Gläservorrat erst ernsthaft in Gefahr geriet und sich zu vorgerückter Stunde regelmäßig sehr dezimierte.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. April 2013, 23:42:19
Gefeiert wurde auch ansonsten viel. Bei den Mehrtagesritten, oder wenn einer der Alten (Die Schoppereiter) groß zum Geburtstag einlud. Das war immer rustikal, mit Lagerfeuer, und mit Singen, und mit Musik.

Die Musik setzte sich folgendermaßen zusammen:

Trompete (der J., Startrompeter beim Landesrundfunk)
Mundharmonika (Goldstaub-Schulz, und der konnte was!)
Quetsche (der Schumann-Gustav, einfach göttlich)
Roppgei’ (der Bastl).

Ich habe niemals jemanden getroffen, der aus einer Teufelsgeige soviel herausholen konnte. Die Roppgei’ („Rupfgeige“ für Nordlichter) war allerdings nicht immer dabei. Denn der Bastl nahm sie gerne gewohnheitsmäßig mit, wenn er irgendwo hinging, und wußte, wenn er dann ohne sie aufwachte, meist nicht mehr, wo er sie diesmal wieder stehengelassen hatte... Doch sie fand sich immer wieder ein, irgendwer gab sie früher oder später in Bastls Bäckerei oder im Casino ab.

Ob es aber Musik gab oder nicht, darüber wachte streng Gustavs Gattin Erika. Nicht, daß der Gustav sich etwa zum Aff’ machte und für andere den Unterhalter spielte! Der Rahmen mußte schon stimmen.

Hans, Heike und ich wurden von den Alten schon als Anfänger oft eingeladen. Das war natürlich nicht, weil wir so nett und hübsch waren, sondern weil einem ein so fetter Brocken wie gleich drei von der Zeitung auf einmal nicht jeden Tag in den Schoß fiel. Das mußte man ja irgendwie nutzbringend verwenden können!: Werbung fürs Institut (die Bereiter), den Verein (die Schoppereiter) und für den Breitensport allgemein (der dem Schumann-Gustav so am Herzen lag).
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. April 2013, 23:44:53
Das erste Fest, zu dem wir geladen wurden, fand beim Rübezahl in M. statt, einem Bauernhof einen Tagesritt entfernt. Es war dort wunderbar – Wald, Wiesen, ein kleiner Tümpel mit giftgrüner Entengrütze, eine große Feuerstelle, und die Schumis hatten vom Feinsten auftischen lassen, aber für mich war das allerfeinste, als Schumann dann am Lagerfeuer die Quetsche auspackte – singe ich doch nicht gut, aber für mein Leben gern!

Als ich ein paar Wochen später mit der Bärbel, der Frau vom Bastl, im Reiterstübchen an der Theke saß, vertraute sie mir an: „Mir hawwe alle gedacht, was will denn die hier mit dene kurze Hoarn. Aber dann hawwe merr gemerkt: Die kennt ja alle Lieder! Und da hawwe merr nochmal nachgedacht.“ Bei den Alten, so konservativ sie sonst waren, war ich damit akzeptiert. Und immer, wenn ich die Bärbel hinfort zu vorgerückter Stunde sah, mußte durfte ich mit ihr die unendlich vielen Strophen von „Ein Schifflein sah ich fahren/Capitän und Leutenant“ singen.

Nicht alle sangen natürlich gern, auch nicht beim Rübezahl. Und manche hatten schlichtweg anderes zu tun. Sie verdrückten sich ins Gebüsch hinter den Wiesen – die einen, weil sie zu vorgerückter Stunde das Plumpsklo nicht mehr fanden, die anderen um amouröser Abenteuer willen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. April 2013, 23:46:17
Walter Gardes aber stand am Feuer und sang. Gardes hatte einen wunderbaren Bariton. Und statt Bankangestellter wäre er sehr viel lieber Opernsänger geworden. Der ausgeprägte hessische Dialekt und ein noch ausgeprägteres Lispeln hatten das zu seinem großen Kummer leider verhindert. Aber es waren Sternstunden für ihn, wenn er für uns singen durfte. „Der alte Orgelmann“ war sein Glanzstück.

Gefühlvoll klang es durch die Dunkelheit. Und als er eben mit Verve beim Schluß war - „Eines Tages werd’ ich sie/dem Museum schenken/und den Schwengel feierlich/tief im Main versenken“ -, da kam aufs Stichwort „versenken“ ein so lautes „Platsch!“, daß wir alle aufschreckten. Da konnte nur jemand in den Tümpel gefallen sein. Die wenigen Nüchternen sprinteten hin und kamen gerade rechtzeitig, um dem Windspiel-Gerd eine Bohnenstange zureichen zu können: Es war nicht die Wiese gewesen, auf die er hinausgetreten war, sondern die Entengrütze.

Noch Jahre später sagte der Windspiel-Gerd manchmal spätabends versonnen: „Ihr glaubt gar nicht, wo man überall Entengrütze haben kann!“

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: mmoebiu3 am 11. April 2013, 15:29:16
Hallöchen! :D

Bin zufällig hier auf diesen Thread gestossen...und ich muss sagen es liest sich wie aus einem Buch. Es macht richtig spass! :D

Ich bin selber Reiter und werde hier wohl öfters mal reinschauen. Kurz zur meiner Reikarriere:
Hab als Jugendlicher angefangen...bei einem Bauern...halb wild...ritten wir teilweise durchs Gelände, zu zweit, ohne Sattel und diese zeit möchte ich auch nicht missen. Wir hatten so viel Spass!! Leider hatte ich dann durch die Trennung von meinem Freund 7 Jahre Reitpause und ich muss sagen es war echt schwer. immer wenn ich ein stoppelfeld sah träumte ich wie ich dieses entlanggaloppiere. Glücklicherweise fragte mich dann nach langer zeit eine freundin ob ich mit beginnen wollte reitstunden zu nehmen, was ich auch tat. In einem Reitstall mit rund 40 /50 pferden.. für mich ganz ungewohnt, da ich ja diesen Umfang an Ställen kaum vorher kannte. Ganz nebenbei gesagt hatte mein damaliger schwiegervater auch pferde .. also eine super kombi auch da wieder Fuss zu fassen.

An meinem 31 Geburtstag ereilte mich das größte Glück. Mein schwiegervater schenkte mir sein erstes Fohlen (damals 3). Für mich damals eine schier unmögliche Herausforderung gewesen, die ich mit vielen Hürden irgendwie doch bewältigt bekam. Jedoch vor rund einem Jahr trennte ich mich von meinem mann und meine Pferdebesitzerkarriere nahm ein Ende. Da es für mich unmöglich war (finanziell und zeitlich) meinen heissgeliebten schimmel zu halten musste ich ihn wieder hergeben, was mir fast das herz brach. Er ging noch einmal in beritt und wurde dann an eine erfolgreiche vielseitigkeitreiterin verkauft...(mittlerweile glaube ich schonwieder verkauft)...die Maus ziert immer noch heute meinen desktop..und hätte ich alles geld der welt - ich würde ihn egal für welchen preis zurückkaufen.

nun ja...die frage war dann was ich tun sollte...ich hatte auch vor mal das reitabzeichen zu machen und aber nach rund 3 jahren reitunterricht tat sich fast gar nichts. Ich kam kein stück nach vorn, dümpelte nicht mal auf e niveau herum, der unterricht wurde immer mieser und das einzigste was mich noch dort hielt waren die schönen stunden nach dem Unterricht (wenn ihr versteht ;D )

durch zufall bin ich jetzt bei einer privaten dame gelandet, welche mir einzelstunden gibt. es stehen 4 pferde dort und ich muss sagen es ist fast wie früher, endlich lerne ich mal was dazu und das erste turnier ist auch greifbarer denn je :D

so ich hoffe ich habe nicht zu viel geschwafelt und freue mich mehr von dir zu hören (lesen)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 11. April 2013, 19:56:35
Hallo mmoebiu3!

Haben wir hier eigentlich tatsächlich schon mmoebiu1 und mmoebiu2? ;D

Zitat
immer wenn ich ein stoppelfeld sah träumte ich wie ich dieses entlanggaloppiere.

Wie ich das verstehen kann! Ich vermisse das Reiten fürchterlich.

Zitat
Da es für mich unmöglich war (finanziell und zeitlich) meinen heissgeliebten schimmel zu halten musste ich ihn wieder hergeben, was mir fast das herz brach.

Und das kann ich noch besser verstehen...

Zitat
die schönen stunden nach dem Unterricht (wenn ihr versteht

Ich meine zu verstehen. Packt die Sau am Schwanze! 8)

Zitat
endlich lerne ich mal was dazu

Klasse. Es geht sowieso nichts über Einzelunterricht! Dann viel Erfolg beim Turnier! :) :)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 11. April 2013, 20:01:22
Die Musik hatte dem Gustav übrigens mal einen Zweitagesritt gerettet.

Gustav war einer der ersten Berittführer der Republik. Er nahm die Sache so ernst, wie sie es verdient. Er hatte sogar seine ganze Familie für diesen Zweck eingespannt. Er bereitete mit Erika alles pingelig vor und nach. Vor mir liegt ein Rittbericht in seiner altmodischen Handschrift: Teilnehmerzahl, Wetter, Mondstand, Kilometerzahl, Länge der Pausen, alles ist akribisch verzeichnet, bis hin zum erlösenden „keine besonderen Vorkommnisse“.

Er setzte natürlich seinen Stolz darein, alle heile nach Hause zu bringen. Ohne besondere Vorkommnisse. Und da führte er mal einen Beritt vom Rübezahl zurück. Er etwas verkatert, die Reiter nach einer wunderbaren Nacht alle schwer verkatert und nicht allzu gut gelaunt. Es war sehr kalt und feucht, manche hatten Mühe mit den Zügeln, so steif waren die Finger. Aber bald hatten sie es geschafft!

Da senkte sich auf einmal der dickste Wattenebel auf die Landschaft, den man seit Menschengedenken gesehen hatte. Man sah noch die Hand vor Augen, aber nicht mehr die Hufe des eigenen Pferdes. Schumann, der gedacht hatte, er könnte in 20 Kilometer Umkreis auch blind reiten, so gut kannte er die Gegend, wurde hier eines besseren belehrt.

Die Truppe kam endlich an eine Hecke, die er noch nie gesehen hatte. Beim Versuch, da rauszukommen, merkte er, daß er seinen Beritt im Kreise geführt hatte. Es war einfach alles nur schrecklich.

Im Casino saßen derweil seine Frau und Anne, nagten an den Fingernägeln und fanden es auch nur schrecklich. Die Truppe war seit zwei Stunden überfällig. Was tun? Anne konnte den Posten nicht verlassen. Erika war nicht mehr die Jüngste und hatte schon zwei Jägermeister getrunken...

Da nahte die Rettung in Gestalt des Startrompeters. Der J. wollte nur ein gepflegtes Pils trinken vor der Dressurstunde. Die beiden verdonnerten ihn, nach den Reitern zu suchen.

„Spinnt Ihr? Ich bin froh, daß ich hergefunden habe! Ich fahre keinen Schritt weiter, ich rufe mir nachher ein Taxi!“
„Du sollst nicht fahren, Du Dabbes, Du sollst reiten“, beschied ihn Erika.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 11. April 2013, 20:04:00
Anne assistierte: „Den Main wirst Du ja wohl nicht verlieren können! Du bleibst einfach auf dem asphaltierten Fahrradweg!“

Zwei entschlossenen Damen hatte der arme J. nichts entgegenzusetzen. Er stürzte das Pils hinunter. Dann ließ er sich noch einen Doppelstöckigen geben. Dann ließ er satteln.

Und als Gustav seinen Beritt mit mittlerweile sehr dünnen Nerven eben zum drittenmal im Kreise führte, meinte er auf einmal, einen hohen, dünnen Ton zu hören. Er wartete eine Weile ab. Er hörte den Ton wieder. Seine fast abgesoffenen Lebensgeister regten sich: „Da! Hört Ihr des?!“ Niemand hörte was. Aber Gustav hörte den Ton wieder. Eine Trompete! Also es könnte wenigstens eine sein. Und es gab weit und breit nur eine.

Er arbeitete sich mit seiner Gruppe in Zickzacklinien auf diesen Ton hin vor. Dann war er sicher: Abwechselnd mit dem unheimlichen Tuten von Mainschiffen hörte er eine Trompete! Und endlich, endlich tönte die Trompete so laut, daß auch die halberfrorenen Reiter sie alle hörten, und siehe da, sie standen auf einmal an der Mainfähre in M.!

Und da stand im wabernden Nebel der J. und blus und blus, immer den selben hohen Ton; und zwar stand der Startrompeter des Landesrundfunks, schon bläulich im Gesicht, auf dem Arsch seines Pferdes, damit der Ton weiter tragen möchte, und blus und blus. Wohl noch nie war seine Kunst höher geschätzt worden.

Wie gut uns doch die Musik tut!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 12. April 2013, 08:58:27
Noch Jahre später sagte der Windspiel-Gerd manchmal spätabends versonnen: „Ihr glaubt gar nicht, wo man überall Entengrütze haben kann!“

DAS Gefühl kenne ich. ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. April 2013, 18:37:56
 ;)

Es kann nicht oft genug betont werden, daß es ohne Schumis im ganzen Kreisgebiet wohl überhaupt keine Reitwege gegeben hätte. Dafür hatte Gustav, als bisher einziger neben dem Vereinsgründer, sogar die Echt Goldene Ehrennadel bekommen.

Seine Verhandlungen mit Land- und Forstwirten und allerlei Ämtern waren Legende. Seine Anzeigen wegen Beleidigung auch.

Niemand konnte so charmant eine Reitkappe ziehen wie Schumi, wenn es galt, der Reiterei Freunde zu gewinnen. Und keiner konnte so in Rage geraten, wenn das nichts nutzte. Selbst Erikas warnendes ,,Gustav, halt's Maul!" - zartere Töne drangen dann gar nicht mehr zu ihm durch - konnte ihn nicht immer bremsen. Und Kleingeisterei empörte ihn mehr als alles andere; über Kleingeisterei konnte er fast einen Schlag kriegen.

Das war zum Beispiel das mit dem Pokal.

Da führte Gustav also mal einen van Krachtenschen Beritt ein paar Gemarkungen weiter - ausschließlich auf den korrekten Reitwegen natürlich. Doch da sah Reitlehrerin Dora einen Parallelweg; KEIN Reitweg, aber viel schöner, wie geschaffen zum Galoppieren und eigentlich viel zu schade für andere Waldbenutzer: fester Sandboden ohne eine Wurzel, ganz leicht bergauf - da lachte einem das Herz im Leibe beim Hinsehen, man wollte doch endlich mal wieder so richtig die Sau rauslassen!

Ach bitte BITTE, Gustav... Schumi gab zögernd nach. Charmanten Frauen konnte er nicht lange widerstehen; einem anständigen Galopp sowieso nicht.

Der Schnäuzer vibrierte: ,,Könnd Ihr all reide?"
„Jaaaa!“
Schumis Arm beschrieb einen großen Kreis: ,,Aaaaaa-dacke!"

Die Schulpferde streckten sich - so eine Gelegenheit gab es auch für sie nur einmal im Jahr; Ilscha ,,der Ilsch" kämpfte gegen den Walkepaul, lieber tot als Zweiter; Waldfee zischte rechts an ihm vorbei, das Waldviech hatte den Bauch fast am Boden, Jodler gab einen begeisterten Quietscher von sich, als er der Waldfee hinterherschoß; das Fettepony buckelte voll Wonne und erinnerte mich nachdrücklich daran, daß es eigentlich ein orientalisches Vollblut war; es war, als hätte ich selbst vier Beine...

Die Strecke war fast drei Kilometer lang; die Pferde zeigten, was sie konnten. Der Wind sang uns in den Ohren, der Boden federte herrlich, oh Glück der Erde, es war eine Lust zu leben!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. April 2013, 18:39:57
„Durchbariiiiiieeeeeern!!!!!“, brüllte da Gustav verzweifelt.

 Die wilde verwegene Jagd kam stotternd zum Stehen - und zwar mitten in einer Schonung. Niemand hatte rechtzeitig die Bremse ziehen können. Und das war nicht das Schlimmste: Die Schonung war nämlich recht belebt.

 Eine ganze Kolonne Waldarbeiter stand da und starrte uns offenen Mundes an. O Schitt, Frau Schmitt... Und aus unzulänglicher Deckung hinter einem Bäumchen tauchte der Förster auf, der offensichtlich Angst gehabt hatte, über den Haufen geritten zu werden. Eiverdammich, das gab Ärger...

Gustav, nach dem Galopp noch etwas schnaufend, zog mit Grandezza die Kappe wie ein altvenezianischer Grande den Federhut und schaffte es, gleichzeitig souverän und schelmisch bittend auszusehen.

,,Ghude Daach! S'dhud merr leid! Merr komme aus X und hawwe uns verridde! Und..."
,,Sinn' Se wahnsinnisch?!" blökte der Förster, auf den Artigkeit verschwendet schien.
,,S' dhut merr leid, awwer merr konnde nedd..." Gustav blickte so charmant, wie er konnte, und er konnte sehr charmant blicken.
,,Se wisse nedd, daß Se innere Schonung nix verlore hawwe?!!" Der Förster stand da, Hände in den Hüften, wie ein kleiner Diktator.
,,Also es dhud merr leid, awwer merr konnde nedd reschdzeidisch bremse, merr hawwe volle Fahrd gehabd...!"

Der Förster sah mit Abscheu auf Tignous, der genüßlich an einer kleinen Fichte knabberte. Hastig nahm ich die Zügel auf. Der Förster mandelte sich auf: ,,Se hädde uff dem Weesch gar nedd reide dürfe! Des misse Se doch wisse!"

Langsam wurden die Pferde unruhig. Grünzeug gab's für die Schulpferde sonst nie, und hier standen die Menschen rum, wo einem das Futter geradezu ins Maul wuchs. Gustav holte tief Luft und knallte sich den Helm wieder auf den Kopf.

,,Also, s'dhut merr ja leid, awwer nu isses bassierd. Merr wolle Ihne ja nix kabuddmache, und merr mache Ihne aach nix kabudd. Merr reide jetzt aaner hinnerm annern im Gänsemarsch...." Gustavs Stimme klang schon wesentlich weniger verbindlich.

Resina machte einen Schritt vorwärts. Jack ebenfalls, er hatte einen saftigen Grasbüschel erspäht. Der Grüne, der Pferde offensichtlich für Fleischfresser hielt, ging vorsichthalber wieder in Deckung. Hinter seinem Bäumchen hervor brüllte er, nun zornrot im Gesicht: ,,Hier werd nedd geridde! Ihr reid't merr nedd durch mei Schonung!"
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. April 2013, 18:55:26
,,Ei, solle merr denn flieje?! Wenn merr enaus misse, misse merr reide! Do is ja de annere Weesch, merr kann ihn ja sehe, des sinn doch kaa dreißisch Meder nedd!" Gustavs Stimme hatte an Schärfe zugenommen.
,,Kehre Se um!"
,,Wenn fuffzeh Ferde hier Kehrd-um-marsch mache, was meine Se, wie Ihne Ihr' Schonung hinnerher aussiehd?"

Unser Berittführer lief allmählich auch rot an, der Schnäuzer sträubte sich. Kleingeisterei! Ohne Sinn und Verstand!
,,Ghuder Mann, ei so sinn Se doch verninfdisch, merr reide im Gänsemarsch ennübber uff de annere Weesch!" Gustav kochte.

,,Se solle zurückreide! Hier beschdimm isch!" Dramatisch stellte sich uns der Förster mit ausgebreiteten Armen in den Weg
,,Dem explodiert gleich der Herzschrittmacher", flüsterte der Walkepaule neben mir mit Stentorstimme.
,,Mir beschdimme Se gar nix!" Gustav tobte. ,,Des is doch hirnverbrannd! Des is doch begloppd! Ei Se hawwe doch nedd alle Dasse im Schrank!"

Er umfaßte uns alle mit gefährlichem Blick, ein Auge weit aufgerissen, das andere zusammengekniept; Schumi holte tief Luft und brüllte im besten Kasernenhofton: ,,Abteilung!------Zu--Einem!------MARSCH!!!"

Wir formierten uns fügsam und ritten an. Der Förster spritzte aus dem Weg, hechtete hinter das nächste Fichtlein und zeterte: ,,Isch werd Se oozeische! Des zahl isch Ihne heim! Oozeische werd isch Se!"

,,Ei, leckmichdochamarsch!!!" schrie unser Berittführer; drehte sich um: ,,Am Arsch könne Se misch lecke! Und wenn se misch verklage wolle: Isch bin de Gustav Schumann und wohn in X, Rilkestraß hunnertzeh! Se sinn ja meschugge!"

Auf dem anderen Weg angekommen, zog unser Führer ein großes gewürfeltes Taschentuch und wischte sich das Gesicht.
,,Der spinnd wohl! Der is ja dodal blemmblemm! Schonung kabuddmache! Sei Schonung geredded haww isch em! Umkehre! So en Arschloch!"

Er blubberte noch, als er die Geschichte abends, Wort für Wort, der Erika erzählte. Und am nächsten Tag im Reiterstübchen auch noch.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. April 2013, 19:04:00
Natürlich hatte die Sache ein Nachspiel: Schumann bekam eine Strafanzeige. Achtzig Mark sollte er berappen für das unerlaubte Betreten einer Schonung!

Beim Gedanken an den Förster brach seine ganze Verachtung für die Kleingeisterei im allgemeinen und die des Grünen im besonderen wieder durch:
,,Betreten! Eneigerast sinn merr! Do konnd doch kaaner mehr was mache! Awwer mei Reschtsohwald macht derr da e Sach draus. Des brauch isch merr nedd gefalle ze gelasse! Isch zahl kaa achtzisch Mack! Noch kaa zehn nedd!“

Sein Schnäuzer sträubte sich.

„Vor drei Monaten habe ich den Pokal des Hessischen Forstministers bekommen“, – aus lauter Verachtung sprach er jetzt Hochdeutsch - ,,für jahre-lan-ges vor-bild-liches Ver-hal-ten in Wald und Flur! Und jetzt kommt so en Arschloch..."

Der Widerspruch wurde abgelehnt; die Sache kam vors Verwaltungsgericht Darmstadt.

Erwartungsvolle Stille herrschte im vollbesetzten Gerichtssaal. Von Gustav nichts zu sehen.

Und plötzlich: Rumms! Auf sprangen die Flügeltüren mit lautem Schlag, herein schritt der Berittführer, in den Händen den Pokal des Forstministeriums, als wär's der heilige Graal, lenkte seine gemessenen Schritte zum anderen Ende des langen Saales und - haute dem verdutzten Richter seine Trophäe auf den Tisch, daß es knallte!

Doch der Schuß ging leider nach hinten los. Der Richter verdonnerte den perplexen Gustav nämlich zu zweihundert statt achtzig Mark!

Aber die Demonstration mit dem Pokal hatte sich wenigstens gelohnt: Hätte er nämlich nicht anhand des Glitzereimers beweisen können, daß er sich ansonsten eines vorbildlichen Verhaltens befleißigte, so der Richter, hätte er sogar vierhundert Hühner blechen müssen...
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Eva am 12. April 2013, 19:14:38
Schöne Geschichten 8)

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. April 2013, 19:49:45
 :D

Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich diese Zeit vermisse.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Katrin am 12. April 2013, 20:33:55
Tara, ich lese auch begeistert mit. Ich reite nach 8 Jahren Pause seit letztem Sommer wieder (ich hatte mir geschworen, nachdem ich JEDEN Tag ans Reiten gedacht habe, sofort, sobald ich einen Job habe, wieder damit anzufangen und hab tatsächlich am Tag der schriftlichen Zusage noch telefoniert :D ), allerdings "nur" ein kleines Pony - da ist Kleinsein mal ganz praktisch - bei einer lieben Hobbypferdehalterin 15min zu Fuß von meiner neuen Wohnung. Erst gegen Bezahlung, jetzt gegen Mitarbeit - ich bin so froh, dass ich diese Gelegenheit gefunden habe!

Meine Erlebnisse sind nicht so spannend bisher, im Winter vor Freude buckelnde Ponys und Abgänge wegen Bergablaufens, Ausrutschens und Plötzlich-Hinlegens kennt ihr ja wohl alle ;) . Habe jetzt Longieren gelernt und arbeite auch mit dem Warmblut, da darf ich dann im Sommer ran.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: RosaRot am 12. April 2013, 23:02:09
Tara, Deine Geschichten sind herrlich. Habe jetzt alles durchgelesen und mich köstlich amüsiert. Und wie es sein soll bei guten Geschichten: alles ganz farbig und mit Ton vor dem inneren Auge...

Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Zausel am 13. April 2013, 11:41:58
... alles ganz farbig und mit Ton vor dem inneren Auge...
Das mit der Geschichte geht, aber am Ton vor dem inneren Auge muß ich noch arbeiten. ;)
Tara, die Geschichten sind einfach klasse!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Touluser am 13. April 2013, 14:51:43
 ;Dklasse geschrieben. wirklich drehbuch reif.......
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 16:15:39
Ich danke Euch für den Zuspruch! :D

Katrin, das ist ja toll, daß Du nach so langer Zeit eine Reitbeteiligung gefunden hast! :) Was ist das für ein Pony? Und im Sommer dann den Großen - was ist das für einer?

Klar kenne ich Abgänge wegen Bergablaufens und Ausrutschens. ;D 8) Aber plötzlich hinlegen? Gestürzt, oder läßt sich das Kerlchen einfach plumpsen?
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Gartenhexe am 13. April 2013, 16:58:39
Tara, jeden morgen, wenn ich an den PC gehe, sind erstmal Deine Pferde- und Reitgeschichten dran. Dein Schreibstil ist köstlich! Du solltest es wirklich als Buch herausbringen.

Ich habe lange nicht so gelacht, wenn auch nur innerlich.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:00:55
 :D :D :D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:01:47
Faschingsreiten! Musikreiten! Birte und ich wollten diesmal als Paar reiten. Viel Zeit für ein aufwendiges Kostüm hatten wir beide nicht.

„Wir schmieren uns einfach Farbe ins Gesicht und sind Schwarze“, schlug Birte vor.
„Au ja, wilde Wilde. Aus dem wilden Afrika. Und Tignous wird ein Gnu.“

In zwei Stunden hatten wir unsere Ausrüstung beisammen. Ich trug meine Zebra-Hosen und schlang mir einfach einen Fetzen um den Oberkörper. Birte, die Frau van Krachtens Wilander reiten würde, kriegte meine Pluderhosen und wickelte sich einen Turban ums Haupt. Bewaffnet war sie mit Pfeil und Bogen, ich mit einem Speer, da ich sowieso gewohnt war, einhändig zu reiten.

Statt des Sattels kriegte Ti nur ein Heidschnuckenfell mit dem Longiergurt (was praktisch war, denn am Longiergurt konnte ich einen Sporenriemen befestigen, falls ich mich doch mal festhalten mußte). Willi blieb ganz nackt, weil wir keine zweite Heidschnucke hatten.

 Zaumzeug bastelten wir aus Strohbändern, Zügel aus einer alten Federboa. Tignous, Schweif eingeflochten, wurde durch zwei große Papphörner zu einem sehr überzeugenden Gnu, Frau van Krachtens Augapfel mutierte mittels Sprühfarbe blitzschnell zum Zebra (gut, daß die Prinzipalsgattin ihren edlen Trakehner so nicht zu Gesicht bekam. Birte schwitzte hinterher zwei Stunden, bis sie die schmierige Farbe endlich aus dem Rappenfell gebürstet hatte). Jagdbeute hatten wir auch, um zu demonstrieren, wie wild wir waren: Ich schleifte ein Plüschäffchen hinter mir her, Birte hatte sich meine Tigerpfoten-Hausschuhe über die Schulter geworfen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:02:58
Im Einser-Stall verpaßten wir den Pferden und uns schnell die Kriegsbemalung, und los ging’s. Sofort rutschte mir aber das Herz in die Hose: Die riesigen Hörner schlugen dem armen Ti bei jedem Schritt gegen die Ohren, und dann die ungewohnte Halle, die Musik und das ganze Tamtam... Wäre Birte nicht gewesen, ich hätte mich heimlich in die Büsche geschlagen.

Ritzambaa, Ritzambaa... der Lärm war ohrenbetäubend. Ti war schrecklich aufgeregt, doch als er die anderen Pferde erblickte, ging es so einigermaßen. Herde war immer toll, doch ich betete, daß nun keiner mit irgendeiner Knallerei anfing.

Wir hatten verabredet, ganz hinten zu reiten. So konnten wir die Pferde mal zurückhalten, um dem ewigen Trab zu entgehen – unbequem für den Hintern ohne Sattel -, und dann im kurzen Galopp aufholen. An Fasching ließ man so was durchgehen.

Pustekuchen! Wir hatten nicht mit Nini Nidergang gerechnet. Birtes Vorgesetzter hatte heute leider Dienst.

Als es nach dem Warmreiten ans Aufstellen ging, schlugen wir Volte um Volte, um nach hinten zu kommen, doch immer wieder schaffte es Nini durch irgendein Kommando, uns nach vorne zu kriegen. Die Zuschauer hatten ihren Spaß daran und feuerten uns kräftig an. Weil wir ihm ein ums andere Mal entwischten - von den vielen Volten war uns schon ganz schwindelig -, dirigierte Nini uns schließlich kurzerhand an die Tete. Er wollte seiner Kollegin ganz offensichtlich eins auswischen.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:07:05
Ti war völlig verunsichert. Er führte die Herde an? Das konnte nicht sein.

 „Mistkerl“, flüsterte Birte heiter lächelnd. Mir war richtig schlecht. Als Tetenreiter war ich schon in meinen besten Stunden keineswegs geeignet, und eben hatte ich ein kleines dickes Pulverfäßchen unter mir! Und keinen Sattel.
„Drecksack der.“
„Lächeln“, mahnte Birte.
Lächelnd ritten wir an. „Bißchen flotter die Tete“, kam es prompt über die Lautsprecher, „dies ist doch wohl kein Leichenzug!“ Ti ließ sich nicht zweimal bitten!

Der Lautsprecher an der rechten langen Seite war immer besonders laut. Tignous hüpfte zwei Meter weit weg – ich konnte mich gerade so halten. Prompt ordnete Nini an, daß man sich immer an dieser Stelle die Hand zu reichen habe. Die anderen Pferde waren das Ding natürlich gewohnt!

„Reich mir den Speer“, zischte Birte, als sie zum zweitenmal vergeblich nach meiner Hand angelte und selbst fast koppheister ging, so weit mußte sie sich zur Seite neigen. Und immer mußten wir noch einen Zacken zulegen. Nini ließ keine Gemeinheit aus.

Arme Birte! Ich ritt, wie die meisten den Trab ohne Sattel reiten – im perfekten Stuhlsitz. Birte als Bereiterin und noch dazu an der Tete und unter den Augen ihres Vorgesetzten fühlte sich gezwungen, korrekt zu sitzen – es sah perfekt aus, aber leicht hatte sie’s nicht. Reit’ erst mal einer einen anständigen Mitteltrab ohne Sattel! Und aus Freundschaft und um der Ehre der Tete willen tat sie ihr Allerbestes, alle meine Schnitzer auszugleichen.

 „Der will uns vom Pferd holen“, raunte ich Birte zu, als wir im Galopp – im Galopp! Unerhört für ein van Krachtensches Musikreiten! Und was für ein Galopp! – durch-die-ganze-Bahn-wechseln mußten. „Lächeln!“, zischte Birte zurück, als Ti mich eben bei „F“ fast an die Bande klatschte.

Nidergang schien ermutigt durch diesen schönen Erfolg, und nun mußten wir uns trennen und das durch-die-ganze-Bahn-wechseln im Galopp gegeneinander reiten. Birte warf mir bei „X“ ein aufmunterndes Lächeln zu, doch bei „H“ hätte es mich zum Ausgleich fast wieder geschnackelt.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:07:54
Ein ums andere Mal hätte Nini sein Ziel fast erreicht – bei mir zumindest. Immer wieder mußte ich verstohlen in den Sporenriemen unter der Federboa greifen. Aber die hinter uns ritten, sahen ob des höllischen Tempos auch nicht allzu glücklich aus.

 Ich schwitzte ohne Ende, und auch Ti war klatschnaß – mein armer Offenstall-Zosse hatte eben zur Faschingszeit immer sein dickstes Winterfell. Birte und Willi waren auch nicht gerade trocken, und die Kriegsbemalung war gewaltig ins Rutschen gekommen. RICHTIG wild sahen die beiden nun aus, Ti und ich wahrscheinlich auch.

„Will der denn, daß wir uns die Gräten brechen?“ fragte ich, mit verkrampftem Kiefer verzweifelt lächelnd, als wir uns zur berüchtigten van Krachtenschen Mühle unordneten (sie klappte nie). „Immer nur lä-cheln“, lächelte Britta mit zusammengebissenen Zähnen.

„Wie lange dauert die Schinderei eigentlich noch?“ Es dauerte eine Stunde wie immer, doch es war das längste Musikreiten meiner Hallen-Karriere.

Aber wir kriegten den Kostümpreis! „Natürlich nur wegen der perfekten Speerhaltung“, kam es über die Lautsprecher. Noch als Britta den traditionellen Preis, Sekt und Wurst, in die Tigerschuhe stopfte, wurde mir schwindelig ob der bevorstehenden Ehrenrunde. Der Rechtsgalopp! Tignous konnte doch immer noch keinen Rechtsgalopp!

„Können wir nicht linksrum reiten? Ist doch Fasching!"
„Und die ganze Gruppe über den Haufen reiten, was?“ lächelte Birte mitleidig.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:08:12
Wir ritten an. Die ersten Takte erklangen... und nun griff Nini zur letzten Waffe: Er drehte die Lautsprecher, wohl zum ersten Mal in der Hallengeschichte, volle Pulle auf.

Ti zischte ab wie Northern Dancer im Finish gegen Hill Rise, doch leider befanden wir uns nicht auf den Churchill Dawns in Kentucky, sondern in der sehr viel kleineren van Krachtenschen Halle. Ich ritt die erste Ecke zwar noch voll aus, wenn man das Reiten nennen kann, doch ich verstauchte mir die Zehen im Hallensand, so schräg lag mein Pferd.

Und daß man nie, nie! am Zügel ziehen soll, bewahrheitete sich noch vor der zweiten Ecke: Die Federboa riß. Krampfhaft umklammerte meine Linke Speer und Sporenriemen, die Rechte wedelte sinnlos mit dem übriggebliebenen Stück Federboa. Das Publikum dachte, ich winke ihm zu, und erhob sich zu einem donnernden Applaus. Ti drehte durch.

Ich lächelte immer noch, denn das Grinsen war vor Schreck festgefroren, und wedelte sachte mit der Federboa, und ich hatte keine Chance.

Noch eine Runde in diesem irrwitzigen Tempo. Ich wußte, das Fettepony würde sich in einer der Ecken die Knochen brechen. Und ich mir auch.

Tignous sah die anderen vor sich und ging endlich in die Eisen... doch da überholte uns das Plüschäffchen, das an seiner langen Leine nicht so schnell abbremsen konnte. Natürlich nur darauf aus, das Fette Pony zu verschlingen!

Ti ließ sich nicht fangen! Wie ein Geschoß zog er am Rest der Kostümierten vorbei, den Birte unter Aufbietung alles je Gelernten lässig lächelnd im versammeltsten aller versammelten Galopps hielt, und setzte zur dritten Runde an und dann zu einer vierten – alles im perfekten Links-Renngalopp -, ehe er sich endlich entschloß, Sicherheit bei der Herde zu suchen.

Mir war nicht mal mehr ein Gebet eingefallen. Das einzige, das ich zu meiner Ehrenrettung sagen kann, ist: Nini kriegte mich nicht runter.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. April 2013, 21:08:37
So schnell wie möglich und immer noch zitternd zurück zum Stall!

Zur Abkürzung brachen wir durch ein Gebüsch. Ti prustete. Und die ältlichen Kirchgänger auf der anderen Seite der Hecke standen auf einmal vor einem verschwitzten, grimmig blickenden schwarzen Wilden mit Speer in voller Kriegsbemalung, auf einem schnaubenden, klatschnassen gehörnten Pferd. Sie sahen aus, als hätten sie soeben den Leibhaftigen erblickt.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 14. April 2013, 13:56:12
 ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 14. April 2013, 17:30:43
Es ist immer noch eine helle Freude hier zu lesen 8) 8) 8) danke Tara :-*
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 14. April 2013, 23:57:52
 :D

Auf dem Hof war der alte van Krachten nicht häufig. Die meisten wußten nicht einmal, wie er aussah. van Krachten hatte sein Industrieunternehmen zu leiten; das Reitinstitut war Hobby für ihn, ebenso wie seine Vollblutzucht und die Rennen. Für Furcht und Schrecken, die van Krachten zum Gelingen eines jeglichen Unternehmens für unabdingbar hielt, sorgte normalerweise zuverlässig sein Adlatus Schweinsberger.

Aber ein-, zweimal im Jahr kam der Halbgott persönlich, und zwar überallhin: zum Inspizieren des Hofes, der Hallen, sämtlicher Stallungen. Für die Bereiter und Pfleger waren das schreckliche Tage. Man wußte nie, ob man es heil überstehen würde.

Auch wir Kunden konnten es spüren, wenigstens die, die wie ich sozusagen hier wohnten. Es lag eine gewisse Gereiztheit in der Luft, alle bewegten sich einen Tick schneller als gewohnt.

Es wurde gekehrt und gewienert und geputzt und weggeworfen und weggefahren und gemäht und gefegt und probiert, ob uralte Maschinen, die man seit Jahren nicht benutzt hatte, noch liefen. Einen jeden Pfleger zog man am Ohr. Aufgaben wurden untereinander aufgeteilt.

Pfleger Jochen wurde dreimal erklärt, daß er den Vorraum zur neuen Reithalle – da hingen hunderte von Siegesschleifen vom ersten, in der ganzen Republik bekannten Ausbilder des Institutes - blitzeblank zu bekommen habe. Einen Tag später wurde ihm erklärt, daß dazu auch die Spinnweben an der Decke gehörten. Zwei Tage später wurde ihm erklärt, daß die Spinnweben an der Decke definitiv wirklich auch dazugehörten. Drei Tage später wurde er dazu verdonnert, nun endlich die verdammten Spinnweben wegzumachen!! Und zwar sofort!!!

Dann endlich war die schwere Schicksalsstunde da. Ich sollte das Zeremoniell noch mehrmals beäugen dürfen. Es lief immer nach dem gleichen Muster ab: Der Start wurde bei den Reithallen gemacht.

Vor der neuen Halle fuhr der vom Adlatus gesteuerte Mercedes vor. Schweinsberger schoß aus der Fahrertür und wie ein Komet um den Wagen herum, um die Beifahrertür zu öffnen. Schwerfällig stieg der alte van Krachten aus.

Sämtliches anwesende Personal hatte sich links und rechts der Hallentür zu einem Spalier formiert. Etwaige herumlaufende Kinder wurden immer rechtzeitig eingefangen, um diese Ehrengasse zu verlängern und imposanter zu machen. Den Kindern machte das natürlich Spaß, und van Krachten gefiel der Auftrieb um so mehr, je größer er war. Die männlichen Bediensteten (wir sprechen vom Jahre 1992) machten einen Diener.

van Krachten – vierschrötig, rotes Gesicht wie mit der Axt behauen, schwer auf seinen Stock gestützt – schritt, nur mit dem leichtesten Nicken, das einen Gruß andeuten sollte, den man sich aber auch nur eingebildet haben konnte, durchs Ehrenspalier. Hinter ihm schlossen sich die Reihen; die Bereiter an der Tete, folgte ihm die Entourage, Kinder zum Schluß, durch die kürzer werdende Gasse wie bei einem Menuett – es klappte zehnmal besser als beim Musikreiten nach der vierzigsten Probe.

van Krachten stand in der Vorhalle. van Krachten sah sich befriedigt um. Alles picobello sauber. Die Schleifen des Reitmeisters, alle gelb und alle Klasse S natürlich, kein Stäubchen darauf, erinnerten an die große Vergangenheit. Die Medaillen spiegelten die Sonnenstrahlen, die durch die Hallentür einfielen. Alle lächelten devot.

In der Halle ritten zwei der besten Einsteller, die man erst inständig bekniet und dann drei Wochen lang darauf vorbereitet hatte, völlig zufällig eben einen Pas de Deux der M-Klasse. Weil das ja sozusagen unser täglich Brot war.

van Krachtens Nußknackergesicht verzog sich zu etwas, das man mit gutem Willen ein gütiges Lächeln nennen konnte. Er sah an den langen Schleifenreihen, die die glorreiche Vergangenheit verkörperten, empor bis zur Decke. Er sah die großen Spinnweben, die Jochen eben leider doch nicht entfernt hatte.

Er erregte sich. Er erregte sich, blau im Gesicht, im ätzendsten, kältesten, gehässigsten Ton, den ich je gehört hatte (mein Chefredakteur war ein blutiger Anfänger dagegen). Seine Angestellten erbleichten. van Krachten legte noch einen Zacken zu. Auch die Kinder wurden bleich.

Bis auf die fünfjährige Monika, die van Krachten direkt gegenüberstand. Arme verschränkt, wippte sie aufsässig mit dem Fuß und sah ihm gerade in die Augen: „Onkel Krachmann! Wenn Du Dich nicht benimmst, gehst du in Dein Zimmer, bis du Dich beruhigt hast!“
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Irisfool am 15. April 2013, 11:41:23
 ;D ;D ;D ;D ;D ;D ich seh es vor mir!!!!! ;D ;D ;D ;D ;D ;D Köööstlich!! ;D ;D ;D ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: RosaRot am 15. April 2013, 21:40:42
 ;D ;D ;D
Und wie ging es dann weiter???
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 15. April 2013, 21:57:40
Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. :-[ :-[ :-[

Aber Monika wurde nicht geschlachtet. ;)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 15. April 2013, 22:56:41
Vielen Dank für die tollen Geschichten! :D
Das Buch würde ich auch kaufen. ;D

Das erinnert mich alles an meine Jugend im Reitverein mit legendären Ausritten, Fuchsjagden und sonstigen gesellschaftlichen Veranstaltungen.
Leider kann ich nicht so schön schreiben wie Tara, aber mir fällt bestimmt die eine oder andere Geschichte wieder ein.

Auf Grund der Geschichte des Faschingsreitens und den älteren Kirchgängern auf der anderen Seite des Gebüschs muss ich an einen Ritt mit meinem Vater denken.
Ein kurzes Stück entfernt von der Reitanlage unseres Vereins gab es auch eine kleine Geländestrecke mit Naturhindernissen. Da das gleichzeitig eine sehr schöne Galoppstrecke war und man die Hindernisse auch umreiten konnte, war die Strecke bei den meisten sehr beliebt. An dem betreffenden Nachmittag schlug auch mein Vater diese Strecke ein. Da sein Pferd schon den ersten Teil des Ausritts recht hibbelig gewesen war, wollte er etwas Dampf ablassen. Sein damaliges Pferd war eine wunderschöne, reinweiße Trakehner-Araberstute, die allerdings nicht ganz einfach war.

An dem betreffenden Nachmittag hätte er wohl auf der Strecke sicherheitshalber die Hindernisse auslassen sollen, aber so etwas kam bei meinem Vater nicht in die Tüte. Wir galoppierten also los und nahmen das erste Hindernis, einen dicken Baumstamm, noch relativ unproblematisch. Relativ deshalb, weil Rebekka nach dem Sprung erst mal gebuckelt hat.

Vermutlich saß er deshalb beim zweiten Hindernis, einem Graben mit anschließender Böschung als Aufsprung, schon nicht mehr richtig fest im Sattel. Es kam also wie es kommen musste, ein mächtiger Sprung mit einem gleichzeitigen Haken nach rechts und das Pferd flog nach rechts, mein Vater geradeaus weiter. Dahinterreitend hatte ich quasi einen Logenplatz. Die Stute meines Vaters rannte dann reiterlos an der Böschungskrone entlang in Richtung des 50 m entfernten Feldwegs und damit auch in Richtung Stall.

Ich hatte nach dem Aufsprung dann zuerst mit mir und meinem Pferd zu tun, das natürlich hinterher wollte. Da mein Vater sich gleich wieder aufgerappelt hatte, habe ich mich also darauf konzentriert, möglichst in die ursprüngliche Richtung weiter zu reiten, damit Rebekka wieder umkehrt. Zwischen unserer Geländestrecke und dem Stall lag nämlich eine vielbefahrene Straße.
Als ich dann mein Pferd so weit im Griff hatte, dass ich weitertraben konnte, drehte ich mich während des Weiterreitens um, damit ich sehen konnte, was das Pferd meines Vaters machte. Was ich sehen konnte, lies mich anfangs kaum meinen Augen trauen.

Unsere Stute, in flottem Tempo Richtung Heimat unterwegs, trieb auf dem Feldweg zwei ältere Damen vor sich her. Die beiden rannten auf dem Weg entlang, anstatt einfach zur Seite zu gehen. Als Rebekka dann die beiden fast erreicht hatte, retteten sie sich mit einem Sprung in den Graben. Noch ein paar Galloppsprünge, über die kleine Brücke und unser Pferd war verschwunden. Ich hatte mittlerweile durchpariert und beobachtete aus einiger Entfernung, wie die beiden Damen mit lautem Geschimpfe in Richtung meines Vaters aus dem Graben krabbelten.
Kaum standen sie wieder auf dem Weg, erklang aus Richtung Brücke und Wäldchen plötzlich lautes Gewiehre. Rebekka hatte gemerkt, dass ihr Freund Whisky nicht dabei war. Kaum hatte sie ihn entdeckt, kam sie in leichtem Galopp wieder den Weg entlang in unsere Richtung. Beim Anblick des Pferdes rannten die beiden Damen sofort erneut los, wieder vor unserer Stute her. Mein Vater hatte inzwischen allerdings den Weg erreicht und schaffte es, die Stute aufzuhalten und einzufangen.

Wir waren natürlich erst mal froh, dass niemandem etwas passiert war, weder den Damen noch dem Pferd.
Wir sind aber auch heute, fast dreißig Jahre später, noch fest davon überzeugt, dass wir niemals zuvor und auch nie mehr danach gesehen haben, dass sich ältere Damen so schnell bewegt haben.
  ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 15. April 2013, 23:48:10
Ich mußte sehr lachen, als ich das eben las - ich sehe es direkt vor mir, wie die beiden armen Damen da lossprinten. Und als ich eben in der Küche war, mußte ich bei diesem schönen Bild noch zweimal sehr kichern. ;D ;D ;D

Ja, manche Menschen haben schreckliche Angst vor Pferden. Ich bat mal meinen Fotografenkollegen, Bilder von Ti und Arturo, dem Pferd des Liebsten, zu machen. Er erschien bereitwillig und war dann fassungslos: "Du hast mir doch gesagt, Dein Pferd wäre klein???!!!" Ti hatte nur 1,54 Stock. ;D ;D ;D Vermutlich hatte er sich ein eher harmloses Shetty vorgestellt. Und den Großen fotografierte er mit seinem größten Teleobjektiv aus der weitest denkbaren Entfernung. ;D

In dem dichtbebauten Gebiet hatten wir viele Wege mit allen anderen zu teilen: Rad- und Rollstuhlfahrern, Spaziergängern, Hunden. Es wurde uns eingedrillt - und ich denke, die meisten von uns hielten sich daran -, durchzuparieren, wenn wir vor uns einen Fußgänger sahen. "Und?!" fragten die Reitlehrer dann immer. Im Chor scholl es ihnen entgegen: "Und freundlich grüßen!"

Und in der Tat: Bei den Ausritten mit dem Schulstall wurde der Fußgänger dann von jedem Reiter gegrüßt. Meist fühlte er sich verpflichtet, dann auch "Guten Morgen" zu wünschen, und das zehn- oder zwölfmal hintereinander. 8)

Wenn ich alleine war, parierte ich nicht nur zum Schritt durch, sondern hielt mich auch so gut es ging so weit auf der anderen Wegseite wie möglich. Gerne sagte ich dann: "Das Pferd hat schon gefrühstückt!", was die meisten mit Lächeln quittierten. Immer half das aber nicht.

Einmal sprang eine Spaziergängerin, kurz ehe ich sie erreichte, in den Sturzacker neben dem Weg. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und flüsterte irgendetwas. Ich konnte es nicht verstehen, aber die arme Frau hatte offensichtlich ein Problem. Ich mußte helfen. Also ritt ich ein paar Schritte auf den Acker, um sie zu fragen. Sie rannte zwei Meter weiter und hielt sich wieder die Hände vors Gesicht. Das wiederholte sich noch einmal. Sie stand bis zur halben Wade im Acker.

Schließlich rief ich laut: "Kann ich ihnen helfen? Was ist denn mit Ihnen?!" Und sie antwortete, irgendwie klein zusammengerollt aussehend, zwischen ihren Händen hervor: "Ich hab' so Angst!!"

Und ich hatte sie regelrecht verfolgt. ;) :-[
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 16. April 2013, 21:40:04
Furacinsol

Birte und ich freuten uns fast den Arm aus: In drei Tagen wollten wir endlich wieder einmal nach Frankreich starten. Beide hatten wir den Urlaub und die Einsamkeit und die Natur so dringend nötig! Natürlich passierte wie immer was direkt vor dem Urlaub, wenn ich in der größten Hetze war: Auf einmal kam ich in keinen Schuh mehr; mein großer Zeh war vereitert.

„Geh’ auf jeden Fall noch mal schnell zum Arzt“, mahnte Birte, die Angst hatte, sie würde mir in den einsamen Bergen den Fuß mit dem Schweizer Taschenmesser amputieren müssen. Zum Arzt? Nein, auf keinen Fall – rubbeldiekatz würde mir meine Hausärztin den Nagel ziehen, es wäre nicht das erste Mal. Und dann wäre Essig mit Urlaub.

Furacinsol, schlugen nun Gertrud und Birte einstimmig vor – Furacinsol, das Mittel der Wahl bei Blessuren von Pferd und Mensch. Natürlich! Furacinsol, in jeder Haus- und in jeder Stallpotheke – in meinen aber derzeit leider nicht. Selbst schuld, daß ich manchmal so nachlässig mit der Stallapotheke war. Mullbinden fehlten auch und ein neues Fieberthermometer.

Also nach dem Morgenfüttern kurz bei Doc Dossi vorbei! Furacinsol ist nun mal gut bei Mensch und Tier, und Veterinär Dostenfelder würde meinem Zehennagel ja nicht zu nahe kommen.

Ich war schon sehr spät dran – um genau zu sein, hätte ich spätestens eben jetzt an meinem Arbeitsplatz ankommen müssen - und mußte deshalb natürlich zwangsläufig lange warten; vier Wüstenrennmäuse, ein Jack Russel-Terrier und zwei Katzen, alles Notfälle, waren vor mir dran. Und dabei war ich so in Eile!

Endlich öffnete sich die Tür. „Der nächste bitte!“ sagte ein fremder junger Mann. Ich stand auf – kein Doc Dossi zu sehen! Dostenberger hatte Urlaub; der junge Blonde war seine Vertretung. Ich kannte ihn noch nicht.

„Guten Tag. X mein Name. Ich würde gerne ’ne Tube Furacinsol-Salbe mitnehmen.“
Der Blonde sah mich aufmerksam an: „Was möchten Sie bitte?“
„Fu-ra-cin-sol!“
„Furacin... für welches Tier denn bitte?“

Komisch, komisch.
„Für mein Pferd.“ Ich trat von einem Fuß auf den anderen.
Der junge Arzt wies höflich auf einen Stuhl, griff sich einen dicken Wälzer und fing an zu blättern: „Ich finde das nicht. Pulver und Tabletten, aber keine Salbe.“

Nun gut, in der letzten Zeit waren einige Medikamente vom Markt genommen worden, das wußte ich. Konnte also sein, wenngleich ich von Furacinsol in Tablettenform auch noch nie etwas gehört hatte.
„Dann bitte etwas ähnliches, er hat eine Schmarre, die ich behandeln muß.“ Mein Zeh schrie laut um Hilfe.

Der junge Mann blätterte wieder in seinem Buch, er blätterte und blätterte. Ich war schon sehr nervös, denn wenn der Chefredakteur jetzt nach mir verlangte…! Endlich stellte der Blonde ein großmächtiges Rezept aus: „9. 10. 96 Nifuran (Jenapharm). 1 OP. Für den Wallach „Kignos“ (er hieß Tignous) der Frau Tara X, wohnhaft in der (Straßenname falsch geschrieben) in X, zum Auftragen auf die betroffenen Hautstellen...“

Ich eilte in die Schloßapotheke, die immer für Reiter gerüstet war. Dort aber hatte noch niemand etwas von Nifuran gehört. Und keine Zeit! Meine Finger zeigten bereits eine deutliche Neigung zum Trommeln. Zur Zeitung gefahren, geparkt und im starken Trab in die Löwenapotheke. Nicht ganz taktrein, wegen des Zehs.

Ich reichte mein Rezept über den Tisch. „Kenn’ ich nicht“, sagte die Apothekerin.

Inzwischen war ich aber doch leicht genervt: „Würden Sie sich dann bitte kundig machen?!“

Die Apothekerin drückte viele Knöpfe am Computer und behauptete: „Ich kann das nicht finden.“

Also, da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt! Mein Zeh! Ich will in Urlaub!

„Gute Frau, das kann ja nun wohl nicht sein. Der Arzt hat zwanzig Minuten lang in einem dicken Buch geblättert, das muß es einfach geben.“ Hinter mir standen inzwischen drei andere Kunden und sahen auch schon recht genervt aus.

Gefügig eilte die arme Apothekerin zum zweiten Computer. Forschte angestrengt nach. Sagte dann nachdenklich: „Ja, ich hab’s. Nifuran, ja. Von Jenapharm. Aber sagen Sie mal“ - sie sah mich seltsam von der Seite an – „sind Sie sicher, daß Sie das für Ihr Pferd brauchen?“

So langsam wurde das wirklich albern: „Ja, aber natürlich brauche ich das für mein Pferd! Das heißt, manchmal nehme ich es auch selbst, je nachdem, wer’s halt gerade nötig hat!“

Die Apothekerin blickte um sich, sah die anderen Kunden, zog meinen Kopf zu sich herunter und zischte mit Stentorstimme, daß man es noch im letzten Winkel hörte: „Scheidentabletten... für Frauen?“

Auflösung: Der aktive Wirkstoff in Furacinsol ist Nitrofural (auch Nitrofurazon genannt). Nicht Nifuran (Nitrofurantoin), das bei Infektionen des Urinaltraktes (nicht bei Pferden) eingesetzt wird….
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 16. April 2013, 21:52:55
 ;D ;D ;D :-X :-X :-X ;D ;D ;D

Wobei, immer noch besser als wenn es Tabletten für Pferde gewesen wären. ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 16. April 2013, 22:07:18
 ;) ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: RosaRot am 16. April 2013, 22:32:52
 ;D ;D Oh je... Und der Zeh? Und der Urlaub???
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 16. April 2013, 22:36:01
Klappte alles noch. Lämmchen, der beste Pferdepfleger aller Zeiten, gab mir Furacinsol, vermutlich aus der Apotheke eines Einstellers (aber ich habe nicht nachgefragt!)... Das hätte er natürlich nicht tun dürfen, aber wenn das Pferd des Einstellers was gehabt hätte, so hätte es ja noch die Vorräte anderer Einsteller gegeben etc. Und jahrzehntelang soll man das Zeug ja nun auch nicht aufheben. :-X
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 17. April 2013, 09:42:56
Das kenne ich auch, die Stallapotheke als Reservoir für tierische und menschliche Zipperlein. ;D
Die besten Sachen wurden allerdings leider so nach und nach vom Markt genommen.
Wir trauern z.B. immer noch der Socatyl-Salbe hinterher, die beste Wundsalbe, die es je gab.
Auch wenn in anderen Salben angeblich der selbe Wirkstoff drin sein soll, die sind einfach nicht vergleichbar.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 18. April 2013, 21:28:17
Ja. Ich kann mich zwar nicht mehr an die Namen dieser Medikamente erinnern, aber ich weiß noch, daß ich bei einigen ziemlich stinkig war.

Reitest Du eigentlich noch, Constance?

Kinners, ich weiß nicht, was ich tun soll. Natürlich habe ich noch mehr Geschichten. Meine Freundinnen sind an mir dran, es doch mit einem Buch zu versuchen, oder wenigstens mit einem E-Book oder, falls ich nicht genug Zeilen zusammenbringe (denn natürlich habe ich nicht jeden Tag den Clown gespielt, und andere Geschichten sind unlustig bis dramatisch und eignen sich eher nicht für sowas leicht Hingeschriebenes), wenigstens mit einzelnen E-Book-Geschichten zu 99 Cent oder so...

Und ich bin in Versuchung. :-[ :-[ Immerhin muß ich eine Hilfe bezahlen und brauche auch im nächsten Winter wieder mindestens 80 Stiefmütterchen.

Aber wenn ich das ernsthaft angehe, sagen beide übereinstimmend, darf ich hier nix mehr veröffentlichen - "das klaut Dir noch wer", "dann nimmt Dich kein Verlag mehr" etc.

 ???
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Katrin am 18. April 2013, 21:53:45
Katrin, das ist ja toll, daß Du nach so langer Zeit eine Reitbeteiligung gefunden hast! :) Was ist das für ein Pony? Und im Sommer dann den Großen - was ist das für einer?

Klar kenne ich Abgänge wegen Bergablaufens und Ausrutschens. ;D 8) Aber plötzlich hinlegen? Gestürzt, oder läßt sich das Kerlchen einfach plumpsen?

Das Pony ist eine wilde Mischung mit Isländer, weshalb es sehr stämmig ist für seine 120cm Stockmaß und eher breit; es fühlt sich beim Obensitzen an wie ein großes Pferd. Schmale Ponys mag ich nicht so, da fliegt man so leicht runter :-X . Ich bin früher immer auf größeren Pferden geritten, aber so ein Pony ist nochmal ganz anders... Power ohne Ende. Anfangs dachte ich immer, ich wäre zu schwer, aber selbst bei einem vierstündigen Ausritt ist die Gute am Ende noch bergauf schneller gelaufen als die große Kollegin. Ich glaube, die ist ein österreichisches Warmblut, Stockmaß 174cm und etwas heikler zu reiten... Zudem hatte meine Freundin jetzt immer den jungen Hengst als Handpferd mit, das wäre vom Pony aus nicht gegangen, daher war ich jetzt immer die am Pony. Der Hengst ist nun zu hengstisch geworden :P , daher kann er nicht mehr mit. Er wird den Sommer auf einer Weide mit anderen Hengsten verbringen und im Herbst dann als Wallach zurückkommen... mal schauen, wie er dann zu handhaben ist, momentan ist es etwas schwierig.

Das Pony hat die seltsame Angewohnheit, vom unwiderstehlichen Drang zum Hinlegen gepackt zu werden, sobald sein Bauch am Schnee streift. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber heuer im Winter war es öfter so und einmal (das erste Mal), habe ich es glatt übersehen, wir weichen einem Auto aus, ich lenke sie in den Straßengraben, Pony versinkt etwas, überlegt kurz und knickt schon ein... ich natürlich gleich runter und sie wieder hochgezogen, aber seitdem war es noch öfter so ähnlich. Letztens im Matsch... das wär blöd gewesen, ich hätte nicht runterspringen wollen ;) .

Ich würde E-Books-Geschichten von dir kaufen - für den PC halt, aber das ist bei E-Books ja egal, womit man sie liest.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 18. April 2013, 22:25:17
Reitest Du eigentlich noch, Constance?

Nein, zur Zeit nicht. Mein aktuelles Pferd ist 19 und hat einen Haarriss im Hufbein. So lange man ihn nicht belastet, lahmt er nicht und hat anscheinend auch keine Schmerzen. Also darf er seinen Lebensabend mit seinem Kumpel auf der Koppel genießen.
Wir gehen natürlich auch spazieren.

Ich könnte zwar einige andere Pferde reiten, aber dazu habe ich aus beruflichen Gründen momentan keine Zeit.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 18. April 2013, 23:00:45
Das Pony hat die seltsame Angewohnheit, vom unwiderstehlichen Drang zum Hinlegen gepackt zu werden, sobald sein Bauch am Schnee streift.

 ;D
Das erinnert mich an mein erstes Pferd, ein undefinierbares Warmblut ohne Papiere namens Whisky.

Er hatte die Angewohnheit, sich fallen zu lassen wenn er im Wasser stand. Nachdem er das zum ersten Mal im seichten Wasser eines Weihers versucht hatte, habe ich immer darauf geachtet, dass er im Wasser in Bewegung bleibt.

Zwei Mal hat er es allerdings geschafft, mich zu überlisten.
Beim ersten Mal ritten wir zu mehreren aus und waren gerade paarweise nebeneinander auf einem Waldweg unterwegs. Auf meiner Wegseite war eine größere Pfütze. Ich dachte mir überhaupt nichts dabei, als wir in die Pfütze ritten, aber plötzlich war das Pferd unter mir weg. Aus dem Trab, einfach fallengelassen ;D
Die Pfütze war dann letzten Endes tiefer als ich dachte, das Wasser ging meinem Pferd bis knapp unter das Sprunggelenk.

Beim zweiten Mal waren wir gerade mit unseren Pferden in einen neuen Stall umgezogen und waren dabei, das Ausreitgelände zu erkunden.
Auf einem der schönsten Wiesenwege gab es eine Senke, in der der Weg zwischen zwei Hecken durchführte und zwar genau in der Sohle der Senke. An dieser Stelle war der Weg immer schlammig, selbst im trockensten Sommer. Im Herbst und Frühjahr war die Stelle eine regelrechte Schlammgrube. Beim allerersten Durchreiten hat sich mein Pferd prompt fallengelassen. Zuerst war ich nicht sicher, ob er nicht vielleicht ausgerutscht war, aber nachdem er das gleiche beim nächsten Ausritt wieder versucht hat, war die Sache klar.
Da man das Schlammloch nicht umreiten konnte, konnte in der Regel jeder im Stall nach meiner Rückkehr erkennen, welche Strecke ich geritten war. Das Pferd und ich sahen nämlich immer aus wie die Schweine, weil ich das Loch ja in flottem Tempo durchreiten musste.
Leider führte der Weg nämlich zu den besten Galloppstrecken. ::)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 19. April 2013, 07:53:24
 ;D ;D ;D ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 19. April 2013, 08:07:23
 ;D

@Tara, ich würde es mit dem Buch versuchen. ;)
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 19. April 2013, 08:14:35
Ich freue mich sehr über Euren Zuspruch - aber dann sollte ich hier wohl wirklich aufhören zu erzählen. :-\
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 19. April 2013, 08:54:13
Zitat
Ich freue mich sehr über Euren Zuspruch - aber dann sollte ich hier wohl wirklich aufhören zu erzählen.

Das wäre natürlich extrem schade, weil der Thread dann vermutlich wieder einschlafen wird, aber ich finde auch, dass du es versuchen solltest.

Dein Erzählstil gefällt mir sehr gut und die Geschichten sind einfach klasse.
In letzter Zeit werden so viele schlechte - vor allem in Punkto Satzbau, Grammatik und Rechtschreibung - Ebooks als Eigenpublikationen auf den Markt geworfen, da würde eines von dir mit Sicherheit angenehm herausstechen.

Edit: Zitat wegen Seitenwechsel eingefügt
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: celli am 19. April 2013, 14:39:06
Ich freue mich sehr über Euren Zuspruch - aber dann sollte ich hier wohl wirklich aufhören zu erzählen. :-\

Dann sieh zu, dass das Buch fertig wird. ;) ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Katrin am 19. April 2013, 18:03:18
Constance, ich kenne außer dem Pony kein Pferd, das so etwas macht - zum Glück macht sie es nur im Schritt. Direkt aus dem Trab ist ja fies, da kann man ja kaum reagieren!
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 19. April 2013, 20:45:04
Ich kannte nur ein Pferd, das so etwas gerne machte - eine Stute, die ich bei unseren Frankreich-Touren immer ritt. Bei jedem Flüßchen, das wir durchritten, probierte sie es, und man mußte sie, wie Constance sagt, immer in Bewegung halten. Nur durch die Ardèche ging und schwamm sie zügig und ohne Mätzchen durch. Und gerade dort hätte es mir wenig ausgemacht, ins Wasser zu plumpsen, das war ja wenigstens tief genug, um weich zu fallen (nur eine kräftige Strömung hat sie natürlich). Und auf der anderen Flußseite ging es so steil bergauf, daß ich bis oben wieder trocken gewesen wäre. 8)

Ich stelle mir dieses Fallenlassen doch einigermaßen lästig vor. Und ganz ungefährlich ist es auch nicht. :-X :-\ :-\
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Constance Spry am 19. April 2013, 21:44:42
Damals als Kind bzw. Jugendliche fand ich es nicht so schlimm. In diesem Alter sieht man ja alles etwas lockerer und ist vor allem viel unerschrockener. Nachdem ich dann wusste, dass ich sogar auf Pfützen und Schlammlöcher aufpassen musste, ist es auch nie mehr vorgekommen. Ansonsten war der gute Whisky zwar meist etwas phlegmatisch, aber dafür in der Regel sehr zuverlässig.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Nathi86 am 16. Mai 2013, 16:00:18
Huhu - leider hab ich den Thread jetzt erst entdeckt...

Erstmal an Tara: hab echt Tränen gelacht! Gib bitte bescheid wenn dein Buch fertig ist ;) Einfach klasse!

Reite selber seit 17 Jahren (mit ner Unterbrechungen nachdem ich 2009 meinen Kleinen einschläfern musste und mehrere Jahre auch nur im Gelände). Hab letzten November jetzt nochmal mit Unterricht angefangen um mal wieder etwas "geschmeidiger" daher zu kommen ;D Naja - es wird wohl langsam besser, aber irgendwie kam mir dein ständiger Kommentar von wg "steife Hüfte" nur zu bekannt vor ;D Theorie des "Mitschwingens" ist verstanden, nur die Umsetzung wollte bei mir noch nie so richtig klappen 8)

Aber immerhin: bin in meinem Leben 2 A-Dressuren gegangen - und beim ersten Mal sogar 6. geworden! Mit ner 5,9 - allerdings in einem Starterfeld von 7 Leuten bei dem eine wegen leichten Kommunikationsschwierigkeiten mit ihrem Pferd (das mehr auf 2 als auf 4 Beinen unterwegs war) auf ihre Wertnote verzichtet hat ;D ;D ;D ( ;D also jetzt bezogen auch meine tolle Platzierung). Bin halt mehr im Springen zu Hause (wenn sich da nicht zwischendurch meine Höhenangst bemerkbar macht ;D ) - allerdings am liebsten nur Zeitspringen - beim Stil hab ich immer einen auf den Deckel bekommen, weil ich die Wege wohl immer noch nicht weit genug ausgeritten habe ::) ::) Im Ernst: weiß garnicht was die meinen - ein Zeit hätte bei mir und meinem Kleinen noch ganz anders ausgesehen ;) ;D

Aber das Schönste ist und bleibt echt über ne große freie Wiese zu galoppieren!!! Schade ist, dass die Wiesen dafür jetzt leider schon wieder zu hoch sind - dabei ist das doch alles so verlockend ;D Naja, will es mir ja mit den Landwirten nicht verscherzen - haben ja sonst ziemlich viele Freiheiten bei uns in der Gegend. Warte aber schon sehnlichst aufs nächste Mähen ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 22:47:11
Ich habe mal wieder Lust, ein wenig vom Pferd zu erzählen - mir ist so nostalgisch derzeit. Nix besonders Lustiges - ich berichte mal, wie ich zum Pferd kam. Man kann es kurz machen: Da ich erkrankte, beschloß ich, ein Pferd zu kaufen; ich kaufte es in Frankreich, wo es noch eine Weile bleiben mußte, ehe ich es holen konnte. Aber wer mal wieder was vom Pferd lesen möchte, der kann jetzt die Langfassung lesen. ;) Das ganze muß 1989/1990 gewesen sein. Exotische Pferde gab es kaum, geritten wurde englisch, allenfalls ein paar Westernreiter und natürlich die Islandszene gab es, und im renommierten Reitinstitut gingen die Uhren eh ein wenig anders.
.
.
Durch die Glastür konnte ich die beiden Grenzbeamten schon von draußen sehen. Ein langer Dünner, ein großer Dicker. Sie saßen auf ihren Stühlen nebeneinander an der Wand und taten absolut nichts. Wirklich faszinierend: Sie saßen einfach nur. Sie sahen nicht einmal auf, als ich zur Tür hineinkam.
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„Guten Tag! Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe eine Frage. Ich hab’ mir in Frankreich ein Pferd gekauft und möchte...“ Es gab mir immer wieder einen Ruck. Ich hatte mir tatsächlich ein Pferd gekauft!
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„Git’s in Deutschland koi Ferde?“ wurde ich unterbrochen. Hoheitsvoll lehnte sich der dicke Grenzer zurück, die Pranken überm Bierbauch gefaltet. Sein hagerer Kollege saß neben ihm, die Hände sittsam auf den Knien, und sagte gar nichts.
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Der hatte ja wohl was an der Waffel mit seinem „Buy German“. Ich kann meine Pferde kaufen, wo ich will! „Solche nicht. Jedenfalls will ich es jetzt importieren. Und sie können mir doch bestimmt sagen, was ich da machen muß.“
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Ein tiefer Seufzer entrang sich dem Bierbauch. „Isch des zum Reide odder zum Züchde?“
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„Ein Reitpferd.“
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„Ha, sie könnet merr aber viel verzähle!“ Ein dicker Zeigefinger hob sich belehrend: „Wenn se dodemidd reide könne, könne se auch dodemidd züchde. Do kenn i mi aus.“ Der Dünne sah den Dicken bewundernd an.
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Ich mußte grinsen: „Züchten dürfte mit einem Wallach einigermaßen schwierig sein.“
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Doch der Grenzer ließ sich nicht beirren, er ruhte behaglich sicher in seinem equestrischen Wissen. Und im Machtgefühl der Uniform. Lässig wippte der Bierbauch mit dem Stuhl: „Ha, sie könnet merr aber viel verzähle. Du sogsch, des isch e Wallach, und in Echt isch des e Hengschd. Do kenn i mi aus.“
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Der dünne Lange sah mich ernst an, die Hände auf den Knien, und nickte bekräftigend.
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„Danke, die Herren. Auf Wiedersehen.“ Ich machte auf dem Absatz kehrt. Mit diesen beiden Schießbudenfiguren hatte das anscheinend auch keinen Zweck. Es war zum Junge-Hunde-kriegen; konnte mir denn niemand sagen, wie man ein Pferd importiert?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 22:51:31
Nun fand man im Reitinstitut, wo das Lästern kaum weniger ernsthaft betrieben wurde als das Reiten, ja keinesfalls, daß ich mir nach nur drei Jahren Reitunterricht ein Pferd hätte kaufen dürfen. Noch lange nicht! Und eigentlich wollte ich das auch gar nicht - die Kosten! Die Arbeit, die Zeit! Die Verantwortung!
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Aber: Ich war krank. Neun Reitstunden in der Woche hatten zwar meinen Kontostand auf unter Null, doch zum Schluß keinerlei Fortschritte mehr gebracht. Endlich hatte ich mich untersuchen lassen. Man war sich nicht sicher, aber es fiel das Wort „Lähmung“, auch „Rollstuhl“, und man riet mir vor allem, mich zu schonen (wie wir wissen, ist alles nicht so schlimm gekommen, wie damals prophezeit, aber 1989 war das der Stand).
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Von wegen. Jetzt gerade! Sollte ich mich für den Rest meines Lebens aufs Sofa setzen? Ein Pferd mußte her. Und zwar jetzt! Denn wenn ich eines wußte, dann dies: Ich wollte reiten, bis man mich aufs Pferd heben mußte. „Und dann kannst du immer noch fahren“, tröstete Birte am Telefon,  meine erste Reitlehrerin, die zu meinem Kummer vor einem Jahr wieder in den Norden gezogen war.
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Das Glück half – es sollte in dieser Pferdeangelegenheit noch öfter helfen: Es gab ein kleines Erbe. Es würde gerade reichen für ein Pferdchen, mit dem ich noch ein, mit Glück zwei Jahre lang durchs Gelände zockeln konnte.
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Mein Pferd mußte quasi maßgeschneidert sein; Sentiment hatte bei diesen Überlegungen nichts verloren. Bücher und die in der dreijährigen Reiterlaufbahn gesammelten Fachzeitschriften wurden zu Rate gezogen.
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Wie das Tier aussah, war mir piepegal, wenn mir auch ein gewisser hübscher Schecke vor Augen stand (was die Tarahausener natürlich für verrückt hielten. Schecken waren für den Zirkus). Die Pferde so um 1,70 Meter Stockmaß, die ich immer besonders gern gehabt hatte, waren definitiv out. Meins hatte klein zu sein. Schmal in der Schulter mußte es sein wegen der schmerzenden Beine. Sanft von Gemüt, dabei nicht triebig, und vor allem intelligent, denn mein Pferd sollte dazulernen können, wenn die Krankheit schlimmer wurde.
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Verschiedene Rassen wurden auf diese Forderungen hin abgeklopft: Ein Araber würde es sein müssen, besser noch ein Berber. Ich rief wieder meine persönliche Telefonseelsorge in Neumünster an: „Steht doch ein Berber in der Feldscheune“, erklärte Birte, „Frau Winterling, frag die doch mal.“ Frau Winterlings tunesischer Hengst war ein exotischer Tupfer im Reitinstitut. Völlig klar, daß die Dame im stockkonservativen Tarahausen damit als exzentrisch und fast leicht anrüchig galt. Ich fand sie einfach nur hilfsbereit und nett.
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 „Aber ja!“ erklärte Frau Winterling, als ich mein Problem kurz geschildert hatte. „Berber eignen sich hervorragend als Therapiepferde. Sokran hat ein Gemüt wie ein Ochse!“ Gemüt wie ein Ochse, genau das brauchte ich. An den Spruch sollten wir später oft zurückdenken.  8)
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Ein Berber also. Doch wo in diesem Land einen Berber finden? Die wurden ja nicht eben an jeder Straßenecke feilgeboten. Ich hatte wieder Glück: Bei der Equitana würden diesmal Berber im Mittelpunkt stehen, um die Rasse bekanntzumachen. Also auf nach Essen!
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Die Equitana war leider ein Reinfall: Ja, da wurden Berber gezeigt, und die meisten fand ich wunderschön. Einige standen auch zum Verkauf, aber leider nicht in meiner Preisklasse. Probehalber nannte ich einer Züchterin meine finanzielle Obergrenze, mit leicht gepreßter Stimme, denn ich konnte kaum fassen, dass ich hier wirklich über den Kauf eines Pferdes verhandelte.
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Die Frau war entzückt, einen Trottel wie mich gefunden zu haben, und überschritt großzügig meine Obergrenze gleich um einige Tausender. Sie hatte genau das Richtige für mich! 13.700 Mark (mich faszinierten diese 700) sollte ein Tier kosten, das Trab nicht von Tölt unterscheiden konnte, schneckenlangsam und ein bißchen doof war; ich hatte zwar wenig Ahnung von der Roßtäuscherei, aber danke, nein danke. Gar so grün war ich denn doch nicht!
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Der Himmel half wieder – keine zehn Minuten später lernte ich ganz durch Zufall den Präsidenten des französischen Berberverbandes kennen. Ein Unsympath, dieser Monsieur J.! Aber das lag wohl vor allem an seinem Nadelstreifenanzug und daran, daß er in meinen Jeans einen ernsthaften Hinweis auf Zahlungsunfähigkeit zu sehen schien. Immerhin gab er mir Züchteradressen. Berber gab es wohl öfter in Frankreich.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 22:57:15
In diesen Tagen lernte ich, schnelle Entscheidungen zu treffen: Das Pferd würde in Frankreich gekauft werden, da war’s offensichtlich billiger. Ich konnte meinen Mut kaum fassen. Aber ich brauchte Hilfe, und zwar professionelle. Hier ging es um das einzige Pferd meines Lebens, ich konnte mir doch keine Krücke andrehen lassen!
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Birte war Bereiterin. Aber sie hatte keine Zeit. Ein Bereiter mußte her! Von den Tarahausenern kam keiner in Frage, für die war ein Berber ja kein Pferd. Frédéric! Unser Führer bei mittlerweile fünf Reittouren durch die Provence. Leider war von meinem nie guten Schulfranzösisch rein gar nichts mehr vorhanden. Ich kaufte mir eine Sprachlehre, paukte ein paar Tage, machte mir Notizen, holte tief Luft und rief Frédéric an.
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Fred sagte Hilfe zu. Ungern zwar, denn vorsichtig wie stets wollte er nicht für eine etwaige falsche Entscheidung verantwortlich gemacht werden, aber oh là là,, die Erkrankung rührte sein Herz. Wohnen würde ich im Haus einer Freundin im nächsten Städtchen. Ich hatte eine Woche Urlaub bekommen. Eine Woche!
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Frédéric und seine Frau empfingen mich mit Wärme. Die Mahlzeiten würde ich mit der Familie einnehmen; Corinne bedeutete mir, daß ein Ablehnen als grobe Unhöflichkeit verstanden würde. Nur Zeit hatten sie leider nicht. Ich sollte die Züchter abklappern und mir ein Pferd aussuchen. Erst dann wollte Fred meine Wahl unter die Lupe nehmen. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt hatte, natürlich hatten die beiden zu viel Arbeit, um mich an der Hand zu nehmen! Aber alleine, ich, zu Züchtern, französischen obendrein?! „Je veux acheter un cheval“, mit diesem fehlerhaften Brocken erschöpften sich meine Sprachkenntnisse schon fast (man sagt „voudrais“, jetzt weiß ich das).
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Not kennt kein Gebot, und auch keine Schüchternheit. Mit Todesmut stotterte ich bei der ersten Adresse mein Anliegen vor, bei der zweiten ging es schon etwas fließender. Beim Besuch des fünften Züchters war’s mir schon fast egal - ich wollte ein Pferd!
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Auftrieb gaben mir auch die Leute in dem Altstadtviertel, in dem ich wohnte: Die alten Damen, die abends ihre Stühle auf einen Plausch vor die Haustüren rückten, die Männer, die von der Arbeit kamen – jeder hatte ein nettes Wort für mich. Manche lobten sogar meine raspelkurze Frisur! „Très chic, Madame!“ riefen sie und deuteten zur Erklärung auf ihre eigenen wohlondulierten Locken. Und alle fragten: „Na, haben Sie schon etwas gefunden, das Ihnen zusagt, Madame?“
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Doch nein, ich fand zwar Pferde in Scharen, aber nichts, das mir „zusagte“. Was man mir da nicht alles zeigte! Den Vogel schoß eine Araber-Hunter-Mischung aus dem Gruselkabinett ab: das hübscheste Araberköpfchen auf einem elefantenartigen Unterbau.
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Ich fand auch einen ganzen Stall voller Anglo-Araber, alles Füchse und einer so hübsch wie der andere. Dieser Züchter – eine Plakette an der Stalltür wies ihn als Reitmeister aus, also einen Könner vor dem Herrn, wenngleich man das der Gestalt mit den taillenlangen Haaren und dem Piratenohrring nicht ansah – führte mich herum, zeigte mir seine adrette Anlage und jedes einzelne Pferd und hörte mir höflich bald eine Stunde lang zu, wie ich in Qualen mit meinen französischen Brocken rang.
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Mir war ja mittlerweile fast gleich, was man von meinem Geisteszustand halten mochte: Ich grimassierte, malte Dinge auf einen Block und führte sogar einige gelungene Pantomimen aus. Ich glaube, ich hätte auch getanzt. Ich war schon fast im Gehen begriffen, da schaltete Monsieur zu meiner völligen Verblüffung sein Englisch ein! Der Mann sprach fließend, ganz ohne Akzent und fast besser als ich! Doch alles Englisch half ihm nichts: Ich konnte seine Füchse leider nicht bezahlen. Und außerdem wollte ich ja eigentlich einen Berber.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 23:03:07
Gegen brandrote Mohnfelder, Sonnenuntergänge in den Bergen, Thymianduft und ginstergelbe Hänge kam die Krankheit nicht lange an. Aber kein Therapiepferd weit und breit. „Und was werden sie jetzt tun, Madame?“ fragte man im Viertel. Ja, was würde ich jetzt tun? Es blieb nur noch ein Tag!
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Und eine Adresse, Monsieur J. selbst. Doch dieser nadelstreifengewandete Equitana-Mensch war ganz bestimmt zu teuer. Wenigstens sprach er fließend deutsch. Und Fred würde mich hinbringen, weil er Corinnes geliebte Kaline dort in die Tierklinik bringen mußte.
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Weil wir sehr früh losfahren wollten, verbrachte ich diese Nacht auf dem Hof. An Schlaf war nicht zu denken. Corinne und ich waren uns sehr nahe gekommen; ich hatte mich endgültig in die Provence verliebt und wollte nicht zurück ins Rhein-Main-Gebiet,  auch morgen würde ich kein Pferd finden; ich war krank - von Selbstmitleid und Abschmiedsschmerz überwältigt, saß ich auf der Außentreppe, einen gloriosen Sonnenuntergang, dann einen noch grandioseren Sternenhimmel vor Augen. Hölderlin deklamierend. Ging es irgend einem Menschen auf der ganzen weiten Welt so schlecht wie mir?
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Mir war schon alles egal, als Fréderic am nächsten Vormittag den Jeep vor Jacquelins Hof parkte. „Allo allo!“ Aus dem Tor schoß eine zerlumpte Gestalt in schmutzigen langen Unterhosen. Sie entpuppte sich als der geschliffene Nadelstreifenherr von der Equitana und die Unter- als billigste Reithose. Ich hätte den Mann nicht wiedererkannt, wären nicht die intensivblauen Augen gewesen – geradezu unglaublich blaue Augen, heute allerdings in einem seit mehreren Tagen unrasierten Gesicht. Ich sollte zwar ein Pferd von ihm kaufen, aber Monsieur tat, als sähe er mich nicht. Von dem mit großer Geschwindigkeit geführten Gespräch der beiden Männer verstand ich nur Bahnhof. Ich stand stumm daneben und fühlte mich wie ein Clown.
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Fred begriff endlich: „Wir fahren zur Weide. Einige Kilometer“, erklärte er mit seinem langsamsten Touristen-Französisch. Das war ja bescheuert; konnte dieser Depp nicht deutsch mit mir sprechen?
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Ich wurde in einen zerbeulten kleinen Renault gescheucht und fiel prompt mitsamt dem Rücksitz um. Haltsuchend verhedderte ich mich in einigen Dutzend Stricken. Es kümmerte niemanden. Monsieur gab ungerührt Gas, die Männer unterhielten sich. Ich bin eigentlich hart im Nehmen, aber als man an der Weide ankam, war mir schlecht.
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„Oh là là là là! Oh là là là là!“ Der Mistkerl und Frederic, beide kurz und untersetzt, rannten laut rufend und heftig gestikulierend über die Wiese, als wollten sie Hühner scheuchen; leider war mir zu übel, um das Bild richtig würdigen zu können. Aus dem Nichts erschienen hundert Pferde. Fred und der Widerling banden die Leitstuten an Bäumen fest.
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 „Können sie nicht mal ein paar Stricke aus dem Auto holen!“ Aha, wenigstens brüllen konnte er deutsch. Gekränkt trottete ich zum Wagen. Wenn einem doch nichts erklärt wird! Ich sah vor lauter Herde kein Pferd. Obwohl es höchstens vierzig waren. Oder vielleicht dreißig.
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Frederic deutete mit der Schulter. Den kleinen Braunen meinte er?
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„Den da will ich ausprobieren.“ „Den Braunen? Ist ein gutes Pferd, sechs Jahre, wir nehmen den daneben auch noch mit, ein Vollbruder.“
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Schon war der Deutsch-Anfall auch wieder vorbei. Die anderen Pferde wurden wieder auf die Weide gescheucht, die beiden Braunen bekamen Trensen verpaßt. Jacquelin hechtete auf den Vollbruder. Erst als Fred sich auf den ungesattelten Kleinen schwang, wurde mir klar, daß ich den Renault zurücksteuern sollte. Lenkradschaltung kannte ich nicht, und ich wollte mich weder blamieren noch im Graben landen. Obwohl das dem arroganten Kerl zu gönnen war!
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„Ich reite.“ Erst nach diesem forschen Spruch erinnerte ich mich, daß ich Angst hatte ohne Sattel. Und die Reithosen noch nicht an. Und Flip-Flop-Schlappen an den Füßen. Zu spät!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 23:12:38
Ich wurde hochgeworfen (und wie gemein, daß ich Hilfe brauchte und mich nicht wie die beiden Männer selbst aufs ungesattelte Pferd schwingen konnte, das habe ich bis zum Schluß nicht gelernt) - und fühlte mich zu Hause. Nach wenigen hundert Metern war klar: Das Therapiepferd war gefunden! Mit diesem Tier würde mir nichts passieren, das wußte ich einfach (ich sollte später oft an dieses Gefühl zurückdenken). Und bezahlbar war es auch.

Fred war mit Kaline in die Klinik gefahren, und auf dem Hof sprach Monsieur J. auf einmal wieder deutsch. Ich war nicht besänftigt. „Wollen sie einen Kaffee? Gisela, kümmer’ Dich mal darum.“ Gisela, die eine Reittour mit ihm mitgemacht hatte und hier hängengeblieben war, setzte Wasser auf. Der Hausherr schoß durch die Küche: „Laßt Euch ruhig Zeit. Wir fahren erst in zehn Minuten!“ Und verschwand.
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Ich ließ vor Erstaunen mein Marmeladenbrot fallen. Auf die Marmeladenseite, natürlich. Ja, war der denn wirklich komplett verrückt? Ich will ein Pferd kaufen, und der fährt weg! „Wir wollen Leute vom Bahnhof abholen.“ Gisela schien ihn ganz normal zu finden. War wohl ansteckend.
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Monsieur wetzte wieder zurück. „Fertig?“
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„Ich will ein Pferd kaufen.“

„Sie fahren mit, oder sie bleiben allein auf dem Hof. Sie können sich ja inzwischen die Zuchtstuten ansehen.“

Dieser Drecksack! Der Renault schoß mit hundert Sachen aus dem Tor. Und mit hundert Sachen wieder zurück: „Du kannst ja inzwischen die Wassertonnen füllen!“ Weg waren sie.
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Aha, jetzt waren wir schon beim Du. Kannst deine Wassertonnen allein füllen. Wo sind wir denn hier! Und fährt weg und läßt die Pferde angebunden ohne Beaufsichtigung! Ich ließ mich auf einen Baumstamm sinken. Die beiden Pferde waren an der Hauswand angebunden.
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Zum ersten Mal hatte ich Zeit, mein Therapiepferd richtig zu betrachten. Schön war er ja nicht, dieser Tignous. Mordsbrustmuskeln, hinten sah er aber eher wie ein Windhund aus. Scheppe Blesse. Kuhhessig und vorn auch nicht ganz korrekt. Verfilzter Schweif, mottenzerfressene Mähne. Und definitiv kein Schecke.
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Nicht gerade das Pferd meiner Träume. Aber er sieht hellwach aus. Steht ruhig, sein Bruder ist hibbelig. Das kann ich ja nun gar nicht gebrauchen. Und immerhin bin ich ihn ohne Sattel geritten, und ich lebe noch! Und Fred sieht was an ihm.
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Die warme Morgensonne machte müde; ich nickte fast ein. Da  ein ohrenbetäubender Schrei! Vor Schreck ließ ich die Zigarette fallen, dem Hofhund auf den Kopf, der mir vertrauensvoll zu Füßen gelegen hatte. Er kläffte empört. Noch ein Schrei. Mein Gott, da wurde jemand ermordet! Und ich ganz allein! Ich verspürte den starken Drang, mich hinter den Wassertonnen zu verstecken, raffte aber meinen Mut zusammen und schlich zum Stall.
Vorsichtig die Stalltür geöffnet: „Ist da jemand?“ Ein markerschütterndes Kreischen direkt ins Ohr: Ein Eselhengst. Mein Gott! Aufatmend lehnte ich mich an die Wand.
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Langsam kam ich wieder zu mir. Zuchtstuten ansehen. Hinterm Haus, hatte der Mistkerl gesagt. Ich kroch zwischen den E-Drähten durch. Tauchte langsam auf der anderen Seite empor - sah komische Beine - blickte auf -  nein, keine Zuchtstute. Ein - Dromedar. Hoch-mü-tig. Halluzinationen, meine liebe Tara. Nun gut, Du hast nicht geschlafen... Vorsichtig, ganz vorsichtig ging ich um das, was ich für ein Dromedar hielt, herum. Lief um die nächste Ecke und sah endlich etwas Pferdeartiges.
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Ein einsames schwarzes Ponykind. Wie niedlich! „Na, mein Schatz, wer bist du denn?“ flötete ich zuckersüß und leicht idiotisch. Wie eine Furie schoß aus dem Nichts die Ponymama auf mich zu. Ihr kräftiger Biß trieb den Eindringling wenigstens in die richtige Richtung - da standen tatsächlich die Zuchtstuten. Und auch beim zweiten Hinsehen war da noch ein Dromedar; es schien sich also tatsächlich um ein solches zu handeln. Ich kroch zurück durch den Zaun, rieb den blauen Fleck. Und füllte fügsam die Wassertonnen.  :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Mai 2020, 23:26:26
In einer Staubwolke kam der Renault zum Halten. Fast gleichzeitig rollte Fred mit Kaline an. Beide Männer schossen aus den Autos - konnte sich hier niemand mit normaler Geschwindigkeit bewegen? Monsieur J. schleppte im Laufschritt Sättel herbei. Also Sättel – „Aus dem Museum“, erzählte ich Corinne hinterher. „Nein, der hat die Sättel gekriegt, die das Museum nicht haben wollte“, berichtigte Fred. Weltkrieg eins. Brüchiges Leder, mit Bindfaden geflickt. „Ich sattle selbst“, meinte der vorsichtige Hausherr.
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Fred, der den Bruder ritt, wollte Tignous im Gelände sehen. Ließ mich Hänge hinauf- und hinunterreiten, weg vom großen Bruder und wieder zurück, an einem Trecker vorbei. Wie ein Irrer rutschte Monsieur da einen Geröllhang hinunter, riß die Wagentür auf, schrie: „Wenn sie etwas Ruhiges suchen, ich habe ganz vergessen, da ist eine Stute, ist zwar schon achtzehn...“ Wir dankten. Der Renault schlingerte weiter.
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Brav, aufmerksam und gelehrig, lautete Frédérics Urteil über Tignous: „Das Richtige für dich.“ Nur angaloppieren wollte er partout nicht. Und stehen bleiben: Man hatte einen Zeh noch nicht im Bügel, schon rannte er los. Fred probierte es selbst aus; eine kleine Lektion in Pferdeerziehung: Er nahm nicht einmal die Zügel auf, brachte mein Pferd nur aus dem Gleichgewicht - beim dritten Versuch stand das Pferd. ,,Très intelligent.“ Ich glühte schon vor Besitzerstolz.
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„Fred, wenn der Tierarzt sagt, er ist gesund, nehme ich ihn.“
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„Kein Tierarzt. Laß das wenigstens mit dem Röntgen sein. Viel zu teuer.“
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Vor meinem geistigen Auge stand das Reitinstitut. Mein Gott, die mit ihren Super-Duper-Dressurpferden würden schon genug lachen über Tignous, und wenn er dann auch noch nicht gesund war...
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„Eure Dressurpferde. Die Leute machen immer eine Ankaufsuntersuchung?“ Ja natürlich! „Und Eure Pferde sind dann auch immer gesund?“ fragte Fred hinterhältig. Also gut, kein Röntgen. Und überhaupt, Tignous würde mich um Jahre überleben.
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„Sie will noch mit ihm in die Klinik.“ Hastiges Telefonieren: Der Arzt mußte dringend zu einer abfohlenden Stute, aber wenn wir gleich kämen... Im Schweinsgalopp mit beiden Pferden aus dem Hoftor. Ich glotzte: Ein riesiger Zirkustransporter stand da, rot-blau-weiß mit nackter Ballerina. Fred grinste.
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Beide Pferde wurden im Galopp die Rampe hochgescheucht. Kein Pferdetransporter dies, einfach ein großer leerer Lastwagen! Mit Platz für mindestens zwölf Pferde.
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Monsieur startete durch. Mit achtzig Sachen um die engen Kurven. Mein Magen machte sich wieder bemerkbar. Wenn nun ein Auto entgegenkam! Es kam eins; die Bremsen quietschten. Hinten rumste es. Mein Gott, mein Pferd hat sich die Beine gebrochen. Beim nächsten Auto beschleunigte der Verrückte auf hundert und fuhr halb auf die Straßenböschung; der Transporter neigte sich bedenklich, ich fiel aufs Lenkrad. Fred grinste nur. Deutete kurz nach hinten: Merkst du was? Kein Laut. Die Pferde können prima Hänger fahren. Das mußten sie wohl auch, wenn sie bei Monsieur überleben wollten.
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Mit qualmenden Reifen kam der Transporter zum Stehen, einen knappen Zentimeter vor der Hauswand. Ich lehnte mich erschöpft gegen die Tür. Ein Mensch in weißem Kittel rannte aus der Klinik.
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Mit affenartiger Geschwindigkeit kletterte der Doktor zu den Pferden, alles quasselte wild durcheinander. Zu meiner Beruhigung beobachtete Fred aber alles mit Argusaugen. Mit zwei Galoppsprüngen ging’s die Rampe runter zum Vortraben, der Irre schoß mit meinem Pferd über den Hof wie ein Kugelblitz. Ich war schon vom Zuschauen atemlos.
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„Das Pferd ist gesund, hübsch und intelligent“, meinte der Arzt, „wollen sie es schriftlich?“ Ich wollte.
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Im Laufschritt hasteten der kleine Arzt, der kleine Frederic und der kleine J. ins Büro; eine Sekretärin drückte sich erschrocken gegen die Wand. Ich hechelte weit abgeschlagen hinterher. Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit wurde das Gesundheitszertifikat geschrieben, gestempelt - und dann... lehnte sich der Doktor gemütlich zurück, um nach dem Befinden der Gattinnen zu fragen. Das Gespräch über Gott und die Welt plätscherte gute zwanzig Minuten lang, und dann setzte der Vet blitzschnell seine Unterschrift unter das Dokument, alles raste aus der Klinik, und ich durfte zum dritten Mal an diesem bemerkenswerten Vormittag mit einem Geisteskranken Auto fahren.
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Wieder mit großen Sprüngen, alles nur im Galopp, wurden die Pferde auf dem Hof vom Transporter gescheucht; noch im Sprung wand der Meschuggene Tignous einen Strick ums Vorderbein: „So kannst du ihn hobbeln. Ist praktisch. Ich muß jetzt weg. Hab mich schon viel zu lange aufgehalten!“ Der Verrückte rannte davon.
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„Verdammt, ich will dieses Pferd kaufen!“ Ich konnte ihn gerade noch einholen.
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„Ach ja.“ Der Irre stellte rasend schnell den Kaufvertrag aus. Und noch einen zweiten, wegen der Steuer.
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„Ihr holt ihn morgen ab?“ Weg war er.
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Ich hatte tatsächlich ein Pferd gekauft. Und zwar im Laufschritt!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 04. Mai 2020, 08:25:18
 ;D
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Obstjiffel am 04. Mai 2020, 10:09:15
Tara Chaplin macht den Hubschrauber und kommt vor den Sattel zu sitzen. Sie hat die Füße noch im Bügel und kann weder auf den Boden rutschen noch zurück in den Sattel.
Zeppi galoppiert brav weiter. Birte versucht ihn aufzuhalten. Zeppelin rauscht durch die Halle wie die Gorch Fock unter vollen Segeln. Tara Chaplin sitzt auf seinem Hals wie eine Galionsfigur; Großaufnahme von Tara Chaplins Gesicht: Tara Chaplin wimmert leise. Der Halswickel scheint Zeppi nicht weiter zu stören.


DAS kenne ich gut! Eins meiner Pflegepferde war Mikado, dass Pferd meines Reitlehrers. Heiß geliebt von mir, trotzdem wir zwei irgendwie beim reiten ein komisches Verhältnis miteinander hatten. Er hat mir fallen beigebracht, jede Stunde. Mit niemandem anders hat er so einen Zenober veranstaltet, bei mir von der ersten Stunde an. Es war nie bös gemein, einfach nur albern und so eine Art Wettstreit. Wenn ich raus hatte wie ich oben blieb, packte er die nächste Idee aus. Das ich auf seinem Hals landete passierte nur einmal, er war so nett eine halbe Bahnrunde mit mir zu drehen, dann zu steigen und in dem Augenblick als ich wieder im Sattel saß, ging der Hintern mit auskeilen und einem Quietschen seinerseits nochmal in die Luft. Das war der einzige Sturz bei dem ich mir bös weh tat. Mikado kam nur mir und schnoberte mir ins Gesicht, stubbste auffordernd mit der Nase, dass ich wieder aufsteige. Ging aber an dem Tag nimmer. Diese Art des Absetzens hat er nicht wiederholt  ;D Er kam immer, nach jedem Sturz direkt hinterher zu mir, schnoberte, stubbste und war irgendwie am grinsen. Es hat immer unterschiedlich lang gedauert, bis er in so einer Stunde der Meinung war ich solle fliegen. Hab es nie geschafft es vorher zu sehen, mein Reitlehrer aber auch nicht. Nach den ersten erschreckenden Malen habe ich mich eigentlich immer kaputt gelacht, ihn umarmt und weiter ging es.

Irgendwann sollte ich dann auf einem Turnier eine Dressurprüfung mit ihm reiten. Mir war ganz klar, dass er mich absetzen würde. Er war ein Traum, ging wie eine Eins und wir machten den zweiten Platz, kein rumalbern. Und dann die Siegerehrungsrunde. Die Tribüne war voll mit Freunden, welche natürlich während der Prüfung auf seine Albernheit warteten. Sie bekamen sie hinterher, aber ich blieb oben und er schnaubte, drehte den Kopf und nuckelte kurz mal am Stiefel.

Ich genieße diesen Thread gerade sehr. Seit ich 18 bin sass ich nicht mehr auf einem Pferd. Vermisse es sehr, die Liebe zu den Pferden wird immer da sein. Irgendwie sind sie auch immer mehr oder weniger nah bei mir.
Titel: Re:Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 10:27:54
Ja, das hat man öfter, daß ein Pferd solche Späßken nur mit einer bestimmten Person anstellt.  ;D Man kann es als Kompliment nehmen. ;)

Wenn ich raus hatte wie ich oben blieb, packte er die nächste Idee aus.

 8) ;D

Vermisse es sehr, die Liebe zu den Pferden wird immer da sein. Irgendwie sind sie auch immer mehr oder weniger nah bei mir.

Ja, das ist so, das geht nicht weg, wenn's einen einmal gepackt hat. :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 04. Mai 2020, 11:27:15
Tara, eine herrliche Geschichte :D Wie lange durftet Ihr zusammen reiten?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Asinella am 04. Mai 2020, 11:45:45
Köstlich  :D!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 04. Mai 2020, 12:12:11
Menno, jetzt hab ich den ganzen Faden durchgelesen  ::)! Vieles kommt mir sehr bekannt vor  ;D. Damals musste man noch hart im Nehmen sein- da wurde wenig Rücksicht auf das zarte Gemüt eines Reiterlein genommen. Was konnten die alten  Rittmeister einen zusammenstauchen, wenn es nicht so lief, wie gewünscht  :o!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 04. Mai 2020, 12:18:09
Tara, ich habe Tränen gelacht. Danke und weiter so.
Lebt Dein Pferdchen eigentlich noch? - oder ist das jetzt unsensibel  :-\
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 12:42:11
Nein, mein Ti ist nun schon lange tot, mit 25 an einer Kolik gestorben. Ich hatte immerhin knapp 20 Jahre mit ihm - 10 davon bin ich ihn noch geritten. Die zehn schönsten Jahre meines Lebens.  :D Eine Zeichnung von ihm hängt hier überm Computer - kein Tag, wo ich nicht an ihn denke.  :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 12:51:29
Was konnten die alten  Rittmeister einen zusammenstauchen, wenn es nicht so lief, wie gewünscht  :o!

Oh ja! Da konnte jemand ein noch so wichtiger Mann in der Stadt sein - wenn der Oberreitlehrer brüllte "Sie da, Herr X, "durchparieren" habe ich gesagt!! Was machen sie eigentlich, wenn sie wirklich mal in Ungarn in der Puszta reiten und anhalten wollen?! So kommen sie vor Würzburg nicht zum Stehen!!!" - da zog der Herr X den Kopf ein und schlich sich an schadenfrohen oder mitleidigen Gesichtern vorbei (denn jeden konnte es morgen ebenso treffen) bedröppelt davon.  :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 04. Mai 2020, 13:08:42
Oh ja, mir hat mal ein alter Knochen, sprich:Reitlehrer, im zarten Alter von 14 Jahren, knallhart gesagt: „Du wirst es nie lernen!“
Sehr motivierend  :(!
Dass man nie auslernt, ist klar, aber immerhin hab ich meine - jetzt 29-jährige - Lusitanostute so weit ausgebildet, dass sie alle Seitengänge und Piaffe ging.
Mit der Passage haben wir unterwegs manchmal angegeben, wenn wir andere Pferde trafen, gewollt abrufen  konnte ich sie aber nicht.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 13:25:35
Ui! Zu einer Piaffe hätte ich mich nie versteigen können. :P Seitengänge habe ich am Maindamm geübt, wo er mir nicht nach vorne auswutschen konnte (wir waren ja abgesehen von Reiterspielen und ähnlichen Veranstaltungen ausschließlich im Gelände). Passage wäre für mich undenkbar gewesen, das Fettepony selbst hatte sowas schon drauf - wenn nämlich eine rossige Stute in der Nähe war (sie konnte einen Kilometer weg sein, er wußte es) - oder wenn auf der anderen Flußseite die Blaskapelle übte. Hui! :P  ;D ;D Frau Winterling brachte mich darauf, daß Ti wohl das Berber-"Tanz-Gen" mitbekommen hatte. Und wirklich fand er Musik jeder Art unglaublich aufregend, was so Sachen wie Festumzüge mit Kapellen nicht eben erleichtern sollte. :P  ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 04. Mai 2020, 14:30:22
Ja, den Iberern fällt das leicht  :). Dafür war sie im Angaloppieren „schwierig“/bzw. ich war zu langsam. Die Lusis sind ja auf extreme Reaktionsschnelligkeit gezüchtet, und so ist die Stute genau in dem Sekundenbruchteil angaloppiert, in dem ich die Hilfe gab. Wenn die Beinstellungin dem Augenblick nicht für den Handgalopp passte, ist sie eben entsprechend im Konter- oder im Kreuzgalopp angesprungen. Sie war also absolut gehorsam... Nachdem ich endlich die Ursache des Problems (meine Langsamkeit und Ungenauigkeit  :-[) erkannt hatte, hab ich mich wahnsinnig darauf konzentriert, diesen zeitlichen Winpernschlag zu erwischen. Später hatte sie verstanden, dass ihr Reiterlein ab und an mal wieder zu nachlässig bei der Hilfengebung war. Es zuckte  dann in ihr, und sie verzögerte das Angaloppieren, bis die Beinstellung passend war. Kluges Tier 😍!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Henriette am 04. Mai 2020, 15:10:06
Vom Reiten und solch herrlichen Dingen konnte ich Anfang der 50Jahre nur träumen.  :'( :'( :'(
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 04. Mai 2020, 16:13:05
Tara, schön, dass Du eine so lange Zeit mit diesem besonderen Pferd verbringen durftest. Ich bewundere Dich für Deinen Mut, mit fast null Sprachkenntnissen nach Frankreich gefahren zu sein! Die Erfahrung, dass jemand auf einmal fließend Englisch sprach, nachdem wir uns fünf Tage mit Französisch und Händen und Füßen abgemüht hatten, durften wir machen.
Die Beschreibung des Pferdeverkäufers erinnert mich an Luis de Funés ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 16:16:34
Vom Reiten und solch herrlichen Dingen konnte ich Anfang der 50Jahre nur träumen.  :'( :'( :'(

Das ist sehr schade.  :-\ Für mich ist es das beste, das mir im Leben widerfahren ist.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 16:26:28
Die Beschreibung des Pferdeverkäufers erinnert mich an Luis de Funés ;D

Ja, das kommt hin! ;) Ich habe ihn übrigens später noch einigemal gesehen, und er war tatsächlich ein guter Pferdemann, und ich fand ihn dann auch nett. Tatsächlich hatte er sogar eine Anhängerschaft. ;) Aber eigen war er. Ich habe in Frankreich auf dem Land in der Pferdeszene eine ganze Reihe von, äh, sehr individualistischen  ;) Menschen kennengelernt.

Was den Mut betrifft - mir war die Sache eben sehr wichtig, und da kann ich zäh sein.
Zitat
Die Erfahrung, dass jemand auf einmal fließend Englisch sprach, nachdem wir uns fünf Tage mit Französisch und Händen und Füßen abgemüht hatten, durften wir machen.

 :P Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, daß man überall und wirklich ohne Ausnahme, nicht nur im Süden, höflich und freundlich war - und sehr hilfsbereit -, wenn die Leute merkten, daß man sich Mühe gab.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 20:24:00
„Der war ja nett zu Dir“, rätselte Frédéric auf dem Heimweg.
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„Nett? Ihr seid ja hier nicht normal! Läßt mich stundenlang warten und erzählt mir noch, ich soll seine Wassertonnen füllen!“
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„Ich kenne ihn seit Jahren. Der war für seine Verhältnisse schon sehr höflich zu dir.“
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Wenn du meinst. Ich war erschöpft. „Ich sollte ja auch ein Pferd für zwanzigtausend Francs kaufen.“
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„Und wenn es zweihunderttausend gekostet hätte, das ist dem ganz egal. Weißt du, was der ’mal gemacht hat? Der veranstaltet doch genau wie ich auch Zweiwochenritte. Und da waren am vorletzten Tag ’mal die Pferde müde, und die Kunden nörgelten. Und da hat er den Transporter kommen lassen, Pferde und Sattelzeug verladen und hat die Leute achtzig Kilometer von zu Hause einfach mitten in der Pampa sitzen lassen.“
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Ja doch, das traute ich ihm zu. Ich begehrte Aufschluß über das Dromedar. „Den Transporter wollte er unbedingt haben, als der Zirkus sich auflöste, aber er mußte das Dromedar dazunehmen. Sein Sohn reitet es. Er hat auch drei Lamas. Übrigens, mach’ ihm das mit dem Hobbeln nicht nach. Ist wirklich gefährlich.“
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„Morgen früh machen wir noch einen Ausritt, bevor du zurück nach Deutschland fährst“, lächelte Corinne. Ausritt? Ich hatte ein nacktes Pferd gekauft.
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„Das macht nichts. Wir leihen Dir was.“
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Nun verfügte das Centre Equestre nur über Hackamores. Tignous aber wurde auf Trense geritten. Mir war mulmig zumute. „Dann lernt er das Hackamore eben kennen.“ Ja, diese Profis! Aber ich bin ein Reitidiot!
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„Dann setzt aber du dich auf Tignous und ich nehme Kaline.“ Mir ging richtig die Muffe. Niemand konnte so bezaubernd lachen wie Corinne. „Aber du hast ein Pferd gekauft! Jetzt  mußt Du es auch reiten!“
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Abends im Städtchen dann kam mein großer Auftritt: Das ganze Viertel freute sich mit mir. Einer gab’s dem anderen weiter: Die Deutsche hat ein Pferd gefunden! Vor dem Haus standen die Nachbarn regelrecht Spalier. „Gratuliere, Madame! Gratuliere!“ Noch nie waren mir Menschen so sympathisch gewesen. Am liebsten hätte ich ein Fest gegeben!
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Und dann der Ausritt am nächsten Morgen! Diesen Ritt würde ich nie vergessen. Es war traumhaft. Dornen, Steine, Abhänge - Tignous war trittsicher wie eine Bergziege; im Galopp um die Ecken, daß uns die taunassen Zweige ins Gesicht schlugen; der Thymian duftete, Sternklee, Binsenlilien, Zistrosen - überall blühte es.
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Und ich saß auf meinem eigenen Pferd! Ich hatte ein Pferd, ich hatte ein Pferd!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 20:30:24
Es wurde vereinbart, daß Tignous hierbleiben sollte, bis Birte ihn holen kam. Fred würde sich um den Kauf von Trekkingsattel und Hackamore kümmern. Beides hatte ich auf unseren Wanderritten schätzen gelernt. Tignous hatte nämlich ganz und gar nichts gegen das Hackamore einzuwenden, ich würde ihn sowieso nur im Gelände reiten, und ich hatte eh Mühe, die Hände längere Zeit geschlossen zu halten. Die Muskeln spielten einfach nicht mehr richtig mit. Da war das Hackamore praktischer. Was allerdings die Tarahausener dazu sagen würden...!
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Der Abschied war tränenreich. Selbst Frédéric war gerührt. „Komm mal mit.“ Er führte mich zu einer kleinen versteckten Hütte, die ich noch nie bemerkt hatte. „Du willst doch den Tignous bestimmt besuchen. Und wenn du allein sein willst - also, du kannst die Hütte haben, wann immer du kommst.“
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Er hatte mich wohl vorgestern heulend auf der Treppe sitzen sehen. Ein schöneres Geschenk hatte ich noch nie bekommen. Das war zuviel! Mir liefen die Tränen übers Gesicht.
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Fred wurde streng vor Verlegenheit: „Das Pferd darf übrigens keinen Hafer haben, sonst...“ - Voler? Ich verstand nicht. Fred schlug mit imaginären Flügelchen. „Und Du fliegst auch.“ Aha. Ich schluckte. Gerste sollte das Tier haben. Das konnte ja heiter werden im Reitstall.
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Auch Corinne weinte. „Bon courage! À bientôt! Ich passe gut auf Deinen Tignous auf!“
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Aber auf dem Heimweg sang ich vor Glück. Ich glaube, ich sang ohne Pause, neunhundert Kilometer lang. Ich hatte ein Pferd, ein Pferd, ein Pferd!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 21:19:50
Gertrud - ihr gehörte das „Trudis Heustadel“, Reitladen und wichtiges Kommunikationszentrum - war die erste, die es erfuhr. „Gratuliere! Erzähl!“
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„Ein Arabo-Berber. Leider nur ein Viertelberber. Hat Papiere, eingetragen im Berberverband, Sektion AB.“ Mein Beharren auf Papieren hatte Fred als weibliche Laune aufgefaßt bei einem Pferd, das man einfach nur reiten wollte. Man ritt ja nicht auf den Papieren, und Papiere verteuerten die Sache nur.
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„Sektion AB“ sagte Gertrud nichts. Bei Trakehnern und Westfalen kannte Trudi sich bestens aus. Alles andere aber war ihr ein böhmisches Dorf und nicht ganz ernst zu nehmen.
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Wir lachten uns halbtot über die Papiere: Väterlicherseits konnte Tignous eine lange Ahnenreihe aufweisen. Der Papa, der ganz genauso aussah wie Tignous – auch das Brüderchen hatte sich in nichts vom Hengst unterschieden – war immerhin im französischen Araber-Stutbuch und im Tunesischen Stutbuch für Vollblut-Araber eingetragen. Und die Urgroßväter trugen so wohlklingende Namen wie Beyrouth und Cheikh el Durbane. Der Scheich von Durban, kein geringerer! Auf Mutterseite aber stand da nur ein einziges Wort: nämlich schlicht „Lilly“.
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„Wie alt?“ „Knapp sechs. Braun mit Blesse. Ja. Und, wie soll ich sagen... Er ist ein beflissenes Pferd. Sagt, ich mach ja alles, Du mußt es mir nur erklären. Kann überhaupt gar nichts. Kennt nicht mal die Hilfe zum Angaloppieren.“
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Das konnte Trudi nun nicht glauben, ein Sechsjähriger, der die Hilfe zum Angaloppieren nicht kannte. Das mußte an meiner Reiterei liegen. Aber sie war bereit, großmütig darüber hinwegzugehen. Und sie hatte ein hübsches buntes Halfter für Tignous. Sein erstes Kleidungsstück! Das gab mir ein ganz wichtiges Gefühl.
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Und einen Schlachtplan hatte Trudi: Weil mit Sicherheit jeder lästern würde über dieses komische Tier, das so gar nicht ins Reitinstitut paßte – diesem Spießrutenlauf sah ich mit Schrecken entgegen -, würde ich die große Neuigkeit beim nächsten Stammtisch fröhlich unbefangen verkünden und eine Runde Sekt ausgeben. Fröhlich und ganz unbefangen, na, ob ich das wohl hinkriegte. „Und dann können die sich das Maul zerreißen, wie sie wollen“, grinste Gertrud, „bis dein Tignous kommt, läuft längst ein neuer Hund durchs Dorf.“
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Der Sekt wurde dankend angenommen. Aber das Gassenlaufen war noch schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 21:45:50
Nur Anne, die das Casino führte, gratulierte. Die anderen zeigten ihr Mißfallen deutlich. Gerhard fragte sogar, was ich bezahlt hatte. Solche Fragen waren sonst absolut tabu. Siebentausend, siebentausend Mark. Das war in Gerhards Augen lächerlich wenig für ein Pferd direkt vom Züchter, wenn es denn etwas taugen sollte, ein Pferd, das sich noch nicht in irgendeinem Reitstall einen Schaden geholt hatte. Was mußte das für eine Krücke sein... Die ihm einleuchtende Erklärung bastelte er sich selbst zurecht: ein Pferd, das nicht angaloppieren konnte. Na ja, dann. Ich mußte ja wohl porös sein. Kann eh schon nicht richtig reiten und kauft sich noch ein Pferd, das auch nichts kann.
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Und was mußte ich mir mein Pferd in Frankreich kaufen? So was machte man einfach nicht. Das war exzentrisch und sah mir wieder mal ähnlich. Was war das? Ein Berber? Niemand wußte so richtig etwas damit anzufangen. Es gab doch wohl auch kleine Trakis und ihretwegen sogar Zweibrücker, und es gab auch Haflinger (das hätte man vielleicht gerade noch stirnrunzelnd akzeptiert) oder im Notfall sogar Deutsche Reitponys...
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Ein Berber! Araber fanden sie schon meschugge. Die galten aus einem Grund, den man wohl schon vor einigen Generationen vergessen hatte, denn er wurde nie genannt, als absolut gefährlich für Leute mit durchschnittlichen Reit- und Pferdehalterkenntnissen. Und mein Pferd war dreiviertel Araber und ein Viertel Berber – jetzt war die Tara ganz durchgeknallt, man war sich einig wie selten. Ach ja, diese Winterling in der Feldscheune, war der Schimmel nicht ein Berber? Na ja, dann war ja alles klar. Das Urteil über Frau Winterling stand fest, das über mich nun auch.
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Das trübte meine Freude etwas, aber nur etwas. Ich hatte ein Pferd. Ein Pferd, auf dem ich sogar ohne Sattel gesessen hatte. Ein Pferd, ein Pferd... Ich dachte an nichts anderes mehr.
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„Leute, wenn wir ganz schnell arbeiten, kann ich heute noch nach Frankreich fahren.“ Jeden Mittwoch bettelte ich, die ich mein Geld als Redakteurin einiger Wochenblätter verdiente, morgens in der Technik die Monteure an. Wenn wir heute nicht rechtzeitig fertig würden, konnte ich den Frankreich-Besuch in dieser Woche heften. Donnerstag wäre zu spät.
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Alle spielten mit. Auch die Redakteurskollegen, denen ich von der Technik zeitlich vorgezogen wurde und die nun um Stunden später nach Hause kommen würden. Um zwei machte sich Otto, das schmuddeligste, zerbeulteste Auto im Landkreis (zum Autoputzen hatte ich keine Zeit, seitdem ich ritt), nach Frankreich auf.
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Zwölf Stunden später begrüßte mich der Hofhund im Reitzentrum, in dem schon seit Stunden sonst niemand mehr wach war. Ich war die einzige, die sich nähern durfte, ohne Titounes mörderisches Gebell auszulösen. Ich war sozusagen Familienmitglied und richtig stolz darauf. Dann sah ich durch die offene Hüttentür in den Sternenhimmel und ließ mich von den Zikaden in den Schlaf zirpen. Diese Sterne! Man meinte, man müsse nur den Arm ausstrecken und könne sie vom Himmel pflücken wie Mirabellen.
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Auf der Koppel stampften und schnaubten die Pferde. Zikaden und Pferde, das waren die einzigen Geräusche. Corinne, wenn sie auch meine Begeisterung schwer nachvollziehen konnte – sie wohnte ja auch nicht wie ich an einer Durchgangsstraße, sondern zwanzig Minuten entfernt von jedem Nachbarn allein im Busch –, stellte nachts heimlich einen Kassettenrecorder auf und schenkte mir das Band zum Geburtstag. Pferde und Zikaden, welch eine Nachtmusik!
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Bei der Herde da unten war auch mein Pferd. Mein eigenes Pferd. Meins.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 04. Mai 2020, 22:05:00
Ja, der 1. Pferdekauf ist schon was besonderes  :). Wobei ich mein 1. Pferd für meine Tochter gekauft hab ....und zwar als Jährling  8). Großgezogen und eingeritten hab ich es aber  ;).
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Mai 2020, 22:27:42
Prima. Das hätte ich nicht gekonnt.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Brezel am 04. Mai 2020, 23:43:59
Seit Wochen warte ich auf einen verregneten Urlaubstag. Um auch den Kram mal zu sortieren und zu erledigen, der hier immer liegenbleibt, wenn ich mich im Garten rumtreibe.

Heute war's soweit. Urlaub und Regen! War wirklich nur kurz draußen.
Und was mach ich? Pferdegeschichten lesen...  ::) :-[ ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. Mai 2020, 19:25:36
Das freut mich, Brezel. :) Hier gibt's mehr:
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Die Sache war anstrengend - mein ganzes Wochenpensum wie verrückt an drei Tagen erledigen, dann zwei Tage Urlaub, Sonntag spät nachts zurück -, aber sie lohnte sich. Tignous lernte mich allmählich kennen. Und das war mir wichtig, denn er litt unter dem Wechsel zu Corinne und Fred. Immerhin hatte er seine ganze Familie verloren, Mama, Onkel, Tanten und Geschwister, mit denen er ein Leben lang zusammengewesen war. Und bald stünde ihm noch ein Wechsel bevor. Da sollte er zumindest eine feste Bezugsperson haben. Nämlich mich.
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Und so war ich stets beladen mit allerlei Gutem. Ti – das sprach sich mit Ausrufungszeichen und war eigentlich keine Abkürzung, sondern kam von Corinnes empörtem „Dit!“, "sag' mal!", wenn sich ein Pferd danebenbenahm, bei Tignous sagte sie es öfter mal – Ti allerdings kannte nur Brot und Äpfel: Die teuren Birnen, die ich an Frédéric vorbei für mein Pferd eingeschmuggelt hatte – er sah sowas gar nicht gerne und hätte mich darüberhinaus schlichtweg für bekloppt erklärt -, spuckte Tignous mir vor die Füße. Die waren ihm zu weich, das konnte nicht gesund sein.
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Leckerli aus Gertruds Heustadel ließ er auch fallen. Mit diesen Dingern konnte er ja nun gar nichts anfangen. Er stuppte mich: Hatte ich nichts anständiges dabei, Brot oder vielleicht Zucker? Zucker kriegte er nicht. Geduldig schob ich ihm noch ein Leckerli ins Maul. Tignous kaute versuchsweise; es krachte zwischen den Zähnen – und Ti hüpfte entsetzt einen Meter hoch in die Luft! Beim Runterkommen verfehlte er meinen Zeh nur um Millimeter. Ich war genauso erschrocken wie er.
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Der Braune sah den Menschen vorwurfsvoll an. Er hatte ja gewußt, dass die Sache nicht geheuer war! Aber er behielt das Ding zum Aufweichen eine Weile im Maul. Na ja, doch gar nicht so übel. Nein, wirklich, das hatte was. Er kaute noch mal, sprang diesmal nur noch einen halben Meter hoch. Und fand Lecker auf einmal toll!
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Dies nun, dies habe ich oft und oft bereut. Der verfressene Tignous war in seiner Herde bei Monsieur J. als Kleinster immer zu kurz gekommen. Aber ganz schnell hatte er anscheinend herausgefunden, daß Menschen, speziell die Touristenfrauen, die er bei den Reitausflügen kennenlernte, immer was für ihn hatten. Ohne Ausnahme. Und er wurde in Anbetracht seines noch jugendlichen Alters nur von Frauen geritten. Da muß er den schmelzenden Blick eines armen, so lieben, verhungernden Pferdes eingeübt haben, mit dem er später selbst meine Feindinnen im Nobelstall bedenken sollte und dem nicht eine widerstehen konnte. Und nun hatte er eine Frau ganz für sich allein!
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Eine feine, eine geradezu unerschöpfliche Quelle von Leckerli, Äpfeln und Brot tat sich hier vor ihm auf, und Birnen waren eigentlich das allerbeste. Man mußte die Frau nur etwas erziehen.
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Das gelang ihm hervorragend. Bald nahm er mir unbesehen alles ab, was ich ihm anbot. Auch, was ich nicht anbot, sondern nur eben zufällig in der Hand hielt – einmal ein Heringsbrötchen. Und sogar dem gab er eine Chance.  :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. Mai 2020, 19:36:22
Bei jedem Besuch hatte er dazugelernt, denn Corinne tat, was sie konnte, um Tignous dressurstallfein zu machen. Er konnte sogar schon angaloppieren, allerdings nicht rechts. In diesem Punkt würde er nie Zugeständnisse machen: Galoppiert wurde links und basta. Rechts völlig steif. Was mach’ ich nur mit ihm? Aber für das eine Jahr oder die zwei Jahre... Ha, jetzt hatte ich den Rollstuhl schon ein Jahr weitergeschoben.
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Die Praktikantin Justine wurde beauftragt, sich um meine Weiterbildung zu kümmern. Das Pferd von der Koppel holen, ohne daß zehn abenteuerlustige andere mit herauswischten, gehörte ebenso dazu wie die Pflege von Sattel und Zaumzeug. Justine war meine Hilfe sehr willkommen - in der Sattelkammer blieb nichts ungeputzt. Reithalfter auseinandernehmen, putzen, zusammensetzen, das nächste auseinandernehmen, putzen, zusammensetzen, Têtière, Frontal, Sous-gorge… „Und jetzt mit geschlossenen Augen!“
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Corinne schnitt einige Seiten aus dem Matheheft ihres kleinen Jungen, um mir Landkärtchen zu zeichnen, damit ich mich in den Weiten der Garrigue, wo jeder Ziegenpfad aussah wie der nächste und nur alle Kilometer ein Haus stand, nicht verirrte. Liebevoll zeichnete sie die beiden Felsbrocken ein, die aussahen wie Termitenhügel, die Grundmauern eines vor Jahrhunderten aufgegebenen Hauses, einen Ausblick auf den Fluß tief unten. Ich verritt mich trotzdem manchmal, weil ich mir unter „Die große Eiche“ eine große Eiche vorstellte (gut, nicht eben so groß wie im Spessart) und nicht eine krüppelige Kermeseiche, die bestenfalls Mannshöhe hatte.
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Bei einem meiner einsamen Ritte fand ich heraus, daß mein Pferd auch buckeln konnte. Geradezu schweinisch buckeln konnte mein Pferd. „Tidusausack! Du bist ’n Therapiepferd!“ Tidersausack backte sich da ein Ei drauf, er quietschte beim Buckeln geradezu vor Vergnügen.
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Ich schaffte es unbeschadet zurück auf den Hof. „Fred, ich glaube, das Futter hier...“ Frédérics Stirn bewölkte sich. „Ich glaube, das Futter ist zu gut.“ Frédéric strahlte.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. Mai 2020, 20:11:50
Das ging monatelang so. Urlaub hatte ich genug, denn im Jahr davor hatte man mir eine Urlaubssperre verpaßt. Die Hin  und Herfahrerei war zwar tierisch anstrengend, aber dieser Sommer war alles wert.
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Ein Ende war nicht abzusehen: Birte war willens, mein Pferd zu holen, aber sie brauchte einen Hänger. Und Papas Benz, um den Hänger zu ziehen. Tara, Birte und der Papa mußten also gleichzeitig Urlaub haben. Zudem setzten die Erfordernisse des Staatlichen Veterinäramtes einen ausgeklügelten Terminplan voraus, denn gewisse Stempel durften nicht älter als acht Tage sein.
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Alle Auskünfte über den Import widersprachen sich. Ich fragte Monsieur J., der immer mal wieder Pferde nach Deutschland verkaufte. Der konnte oder wollte mir komischerweise aber auch nicht klar Auskunft geben, machte nur deutlich, daß seine Meinung von Grenzbeamten auch nicht die allerhöchste war: Einen ganzen Transporter mit Pferden hatten die Grenzer ihm mal 30 Stunden lang im Niemandsland stehen lassen. Er hatte nicht mal tränken dürfen.
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Auch ein Gespräch beim Hauptzollamt Frankfurt brachte keine Klarheit. Das wäre ja nun ganz unterschiedlich, also ein Rennpferd, nein, kein Rennpferd? Also… So richtig… Das sei ihm noch nicht untergekommen… Aber in Neuenburg an der Grenze wisse man mit absoluter Sicherheit Bescheid, sagte der nette junge Mann.
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Ich rief in Neuenburg an. Dieses zweite Zollgrenzdienststellenerlebnis sollte meinem kindlichen Glauben an das effektive Handeln von Staatsvertretern jeglicher Couleur und Größenordnung einen bleibenden Schlag versetzen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. Mai 2020, 20:27:45
„X. ist mein Name. Guten Tag. Vielleicht können sie mir weiterhelfen; ich habe in Frankreich ein Pferd gekauft und will es jetzt nach Deutschland bringen. Was muß ich denn da tun?“
„Ha, des isch ganz oifach.“
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Na Gott sei Dank. Einfach! Endlich einer, der sich auskennt!
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„Ganz oifach. Also. Da brauch’sch nur e Kaufb’scheinigi  - abber koi gedürkte, wisse se, was i moin? Also, mir hobe do Middel und Wege, fesdzuschdelle, wie viel daß des Ferd dadsächlich gekoschded hodd.“
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Mit tiefem Unbehagen dachte ich an meine zwei Kaufbescheinigungen, eine für eben diesen Zweck, eine für’s Erinnerungsalbum. „Und sie brauche e Zollb’scheinigi. Die könne se sisch uf Frankford hole.“
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Unglaublich. Licht am Ende des Tunnels; nur zwei Formulare! „Nochmal: Ich brauche den Kaufvertrag und eine Zollbescheinigung?“
„So isch es. Des onnere mache merr dann middem Fedderinäramt uf Freiburg aus. Isch geb’ derr die Nummer.“
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Hilfsbereit ist er auch noch! Ich war unsäglich erleichtert: „Na gut, also die Zollbescheinigung und den Kaufvertrag, und das wär’s.“
.
„Na wadde Se emol, so oifach isch des aaa nedd.“
„Warum?“
„Also, sie brauche nadürlich noch des Dedöh.“
„Das was?“
„Also, des Dedöh, des isch des T zwo. So saget d’ Franzose dadezu.“
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Ich wußt’ es doch. Von wegen einfach! „Also die Kaufbescheinigung, die Zollbescheinigung und das Tedöh. Wo bekomme ich das Tedöh?“
„Ha, bei d’ Franzose!”
„Prima. Ich hole das Tedöh bei den Franzosen in Neuenburg -“
„Noi, do bekommet se’s nedd her.”
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Geduld ist nicht mein Hauptmerkmal, auch zu den besten Zeiten nicht. Gleich beiß’ ich in die Tischplatte. Dies ist ein Ferngespräch! „Also wo bekomme ich bitte das Tedöh?“
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„Ha, bei d’ Franzose! Wenn se’s Ferd dirt gekauft hen, kenne se doch auch en Franzose?“
„Ähm.“ Fred würde sich bedanken.
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Der Zollmensch zeigte mir den Ausweg: „Sie könne des nadürlich auch middem Verzahnungschin mache.“
„Verzahnungsschein statt Tedöh?“
„Ja nadürlich, des sag i doch.“
„Wo bekomme ich den???“
„Ha, nadürlich bei d’ Franzose.“
.
Jj-ja. „In Neuenburg?“
„Noi. In Oddmarshm.”
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„Ich hole also in Ottmarsheim den Verzahnungsschein, nehme den Kaufvertrag und die Zollbescheinigung und finde mich damit bei ihnen ein.“
„Noi, so oifach isch des aaa nedd. Da müsse sie nadürlich noch zu die Schpedizjohn.“
„Aber ich spediere doch selbst!“
„Aber sie brauchet doch en Bürge! Und des muß d’ Schpedizjohn mache. Koschd’ neunzisch Mark.“
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Ich war kurz davor, mir die Stirnlocke auszureißen. Ich atmete schwer. „Also, jetzt erklären sie mir das noch mal für Idioten -“
„Des hobbe sie g’sogd! Idiod hobb i nedd g’sogd! Do bemüh i mi nach Kräfde, ihne zu erkläre, was daß sie mache müsse...“
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TIEF Luft holen. „Wo finde ich diese Spedition?“
„Also, do rufe Se am beschde den Herrn Maas an. Oder d’ Firma Meirich.“
„Wo finde ich die?“
„In Neueburg nadürlich.“
„Ich muß also mein Pferd bei ihnen stehen lassen, in Neuenburg eine mir völlig unbekannte Spedition ausfindig machen, damit die für mich bürgt, und dann wieder zu ihnen kommen. Mit Zollbescheinigung und Verzahnungsschein und Kaufvertrag.“
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„Na wadde Se emol, so oifach isch des aaa nedd. Do sin’ no d’ Waddezeide. Mi’m Dedöh hosch nadürlich koi Waddezeide.“
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Ich schaffte gerade noch ein „Vielen Dank“, ehe ich matt auf meinem Stuhl zusammensank.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 05. Mai 2020, 21:27:52
 ;D ;D ;D
Ich hab meine beiden jungen Lusitanos von einer auf Pferdetransporte spezialisierten Speditition aus Portugal transportieren lassen- zusammen mit dem Junghengst meiner Bekannten. War nicht billig, aber auf irgendwelche Komplikationen hatte ich so gar keine Lust. Und ich wollte, dass sie möglichst unversehrt bei mir ankommen!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 05. Mai 2020, 21:49:47
;D ;D ;D
Ich hab meine beiden jungen Lusitanos von einer auf Pferdetransporte spezialisierten Speditition aus Portugal transportieren lassen- zusammen mit dem Junghengst meiner Bekannten. War nicht billig, aber auf irgendwelche Komplikationen hatte ich so gar keine Lust. Und ich wollte, dass sie möglichst unversehrt bei mir ankommen!

Dazu hatte ich kein Geld mehr; ich fuhr 1800 km jede Woche allein bei diesen Touren... Am einfachsten wäre das schon gewesen, ein, zwei internationale Pferde-Speditionen wird es da auch schon gegeben haben, aber ich dachte gar nicht daran.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 06. Mai 2020, 19:04:50
 ;D

Mehr bitte  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. Mai 2020, 21:01:25
Alsdann:  :D
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Wie in Dreiteufelsnamen brachte ich mein Pferd nach Deutschland?
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Es war zwar wunderschön, zwei Tage der Woche in Südfrankreich zu verbringen, aber allmählich zehrte das doch an der Substanz, gar nicht mal so sehr die Autofahrten, aber das wahnwitzige Arbeitstempo mit sehr langen Tagen und viel zu wenig Schlaf.
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Mein Gewissen erinnerte mich zudem zart daran, daß es ein Konto gab, auch so etwas wie einen Kontostand und Kontoauszüge. Die sollte ich mir vielleicht mal wieder ansehen… Und wenngleich keiner von den Technik- und Redaktionskollegen irgendwelche Ermüdungserscheinungen zeigte, was mein allmittwochliches frühes Verschwinden betraf, so war es doch vielleicht besser, etwas zu unternehmen, ehe das jemand tat.
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Nur was? Alle vorgeschriebenen Untersuchungen hatte ich vornehmen lassen; ich hatte seit Wochen kaum etwas anderes getan. Sogar auf Perniziöse Anämie war mein Pferd untersucht. Und das war ein Meisterstück gewesen, denn das Zertifikat für den Coggins-Test durfte nur die Universitäts-Veterinärklinik in Paris ausstellen. Und die hatte gerade, wie ganz Frankreich, Sommerferien.
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Sogar das also hatte ich geschafft. Aber das Tedöh, das schaffte ich nicht mehr. Das Tedöh schaffte mich.
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Formulare! Schon die Entschlüsselung meiner Heizungsabrechnung - Quatsch, der ergebnislose Versuch der Entschlüsselung - hinterläßt mich leer und hohl. Und jetzt das Tedöh!
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Es reichte. Neumünster angewählt: „Birte, Du wolltest doch immer schon mal ’n Pferd aus Frankreich schmuggeln, ne?“
„Wüßte nichts, was ich lieber täte.“
„Birte. Wenn Du wüßtest, was ich durchmache mit den Zoll-grenz-dienst-stellen...“
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„Klar holen wir den“, beruhigte mich meine Freundin. „Ich hab’ ja auch mit Beate schon mal einen aus Dänemark geholt. Hihi!“
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Birte brach bei der Erinnerung in glucksendes Lachen aus.  „Und da kam an der Grenze der Tierarzt. Der machte ganz forsch die Hängerklappe auf, hihihi! Und dann hat er gefragt, ob das ein Hengst ist, und als Beate ja sagte, hat er sie ganz schnell wieder zugemacht. Hihi! Aber blitzschnell! Und dabei war das mal noch’n Fohlen!“
 
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. Mai 2020, 23:19:16
Den Entschluß einmal gefaßt, kam mir die Erinnerung an einen Grenzübergang, den Monsieur J. in einem Nebensatz einmal erwähnt hatte. Mit großer Verspätung ging mir ein Licht auf... Seiner Erfahrung nach, sagte Monsieur bei vorsichtiger Nachfrage pfeifend und wie nebenher, ging man in Vogelgrun früh schlafen.
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Ich kaufte eine Landkarte in großem Maßstab.
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Gertrud vertraute ich meine Entscheidung an. Trudi, die Konservative, als Höhere Tochter sozusagen die Tarahausener Pappritz, war überraschenderweise begeistert, wohl in Ermangelung eigener Abenteuer: „Das ist das erste Vernünftige, das ich in dieser Sache höre. Wann fahrt ihr?“ 
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Es dauerte keine zwei Wochen mehr, bis Birte ihrem Herrn Papa den Benz für vier Tage abgeluchst, ihm ihre klapprige Ente als Ersatz untergejubelt und sich einen Hänger geliehen hatte. Ihr stand jetzt eine lange Tour bevor: Neumünster-Pinneberg-Frankfurt-Ardèche-Frankfurt-Pinneberg-Neumünster.
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Im Tunnel von Lyon – es gibt nun schon lange eine Umgehung, damals mußte man noch mitten durch die Stadt  – war wie immer Stau; ich hatte da schon so viele Stunden meines Lebens verbracht, daß ich die Kacheln an den Wänden einzeln mit Namen kannte. Es gab wohl keinen zweiten Tunnel, der so schlecht belüftet war; der Gedanke, in diesem Gestank und Krach unter einigen hundert gereizten Autofahrern eine Stunde lang oder auch länger mit einem nervösen Pferd zu stehen, schreckte mich ziemlich. Mir selbst war da schon unwohl.
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Die vorläufig letzte nächtliche Begrüßung durch Titoune, die letzte Nacht in „meiner“ Hütte, das letzte Frühstück mit der Familie. Alles war gerührt, die Abschiedszeremonie dauerte. Es dauerte auch, Tignous von seinem Koppelkumpel zu trennen, ein zweiter Berber, ebenfalls ein Neuzugang; die beiden hatten sich tröstend aneinander angeschlossen.
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Birte lud schon mal Sattel und Hackamore auf. Justine schnappte endlich Tignous und drückte mir den Führstrick in die Hand. Ich schluckte – ich? Und wenn er nun nicht auf den Hänger ging? „Na auf!“ knurrte meine persönliche Reitlehrerin.
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Auf dem kurzen Weg zum Hänger machte mein Therapiepferd, das irgendetwas Schreckliches erblickt hatte, das allen anderen Augen verborgen war, einen mächtigen Satz zur Seite. „Prima!“, lobte Birte, „mit dem wirst du keine Probleme mit wegrennen haben – der dreht schon neugierig den Kopf noch während er weghüpft, um zu schauen, wovor er sich da erschrocken hat!“ Mir ging ja jedes Wort des Lobes runter wie Butter. Das Rumhüpfen aber sollte er bitte nicht zur Gewohnheit machen (aber doch, er tat es).
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 07. Mai 2020, 10:12:31
 :D. weiter
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Henriette am 07. Mai 2020, 12:03:07
Dein Pferdebericht ist besser als ein Krimi! Einfach toll.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. Mai 2020, 12:22:10
Danke, Henriette, das freut mich!  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 07. Mai 2020, 20:33:46
Ja, wie ein Krimi! Und an der spannendsten Stelle kommt dann wie im Fernsehen diese Schrift "Die nächste Folge sehen lesen Sie am ... "
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. Mai 2020, 21:17:45
*lacht* Hier ist der Schluß:
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Rauf auf den Hänger ganz ohne Probleme, und schnell festgetüdert! Auch diesen Knoten könnte ich heute noch mit geschlossenen Augen knüpfen. Und dann rollten wir zum Tor; Corinne lief noch ein Stück neben uns her, Titoune bellte, und alle winkten sich bald die Arme aus.
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Ti stand mucksmäuschenstill und brav auf dem Hänger – nun ja, wer sonst mit Monsieur J. fahren mußte, war ja einiges gewohnt. Aber zum allerersten Mal war er ganz allein! Und wenn wir unterwegs mal halt machten, um nach ihm zu schauen, stand er steif und hochnervös da, nicht einmal einen Apfel wollte er mir abnehmen, ja, nicht einmal trinken wollte er. Weswegen Birte beschloß, unterwegs keinen Halt an einem Pferdehof einzulegen, um ihn mal laufen zu lassen, wie wir das eigentlich geplant hatten, sondern an einem Stück durchzufahren.
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Nur in Lyon mußten wir wie üblich nochmal von der Durchgangsstraße runter, um in einem übel beleumundeten Viertel an der Billigtanke zu tanken, wo ich immer tankte und wo der Tankenmann schon in den achtziger Jahren hinter Panzerglas saß. Nachts war es da immer ein bißchen unheimlich. Und natürlich mußte das arme Pferd den Krach und Gestank im Tunnel erdulden; ich weiß nicht, ob da jemals irgendwer ohne Stau durchkam.
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Und dann endlich: die Grenze. Die Stullen lagen auf dem Armaturenbrett bereit. Eine Lebenserfahrung und eine Methode, die sich übrigens nicht nur an diversen Grenzen bestens bewährt hat: Nichts auf der Welt wirkt so harmlos wie jemand, der mit vollen Backen kaut und dem potentiellen Gegner mit seinem Leberwurstbrot lächelnd zuwinkt - eine heutzutage in Europa leider fast wertlose und gewiß im Aussterben begriffene Kunst. :-\ Nicht, daß wir sie würden anwenden müssen, denn in Vogelgrun ging man ja früh zu Bett. Aber man müßte ja sowieso auch mal was essen.
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Wir näherten uns dem Grenzübergang langsam auf kleinen Straßen. Schon waren wir da – das mußte es sein. Aber… „Oh Scheiße!“, stöhnte Birte, und „Verdammte Kacke“, stieß ich hervor: Vogelgrun war ganz und gar nicht zu Bett, Vogelgrun war hell erleuchtet.
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Wenigstens stand da keiner.  Birte schaltete in den zweiten Gang, wir näherten uns im Schrittempo, wie vorgeschrieben,  o so harmlos, aber o so angespannt, dem offenen Schlagbaum, und doch, zum Teufel, da stand doch wer, der wollte wohl mal eben frische Luft schnappen…
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Ich biß in die Schinkenstulle und lachte den Mann mampfend an, Birte hob mit breitem Lächeln grüßend die Hand, ich zischte lächelnd „laaangsam, nur nicht schneller werden“ und winkte nochmal, und wir rollten laaaangsam über die Grenze, über den Rhein und in die Freiheit.
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Aber es prickelte im Nacken, und erst zwei Kilometer weiter, als wir uns in den Feldwegen hinter Breisach unsichtbar gemacht hatten, waren wir wirklich überzeugt, daß niemand schießen würde.  :-\ 8) ;D ;D ;)
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Edith möchte daran erinnern, daß dies alles natürlich frei erfunden ist, und außerdem ist es längst dreimal verjährt. :P
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Und das hier isser, die Pferdeliebe meines Lebens:


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 07. Mai 2020, 21:50:20
Wunderschön!
Deine Erzählung und das Bild!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 07. Mai 2020, 22:00:19
Ja :D Nach einem Bild wollte ich schon fragen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 08. Mai 2020, 02:02:48
Wunderschön!
Deine Erzählung und das Bild!

So ist es - danke  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 08. Mai 2020, 12:31:49
Nichts auf der Welt wirkt so harmlos wie jemand, der mit vollen Backen kaut und dem potentiellen Gegner mit seinem Leberwurstbrot lächelnd zuwinkt
Oder total unverfroren  ;D ;).
Das wär nichts für mich-jedenfalls nicht mit einem lebenden Pferd im Hänger!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Weidenkatz am 08. Mai 2020, 13:24:49
Ich bin zwar mit Pferden aufgewachsen und sehr tierlieb, habe aber aufgrund besonderer Umstände kein nahes Verhältnis zu Pferden. Wenn Du es schaffst, Jemand wie mich zum frohen Lesen Deiner Pferdegeschichten zu bringen (und das tust Du ;)) sind sie gut! :D
Was mich interessiert-wurde etwas aus der vor Jahren geplanten Veröffentlichung?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 08. Mai 2020, 13:46:42
Ich danke sehr für das Lob und freue mich darüber.  :D Nein, es wurde nichts daraus, weil ich immer denke, ich habe einfach nicht genug Material.  :-\

Zu dem Bild noch: Das habe ich zwar von einem Foto abgezeichnet, aber es handelt sich nicht etwa um perspektivische Verkürzung: Er hatte einen recht kurzen Kopf, was bei Stallhalftern etwas schwierig war: Von der Breite brauchte er englisches Vollblut, von der Länge her eigentlich Pony. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 08. Mai 2020, 17:51:52
Ich danke sehr für das Lob und freue mich darüber.  :D Nein, es wurde nichts daraus, weil ich immer denke, ich habe einfach nicht genug Material.  :-\
....

Wenn es vielleicht auch für ein Buch nicht reichen mag (warum eigentlich nicht, muss ja kein Tsd.-Seiten-Wälzer werden), so reicht es sicher, um uns noch ein paar Abende zu unterhalten. Mach mal - hab mich selten so amüsiert.  :-*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 08. Mai 2020, 20:34:20
Ja, Tara, schreib mal über Deine Abenteuer mit Deinem treuen Pferd :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 08. Mai 2020, 21:26:51
 :) Ich erzähle mal weiter, wo ich aufgehört habe.
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Als wir mitten in der Nacht in Tarahausen ankamen, war mein armes Pferdchen von der langen Fahrt und der Aufregung fix und alle. Und wenn's zum Schlachter ging, ihm war schon gerade alles egal. Aber immerhin - hier waren Pferde. Er tat einen Seufzer vom tiefen Grund seiner armen Pferdeseele, als ich ihn die Stallgasse hinunter - "Halt! Die Transportgamaschen!" brüllte Birte - zu seiner Box führte. Die anderen pennten, nur zwei Wachen wie-hie-hickten leise "Wer bist du denn?" Ti schaute nicht mal mehr nach ihnen, betrat seine Box, drehte sich mit dem Kopf zur Stallgasse, warf sich ins Stroh, streckte die steifen Beine von sich und pennte auf der Stelle ein.
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Birte, die am frühen Morgen gleich wieder nach Norden fuhr - der Herr Papa wartete auf seinen Benz -, hatte mir geraten, Tignous am Morgen erst mal freilaufen zui lassen. Ich war sehr dafür, denn er würde sich austoben wollen, und dabei mußte ich nicht unbedingt draufsitzen...
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Ich putzte das geputzte Hackamore zweimal. Ich wienerte Tignous auf Hochglanz. Sah zweimal nach, ob er nicht etwa Mist im Huf hatte. Sah dreimal nach, ob er auch keinen Strohhalm im Schweif hatte. Was war ich aufgeregt! Holte tief Luft: "Auf Ti, wir müssen uns vorstellen!" Ich hatte wirklich Herzklopfen, als ich mein aufgeregt tänzelndes Pferd zu den Reithallen führte, wo ich den Unter-Reitlehrer vom Dienst artig um Erlaubnis fragte, ihn auf dem Schulpferde-Paddock laufen lassen zu dürfen. Es wurde gestattet. Mein Therapiepferd raste um den Platz wie ein Irrer, schnaubte, wieherte den Schulpferden zu, roch am Misthaufen, raste wieder und buckelte sich furzend die lange elende Fahrt aus dem Leib.
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 Ich vereinbarte derweil mit dem Reitlehrer, am abendlichen Ein-Stunden-Ritt des Schulstalls um die vier Ecken teilzunehmen. Der fand das zum Glück vernünftig - erstmal lieber nicht alleine irgendwo im Dreck liegen, meinte er, "Hui, der hat ja Temperament!" Ich dachte nicht zum letztenmal an Frau Winterlings "Ein Gemüt wie ein Ochse".
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Als Ti sich ausgetobt hatte und ich ihn zurückführen wollte, kamen wir nur bis zum Reiterstübchen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 08. Mai 2020, 21:49:00
Umgeben von einer Menschentraube, standen Ti und ich, beide gleichermaßen nervös, nun auf der Straße zwischen den Reithallen.  Wo kamen all’ die Leute nur auf einmal her?
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„Bißchen klein“, monierte Herr Raab alias Hauptmann von Tarahausen, „die Kavallerie hätt’ den nicht genommen. Und die Hinterhand! Da müssen sie aber noch ganz schön was tun.“ Das weiß ich, Hauptmann. Schnauze, Fury.
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„Ganz schön kuhhessig.“ Hier stichelte die göttliche Yvonne; du mich auch. Man eben nur angedeutet kuhhessig, du blöde Kuh, er steht völlig korrekt, schönere Beine als deine allemal!
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„Was ist denn das für ein komischer Sattel? Ein Westernsattel, nicht?“ Der erste von hundert vergeblichen Versuchen, einem Tarahausener den riesigen Unterschied zwischen Western-  und Trekkingsattel klarzumachen (eigentlich ein kaum modifizierter Nachbau des McClellan-Armeesattels, aber so weit kam ich gar nicht).
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„Du willst doch in Tarahausen wohl nicht mit Hackamore rumfallen?!!“ Das wurde fassungslos gesagt, mit drohendem Unterton. Doch, ja, und warum nicht, in Dreiteufelsnamen?
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Wie anders war es in Frankreich gewesen! Konnte sich hier niemand einfach mit mir freuen? Und das Pferd konnte ja wohl nichts dazu!
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Doch Rettung nahte: Anne hatte den Auftrieb mitbekommen und eilte die Treppe vom Reiterstübchen herab, und zwar mit Weintrauben: Sie hatte gerade nichts anderes dagehabt. „Hat der ein süßes Gesicht!“
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Ich strahlte. Mein Pferd hatte ein süßes Gesicht! Das war mir bisher gar nicht richtig aufgefallen. Tignous strahlte auch: Weintrauben kannte er noch nicht – so weit war selbst ich nicht gegangen -, aber sie verwiesen ab sofort Birnen auf den zweiten Platz. Sonnenklar: Man mußte sich immer an die Frauen halten!
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Trudi und Viktor Lammert, der beste Pferdepfleger aller Zeiten – und das sagte wirklich jeder (genauer: „Lämmchen säuft für zehn Domherren, aber noch sturzbesoffen ist er der beste Pferdepfleger aller Zeiten“, so sagte das jeder) -, murmelten: Der Schweif. Mähne ist ja ganz anständig. Aber die Kötenzöpfe müssen natürlich weg.
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„Ihr spinnt wohl!“ Ich schrie, als hätten die beiden die Schere schon in der Hand. „Daß Ihr Euch untersteht, an meinem Pferd rumzuschnippeln!“ Ich traute beiden die Eigenmächtigkeit durchaus zu. „Der soll auf die Koppel, der braucht jedes Haar, das ihm wächst!“
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Lämmchen umkreiste den Neuen noch einmal. Setzte zum Sprechen an. Kunstpause. Alles verstummte. Atemlos wartete ich auf Das Urteil.
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„In Ordnung, der Zosse“, quetschte Viktor durch die Zahnlücke. Man sah ihn fast etwas erstaunt an. Ich hätte ihn knutschen können. Ich knutschte ihn.
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„Ein kleiner Franzose“, strahlte Gertrud hinfort alle Wißbegierigen an, „ein ganz süßer!“ Das Wort „Berber“ kam ihr nicht über die Lippen. Ti war einige Tage lang Hauptgesprächsthema in Heustadel und Reiterstübchen. Es wurde gelästert, und teils boshaft gelästert.
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Aber mit Trudi und Lämmchen und Anne im Rücken war vielleicht die Bataille noch nicht gewonnen, doch  die erste Bresche definitiv geschlagen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 09. Mai 2020, 07:33:02
 ;D ;D
Jaja, die lieben Reiterkollegen...  ::)
Ich bin eine Zeitlang auch mit „exotischen“ Sätteln unterwegs gewesen. Malibaud, Portuguesa, zudem bin ich noch einhändig Kandare blank geritten. Was haben die anderen Reiter geglotzt geguckt  ;D! Und dann noch einhändig Zickzack-Traversalen geritten - wie macht die das bloß? Da kann man das Pferd ja garnicht am Zügel in die gewünschte Richtung ziehen  ::)?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 09. Mai 2020, 07:49:25
 :D :D :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. Mai 2020, 13:15:45
Da kann man das Pferd ja garnicht am Zügel in die gewünschte Richtung ziehen  ::)?

Naja, so einen Blödsinn fragten die sich in Tarahausen wenigstens nicht - ich schreibe zwar immer "ehemals renommierter Stall", aber das bezieht sich vor allem darauf, daß man so stolz auf Neckermann und Linsenhoff war, die da früher trainiert hatten. Das Niveau war - vergleichsweise - immer noch hoch. Die Ablehnung beruhte weniger auf Unwissen als auf Bockigkeit. *singt* "It was good for my mother / it was good for my father / it was good for my brother / it's good enough for me..."

Außerdem fürchtete man um die Reputation als bester Dressurstall weit und breit; ein wenig konnte ich das sogar nachvollziehen.  :-\
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 09. Mai 2020, 21:35:15
Ich glaube, dieser Zickenalarm hätte mir von vornherein die Freude am Reitsport genommen. Meine Freundin, die sich keine teuren Reitstunden leisten konnte, hatte sich aus Liebe zum Pferd Geld in einem sehr angesehen Reitstall verdient, um auch ab und zu reiten zu dürfen. Was sie dort erlebt hat, ist einfach unglaublich!

Schön, dass Ihr Fürsprecher gefunden habt, Tara :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. Mai 2020, 22:34:11
Zum Damenkrieg komme ich noch.  8) Da war was los!  :-X Er dauerte ein Jahr, und ich mußte mich schließlich geschlagen geben. Aber man weiß nie, wozu es gut ist, sagte Trudis Großmutter immer: So bekam ich schließlich einen Offenstall mit einem Hektar Gelände, wobei ich dem Institut van Krachten aber auch danach all die Jahre eng verbunden blieb.

Aber erst muß ich von Lämmchen erzählen, denn den wollte ich bitten, auf Ti und mich aufzupassen. Und außerdem hatten wir zu wenige Koppeln, und die Pferde (es kostete extra) durften nur halbtags darauf. Ti sollte aber ganztags Koppelgang haben, das mußte Lämmchen irgendwie hinkriegen. Wenn da überhaupt was zu mogeln war, konnte das nur Viktor schaffen.




Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 09. Mai 2020, 22:47:15
Lämmchen stammte aus Berlin. Von seinem Zuhause erfuhren wir nie etwas. Allzu schön wird’s nicht gewesen sein, denn Lämmchen büxte früh zum Zirkus aus. Von dort war er auf allerhand Umwegen zu van Krachten gekommen. Und wir wurden das Zuhause, das er offensichtlich vorher nie gehabt hatte.
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Die drei Stallungen auf dem Hofgut – dazu kamen der große Schulstall bei den Hallen die Straße runter und weiter weg Tignous‘ neues Zuhause, die Feldscheune – waren hierarchisch gestaffelt, sowohl was die Kundschaft, als auch, was die Pfleger betraf.  Viktor hatte den wichtigen Einserstall unter sich.
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Da standen Leute – also ja, da standen Pferde, aber man unterschied das nicht so genau -, die ihr Pferd in Vollpflege hatten. Das heißt, sie schrieben auf eine Tafel „11 Uhr“, und das bedeutete, daß ihr Pferd um 11 Uhr geputzt und gesattelt in der Reithalle bereitstand; die Herrschaften fuhren auf dem Parkplatz vor, stiefelten in die Halle, ritten, übergaben das Pferd an den Pfleger und verschwanden wieder.
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Alles andere erledigte Lammert – den Schmied bestellen und aufhalten, den Tierarzt benachrichtigen und so weiter. Er las nie mehr als die Bildzeitung, aber er war verdammt helle, und von schnellem Witz. Auch hübsch auf eine südländische Art, trotz Zahnlücke. Lämmchen war ein halber Tierarzt. Oder auch ein dreiviertel. Er hatte ein umfassendes Pferdewissen und vor allem einen Draht zu jeglicher Kreatur, den ich so nie wieder gesehen habe. Tiere vertrauten ihm instinktiv.
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Lammert trank ein wenig zu viel, selbst an den örtlichen Verhältnissen gemessen. Manchmal auch viel zu viel. Es konnte schon mal vorkommen, daß er mittags im Reiterstübchen das zweite Pils leerte und auf einmal „Oha!“ sagte und schnell verschwand, weil ihm einfiel, daß etwas fehlte – daß er nämlich morgens etwa die Heunetze vergessen hatte. Oder daß er einen Hund (alle Hundebesitzer gaben ihre Viecher in seine Obhut, wenn sie etwa in Urlaub fahren wollten) leicht schwankend erst um Mitternacht Gassi führte, weil er im Casino hängengeblieben war.
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 Daß er es aber tun würde, darauf konnte man sich verlassen. Und man konnte sich auch hundertprozentig darauf verlassen, daß er aus alkoholisiertem Schlaf schoß, wenn eines „seiner“ Pferde nachts auch nur ein Hüsterchen tat.
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Er trank, er hatte eine Berliner Kodderschnauze, und Respekt vor reichen Leuten war absolut nicht seins. Und die reichen Leute zahlten Bestechungsgelder, um ihre Pferde im Einserstall unterzubringen.
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Lämmchen verstand vom Reiten mehr als die meisten langjährigen Dressurreiter, obwohl er selbst nie auf einem Pferd gesessen war, und unterzog die Reiter, die er mochte – aber nur die! – nach der Reitstunde im Reiterstübchen einer vernichtenden Manöverkritik. Mich mochte er sehr…  :P  ;D
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Ich trabte also zum Einserstall. Lämmchen hatte eben Kunerts Zeppelin auf der Stallgasse angebunden, vorschriftsmäßig mit zwei Stricken, wie es sich gehörte, bei so etwas war er nie nachlässig.
 .
„Viktor?“ Lammert antwortete nicht. Ich drückte mich um den riesigen Zeppelin herum: „Viktor?“ Lammert brummte.
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“Ach, da bist du ja. Viktor. Ich habe ja nun den Tignous…“ Lammert schnaubte und murmelte unverständliches.
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 „Und da wollte ich Dich bitten…“ Lammert drehte sich weg. Ich verstand nicht, was da los war, wir kamen ja sonst blendend miteinander aus, und gerade vorhin hatte er mir aus der Patsche geholfen.
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„Viktor? Also, ich wollte dich bitten, mir mit Ti zu helfen, also wenn er was hat oder wenn ich Fragen habe oder so.“
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Lammert sah böse aus. Ich war ganz verdutzt. „Lämmchen? Bitte?“
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 Viktor sah mich richtig beleidigt an: „Wie lange haste den Zossen jetzt schon? Vier Monate mindestens, ne? Und da kommste jetz erst jeloofen?!“
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Ich war unsäglich erleichtert, und ich entschuldigte mich wortreich, erklärte, daß das doch eigentlich klar gewesen sei, wer denn wohl außer ihm, der Jochen aus dem Dreierstall etwa?!, und dankte ihm überschwenglich und von Herzen.

Aber nach der Mauschelei mit dem Koppelgang wollte ich jetzt lieber nicht auch noch fragen.
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„Also dann bis nachher im Casino, Lämmchen!“
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Ich wandte mich zum Gehen. Lämmchen pfiff mich zurück: „Det Ferd stand doch noch nie in ‘ner Box. Is dir eijentlich klar, det der janztachs Koppeljang brauch?!“

 :D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 10. Mai 2020, 01:46:22
Wunderbar, dat Lämmchen  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. Mai 2020, 23:27:21
Lämmchen war klasse, und ich hatte ihn sehr gern. :)
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Ich weiß nicht recht, wie ich weitererzählen soll - den Damenkrieg am Stück zu schildern, ist fast unmöglich; immerhin zog er sich über ein Jahr hin, mit täglichen Scharmützeln, Guerillataktiken und schließlich offener Feldschlacht. :P Die mein Pferd entschied.  ;D 8) Das war bei diesen Geschichten auch von Anfang an mein Problem - ob es eine fortlaufende Handlung geben solle. Hier ist jedenfalls der Beginn.
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Die Feldscheune, der preiswertere Ableger der van Krachtenschen Stallungen, war war Tignous’ neues Zuhause.
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Seit Monaten schon zahlte ich dort die Boxenmiete, denn es war nur noch eine Box frei. Und die wollte ich mir nicht vor der Nase wegschnappen lassen! Die Boxen „auf dem Hof“ konnte ich mir nämlich nicht leisten. Außerdem wurde abends spätestens um zehn das Hoftor abgeschlossen. Wer dann noch zu seinem Pferd wollte, hatte Pech gehabt. In der Feldscheune aber, 400 Meter entfernt vom Hof, konnte man kommen und gehen, wie man wollte.
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Links sechs Außenboxen, die an den kleinen Paddock angrenzten, rechts sechs normale, hinten quer noch mal drei, daneben die Sattelkammer: Das war die Feldscheune. Davor waren die eigentliche Strohscheune, an allen Seiten offen, und der Misthaufen.
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Von hier ging es rechts auf die van Krachtenschen Koppeln, an die der Konkurrenzstall Schmitt angrenzte. Links war der Friedhof; wegen Lämmchen, der gerne die Abkürzung über den Friedhof genommen hatte, wenn er ein Pferd zur Koppel führen mußte - und weil man einem Pferd auch das Äppeln nicht verbieten kann -, gab es da am Eingang über dem Schild „Hunde verboten“ noch ein Schild „Pferde verboten“.  Hinter der Strohscheune lagen noch ein paar Privatkoppeln, unter anderem die des Bösen Bäckers. Daneben noch eine van Krachtensche, fest verpachtet. Das sollte nun sozusagen auch mein engeres Zuhause werden.
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Hier in der Feldscheune sah nie jemand nach dem rechten; wie die Kunden, so konnte hier auch der Pfleger schalten und walten, wie er wollte. Ein kleines Paradies, abgesehen vom Pfleger, wie ich herausfinden sollte…. Ich war begeistert und freute mich auf die Gesellschaft: So eine kleine Gemeinschaft war genau das Richtige für mich.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 10. Mai 2020, 23:31:02
Pustekuchen. Nix war’s.
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 Ich fand zwar Gemeinschaft, aber eine ganz kleine, eine wirklich kleine: den sehr unkonventionellen Michael Seeberg mit seinem 18jährigen Vollblut Ritma und Frau Winterling mit ihrem Sokran, dem Berberhengst. Und unsere Pferdemädel: Michaela für Sokran, ihre Freundin Kerstin für Ritma, Tis Boxennachbarin.
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Gleich am ersten Tag fragte sie, ob sie sich auch um Tignous kümmern dürfe, und da ich sie als zuverlässig und verantwortungsbewußt kannte, sagte ich gerne zu. Ich hatte ein Reitmädel! So ändern sich die Zeiten. Es war doch noch gar nicht so lange her, da hatte ich selbst wildfremde Leute angebettelt: „Darf ich mal ihr Pferd halten bitte?“
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Die Feldscheune war fest in Frauenhand. Es gab einige junge und ein paar ältere, auch zwei Mutter-Tochter-Gespanne. Irgendwie aber sahen sie Damen alle gleich aus: gutsituierter Mittelstand, blond, zurückhaltend gekleidet, sonnenbankgebräunt, Dauerwellen. Bis auf die junge Reister, die sich mit ihrer Mutter in den Schimmel Hühnchen teilte. Die war schwarzhaarig und sah ansonsten aus wie ein amerikanisches Bonbon.
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Die Damen bildeten eine geschlossene Gesellschaft. Ich kam da nicht rein. Ich paßte da wohl auch nicht wirklich rein. Ich probierte es, ich gab mir wirklich große Mühe. Es hatte keinen Zweck. Ich versuchte vorsichtig, den Grund herauszufinden: „Wenn de disch midd dene zesammetust, hasde Pesch gehabt“, meinte das Bonbon kaltblütig und meine Seeberg und Frau Winterling. Vor die Wahl zwischen diesen beiden Fronten gestellt, war die Entscheidung allerdings nicht schwer.
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Der einzige Herr hielt sich tapfer: Michael Seeberg pfiff nämlich auf die Damen. Er pfiff überhaupt auf so allerlei. Das machte ihn mir sofort sympathisch. Das und sein ätzender Humor. Frau Winterling, die Tignous und mich mit offenen Armen willkommen hieß, war von gleichem Schrot und Korn.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 11. Mai 2020, 07:42:22
 :D
*freut sich auf die Fortsetzung*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Obstjiffel am 11. Mai 2020, 08:37:48
Gucke auch immer als erstes am Tag hier rein. Wenn ich dann beim lesen herum  gniggere ist mein Mann ständig irritiert 

Diese "elitären" Gruppen im Reitstall kenn ich auch gut. War nie meine Welt und auch nicht wirklich erstrebenswert. Da war mir meine kleine Gruppe von Pferdemädels/-jungs, die sich um die wirklich interessanten, doch von den anderen misstrauisch beäugten Pferden kümmerte, viel lieber. Da war Leben und Spaß drinnen und viel lernen. Darum ging es beim Rest so gar nicht. Unsere Pferde hatten ihren eigenen Kopf, waren nicht einfach oder langweilig. Sie funktionierten nicht einfach so.

Ich glaube die Erlebnisse in der Reitstallzeit haben später dazu beigetragen, dass mein Bruder, meine Schwägerin und ich eine Jugend- und Kinderfarm als Verein aufgebaut haben. Viele Tiere, rumsauen, werkeln und bauen, jede Menge Ponys. Die Sandkiste war einfach ein vom Laster gekippter großer Haufen Sand. Jedes Kind hatte seine Verantwortung, musste mit auf die Weide zum Pferdeäpfel sammeln. Entweder mit Handschuhen oder mit Schippe und Rechen. Bei den Kleintierställen durften sie mit bauen und ihre Ideen einbringen. Es war bunt, passte nicht unbedingt zusammen, aber lebendig ohne Ende. Wir haben unser Heu und Stroh selbst gemacht, alles musste mit ran auf die eine oder andere Art. Wenn ich zurück denken wie viele Kinder bei uns ihre Angst vor Dreck verloren, wie viele Eltern lernten ihren Kindern etwas zuzutrauen und letztendlich mit anpackten, ein Traum als Arbeitsplatz. Und er lebt noch, wenn auch ohne uns. Aber die JuKi-Farm ist ein immer noch bestehender Bestandteil in meiner Heimatstadt. Wenn ich daheim bin, fahre ich immer vorbei und schaue, was sich neues entwickelt hat. Aber es brauchte, glaube ich, beide Erfahrungen um dieses Projekt anzupacken. Sowohl unsere Art mit Pferden zu leben, als auch die der anderen.

Ich hoffe du hörst noch sehr lange nicht auf zu schreiben, es ist wunderbar dabei zu sein! Und es weckt eigene Erinnerungen, was ich gerade sehr genieße.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 11. Mai 2020, 11:44:29
Ja, ich hoffe auch auf ganz viele Geschichten, Tara :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 11. Mai 2020, 13:06:08
Da kann man das Pferd ja garnicht am Zügel in die gewünschte Richtung ziehen  ::)?

Naja, so einen Blödsinn fragten die sich in Tarahausen wenigstens nicht - 

Das war auch meine Interpretation-so hätte das niemand dort gesagt. Und das war kein kleiner, unbedeutender Stall, sondern eine Reitanlage mit ca 180 Pferden, damals „nur“ 2 60iger Hallen (Gut Tangstedt).

Ja, ich hoffe auch, dass Du weiterschreibst. Vieles davon erzeugt ein „déjà vu“  bei mir ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 11. Mai 2020, 22:43:05
 ;D
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Seeberg hatte einen kleinen Autoverleih, und wenn der Wagen, mit dem er vor der Feldscheune vorfuhr, ein Indiz war – ein etwas asthmatischer uralter Benz, knallrot – dann war klar, warum er sich sein Pferd aus Ungarn geholt hatte: Dort bekam man ein Pferd immer noch für‘n  Appel und ein Ei, und er hatte Ritma nun schon viele Jahre; sie war billiger gewesen als eine Boxen-Monatsmiete. Immerhin war sie nichts Exotisches, sondern ein Vollblut von der Rennbahn.
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Die Rennbahn konnte sie übrigens nie vergessen, und man vergaß Seeberg nie, daß sie die Rennbahn nie vergessen hatte: Seeberg hatte nämlich anfangs – das war lange vor meiner Zeit gewesen - mit allen Bereitern reihum gewettet, daß sie sie nicht reiten könnten, und er hatte keine einzige Wette verloren… Man hatte ein langes Gedächtnis im Institut.
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Daß er nur im Gelände ritt und höchstens im schlimmsten Winter mal in der Halle erschien, wo er sich dann zwar brav an alle Regeln hielt, aber auf dem zweiten Hufschlag seinen eigenen Kram machte - das erschwerte die Sache natürlich noch. Ich hörte nichts wirklich schlechtes über ihn, aber man rümpfte allgemein die Nase, wenn sein Name fiel.
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Zudem war seine Ritma nicht immer so auf Hochglanz poliert, wie die Damen das erwarteten. Also eigentlich nie. Und wenn Seeberg keine Zeit hatte, dann bürstete er nur schnell die Sattellage, holte eine alte karierte Wolldecke vom Beifahrersitz der Roten Gefahr, warf sie ihr über und ritt eben ohne Sattel und mit dem ein oder anderen Mistplacken auf Ritmas Achtersteven.
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Und er war dabei nicht so gekleidet, wie man das voraussetzte. Nein, ganz und gar nicht. Straßenschuhe und die Anzughose, mit der er sonst im Autoverleih stand. Er vertraute mir später einmal an, warum er sich an keine Bekleidungsregel hielt: Er hatte als Bub sonntags weiße Kniestrümpfe tragen müssen! Da ich dieses schlimme Schicksal teilte – und ich war ja nicht einmal ein Junge gewesen -, konnte ich seinen ohnmächtigen Grimm nachvollziehen.
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Und dann tat der Mann tatsächlich auch noch, was er wollte! Freundlich, höflich und mit tabakbraunen Zähnen lächelnd, aber er setzte seinen Willen durch. Ihm kam es nur auf eines an: auf Ritmas Wohlergehen. Schrecklicher Mann!
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Nur Sepp, einer der Pfleger im Schulstall, hatte Worte der Achtung für Seeberg: “Der longiert ohne Longe. Mußt du mal angucken. Wer das kann, der hat wirklich Pferdeverstand. Das kann hier sonst keiner.“
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Ich sah Seeberg folgsam dabei zu: Er schickte Ritma im Kreis und in Achten um die Stützpfeiler der Außenboxen, ließ sie beliebig die Hand wechseln, nur mit Körpersprache. Ich lernte dabei schon beim ersten Zusehen viel. Heute kann das so mancher, aber es war dies lange vor Gurus wie Monty Roberts und Linda Tellington-Jones, und Seeberg hatte das ganz allein für sich herausgefunden.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 11. Mai 2020, 22:43:39
Daß er auch recht erfolgreich Militarys geritten war, erzählte mir seine Frau Caro. Die ritt auch, aber nur Schulpferde – auch sie konnte Ritma nicht bändigen. Er selbst brüstete sich nie mit etwas. Als ich ihn nach Einzelheiten fragte, meinte er nur, das sei so lange her, daß er sich nur an den Frosch erinnern könne.
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Da startete er also mal in X bei einer Vielseitigkeit; es war richtig viel Publikum da. In der Dressur hatte er ganz gut abgeschnitten, und jetzt in der Geländeprüfung ging auch alles wunderbar. Er nahm ein Hindernis nach dem anderen, alles klappte bestens. Dann der Wassereinsprung, aber irgendwie hatte er die bremsende Wirkung des Wassers diesmal unterschätzt… Sie gingen baden.
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 Ritma pflügte mit lang ausgestrecktem Hals und Kopf durchs Wasser wie ein Pelikan beim Fischen, Seeberg verlor erst die Kappe (die hatten damals noch keinen Kinnriemen, nur einen schwarzen Schlüpfergummi, aber den klemmte sich kaum wer unters Kinn, das sah so albern aus) – verlor erst den Helm und dann das Gleichgewicht und platschte neben ihr hinein.
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In einer Wasserfontäne rappelten sie sich beide wieder auf; Seeberg fischte erst nach seinem Helm – da trug er noch kein Toupet, die Glatze war ihm peinlich – und dann nach den Zügeln. Er schaffte es wieder aufs Pferd, doch irgendetwas stimmte ganz und gar nicht – es krabbelte ihm etwas ganz unangenehm am Kopf… Er zog die Kappe, und vor dem johlenden Publikum sprang – nie vergessener Höhepunkt des ganzen Turniers - der Frosch zurück ins Wasser…
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 12. Mai 2020, 08:20:26
Ich lach mich schlapp  ;D. Der Herr Seeberg ist mir unheimlich sympathisch.  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 12. Mai 2020, 10:34:07
Herrlich :D :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. Mai 2020, 21:02:28
Frau Winterling war eine schlanke Dame, eine Krankenschwester kurz vor der Rente; sie hatte eine blonde Betonfrisur und trug stets zurückhaltendes Tannengrün und Braun. Sie war eine wirklich gute Reiterin.
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Sie mußte eisern sparen, um sich die Boxenmiete leisten zu können. Im Hinblick auf die Rente, wo es noch enger werden würde, hatte sie sich vor kurzem in einer Ein-Zimmer-Wohnung eingerichtet. Sie hatte wochenlang gemessen und gerechnet und Pläne gezeichnet und führte mir das Ergebnis voll Stolz vor, und es war genial: Die Besenkammer zum Kleiderschrank umfunktioniert, ein Alkoven in der Küche verbarg das Bett. Zwischen Küchenzeile und Bett stand der Hometrainer, den sie nachts als Kleiderständer benutzen konnte. Alles hatte einen doppelten Zweck. Sie wohnte in dieser Küche – das kleine Zimmer war eine wirkliche „gute Stube“ und wurde eigentlich nur von den drei Katzen benutzt, denn gleich nach den Pferden gehörte ihr Herz den Stubentigern.
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Wie manch anderer im Verein war sie durch ihre Töchter zum Reiten gekommen. Das ging nur vormittags. Aber mittags mußte das Essen rechtzeitig auf dem Tisch stehen! Ihr Mann – nun war sie lange geschieden – war wohl ein richtiges Ekel und betrachtete es nicht mit Wohlgefallen, daß sie aus equestrischen Gründen mit dem Essen zwei-, dreimal etwas spät dran war. 
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Frau Winterling löste das Problem, indem sie zwanzig Gerichte zusammenstellte, deren Zubereitung nicht länger als allerhöchstens eine Viertelstunde dauerte, allerdings unter Berücksichtigung aller wichtigen Vitamine, Mineralien und Spurenelemente; immerhin hatte sie eine Zusatzausbildung als Ernährungsberaterin. Und billig mußten die Rezepte sein! Denn die Reitstunden wurden vom Haushaltsgeld abgeknappst. Diese Sachen kamen dann der Reihe nach auf den Tisch.
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Dieses kleine Kochbuch bekam ich geschenkt (leider ging es bei einem Umzug verloren), denn Frau Winterling war ganz entsetzt, als sie merkte, daß ich von Salamibrötchen (ungesund!!) und dem Casinoessen (teuer!!!) und ansonsten nach dem Motto „Lieber Brot im Haus als gar keinen Schimmel“ lebte. „Aber sie müssen doch kochen!“ Frau Winterling sollte das nie verstehen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. Mai 2020, 21:03:45
Jede Verschwendung war ihr zuwider. Aus Geldgründen hatte sie später ihre Pferde auch im eigenen Stall gehalten. Man konnte herrlich mit ihr quatschen über eingefrorene Pumpen, das Sammeln von Fallobst, Schwächeanfälle abends um elf und dergleichen.
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Sie war eine begeisterte Dressurreiterin und bildete den Hengst selbst aus. Aber sie war in ihrem Reiterleben alles mitgeritten, sogar Jagden. Kurz bevor sie ihren früheren Stall im Nachbarort verlassen hatte, war sie dort eine Jagd auf einem Pferd mitgeritten, das sie schon verkauft hatte. Für die Jagd wurden nämlich dringend noch Piköre gesucht, man setzte sie gewaltig unter Druck, da auszuhelfen. Aber dem Pferd, das ihr schon gar nicht mehr gehörte, durfte doch nichts passieren! Sie stimmte zu unter der Bedingung, dass sie nicht springen müsse. Nein, keine Sprünge für sie, wurde sie beruhigt.
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Nach dem dritten oder vierten Hindernis konnte sie ihr Pferd aber vom Springen gar nicht mehr abhalten. Und hinterher waren alle Vereinbarungen vergessen: Das Jagdgericht wollte sie tatsächlich verurteilen, weil sie die ersten Hindernisse ausgelassen habe! Frau Winterling, wütend ob dieser Ungerechtigkeit, sprang erbittert auf: „Ich wäre sie alle nicht gesprungen, wenn ich gekonnt hätte!!“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 12. Mai 2020, 21:33:55
Ich machte die abendlichen Ausritte mit dem Schulstall mit – da ich ein sehr herzliches Verhältnis zu den Reitlehrern und Lehrlingen hatte, sollte das nie jemand in Frage stellen, auch später nicht, als ich längst meinen eigenen Stall hatte. Und ansonsten nahmen mich Seeberg und Frau Winterling an die Hand. Ich war zwar in Frankreich auch allein geritten, aber da gab es keine Straßen und keine Kinderwagen und keine Eisenbahn. Und keine gelben Bagger!
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Entsetzen packte mich, als ich das erste Mal auf Begleitung verzichten mußte. Aber wenn schon, denn schon! Tapfer beschloß ich, in den Wald zu reiten. Dazu mußten eine vierspurige Straße und die Bahnlinie überquert werden. Prompt rauschten gleich zwei Schnellzüge unter mir durch. Sprich mit ihm! Ich erinnerte mich an Corinnes Ratschlag: Nicht den Atem anhalten. Ich senkte meine Stimme um zwei Oktaven und ho-hoooo-te und quatschte irgendeinen Blödsinn an mein Pferd. Es klappte: Tignous zuckte nicht mit der Wimper. So ein tolles Pferd! Nein, aber so ein Schatz!
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Tignous konnte staunen wie kein anderes Pferd. „Glubschauge“, sagte Frau Winterling. Wenn er etwas Interessantes am Horizont sah, blieb er wie angewurzelt stehen, bis er sich seinen Reim drauf gemacht hatte.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 13. Mai 2020, 07:52:14
 ;D schade um das verlorene Kochbuch  :-\
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 15:27:43
Göttlich, die Geschichte mit dem Frosch 😁😆😂!
Auf Jagden kann man zeitweilig nette sportliche „Sondervorstellungen“ der Reiter sehen. Pferde neigen manchmal dazu, gleichzeitig mit einen voranlaufenden Pfeed abzuspringen, auch wenn sie das Hindernis noch nicht erreicht haben. Da hat sich schon manch ein Rotrock unfreiwillig von seinem Pferd getrennt... 8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 15:32:00
...oder bei der Landung eine etwas unvorteilhafte Figur abgegeben  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 13. Mai 2020, 15:45:24
Mir tun ja immer die Pferde leid  :-\
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 15:54:39
Ich hab den Zirkus auch nie als Reiter mitgemacht, aber das ist für die Pferde tiergerechter, als einen (künstlich aufgebauten) Springparcours zu gehen. Natürlich sollte möglichst weder den Pferden, noch den Reitern, dabei etwas passieren.
Das ganze lief dann in dem Fall auch ohne Verluste ab, mit Hundemeute.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 15:57:12
... und natürlich der passenden Musik  ;D
(Das ist übrigens schon 25 Jahre her - die Zeit rennt -  :-\)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 16:42:44
Die Pferde müssen Dir nicht leid tun, Waldschrat. Das ist eine Jagdstrecke, kein Querfeldeinrennen. Die Pferde sind da ziemlich begeistert. ;) Und ich würde das nie einen  Zirkus nennen, es ist großartig. ;) Welche Meute war das, ATF?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 16:49:04
„Getrud, Du kannst es Dir nicht vorstellen,“ berichtete ich beim morgendlichen Kaffetrinken-Croissantessen in Trudis Heustadel, „heute morgen ist er in einen Laternenpfahl gelaufen.“
Gertrud quietschte: „Das kann auch nur euch passieren! Erzähl. Und krümel‘ nicht!“
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„Ich krümel‘ nicht! Ich krümel‘ nie!“ Sorgfältig legte ich mein Croissant auf den Teller. "Also, wir sind auf dem Stück Bürgersteig an der Lachwiese. Ti dreht sich rum, weil da im Feld ’ne Frau mit grünem Hut war. Das war aber auch ein komischer Hut, nebenbei bemerkt. Und dann sage ich, nun hast du aber ausgestaunt. Und Ti sagt: Ich komm’ ja schon, läuft auch ganz brav weiter, schaut aber immer noch nur auf den Hut. Und rumms!“
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Und schon lag das Croissant auf dem Teppich. Wieder einmal. Dabei hatte Trudi mich schon mit einem dieser großen Weihnachts-Pappteller ausgestattet, weil ich krümelte. Also, angeblich! Natürlich krümele ich nicht. :P.
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Sie reichte kommentarlos Handfeger und Schippe. „Du mußt übrigens gar nicht immer so tun“, versuchte ich abzulenken, während ich mit der Kehrschaufel zugange war. „Du machst mit der Hardy ja auch einiges mit. Denk bloß mal, wie Du an der Wasserleitung gehangen bist.“ Der Kontakt mit der Berieselungsanlage hatte Gertrud einen gebrochenen Arm gekostet.
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Hardy Hannah alias Hannelore war eine sehr temperamentvolle junge Dame. Gertrud liebte sie über alles. Hardy - „die Schwimmkartoffel“ nannte Gertrud sie, wenn Hannelore im Springunterricht mal wieder etwas unsicher und wackelig auf ein Hindernis zusteuerte - buckelte ums Leben gern. Gertrud liebte Buckeln, bei ihr buckelten sogar Pferde, die sonst im Leben noch nicht gebuckelt hatten.
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„Gerd hing auch schon an der Leitung!“ Gertrud nahm mir die Schippe ab. „Mit Extrapfiff! Der lag waagerecht in der Luft und hielt noch die Zügel. Bis Lore einen eleganten Ausfallschritt machte und Gerd zu Boden platschte.“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 17:45:43
Die Pferde müssen Dir nicht leid tun, Waldschrat. Das ist eine Jagdstrecke, kein Querfeldeinrennen. Die Pferde sind da ziemlich begeistert. ;) Und ich würde das nie einen  Zirkus nennen, es ist großartig. ;) Welche Meute war das, ATF?

Ja, die Pferde sind sehr begeistert, und manche Reiter teilweise etwas überfordert mit den begeisterten Pferden  ;).
Das war die Meute des Hamburger Schleppjagdvereins.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 13. Mai 2020, 18:31:50
Ein Pferd namens Hannelore - tssss  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 19:28:24
Danke, ATF.

Ein Pferd namens Hannelore - tssss  ;D

Ja, aus "Hardy Hannah" wurde " Lore"; es gab noch mehr solche Namen. Tignous - mit vollem namen "Tignous des Balmes" - wurde von einigen "Alati" genannt, weil ich bei einem Aufenthalt im Pfälzischen die Aufforderung "alla!" übernommen habe. :P Und ein Pferd namens Biskuit wurde von jedermann nur " Hühnchen" genannt. Einige trugen auch den Nachnamen des Besitzers, und manche hatten außerdem einen Beinamen. So war "Carthago" kurz "Kalle", aber man nannte ihn nur "Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln".  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 13. Mai 2020, 19:32:27
 ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 21:57:32
Während mein Pferdchen und ich uns langsam aneinander gewöhnten, hoffte ich, daß die Damen in der Feldscheune sich an uns beide gewöhnten. Aber die sahen zu ihrem Grimm die Seeberg-Winterling-Fraktion, die ihnen schon so lange ein Stachel im Fleische war, verstärkt und dachten nicht daran, sich an irgendetwas zu gewöhnen.
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Frau Winterlings Sokran ließ sich zwar von der zwölfjährigen Michaela wie ein Lämmchen führen, aber ogottogott, ein Hengst! Und dann ein Berber in diesem Stall voller Trakehner, Holsteiner und Westfalen! Und Frau Winterling sagte, was sie dachte. Das war ganz schlecht. Und tat, was sie wollte. Das war noch schlechter.
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Und Tignous hatte sich zwar mit seinem Charme - jawohl, er war sogar verdammt charmant - sofort alle Herzen erobert, aber diese Tara mit den kurzen Haaren - alles eine Bagage. Ti, der ihnen, und zwar ausnahmslos jeder, zu meinem großen Mißfallen Leckerli und Möhren und Äpfel aus den Rippen leierte, nahmen sie davon ausdrücklich aus – das arme Tier konnte ja nichts dafür.
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Die Feldscheune war, wie der Name sagt, ursprünglich nicht als Stall gedacht gewesen, und wenn es auch eine sehr schöne Scheune war, so war sie doch dunkel und schlecht belüftet. Pferde brauchen aber Luft!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 22:02:07
Wir drei öffneten das einzige Fenster. Die Damen schlossen es empört - sollten sich ihre Pferde erkälten? Die Pflegemädel Michaela und Kerstin bekamen strengste Anweisung, nach der Schule das Luftloch sofort zu öffnen.
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Frau Ehrmann, die jeden Nachmittag ein neues Gebiß ausprobierte - ihr Golden Girl wollte und wollte nicht durchs Genick gehen, sie war schon ganz verzweifelt - schloß das Fenster.  Mit Nachdruck. Kerstin öffnete es stumm wieder. Ihr machte das Spaß. Fenster auf, Fenster zu, Fenster auf.
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Die Damen begannen, Zettelchen zu schreiben. Die Sattelkammer war nicht gefegt! Ich hatte zwar noch immer hinter mir saubergemacht, aber man schob uns dreien offensichtlich die Schuld an jedem Strohhalm und an jedem Staubkorn zu. Ich wollte keinen Streit, das war das letzte, was ich wollte. Zähneknirschend schwang ich jeden Abend den Besen. Seeberg - charakterfest lehnte er jegliche überflüssige Arbeit ab - grinste: „Muß das einen Spaß machen! Soll ich dir morgen noch ein Staubtuch mitbringen?“
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Die Damen schrieben mit Kreide auf den Boden: „Hier bitte keine Möhren hinstellen. Ratten!“ Frau Winterling und ich schafften fluchend die Möhrensäcke weg, obwohl fünf Katzen die Feldscheune bevölkerten und seit Menschengedenken keine Ratte gesichtet worden war. Seeberg lümmelte derweil an der Wand und grinste. Und öffnete das Luftloch.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 13. Mai 2020, 22:14:53

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...Frau Ehrmann, die jeden Nachmittag ein neues Gebiß ausprobierte  ihr Golden Girl wollte und wollte nicht durchs Genick gehen...
Ich habe eben schallend gelacht ;D ;D So als Nichtreiterin liest sich das ein bisschen schräg ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 22:16:28
 8) ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 22:34:09
Stimmt 😁. Reiter wissen, was damit gemeint ist.
Wieder mal genial erzählt, meine Erinnerungen an derartige Konstellationen lebt gerade wieder auf ☺️.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 13. Mai 2020, 23:10:47

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...Frau Ehrmann, die jeden Nachmittag ein neues Gebiß ausprobierte  ihr Golden Girl wollte und wollte nicht durchs Genick gehen...
Ich habe eben schallend gelacht ;D ;D So als Nichtreiterin liest sich das ein bisschen schräg ;D

In der Tat.  Und wie geht ein Pferd durch das Genick  :o ???
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 23:11:32
 :)
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Aus irgendeinem Grund werden die Gedankenstriche nicht übernommen. Ulkig. -

Der Sandplatz grenzte an die Außenboxen der sechs Privilegierten. Manchmal durften Sokran oder Ritma und Tignous hier abends noch spazieren gehen – warum auch nicht, der Paddock war schließlich Gemeineigentum. Den Damen, deren privilegierte Außenboxen an den Paddock grenzten, reichte es: Wenn sich die Pferde nun bissen!
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Als ich abends in den Stall kam, hatte Golden Girl auf einmal eine Art Balkon aus Dachlatten vorm Fenster, der sie hermetisch von jedem Kontakt abschloß. „Die hat wohl ’nen Nagel im Kopp!“ Ich stürmte die Stallgasse rauf. „Baut hier Balköngskens! Das nimmt vier Quadratmeter Platz weg; der Auslauf ist eh so klein!“
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Michael grinste. Er regte sich nie auf. Ließ Ti und Oma Ritma auf den Sandplatz. Die Oma machte mit dem Balköngsken kurzen Prozeß: Sie setzte sich drauf. Wir drei waren ja unschuldig - mit Tieren passiert ja nunmal manchmal was -, betrachteten das aber als schönen Erfolg.


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 13. Mai 2020, 23:28:39
Die Damen vermuteten aber leider handfeste Sabotage und legten einen Zacken zu: Am nächsten Abend hatte auch Frau Reisters Schimmel einen Balkon. Hoffnungsvoll ließen Seeberg und ich die Pferde laufen.
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Tis Schweifrübe juckte. Er hätte sich auch am Zaun schubbern können, aber er eilte dankbar zum Balköngsken. Der Reisterssche Biskuit alias Hühnchen, der aus seiner Box kaum je herauskam, sah neidisch zu. So ein feiner Scheuerplatz! Holz splitterte.
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Frau Winterlings blonder Haarhelm erschien im Fenster: „Hat sie sich wieder draufgesetzt?“
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„Tignous diesmal!“
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„Hähä. Ein intelligentes Pferd.“ Der Kopf verschwand.
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Ritma wollte mit Goldie Mähne kraulen. Sie kam nicht an sie ran. Sie lehnte sich noch ein bißchen vor. Es krachte.
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„Bravo!“, hörte man aus Sokrans Box.
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Die doppelte Demolierung wurde in der Sattelkammer ausgiebig gefeiert.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 13. Mai 2020, 23:41:17
😆😂😜
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Obstjiffel am 14. Mai 2020, 09:39:45
 ;D ;D ;D Da gehören ja die passenden Querköppe zusammen. Jetzt stell dir mal vor die Damenriege wäre nicht so schräg gewesen. Wieviel Spaß auch entgangen wäre  ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 14. Mai 2020, 10:30:20
Genau, jedenfalls im Rückblick  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 14. Mai 2020, 12:44:01
 :-X

 8) ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 14. Mai 2020, 16:16:39
Die Damen zogen einen Kreidekreis um den versehentlich stehengelassenen Aschenbecher, schlossen das Fenster, reparierten die Balkons und griffen zu härteren Mitteln: Sie beschwerten sich im Büro bei Elvira Laube, der Sekretärin des Allmächtigen.
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Da bissen sie allerdings auf Granit. Die dicke Elvira konnte zwar Seeberg auf den Tod nicht ausstehen - sie konnte die meisten Leute nicht ausstehen und lag damit ganz auf der Linie ihres Herrn und Meisters sowie dessen Adlatus Schweinsberger - , aber Pferde brauchten frische Luft. Und eigenmächtige Bauerei konnte sie auch nicht tolerieren! Wenn hier einer eigenmächtig war, dann sie.
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Den verzweifelten Damen platzte ob dieser Niederlage endgültig der Kragen. Nun war die Stunde der schweren Geschütze gekommen. Als ich zwei Tage später meinen Sattel vom sehr weit oben angebrachten Bock hob, pfiffen mir drei Hufeisen haarscharf am Ohr vorbei. Das vierte leider pfiff nicht vorbei, sondern traf mich mit ziemlicher Wucht am Kopf und rasierte säuberlich einen Streifen Haut vom Schädel.
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Den Eisen hinterher flatterte langsam ein erklärender Zettel. Es war dieser Anschlag ein damenhaft zarter Hinweis darauf, daß ich angeblich nach dem Schmiedbesuch nicht gekehrt hatte. Nur war der Schmied zu Marinas Damian gekommen und nicht zu Tignous…
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Jetzt war auch Marina stinkesauer, denn wie, bitte schön, konnte sie dem Schmied hinterherfegen, wenn sie gerade in ihrem Krankenhaus in Wiesbaden das Geld für den Schmied verdiente? Sie hätte abends schon noch gekehrt, verdammt noch mal, sie kehrte doch immer!
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Und mir brummte der Schädel; es tat wirklich weh! Die Feldscheune erlebte einen (sehr seltenen, ehrlich!) Taraschen Wutausbruch. Natürlich hatte man mir nicht wirklich etwas antun wollen, wer auch immer mir die Hufeisen auf den Bock gelegt hatte, wollte mich nur kräftig ärgern und hatte nicht bedacht, daß etwas passieren könnte.
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 Aber leider hatte ich jetzt auch endlich die Haßkappe auf – nach vielen Übergriffen, vielem Nachgeben und Entgegenkommen meinerseits und regelrechten Demütigungen und nun einem bescheuerten Pflaster am Kopf - und ließ mich in meinem ersten Zorn dazu hinreißen, einen großen Zettel in der Sattelkammer anzubringen: Wer mir ans Leben wolle, der solle doch bitte keine Attentate aus dem Hinterhalt verüben, sondern sich im direkten Zweikampf mit mir messen. Die Wahl der Waffe wolle ich gern meiner Kontrahentin überlassen.
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Na, da hatte ich was angerichtet! Jetzt war nur noch eines angesagt: Krieg.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 14. Mai 2020, 17:11:06
Meine Güte :o :o
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Asinella am 14. Mai 2020, 17:19:40
Nee, nee, nee, da bleib ich doch lieber in der Eselwelt  ;D.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 14. Mai 2020, 17:34:10
Die Eisen sind kleiner  ;D wenn sie nicht eh barfuß gehen. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 14. Mai 2020, 18:20:04
Weia  :o
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 15. Mai 2020, 18:53:14
Mein lieber Scholli.
Aber ich kenn sowas, arbeite ja in einem fast reinen Frauenberuf...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 15. Mai 2020, 23:29:41
Ich bin absolute Frischluft-Fanatikerin, was Pferde betrifft. Tagsüber stand Tignous ja auf der Koppel, aber jede zusätzliche Stunde, die er nicht in der stickigen Feldscheune verbringen mußte, war mir wertvoll. Am frühen Abend nach dem Füttern ging die kleine Kerstin noch einmal mit ihm spazieren, am späteren Abend nach dem Dienst machte ich die letzte Runde mit ihm.
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Außerdem mußte ich sparen. So nahm ich den Führstrick in die eine, einen Beutel in die andere Hand; eine Taschenlampe zwischen den Zähnen, kroch ich dann mit meinem Pferd durch aufgelassene Kleingärten, Fallobst sammeln, Wintervorrat. Ti hatte Trüffelsuchschwein-Qualitäten, nichts Eßbares konnte ihm verborgen bleiben.
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Ti fand den Herbst toll. Einfach großartig war das jetzt hier. Hagebutten und Birnen und Äpfel und Pflaumen und Mais!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 15. Mai 2020, 23:37:17
„Hallo Pony. Mann, ist der fett!“ meinte Birte bei einem ihrer seltenen Besuche. Ich schnaufte empört. Pony! Er war 1.54 groß, immerhin! Und fett?! Ich zuckte leicht zusammen, fühlte mich aber wirklich schuldlos. Tignous bekam nicht ein Drittel des Futters, das seinen Stallgenossen zugestanden wurde, und weniger als die Hälfte von dem, was Corinne ihm gefüttert hatte.
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Aber jeder, wirklich jeder schob meinem Pferd bei jeder Gelegenheit was ins Maul. Weil er gar so niedlich aussah! Ich habe seitdem viele bettelnde Pferde erlebt, doch Tignous war ein Meister in der Futterbeschaffung.
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Es war ein ums andere Mal hollywood-reif. Tauchte ein potentieller Spender auf, so konzentrierte sich mein Pferd kurz. Dann ließ Ti Luft ab. Er schien zu schrumpfen und regelrecht an den Flanken einzufallen; man meinte, die Rippen zu sehen! Hierauf legte er alle Hilfsbedürftigkeit aller geschundenen, unterernährten Pferdchen der Welt in seine wie geschminkt wirkenden orientalischen Augen und schoß eine volle Breitseite ab – mitten ins Herz der wehrlosen Opfer.
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Diesem schmelzenden „Ich bin doch nur ein kleines-kleines Pferd und habe solchen Hunger!“-Blick aus samtigschwarzen Tiefen konnte auch beim zwanzigsten Mal niemand wiederstehen. Niemand. Nicht einmal meine Feinde. Und wer aus der Sattelkammer kam – es war ein ständiges Kommen und Gehen -, mußte an seiner Box vorbei. Ohne Wegezoll ging das nicht ab. Selbst den kaltschnäuzigen Pfleger Igor erwischte ich einmal, wie er Tignous eine Extra-Portion vorlegte.
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Ich hoffte immer, mal jemanden vom Werbefernsehen kennenzulernen; Tis Schindmähren-Vorstellung, gefolgt von einem innigen Seitenblick - „Danke! Danke, Kumpel! Du hast mir das Leben gerettet!“, wenn er die Liebesgaben hastig in sich hineinschlang -, hätte mir viel Geld eingebracht.
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Jedenfalls hatte er jetzt seinen Namen weg: Fettespony.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 16. Mai 2020, 08:23:06
Für eine solche Vorstellung wären ein Handyvideo und YouTube perfekt gewesen. Eigener Kanal für Ti alias Fettespony  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 16. Mai 2020, 10:26:00
 :D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 16. Mai 2020, 11:28:55
 ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 16. Mai 2020, 11:43:38
Ein absolut liebenswertes Pferd :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Henriette am 16. Mai 2020, 14:34:40
Einfach schön. Ich beneide Dich noch nachträglich.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 16. Mai 2020, 19:47:32
Oh ja, diesen „ich-verhungere-gleich-wenn-du-mir-nicht-sofort-was-zum-Futtern-gibst-Blick“ kenn ich nur zu gut ! Ich hab auch solche „Fressmaschinen“  ;). Es ist tatsächlich so, dass diese Rassen, Berber, Spanier, Portugiesen, sehr leichtfuttrig sind. Das hiesige Gras ist eigentlich viel zu gehaltvoll für sie, so dass man sie oft nur stundenweise auf die Koppel lassen kann.
Im Gegenzug hab ich Pferde erlebt, die immer wie ein wandelnder Kleiderständer aussahen, egal, wieviel Futter man in sie hineinstopfte  :-\. Auch nicht optimal...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Asinella am 16. Mai 2020, 21:49:43
Und erst ein Esel, der stimmt dazu das ergreifende Lied vom sterbenden Esel an  ;D. Nützt aber nix und Fremden ist Füttern bei Todesstrafe verboten.
https://www.productswithlove.de/listing/eselschild-2-schild-esel-fuettern-verboten-schild-esel/208845
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 16. Mai 2020, 21:53:09
Und erst ein Esel, der stimmt dazu das ergreifende Lied vom sterbenden Esel an  ;D.

Einer der Gründe, weshalb ich mir niemals einen Esel anschaffen würde  ;D ;)!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 16. Mai 2020, 22:37:26
und Fremden ist Füttern bei Todesstrafe verboten.
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Ich kann es auch gar nicht ab, wenn andere mein Tier füttern. Drum füttere ich auch keine Katzen, die hier durchlaufen. Zumal manche Leute so blöd sind und gar nicht wissen, was ein Pferd nicht verträgt.  Wir haben nicht nur einmal Nachtwache geschoben, weil wir Kohlblätter und ähnliches bei den Pferden fanden.
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das ergreifende Lied vom sterbenden Esel

 ;D ;D ;D
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Mit dem Gras kam Ti ganz gut zurecht, wir hatten auch nicht so fette Koppeln; es war das elende Leckerlifüttern. und wirklich fett war er natürlich nicht, er hatte ja gut Arbeit.
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Es fütterten ihn übrigens nicht nur die Menschen: Ritma in der Box neben ihm - es gab keine Boxenwände, die Abtrennungen waren aus Stangen mit größeren Zwischenräumen (was ich unfallträchtig finde), gab ihm auch!
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Ritma bekam bergeweise Heu; Seeberg war der Ansicht, das Kontingent reiche nicht, und legte immer nach. Eines Tages kam Kerstin an und sagte, Ritma schiebe ihr Heu zu Tignous rüber, wenn der mit seinem fertig sei.
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"Kerstin! Nicht tun! Wir reden ja gerne über die Tiere wie über die Menschen, aber man soll Pferde nicht vermenschlichen. Da hat Ritma halt mal den Kopf bewegt und aus Versehen was rübergeschubst." Seeberg und ich hielten ihr das beide vor.
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Kerstin war beleidigt, aber da mußte sie durch, sie sollte ja auch was lernen.
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Einen Tag später war ich um die Zeit da. Ti hatte sein Heu verputzt, seine Nachbarin hatte noch einen großen Haufen. Ti scharrte. Ritma schaufelte Heu zu ihm rüber, Nicht nur einmal - dreimal, bis er wieder gut versorgt war.
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Ich sagte das erstmal niemandem. Halluzinationen muß man nicht breittreten.
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Zwei Tage später kam Seeberg und entschuldigte sich in aller Form bei Kerstin: "Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte... Sie macht es, sowie er scharrt, und schiebt soviel zu ihm rüber, bis er zufrieden ist."
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Genau das hatte ich gesehen. Drei Leute, unabhängig voneinander, hatten das nun beobachtet.
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Ich schwöre, das ist wahr!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 17. Mai 2020, 01:02:46
 ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 17. Mai 2020, 10:07:35
Liebe Tara, diese Geschichten sind so köstlich!
Bitte schreib noch sehr viele davon!
 :-*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 17. Mai 2020, 21:38:25
 :D

Ein absolut liebenswertes Pferd :D
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Jeder liebte Ti.
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Wirklich jeder. Auch die, die auf alles herabsahen, was nicht Deutsches Warmblut war (ich will nichts gegen die deutschen Warmblutzuchten gesagt haben, wir haben die besten Pferde der Welt gezüchtet – daß ich mir einen Zwockel wie diesen Araber-Berber anschaffte, lag ausschließlich an meiner Gesundheit und, rückblickend betrachtet, an gütiger Vorsehung oder göttlicher Fügung, wie auch immer). Wenngleich die es vielleicht nicht unbedingt zugaben. Nur mit dem Pfleger Igor verdarb es sich Ti, aber das ist eine andere Geschichte.
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Mein Pferd hatte auch bei Nichtreitern einen regelrechten Fanclub. Der Ort liegt in einer Mainschleife, und in einer knappen Stunde war man, wenn man flott unterwegs war, einmal herumgeritten. Das war mit kleinen Variationen der tägliche Ritt morgens vor dem Dienst, mal linksrum, mal rechtsrum. Und dabei begegnete man zwangsläufig allen, die um diese Zeit einen Hund oder einen älteren Verwandten oder ein Baby zu lüften hatten.
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Man freute sich, daß wir „nicht so sehr groß“ waren. Man freute sich, daß ich immer und jeden grüßte. Man freute sich, daß ich auch im schönsten Galopp immer durchparierte, wenn der Reitweg allzunah am Fußweg verlief.
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Ja, aber hallo! Ich hatte meinen Reiterpaß bei van Krachten gemacht, wo man allzeit auf Korrektheit pochte,  und nicht bei der bösen Konkurrenz nebenan! „Und freundlich grüßen“ war da ein Standardsatz! Denn in einem Gebiet, in dem die meiste Natur schon zu Straßenbegleitgrün degradiert war, konnte man es sich nicht leisten, Leute zu verärgern und so etwa Reitwege zu riskieren.
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Und wenn der Schulstall mit zehn, zwölf Pferden unterwegs war, dann grüßte brav ein jeder, und es gab Leute, die ernsthaft jeden Gruß erwiderten: „Guten Tag. Guten Tag. Guten Tag; guten Tag, guten Tag…“ – zehn, zwölfmal.  :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 17. Mai 2020, 21:42:04
Der Sattelgurt meines Trekkingsattels war mit einem sehr langen Riemen am Sattel befestigt.  Ich weiß nicht, warum ich diesen Riemen nicht einkürzte oder damit noch ein paar Knoten schlug oder ihn sonstwie verstaute – vielleicht war es eine gewisse Bockigkeit, weil man so auf diesen ganz hervorragenden Sattel herabsah, Ich habe es wirklich vergessen. Jedenfalls hing dieser lange Riemen immer herunter. Auch so lernte ich viele Leute kennen – hilfreiche Menschen! Sie wollten mich warnen, daß da was nicht in Ordnung war: „Frolleinsche, ihne hängt da was ennunner!“

Das nennt man „anbandeln“.  ;) 8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 17. Mai 2020, 21:54:15
Und die Kinder! Die kannten ihn alle mit Namen. „Der Tignous! Da kommt der Tignous!“ Sie kamen gerannt, wenn wir auftauchten. „Darf ich reiten? Darf ich mal drauf? Bittebitte, ich auch! Ich auch!“ Und natürlich durften sie, wenn ich irgend Zeit hatte. Ich selbst hatte als Kind ja ebenso gebettelt, und ich habe nie vergessen, wie glücklich und stolz ich war, wenn ich dann oben saß.
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Und obwohl das Fettepony ein, äh, ich will es mal „lebhaft“ nennen – also, ein lebhaftes Temperament hatte und manchmal ein ziemlicher Schweinebuckel war, hätte er nie, nie etwas getan, was einem Kind hätte schaden können. Ich bin überzeugt, er hätte jedes Kind unbeschadet bis an den Frankfurter Hauptbahnhof gebracht, und das war schon ein bißchen weiter weg.
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Also, wenn er dabei hätte ab und an fressen können.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 17. Mai 2020, 22:13:01
Mittlerweile bin ich ein absoluter Fan von Deinem Pferd :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 17. Mai 2020, 22:38:29
Da freue ich mich  :D :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 18. Mai 2020, 16:10:09
Daß Pferde sehr genau einschätzen können, wen sie da auf dem Rücken haben – das werden mir alle Reiter bestätigen. Sie nutzen das normalerweise gnadenlos aus, aber manche sind tatsächlich rücksichtsvoll und gnädig mit den ganz Schwachen!
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Nicht nur mein Tignous paßte auf Kinder auf. Im Schulstall stand Kora, eine Oldenburger Rappstute, eine ganz feine! Schon eine ältere Dame, war sie mit allen Wassern gewaschen. Sie war ein absoluter Anfängerschreck, weil sie sich in keinerlei Hinsicht beeindrucken ließ von den noch ungeschickten reiterlichen Hilfen und eigentlich immer nur machte, was sie wollte. Wenn sie nur die Ecken schnitt, hatte man Glück; sie ließ sich auch gerne mal hinter die anderen Pferde zurückfallen und kürzte dann die ganze Bahn ab, und man sah aus wie ein Trottel. Sie ließ sich nicht hetzen, sie dachte gar nicht daran, sich hetzen zu lassen. Und wer meinte, ihr zeigen zu müssen, wo es langging – nun, einen Machtkampf gewann sie immer.
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Kindern gegenüber aber war sie geradezu albern geduldig. Da trübte sie kein Wässerchen. Der Unterschied in ihrem Verhalten war wirklich verblüffend, sie wirkte wie ein anderes Pferd. Je kleiner das Dötzsche, das auf ihr saß, um so frommer war sie.
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Als mich die Reitlehrer endlich aus der Alten Halle hinauswarfen und dazu verdonnerten, als Fortgeschrittene in der großen Halle vor wie immer großem Publikum zu reiten (das Casino hatte eine Glasfront über die gesamte Breite der Halle, was großartig war, wenn man drin saß und anderen zusah, aber schrecklich, wenn man selbst solchermaßen begutachtet wurde), da mußte ich nun auch an den Fortgeschrittenen-Springstunden teilnehmen.
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Mit Donata, dem Bergabpferd (sie war etwas überbaut), sprang ich den ersten großen Parcours meines Lebens. Ich sprang dabei auch den ersten (für mich) sehr mächtigen Doppeloxer meines Lebens. Es sollte der einzige meines Lebens bleiben. Mein Absprung war, wie man mir hinterher versicherte, sehr elegant! Leider habe ich keinerlei Erinnerung mehr daran, denn ich sprang den Oxer ohne Donata.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 18. Mai 2020, 16:17:09
 Dem Stangensalat folgte eine Operation und eine fast halbjährige Krankschreibung. Ich hatte eine Plastikschiene am Bein; an Reiten war nicht zu denken. Birte beschloß, mich zu longieren; mit Kora. Ohne Sattel ginge es vielleicht trotz der blöden Schiene.
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 „Bist du irre? Auf Kora? Wenn die mich absetzt, habe ich ein Bein gehabt.“
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„Kora macht das.“
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Nun ja, wenn sie meinte… Ich wollte aufs Pferd, egal, wie.
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Zusammen mit dem Schulstallpfleger Sepp (von ihm ging die Rede, daß er die Pferde am Geruch ihrer Äpfel unterscheiden konnte) hievte sie mich irgendwie auf die nicht eben kleine Kora. Mir war ziemlich mulmig, und es wurde, zumal mit der starren Plastkschiene, auch eine recht rutschige Angelegenheit.
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Aber jedesmal, wenn ich aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte, schob Kora sich so unter mich, daß ich unmöglich fallen konnte. Unglaublich. Und das passierte bei jeder Stunde! Im Trab warf sie mich kaum, ihr Galopp war wie beim Schaukelpferd. Kora war ein Engel.
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Ich faßte eine tiefe Zuneigung zu diesem Tier. Als ich endlich wieder im Sattel saß und meine erste Stunde mit Kora haben sollte, sah ich dem sehr frohen Mutes entgegen.
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Es wurde eine einzige Demütigung: Ein halbes Jahr lang war Kora wie ein Lämmchen gewesen, nun führte sie ohne Vorwarnung die früheren Sitten wieder ein. Ich hinkte kaum noch, ich war wieder gesund, jetzt war Schluß mit lustig!


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 18. Mai 2020, 16:42:57
.....denn ich sprang den Oxer ohne Donata. ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D Sorry, aber ich lache gerade Tränen  ;D

.... Ich hinkte kaum noch, ich war wieder gesund, jetzt war Schluß mit lustig!  :D. Es gab da wohl mehr Pferdepersönlichkeiten  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 18. Mai 2020, 17:12:06
 ;D
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...manche sind tatsächlich rücksichtsvoll und gnädig mit den ganz Schwachen!
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*nickt dazu*
Was hatte ich doch für ein Glück. Reiten kann ich zwar nicht, aber ich habe mich einige Jahre von so einem geduldigen, umsichtigen und sehr trittsicheren Tier spazieren tragen lassen.  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 18. Mai 2020, 20:14:45
Das ist klasse, Bufo! Das wünschte ich jedem. :)
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Es gab da wohl mehr Pferdepersönlichkeiten  :D
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Oh ja, ein jedes war eigen, ich könnte seitenlang erzählen. Derzeit lese ich nachts kaum drei Seiten, weil mir so viele Erinnerungen im Kopf umgehen, und ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen...
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Es gibt über jedes Pferd was zu erzählen, und im Dorf lebten 160....
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 Ich nenne nur mal eben Hanko aus dem Schulstall. Der Wallach  war eines der altgedienten Schulpferde und ebenso gewitzt wie Kora. Ein Brauner, nicht eben hübsch (das ist jetzt nett gesagt), mit einem Kopf wie ein Cellokasten. Er war schon etwas steif. Niemand wollte ihn reiten; jeder zog einen Flunsch, wenn er ihm zugeteilt wurde. Nur eine junge Frau namens Katharina, die ab und an ins Casino kam - niemand hatte sie je reiten sehen -, verteidigte ihn glühend. Hanko sei ein hervorragendes Pferd, wir könnten ihn  nur nicht reiten.
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Nachdem wir uns das zehnmal angehört hatten, hatte jeder die Faxen dicke:
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"Vormachen!"
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Katharina entgegente nur kühl: "Gerne!" und verschwand.
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Eine Woche später erschien sie in Reitkleidung. Und gab - vor großem Publikum - eine Vorstellung mit Hanko. So viel Applaus hatte in Tarahausen noch selten wer bekommen: Sie ritt eine tadellose A-Dressur mit Hanko. Und Hanko....! Er lief nicht nur wie ein anderes Pferd - geschmeidig, rund, jede Steifheit verschwunden, hundertprozentig konzentriert und korrekt, und er hatte sichtbar Spaß! - nein, Hanko sah auch aus wie ein anderes Pferd. Als glänzte sein Fell mehr, als wäre er zehn Jahre jünger. Er sah richtig hübsch aus.
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Abgesehen vom Kopf, da konnte keiner was machen.
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Später erfuhr ich, daß unser verehrter Oberreitlehrer Siegfried Wolf - ein bundesweit bekannter Ausbilder und Reiter - ihn nahm, wenn er mal an einer Schleppjagd teilnehmen wollte. Er hatte dutzende von  Berittpferden, teils sehr gute (auf ein schlechtes hätte er sich sowieso nie gesetzt) - aber er wählte Hanko. Weil er nun wirklich keinem etwas beweisen mußte, einfach ein bißchen Spaß haben wollte und Hanko, man höre und staune, das zuverlässigste Jagdpferd war und richtig gut sprang.
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Na gut, A-Dressur hatten wir nun gesehen. Aber Hanko und gut springen? Was quälten wir uns als Anfänger mit ihm in den Cavalettistunden! Bis Hanko Schluß damit machte. Überdeutlich und ein für allemal.
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Es war wieder Anfänger-Springunterricht in der kleinen Halle. Das übliche Publikum, Bierglas oder Geripptes in der Hand, hatte sich versammelt zum Tarahausener Kino. "Hanko! An-gallopieren!" rief Reitlehrer Arno Kahn. Das arme Reiterlein tat sein möglichstes. Hanko verfiel in einen stuckernden Trab.
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"Auf den Zirkel geritten!", rief Arno und raufte sich die Haare, "an-galoppieren! Ganze Bahn!" Hanko war tatsächlich angaloppiert, es war kein schöner Galopp. Er sah den kleinen Sprung, er zog an, er tat einen mächtigen Satz - und blieb stehen, die Stangen unterm Bauch. Vorhand auf einer Seite, Hinterhand auf der anderen.
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Das Publikum johlte begeistert.  Arno Kahn brach in hilfloses Lachen aus. Dem armen Reiter lief der Schweiß übers knallrote Gesicht. Hanko stand wie aus Stein gemeißelt. Kahn versuchte es mit der Longierpitsch: Hanko backte sich ein Ei drauf. Hanko bewegte keine Ohrspitze, Hanko stand wie aus Erz gegossen.
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Man mußte den Sprung unterm Pferd abbauen, auf dem der arme Herr X. saß wie ein begossener Pudel, während das Lachen kein Ende nahm.
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Hanko mußte hinfort nicht mehr springen. Hanko mußte sich überhaupt nicht mehr mit irgendwem rumquälen: Die Kunden  kauften ihn frei. Häßlichkeit hat doch manchmal auch ihr Gutes: Er mußte sich mit gar keinem Reiter mehr abplagen, niemand wollte ihn - liebevolle Gefühle hatte Hanko in keinem Schüler jemals erweckt. Hanko kam auf einen Frankfurter Gnadenhof und lebte dort noch viele glückliche Jahre. 
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Noch zwei Jahrzehnte später lachten die Leute anerkennend, wenn einer sagte: "Weißt du noch Hanko?"
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So sicher wie nur was kam dann "Unter dem man den Sprung abbauen mußte!"
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Und schon als nächstes ein versonnenes: "Kopf wie'n Cellokasten."
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 18. Mai 2020, 21:06:45
Der arme Hanko. Aber letztlich hatte er es ja doch gut getroffen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 18. Mai 2020, 21:08:04
Ich habe gerade heute zu GG gesagt, dass mir nie bewusst war, welche Persönlichkeiten Pferde sind. Für mich waren das bis zu diesen Geschichten einfach nur große furchteinflößende Tiere.
Unser Enkel reitet seit Anfang des Jahres in einem kleinen, sehr persönlich geführten Stall und erzählt genauso begeistert von den Pferden wie Du, Tara :) 
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 18. Mai 2020, 21:55:49
Das freut mich, Rosenfee. Es sind ja heute fast nur Mädchen, die reiten lernen. Ich finde, etwas bessers kann einem Kind nicht passieren. :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: fips am 19. Mai 2020, 00:11:41
Tara, Du erzählst soooo schön!  :D
Ich habe so eine Freude daran und könnte immer zu weiter lesen. Wäre es ein Buch, würde ich es nicht aus der Hand legen bis ich es in einem Rutsch  zu Ende gelesen hätte. 
Mit Pferden konnte ich bisher eigentlich nichts anfangen, da habe ich vermutlich sehr viel verpaßt, obwohl die Enkeltöchter viele Jahre auch zum Voltigieren gingen. :-[
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Bitte mehr.... :-*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 19. Mai 2020, 19:48:12
Ich liebe Katzen und Hunde (und es gibt auch zu mindestens einer Katze und einigen Hunden etwas zu erzählen, denn so ein Reitstall ist ja sozusagen ein Mikrokosmos, und dann erst ein ganzes Pferdedorf), aber wer nie mit Pferden zu tun hatte, der hat wirklich etwas verpaßt... Finde ich. :)
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Daß Tignous sehr intelligent war, das hatten Frédéric und der französische Tierarzt ja gleich gesagt. Und Birte auch.
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Ti war wirklich, wirklich helle! Und so ein intelligentes Pferd machte richtig große Freude, weil er schnell lernte und mitdachte und mir tatsächlich manchmal bei einer Lösung half, wenn er das Problem erfaßt hatte.
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Leider aber war er auch in eigenen Angelegenheiten intelligent. Teuflisch intelligent war das Fettepony. Zu den Koppeln – er wechselte sie nach Belieben - gibt es später mehr zu sagen.  Aber er entpuppte sich auch sonst immer mehr als Zirkuspferd. Jede Schnalle, jeden Haken, alle Knoten knüpperte er auf.
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„Clever Kerlchen“, meinte Doc Dossi, halb bewundernd, halb mit zusammengebissenen Zähnen. Dem Tierarzt Dostenfelder hatte er gleich zweimal ein Schnippchen geschlagen. Ich denke, ich hätte mit Tidemsausack auftreten können wie der Mann mit dem Klugen Hans.
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Wenn Ti vor einem zu lösenden Problem stand – Probleme waren etwa Maßnahmen, die ihn vom Spazierengehen abhalten sollten, und natürlich geschlossene Türen, hinter denen sich Eßbares verbarg --, sah man förmlich die Rädchen in seinem Hirn drehen und ineinandergreifen. Und ich behaupte, daß er erfreut lächelte, wenn es „klick“ machte: Ah, so geht das! Und richtig stolz aussah!
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An der Mainpromenade gab es eine wunderschöne große Wiese, an deren anderem Ende ein griechisches Restaurant lag. Mit Frau Winterling ritt ich öfter zum Abendessen hin. Stundenlang stand Tignous dort brav und ohne einen Muckser angebunden neben Sokran unter den Trauerweiden am Fluß, wenn sich sein Mensch dabei wieder mal verquatscht hatte. Das heißt: meistens.
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Aber wehe, es wurde ihm langweilig oder er erspähte auf einmal ein bislang übersehenes Grasbüschel!
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„Ich will ja nichts sagen, Tara, aber da vorn läuft wieder mal ihr Pferd übern Rasen“, meinte Frau Winterling dann trocken. Und ich mußte über die Wiese flitzen, um das Fette Pony vom Rosenbeet abzulenken. Rosen waren Tis Leibspeise! Nur lagen sie leider auch dem Griechen sehr am Herzen...
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Ich gewöhnte mir an, großzügige Trinkgelder zu geben.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 19. Mai 2020, 21:11:40
 ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 19. Mai 2020, 21:24:48
...und der Wirt kaufte davon neue Rosen ;D ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 19. Mai 2020, 21:43:19
So ungefähr. ;) Aber es gab keinen Ärger, denn: Alle liebten Tignous. ;) Und, wie gesagt, die Trinkgelder...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 17:09:26
Mir imponierten die Alten im Verein. Die hatten mit ihren Pferden – gute Pferde, aber beileibe nicht die besten, denn man mußte sich als Handwerksmeister oder Steuerberater nach der Decke strecken - alles gemacht. Und die meisten von ihnen waren auch erst als Erwachsene aufs Pferd gekommen, denn nach dem Krieg mußte ja erst mal das Essen verdient und ein Geschäft aufgebaut werden, und Kinder großgezogen.
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Die Alten bissen sich durch und blieben dran, aus Liebe zum Pferd und zur Sache. Sie ritten Dressur, vor allem die Männer natürlich auch Springen, kämpften sich meist immerhin bis L-Kandare vor, machten jede Schleppjagd mit, gründeten einen Verein, legten einen Springplatz und einen absolut großartigen Military-Platz an und versuchten sich auch selbst in der Vielseitigkeit. Veranstalteten Wochenritte und trafen sich mittwochs zu ihren Schoppenrunden, ließen keine Quadrille und keinen Faschingsumzug aus.
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Die jungen Mädchen und Frauen, die zu meiner Anfängerzeit van Krachten bevölkerten, waren meist schon als Kinder aufs Pferd gekommen, hatten wohlhabende Papas und mühten sich Jahr um Jahr in der A-Dressur ab, und beim Traum von der M-Dressur endete ihr reiterlicher Horizont oft schon. Wer Dressur ritt, sprang meist nicht, und nur bei allerschönstem Wetter wurde mal eine Runde zum Springplatz und zurück geritten – satte 600 oder 700 Meter!! – das war dann „Gelände“. 
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Während die paar Geländereiter, die wie ich wirklich bei jedem Wind und Wetter draußen waren und höchstens bei Dauerregen mal die Halle aufsuchten (ich blieb auch dann draußen), jedenfalls nie ein Turnier mitritten.
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Sie hingen an ihren Tieren, und ja, wenn der Bastl von seinem 28jährigen Garfield – den er immer noch ritt, wenn auch sachte – sprach, bekam er manchmal feuchte Augen, aber sie hingen an den Tieren ohne die heutige Sentimentalität, und wenn die Zeit gekommen war, trennte man sich von ihnen, ohne Regenbogenbrücken fürs Publikum zu bauen.
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Die Alten sprachen hessisch - nicht, weil sie kein Hochdeutsch konnten, sondern weil sie sich als Hessen verstanden; und wer meinte, er hätte es mit unbedarften Bauern zu tun, nur, weil sie Dialekt sprachen, der wurde sehr schnell eines besseren belehrt.
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 Ich hatte für diese Vereinsgründer die größte Hochachtung, sah ihnen beim Reiten zu und versuchte zu lernen, faßte sie am Jackenknopf und zog sie in Gespräche über meine Fehler, und spitzte die Ohren, wenn sie sich über frühere Zeiten unterhielten.

Einmal ließ ich mir da von Anne am Tresen einen Kellner-Schreibblock geben und machte mir heimlich ein paar Notizen.

„Ja, mußte alles aufschreiben“, rief der Walkepaule mir über vier Tische hinweg laut zu und verriet mich Lauscherin so, „in achtundzwanzig Jahren wird das dann veröffentlicht: Frühe Studien!“

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 20. Mai 2020, 18:51:19
 :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 21:22:13
Weil das Casino nicht mein zweites Wohnzimmer, sondern mein erstes war, sprach ich früher oder später mit jedem. Mit einigen der älteren Damen – die Gattinnen der Vereinsgründer – habe ich so manche nachmitternächtliche Stunde an der Bar verbracht. 
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Ich erfuhr da nicht nur Weisheiten wie „Wenn man nicht allzugut reiten kann, sollte man wenigstens allzeit adrett gekleidet sein!“ oder „Bekomme nie graue Haare, Tara!“ – mit der Frau des Bösen Bäckers sang ich da auch so manches Lied, denn die sang ebensogern wie ich. Anne mußte da durch.
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Und ich erfuhr einiges über Beziehungen… Also sozusagen die Grundströmungen des Tarahausener Lebens. Als ich es dann wußte, fiel mir allerdings die verblüffende Ähnlichkeit von Sohn X und Sohn Y zu Herrn Z auf – nein, auch heute werde ich niemanden verraten.  ;)  Es wurden derlei Dinge auch nur so nebenbei erwähnt, es war ein lebenslustiges Volk dort, und so etwas passierte eben. Und der Herr Z war schon ein flotter Kerl, immer noch.
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Viel schlimmer als solche Kuckuckseier waren in den Augen dieser älteren Damen – man kann sie tatsächlich als Leitstuten bezeichnen – zum Beispiel einige der Gründe für ihre lebenslangen unterschwelligen Feindschaften: „Die Gisela wollte mir beim vierzigsten vom Gustav doch allen Ernstes beim Abspülen helfen. Die! Und, was soll ich dir sagen??!!! Von zwei Gläsern – von zweien! – die Stiele abgedreht, die dumme Kuh!!!“ zischte Erika dann wohl, um, als eben diese dumme Kuh erschien, nahtlos mit freundlichem Lächeln fortzufahren: „Oh, hallo, Gisela, je später der Abend…““
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 20. Mai 2020, 21:26:10
Manche Dinge ändern sich nie  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 21:28:58
 ;D ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Asinella am 20. Mai 2020, 21:55:29
Zitat
sah man förmlich die Rädchen in seinem Hirn drehen und ineinandergreifen. Und ich behaupte, daß er erfreut lächelte, wenn es „klick“ machte: Ah, so geht das! Und richtig stolz aussah!
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Der muss eindeutig Esel in seiner Ahnengalerie haben, das kann gar nicht anders sein  ;D ;D.
Das erinnert schwer an Lucy, an der ist auch ein Dipl. Ing. verloren gegangen. Bitter war nur, als der Karabiner, der die Kette über den Riegel am Stall sicherte durch einen Schraubkarabiner ersetzt wurde. Karabiner war anspruchsvoll, aber mit genügend Willen und Ausdauer, und das hat sie, machbar. Der Schraubkarabiner war der Gipfel der Bosheit, sie stand zähneknirschend davor:ich weiß genau, wie das Sch..ding funktioniert, aber ich krieg es nicht auf. In dem Fall sind Hufe halt doch unpraktisch. Vom Zahlenschloss haben wir abgesehen, das hätte sie sicher irgendwann geknackt ;D.
Und anbinden? Du glaubst doch wohl nicht, dass Du mich einfach so anbinden kannst, ohne mich zu fragen. Ja wo sind wird denn! - Ja wo isse denn wieder ?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 21:55:44
Wenn die Herren da so beisammensaßen, wurde auch manchmal ein wenig angegeben; wieso auch nicht; sie konnten sich ja wirklich sehen lassen, und wie das so ist – in der Erinnerung verklärt sich manches.  Aber da die jahrzehntelangen Mitreiter und -streiter sich, was die Vergangenheit der Kameraden betraf, keineswegs der Verklärung hingaben, sondern leider ein messerscharfes Gedächtnis hatten, war die Korrektur etwaiger geschönter Reminiszenzen nie weit.
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Eines Abends saß ich mal wieder mit dem Kellnerblock am Nebentisch; die Schoppereiter  sprachen von früheren Erfolgen. Gustav, der schon lange an keinen Turnieren mehr teilnahm, sondern fürs Draußenreiten focht – er war einer der ersten Berittführer gewesen -, erinnerte sich behaglich an zwei Verweigerungen bei einem Springen: „Schließlich hadd der Beneken dem Abendglanz Sand uffen Arsch geschmisse - und da is der Gaul gelaafe!“ Beneken war Richter, es war nicht eben seine Aufgabe, mit Sand zu werfen…. Alles lachte.
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„Ja ja, isch habb des all gemachd,“, fuhr Gustav ermutigt von dem Gelächter der Kameraden fort, „ isch brauch des all‘ nedd mehr. Wie isch damals in -  Erika, wo war des noch? - also, is ja aach egal, also, isch mach da e Springe mit, L Springe immerhin! Isch reid‘ da ein, stolzgeschwängert, es bimmelt. Isch denk, was will des Arschloch, isch reid‘ aa, isch nehm de erschde Sprung, es bimmelt widder, isch nehm de zweide Sprung, es bimmelt – und da ruft’s ‘Der Reider scheidet aus!‘ “
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„Hasde nedd gegrüßd?“ fragte der Bastl. „Isch habb des Bimmele nedd abgeward'!“ erklärte Gustav mit gesträubtem Schnurrbart, „Da hab isch gesachd  - des war des ledzde Mol middem Springe!“
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Gustav hob sein Pilsglas: „Und midd dere Dressur - in Dieburch hab isch de goldene Schleif' gehold,“ Unser Berittführer richtete sich auf und erklärte, auf Hochdeutsch: „Das war der Höhepunkt meiner Laufbahn! Da hab isch uffgehört.“ Er trank und wischte sich zufrieden den Schnäuzer.
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Aber der Bastl nahm einen Schluck von seinem Äbbelwoi und sagte genüßlich: „Ganz stimmd des nedd. Also nedd so ganz“, er blickte in die Runde: „E paar Monad späder warsde widder do, und da warsde nedd emol blaziert. Do hasde gesacht, damals hab isch de goldene Schleif' gehold, und itz hamse misch nedd emol blazierd, was sinn denn des für Arschlöcher, und da hasde uffgehörd!“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 20. Mai 2020, 22:06:06
Tja, mit Erinnerungen ist das so eine Sache  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 22:12:38
 ;) Ja, und es ist immer interessant, über ein und die selbe Sache von verschiedenen Leuten zu hören...  :)

Ach, ich wünschte, ich hätte viel mehr aufgeschrieben. Mit einigen Stichworten kann ich nicht mal mehr was anfangen. Was zum Deibel ist zum Beispiel mit "appelpatsch" gemeint? :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 20. Mai 2020, 22:18:43
Da wird doch wohl niemand mit Pferdeäppeln gematscht haben?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 22:33:38
 ;D Nein... aber was es war, weiß ich nicht mehr. Ich kann auch niemanden mehr fragen; viele leben nicht mehr, der Rest zerstreute sich in alle Winde, als das Institut schloß und der Verein den Bach runterging. Und Freundin B. hat zweimal dort gearbeitet, aber nur einen kleinen Teil dieser ca. 23 Pferdejahre.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Weidenkatz am 20. Mai 2020, 22:38:00
Ich tippe auf  "appeldwatsch"  ;)...
Das ist Dialekt, bei uns in der Gegend (Norddt, HH) heisst das soviel wie bisschen dumm, linkisch,...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 23:00:36
Ah - der Groschen will immer noch nicht fallen, aber ich werde noch mal schauen, in welchem Zusammenhang ich das vieleicht notiert habe - danke, Weidenkatz! Die das sagte, war jedenfalls keine Hessin, könnte also sein. :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. Mai 2020, 23:14:15
Der muss eindeutig Esel in seiner Ahnengalerie haben, das kann gar nicht anders sein  ;D ;D.
Das erinnert schwer an Lucy, an der ist auch ein Dipl. Ing. verloren gegangen. Bitter war nur, als der Karabiner, der die Kette über den Riegel am Stall sicherte durch einen Schraubkarabiner ersetzt wurde. Karabiner war anspruchsvoll, aber mit genügend Willen und Ausdauer, und das hat sie, machbar. Der Schraubkarabiner war der Gipfel der Bosheit, sie stand zähneknirschend davor:ich weiß genau, wie das Sch..ding funktioniert, aber ich krieg es nicht auf. In dem Fall sind Hufe halt doch unpraktisch. Vom Zahlenschloss haben wir abgesehen, das hätte sie sicher irgendwann geknackt ;D.
Und anbinden? Du glaubst doch wohl nicht, dass Du mich einfach so anbinden kannst, ohne mich zu fragen. Ja wo sind wird denn! - Ja wo isse denn wieder ?

 ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D

Das habe ich eben erst gesehen, ich habe Lachtränen in den Augen. Ah, wie schön...  Ja, es besteht eine starke Ähnlichkeit.  ;)

Als ich dann den eigenen Stall hatte, tat's der normale - sehr schwergängige! - Riegel nicht, ich mußte einen Sicherheits-Schweineriegel an der Futterkammer anbringen, und auch an dem machte er sich mit großer Ausdauer zu schaffen. 

Ah, das mit dem Zahlenschloß ist köstlich. Schade, daß mir das nicht eingefallen ist! ;)  ;D ;D ;D

Nachtrag:
Zitat
sie stand zähneknirschend davor

Ich sehe sie vor mir und kichere immer noch.  ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 15:57:02
Ich habe nachts im Bett noch gekichert. ;)
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Der Spätherbst brachte nicht nur Hagebutten und Birnen und Äpfel und Pflaumen und Mais fürs Fettepony; er brachte auch Herrn Lehr. Das kam durch die Wutz.
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Frau Winterling hatte ein kleines Abenteuer vorgeschlagen - mit der Fähre über den Main fahren und auf der anderen Seite einfach mal ins Blaue reiten. Das war wirklich ein Abenteuer;  niemand – außer Gustav und Erika vielleicht – hatte das je gemacht vor Angst, die Pferde könnten durchdrehen – der scheppernde Krach der eigenen Hufe auf dem Metall, die dichtgedrängten Autos, der Lärm, der Qualm, das Vibrieren. Wir aber waren frohen Mutes.
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Der schöne Plan scheiterte daran, daß man kein Geld mitgenommen hatte. Wir standen vor der Fähre im Nachbarort, die Pferde bauten sich schon ein wenig auf - denn Fähre-Fahren war ja doch wirklich etwas sehr Außergewöhnliches -, und wir beide krempelten alle Taschen um: nichts, kein Groschen (bei den Rallyes, die ich später ab und an ritt, hätte das Punkteabzug bedeutet: Kein Telefongeld für einen eventuellen Notfall!).
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Was tun? Für alles andere war es nun schon fast zu spät am Tag. Wir ließen unsere Überraschungstour sausen und übten stattdessen, da wir nun schon mal da waren, im Ort Stadtverkehr. Sowas kann ja nie schaden - immer mal wieder gelassen vor roten Ampeln stehen, sich davon überzeugen, daß Lastwagen nur brüllen, aber nie wirklich zubeißen, einparken. Wir stießen überall auf großes Interesse und bekamen von netten Menschen sogar eine Plastiktüte mit Äpfeln geschenkt, bevor wir uns auf den Heimweg machten.
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„Tara, jetzt können wir auf dem Rückweg eigentlich noch den Graben am Gartenzwergehaus üben“, Frau Winterling dachte wie immer praktisch, „unser Abenteuer kriegen wir heute sowieso nicht mehr.“ Das Gartenzwergehaus stand für sich allein am Ende einer ganz wunderbaren Galoppstrecke und hatte, nun ja, Gartenzwerge. Viele Gartenzwerge.


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 16:09:40
Ti war mit einem gelangweilten Hopser über den nicht allzu breiten Graben. Er kannte das längst.
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„Komm, Sokran!“  Der Hengst weigerte sich beharrlich. Es dämmerte schon.
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„Auf, Sokran, gibt Äpfelchen! Äpfelchen, Sokran!“ Der Hengst setzte mißtrauisch eine Zehenspitze in den Graben.
.
Ti schnorchelte. Ich traute meinen Augen nicht – „Frau Winterling, da is’ ne Wildsau!“
.
„Jaja. Komm, Sokran!“
.
Ti tänzelte. „Da ist ein Wildschwein, Frau Winterling!“
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„Sokran, gibt Äpfelchen!“
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Die Wutz kam auf Ti zu. Dem Fetten Pony war das gar nicht geheuer. Es sprang ein paar Schritte rückwärts. Das Schwein eilte vorwärts. Beide schnorchelten; beide machten einen langen Hals –
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„Da ist ja tatsächlich ein Wildschwein!“ Endlich kam Frau Winterling übern Graben. „Ist ja noch klein.“
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Das war es. Das Mini-Wildschwein saß auf den Schinken und spielte Nasenreiben mit Ti. Faßte Zutrauen und sauste unter Tis Bauch. Das Fette Pony hüpfte rückwärts, mit allen Vieren zugleich. Der Hengst hüpfte aus Sympathie mit.
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Das Schwein hüpfte hinterher.
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Die Wutz hatte Ti ins Herz geschlossen. Der machte klar, daß das nicht auf Gegenliebe stieß: Das Schwein oder er – wenn die Wutz blieb, dann war er draußen!  Ich saß ab und fuchtelte mit dem freien Arm, Frau Winterling wedelte mit dem Apfelsack. Das Schweinchen ließ sich nicht vertreiben.
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Nun gab es zwar allerlei in Tarahausen, aber keine wilden Wutzen. Die hier mußte irgendwo ausgebüxt sein. Komisch war auch, daß dieses Tier zwar genau aussah wie ein Wildschwein, aber bei seiner Größe eigentlich noch hätte Frischlings-Streifen tragen müssen. Es war aber schwarzbraun.
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„Was machen wir denn jetzt mit dir?“ Frau Winterling schmolz erkennbar dahin, wie immer, wenn es um verlassene Tiere ging. „Wir müssen es fangen und ins Tierheim bringen.“
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„’Ne Sau ins Tierheim bringen? Wie denn!“ Ich war schon außer Puste.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 16:53:40
„Frau Ehrmann wohnt doch irgendwo zwei Straßen weiter,“ überlegte meine Begleiterin. Frau Ehrmann war eine der Feindinnen aus der Feldscheune. „Das Schwein folgt uns mit Sicherheit. Das scheint Pferde zu mögen. Wir sperren es dort in die Garage, dann soll das Tierheim es morgen abholen.“
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Wir hielten am ersten Haus. Frau Winterling eilte zur Tür. „Entschuldigen sie, wir sind zwei Reiterinnen. Wir haben ein Wildschwein im Schlepptau. Können sie uns sagen, wo die Familie Ehrmann wohnt?“
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Argwöhnische Gesichter erschienen im Türrahmen. Man hat nicht jeden Abend zwei Pferde, zwei fremde Frauen und eine Sau im Dunkeln vor der Haustüre stehen.
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Stumm deuteten die Bewohner aufs nächste Haus.
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Frau Winterling hielt sich nicht auf und lief ein Haus weiter. „Frau Ehrmann, wir brauchen Hilfe. Steh, Sokran, verdammt noch mal! Frau Ehrmann, wir haben ein Wildschwein auf den Fersen...“ Die ganze Familie eilte auf die Straße.
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 „Mein Gott, und ich hab’ gedacht, ihr habt was getrunken“, entschuldigte sich Frau Ehrmann. Auch auf die Feindinnen aus der Feldscheune konnte man zählen, wenn es um Tiere ging. Natürlich durfte man das Schwein in die Garage sperren!
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Jahaaaa - wenn man es kriegte!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 21. Mai 2020, 17:10:22
Cliffhanger....Tara, wo bleibt die Fortsetzung *trommelt mit den Fingern* ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. Mai 2020, 19:13:22
*trommelt mit*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 21. Mai 2020, 19:59:42
*schwelgt derweil in Erinnerungen und macht den Lückenfüller*
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Auf "meine" Gina, die mich so lange und geduldig spazieren trug war immer Verlass. Meistens schlenderten wir selbstvergessen alleine durch Wald und Feld. Oft schaute ich nicht so richtig hin, wo ich entlangritt. Es gab so viel Wichtigeres zu sehen, die Welt war voll von Fichtenblüten oder Pilzen oder Rehen oder...
Dann kam irgendwann die Zeit nach Hause zu reiten, damit sich die Pferdebesitzer keine Sorgen über unseren Verbleib machten. Tja, wo war ich jetzt eigentlich und wo geht es zurück?  ???
An der nächsten Wegekreuzung ließ ich Gina entscheiden. Die hatte schließlich den größeren Kopf und konnte sich daher mehr merken. Es ging immer gut.  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. Mai 2020, 20:16:52
 :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 20:59:29
An der nächsten Wegekreuzung ließ ich Gina entscheiden. Die hatte schließlich den größeren Kopf und konnte sich daher mehr merken. Es ging immer gut.  :D

 :D :D ;D

So habe ich es auch gemacht, die Viecher haben einen wahnsinnig guten Ortssinn. Ich war an den Wochenenden oft ganztags unterwegs, es waren weite Ritte nach Karte, und manchmal habe ich mich verritten. Ti kannte die Worte "nach Hause!", und er wußte es immer. Allerdings wußte er es besser: nicht, wie ich gekommen war, sondern wie der Vogel fliegt, er wußte pfeilgerade die kürzeste Richtung und brach auch durch Gebüsch; ich lernte mich ducken und den Kopf neben seinem Hals halten! Und auf die Brille aufpassen. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. Mai 2020, 21:13:39
Schön  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 21:15:07
- Längst war es stockdunkel; die Straßenlaternen brannten. Die Familie Ehrmann scheuchte das Schwein die Straße runter. Und zurück. Das war ein Tanz! Die Pferde tanzten mit. Ti tanzte mir auf den Fuß.
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Die Wutz flüchtete sich unter seinen Bauch. Jetzt mußte Frau Winterlings Zeh dran glauben. Frau Winterling fluchte; dann fielen ihr die Äpfel ein. Aber die Wutz wollte keine Äpfel! Sie zischte wieder ab wie ein geölter Blitz.
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Die Ehrmannsche Großmama kam mit Sack und Kartöffelchen. Die Sau wollte leider auch keine Kartöffelchen. Und schon gar nicht in den Sack! Sie wollte unter’n Bauch. Gaß’ rauf, Gaß’ runter; der Radau zog noch die Nachbarn auf die Straße. Gut fünfzehn Mann feuerten schließlich die Schweinejäger begeistert an.
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Herr Ehrmann bekam ein Bein zu fassen und fast Sokrans Huf an den Kopf - die Sau flutschte unter Tis Bauch.
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„Mein Gott, sie blutet!“ Hatte Sokran sie erwischt? Das entschied die Sache. Ich hatte die Faxen dick: „Wir sperren sie in der Feldscheune in die leere Box.“ Mitkommen würde sie, da war ich sicher, das Problem war ja eher, sie von Tgnous loszueisen.
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Es waren zweieinhalb Kilometer.
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Frau Ehrmann fuhr mit dem Audi - Warnblinker an - im zweiten Gang vorneweg. Dahinter kam der völlig entnervte Tignous. Dann die Wutz. Frau Winterling hinter ihr, sie führte den aufgeregten Hengst und versuchte mit der anderen Hand, die kleine Sau von Tis Hinterbeinen wegzuwedeln. Langsam blieb ihr die Luft weg.
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Die Prozession verursachte fast einen Auffahrunfall. Die Leute hielten an und drehten die Scheibe runter, um besser sehen zu können.
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Vor der Feldscheune gab ich Gas, um die Pflegemädchen zu warnen: „Frau Winterling kommt gleich mi’m Wildschwein um die Ecke. Kerstin, Ti absatteln, Michaela, die leere Box auf. Stroh rein.“ Die Mädels flitzten.
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Auto, Pferd und Wutz erschienen. „Da is’ ja wirklich’n Wildschwein! Wir dachten, Du hättest ’nen Anfall!“ Michaela ließ vor Staunen das Schwein fast durch die Tür entschlüpfen.
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Noch zweimal die Stallgasse rauf und runter, dann hatte man die Wutz in der Box. Das Schweinchen schnupperte befriedigt an den Nachbarn: Pferde. Es fühlte sich offensichtlich zu Hause. Die Pferde, von denen die meisten sich schon zum Schlafengehen fertiggemacht hatten, waren auf einmal durch die Bank hellwach. Was war das denn für ein Besuch mitten in der Nacht! Ein aufgeregtes Schnobern, Schnuppern, Schorcheln kam aus allen Richtungen.
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„Futter! Was fressen Wildschweine?“ Frau Winterling hatte einen ausgeprägten Fütterungstrieb. Tis Gerste, Katzenfutter und Milch wurden verrührt. Die Wutz fraß. Verletzt war sie nicht.
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Erst jetzt dachte man betreten an die Reaktion der Damen. Und Igor! Und Anton Kaiser! Mit Pfleger und Betriebsleiter lagen wir sowieso schon im Clinch. Egal erstmal, das war morgen. Jetzt jedenfalls hatten wir die Sau wenigstens für die Nacht endlich unter Dach und Fach.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 21:29:01
Weil die Geschichte nur halb so nett wäre, wenn ich nicht auch die Zeitung zitierte - und weil es unfair und verboten wäre, sie zu zitieren, ohne sie zu nennen - lesen wir gleich den Namen, aber den vergessen wir dann bitte auch gleich wieder, ja?  :P  ;)
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Das Reiterstübchen lachte sich wieder einmal halbtot, als Frau Winterling und ich erschöpft unsere Geschichte erzählten. Aber Gernot hatte eine Idee: „Geh‘ ma‘ beim Schäfer. Der hat lauder so Viecher. Bolnische Wollschwein odder so. Am Ortseigang vo‘ X.“ Ich fuhr hin - da war niemand zu Hause. Aber wir mußten das Schweinchen aus dem Stall schaffen! Und zwar schnellstens! Wenn van Krachten das erfuhr…!
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Am nächsten Morgen fuhr ich nochmal ergebnislos hin. Was tun? Ich bat die Kollegen der Tageszeitung, einen Aufruf zu veröffentlichen. Dann probierte ich es noch mal telefonisch im Nachbarort “beim Schäfer“.
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„X mein Name, Offenbach-Post. Frau Schäfer, uns ist ein Schwein zugelaufen; vermissen sie eins?“
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„Ja, e schwarzes“, sagte die Frau Schäfer, „E klaa Wildsau. Hawwe se’s jetz bei sich?“
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„Ich rufe von der Redaktion aus an. Wildschweine haben wir hier nicht.“ Naja, das konnte man so und so sehen. „Das Schwein steht in Tarahausen bei van Krachten.“
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Beim Gedanken an die Damen wurde mir arg mulmig. „Können sie’s heute nachmittag vielleicht bitte abholen?“
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„Heud nedd. Morsche villeischd“, meinte die Dame bräsig.
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„Frau Schäfer, in diesem hochnoblen Reitstall gibt es hochnoble Pferde. Und deren hochnoble Besitzer haben vielleicht was gegen ihre Sau. Sind Sie doch bitte  so nett...“ Ich schwitzte.
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Doch die Dame war von beneidenswerter Unbekümmertheit: „Heud nedd. Villeischd morsche.“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. Mai 2020, 21:34:14
Boah, hatte die ein dickes Fell  :o
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 21:37:52
Über die könnte ich mich heute noch aufregen. ;)
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In der Stallgasse sah es abends aus wie vorm Affenfelsen im Frankfurter Zoo; die Damen traten sich vor der Wutzenbox fast auf die Füße. Ach du dicker Vatter! Ich straffte mich. Aber wider Erwarten waren die Damen gerührt - es gab doch noch Zeichen und Wunder.
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Und ein entzückter Igor bemutterte die Wutz hingebungsvoll, verbannte das Katzenfutter und manschte anständiges Schweinefutter zusammen.
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Hermann - -nach Igors anatomischer Untersuchung war der Gast ein Keiler - verschwand mit seinem extrem langen Rüssel bis zu den Ohren im Eimer.
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„Der frißt ja von unten nach oben!“, quietschte Gertrud begeistert. Ihre braunen Augen funkelten. „Aber der kann doch nicht den ganzen Tag in der Box bleiben. Der braucht Auslauf.“ „Neieen! Gertruud!!!“ Zu spät - rubbeldiekatz war Hermann auf der Stallgasse. Trudi und ich hinterher.
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Schwupp! Der Keiler strampelte und quetschte sich in Ritmas Box. Und unter Ritmas Bauch. Quietsch! Ritma keilte um sich, daß die Box erzitterte. Quihihihietsch!!! Keine Stute konnte quietschen wie die Oma. Wenige konnten so gezielt ausschlagen. Sie traf ihn nicht - das Keilerchen schoß in der Box hin und her wie ein Tischtennisball.
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„Den holst du da raus.“ Ich bin kein Held.
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„Ritma!“ Ritma pfefferte aus. Hermann schoß wieder aus der Box.
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Gertrud hinterher. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen: „Hast du kein Lasso?“ Ich fand’s nicht ganz so witzig; ich war leider verantwortlich. Jetzt hatten wir ihn doch endlich sicher in der Kiste gehabt! An Speed war Hermann uns beiden leider eindeutig überlegen. Wir schnappten uns Führstricke und bastelten zwei Lassos. Die begeisterte Wutz tobte die Stallgasse rauf und runter, wir beide mit hochrotem Kopf lassoschwingend hinterher:
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„Hab dich! Puuh, was hat die Kräfte!“ Mit Hilfe von Kerstin und Michaela konnten wir Hermann endlich wieder in die Box stopfen.


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. Mai 2020, 21:42:05
*kugelt sich vor Lachen*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 21. Mai 2020, 21:45:02
Herrlich ;D *wischt sich die Lachtränen aus den Augen*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 21:46:43
Das isser - weil sich damals ein Fotograf ständig bei den Reitern rumtrieb (das ist wieder eine andere Geschichte), gibt es neben einigen hundert Bildern von Ti und/oder mir (die meisten habe ich allerdings beim Umzug aussortiert) auch hiervon ein Foto.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 21. Mai 2020, 21:51:51
 ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 21:56:14
„Wer vermißt sein Schwein? Zwei Pferdefreundinnen haben nämlich seit vorgestern eins zuviel“, verkündete die Offenbach-Post am nächsten Morgen. Der Text hatte sich nicht mehr aufhalten lassen. Ich kicherte. Auf Kollege Kirstein war Verlaß. Und er hatte keine normale Meldung verfaßt, sondern das Geschichtchen in seine vielgelesene tägliche Glosse aufgenommen.
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„...Wird er sein Glück in einem neuen Heim finden? Oder wird der schurkige Kollege O. triumphieren, der schon Rezepte sammelt?“
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Das Telefon klingelte.
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„Hier is’ der Herr Lehr. Lehr Jakob aus de‘ Blumestraß‘. Also, isch habb des gelese mit derre Wutz, wo heud in de’ Zeidung stehd. Un also, isch hädd‘ die Wutz gern. Wolld scho immer so e Sau hawwe.“
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„Herr Lehr? Herr Lehr, das tut mir leid. Ich hab’ schon gestern nachmittag den Besitzer ausfindig gemacht…“
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Der Herr Lehr aber war in Fahrt, hatte seinen Spruch offensichtlich gut eingeübt und ließ sich nicht unterbrechen. „Also, isch kenn die Sau. Isch hab aach ’en Gaul. Isch hab’ des Weißhaupt-Gelände da zwische X un‘ Y. Sin'se bestimmd scho draa vorbeigeridde….“
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„Herr Lehr, das Schwein gehört den Schäfers!“
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„Awwer des misse Se sisch aahörn“, pflügte sich der Herr Lehr unbeirrt weiter durch das, was zu sagen er sich vorgenommen hatte. „Da kommd vor vier Wuch‘ e Reider zu mir. Mid derre Sau im Schlebbdau. Er wär vo Y aus galobbiert, um die Wutz loszuwerrn. Un’ de Gaul war aach kladdschnaß. Awwer die Sau war furzdrocke. Un’ er wolld ja noch so gern nuff innen Wald reide, awwer doch nedd middem Bonsa-Keiler bei Fuß iwwer die große Kreuzung...“
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De Gaul war aach kladdschnass, awwer die Sau furzdrocke…. Ich gluckste längst hilflos vor Lachen.
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Der Lehr Jakob beschrieb, wie man seine Sarah gegen die Minette des Fremden ausgetauscht hatte. Die Sau fiel auf den Roßtausch rein, der Reiter eilte befreit von dannen, und Herr Lehr hatte endlich eine Wildwutz.
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„Awwer dann isse abgehaue. Könnde Se velleischt middem Schäfer redde?“
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Schäfers hatten augenscheinlich keinerlei Interesse mehr an ihrem Schweinchen.
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Und so erschien am nächsten Morgen der Lehr Jakob in der Feldscheune. Ich mochte ihn auf Anhieb. Der Lehr Jakob nahm seine karierte Batschkapp ab. Die Batschkapp hatte einen Bommel. Schnürte sich vor Begeisterung seine grüne Marktschürze auf und wieder zu: „Mei Moritz!“ Fachmännisch klemmte er Hermann untern Arm, der also Moritz hieß. Und überreichte zum Dank feierlich einen Sack Möhren.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. Mai 2020, 23:09:42
„Der Kollege O. guckt in die leere Bratröhre…“  hieß es am nächsten Tag. Kollege T. erwärmte sich für das Thema. Die ganze Stadt mit ihm.
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Hilfreich wollten die Leser den Kolumnisten über die Rasse der Wutz aufklären. „Der Rumpenheimer Keiler ist NICHT das in Schleswig Holstein entlaufene Zirkusschwein der Rasse Husumer Rotscheckschwein, das in der Lage sein soll, einen roten Teppich auszurollen“, antwortete Kollege T. „In Sachen Schweinebestimmung sind wir aber blutige Laien...“
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Der Bonsai-Keiler wurde abgelichtet, wie er gerade, das Rüsselchen auf doppelte Länge ausgefahren, mit Pferd Hühnchen Nase rieb. „Handelt es sich um ein Wild- oder um ein Hausschwein? Um eine Promenadenmischung? Oder sogar - Sensation, Sensation - um das seit den großen Treibjagden des 17. Jahrhunderts als ausgestorben geltende Schwarze Ostwestfälische Heinzelschweinchen?“
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Inzwischen war die Sache natürlich nicht nur Elvira Laube, sondern auch ihrem Herrn und Meister zu Ohren gekommen. Jeden Tag erwarteten Frau Winterling und ich ein Schreiben, das uns – hochachtungsvoll - die Boxenmiete für zwei Tage Schweineunterschlupf abverlangte. Aber van Krachten schwieg.
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Alle anderen waren um so lauter, sie lachten sich scheckig. Tenor: „Das kann auch nur euch passieren!“ Selbst Frau Winterlings Tochter, die die Entwicklung der Schweinegeschichte am Telefon verfolgte, machte da keine Ausnahme: „Mit wem reitest du da eigentlich? So Sachen sind dir doch früher nicht zugestoßen!“
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Jeden Tag wurden der Redaktion neue Theorien bekannt: „Herr F., zum Beispiel, glaubt, in Moritz den Angehörigen einer Schweinerasse erkannt zu haben, die zu Versuchszwecken gezüchtet wurde: ein ,Münchner Miniaturschwein’. Das sei eine Kreuzung aus dem ,Hanford Schwein’ und dem, das muß man sich merken, ,Kolumbianischen Portionsschwein’. Sehr schön.
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Frau S. vermutet die Vorfahren unseres Schweins im Osten: Es könne sich nur um ein ,Russisches Hausschwein’ handeln. Akzeptiert. Das Lexikon bemüht hat Herr K., was jedoch dazu führte, daß seine ursprüngliche Vermutung hinfällig wurde: Moritz sei kein ,Cornwall-Schwein’. Also müsse es sich um eine Kreuzung handeln.
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Das ist schade, denn mir hat eigentlich am besten gefallen, was Herr K. vorher gesagt hat:“ – Kollege T. wollte die Schweinerei ein für allemal abschließen, „Ob das überhaupt ein Schwein ist? Irgendwie sieht’s aus wie ein Tapir oder ein Ameisenbär.“
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Einmal aber kam Moritz doch noch in die Zeitung: Der Lehr Jakob nämlich setzte einen prallgefüllten Obst- und Gemüsekorb als Preis aus für denjenigen, der ihm die Rasse nennen konnte. „Und außerdem ist sein Beweggrund keineswegs bloße Neugier“, verkündete die Zeitung, „nein, ganz, ganz rührend ist er. O-Ton Jakob Lehr: ,Isch däd dem Moritz ja gern noch e Mädsche dazutun. Aber isch weiß hald nedd, was für eins.’“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 22. Mai 2020, 03:59:22
Eine lustige und ganz wunderbare Geschichte  ;D :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 22. Mai 2020, 10:27:06
Ahhh-klasse Story  ;D!
Das erinnert mich an meine Kinder-/Jugendzeit, wo meine Eltern ein Wochenendgrundstück im oberen Alstertal hatten. Eines Tages kam mein kleiner Bruder heulend um die Ecke, und hinter ihm her................... ein Esel 😆😂🤣!
Es stellte sich heraus, dass der Esel,  in der weiteren Nachbarschaft ansässig, ausgebrochen war, und dann an meinen Bruder „andockte“.
Ich habe mich damals vor Lachen ausgeschüttet, was natürlich meinem Bruder, aber auch meinen Eltern, überhaupt nicht gefiel. Der arme kleine Junge  :'(. ( ;D)!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. Mai 2020, 12:05:23
an meinen Bruder „andockte“.

 ;D ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 22. Mai 2020, 15:00:54
Herrliche Geschichte :D Hat Moritz denn noch sein Mädsche bekommen?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. Mai 2020, 16:21:02
Ja, und Dutzende von Nachkommen, aber es nahm kein gutes Ende, weder mit der Wutz, die zum Wurstmachen gedacht war, noch mit dem Herrn Lehr, das werde ich später mal erzählen. Also zumindest das mit den Wutzen. ;) Der Lehr Jakob hatte zwei Seiten, zwei sehr ausgeprägte.  :-X  Aber das zeigte sich erst viel später. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 22. Mai 2020, 18:45:31
*ist gespannt*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 22. Mai 2020, 19:51:30
*ist ebenfalls sehr gespannt*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. Mai 2020, 20:33:53
Das kommt vieeel später und ist zum größten Teil. nicht lustig. Ich frage mich bis heute, ob er schuld am Tod meines Pferdes war. Nicht lustig. Eine lustige Schweinegeschichte sollte es allerdings noch geben.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 23. Mai 2020, 22:38:22
Der wunderschöne Herbst ging zu Ende. Auch die Kunerts und Seeberg, die verbissensten Draußenreiter in Tarahausen, verschwanden nun in der Halle.
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„Was willsd’n im Rege rumfalle, nimm doch Hallebenutzung!“ Tja. Ich konnte mir gut vorstellen, was das geben würde. Das Fette Pony konnte immer noch nicht rechts angaloppieren, konnte eigentlich überhaupt kaum was. Bisher kannte er ja nur vorwärts, rückwärts und geradeaus.
.
Sah diese im-Kreis-Lauferei übrigens auch nie richtig ein. Ti erblickte einfach keinen Sinn darin, in einer Halle rund und rund zu laufen. Er fand es ganz offensichtlich unlogisch. Meinte spätestens nach der dritten Runde: Sag mal, Alte, wann kommen wir eigentlich an?
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Und ich war so schnell außer Puste, und die Beine taten mir so weh. „Wenn ich doch nicht kann!“ Ich beneidete die anderen; bei diesem Thema standen mir schnell mal die Tränen in den Augen. „Eine Runde Mitleid, zwei drei vier!“ Hermann konnte mich immer zum Lachen bringen.
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Dazu kam aber vor allem: Ich war immer sehr gerne Dressur geritten, und der Sinn von Dressurarbeit leuchtete mir selbstverständlich ein - aber das Geländereiten war das, was mich richtig begeistert hatte. Und wenn ich nun nur noch kurze Zeit reiten konnte, dann wollte ich das draußen tun. So schnell würde ich mein Pferd schon nicht kaputtreiten. Und gymnastizieren ließ sich ein Pferd ja vielleicht auch im Gelände. Also ein wenig.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 23. Mai 2020, 22:41:06
Den Winter hatte ich immer gehaßt. Aber bei meinen einsamen morgendlichen Ritten lernte ich seine schönen Seiten kennen. Man mußte ja nicht unbedingt auf den Horizont mit seinen qualmenden Fabrikschloten sehen.
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Die grundverschiedenen Gestalten der blattlosen Bäume hatten mich schon als Kind fasziniert. Auf den Feldern lösten sich Graureiher aus dem Nebel. Reiher mitten in dieser dichtbesiedelten Gegend, das fand ich immer wieder tröstlich. Die changierenden Farben des Flusses, die hunderte verschiedener Braun- und Gelb- und Grautöne, die kleinen Atemwolken meines Pferdes.
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Am Main konnte man die Wasservögel beobachten. Schwäne flogen über uns einen Pas de deux. Teichhühner dümpelten vor sich hin. Enten hockten Schulter an Schulter, wie Perlen an der Schnur, an der verlassenen Schiffsanlegestelle und blinzelten meditierend ins Wasser. Wenn wir zu nahe kamen, flogen sie auf, in einer militärisch ordentlichen Reihe – Fuß an orangegelbem Fuß leuchtete auf, was mich stark an die weißen Handschuhe bei einer Ehrenformation erinnerte, Tignous aber leider daran, daß Gefahr überall lauerte, und dabei hatten diese Enten so harmlos ausgesehen!
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Selbst dem Regen konnte man etwas abgewinnen – die Tausende kleiner Wassertropfen entlang der Birkenzweige, bis in die filigranste Verästelung, der ganze Baum wie mit winzigen Glasperlen bestickt… Und eine zunehmende Erfahrung in zweckmäßiger Reitbekleidung natürlich auch.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 23. Mai 2020, 23:26:57
Zudem begann ich, Ti einiges beizubringen.
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Mal abgesehen davon, daß es gut fürs Pferd war - auch im Gelände konnte man ja mal eine Hinterhandwendung oder dergleichen brauchen. Schenkelweichen! Ich nutzte den Maindamm als Begrenzung. Das war eine gute Idee; Ti begriff schnell. Er bekam eine Belohnung, als es das erste Mal geklappt hatte. Das Fette Pony lernte sofort; wenn man dabei immer mal wieder fressen konnte, lief er gern seitwärts. Vielleicht nicht gar so korrekt wie Isabell Werths Gigolo, aber kilometerlang, wenn sein Mensch das wollte!
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Wo Wege kreuzten, übte ich Übergänge (Wechsel zwischen den Gangarten). Um Routine zu vermeiden – das hatte ich mir von Frau Winterling abgeschaut – dann auch auf freier Strecke. Ti sah zwar nicht richtig ein, warum ich mitten auf der schönsten Galoppstrecke unbedingt durchparieren mußte – aber bitteschön, vielleicht konnte man ja den ein oder anderen dürren Grashalm mampfen, wenn die Reiterin nachlässig war.
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Schlangenlinien, anfangs um Bäume. Pfosten oder Baustellen mit Leitkegeln entlang des Weges boten sich dafür dann auch hervorragend an – einmal um die Pylonen geschlängelt und zurück, und weiter.
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Bergauf- und Bergabreiten ist eine sehr gute Übung. Die höchste örtliche Erhebung war ein gewaltiger renaturierter Müllberg. Niemand ritt da jemals – ich schon. Es gab einige Pfade, die offensichtlich von Mountainbikern stammten, und einen wunderbaren, sehr steilen Hang mit festem Boden. Wir kletterten rauf und rutschten runter. Viel später erst erfuhr ich, daß das nicht erlaubt war. Man hatte allerdings auch nicht daran gedacht, ein Verbotsschild anzubringen… Jedenfalls nicht da, wo ich mich herumtrieb.
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Immer wieder kletterten wir auch übern Bahndamm (ich würde heute jeden fürchterlich schimpfen, der das tut – es ist gefährlich). Aber ich verschmähte auch keinen Graben und keine Straßenböschung – einmal rauf, einmal runter, weiter.
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Erzählte jemand: „Oben an der Brandschneise ist Windbruch, da kann man gerade nicht reiten!“ – so ritt ich hin. Wir lernten, vorsichtig zu sein und uns zu konzentrieren (ein simulierter Windwurf sollte zu meiner Überraschung später bei einer Rallye mal ein Schreckenshindernis sein – nicht für Ti!)
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Und ein kleines bißchen sprangen wir auch, wenn ein Baum übern Weg lag – Ti hatte da nicht unbedingt einen Plan und zog Klettern jederzeit vor, und mir hatte sich das Springen ohne Donata so eingeprägt, daß ich keinen Parcours mehr reiten wollte. Aber einen Baumstamm – und es durfte durchaus auch ein dickerer sein –, den sprangen wir, mit mehr Mut als Können, aber wir sprangen.
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„Oh! Plus musclé!“, sagte Corinne anerkennend und lobte mich, als ich ihr beim nächsten Besuch aktuelle Fotos von Ti zeigte. Was war ich stolz!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 24. Mai 2020, 12:35:14

Und ich war so schnell außer Puste,
Ich muss mal wieder ganz laienhaft fragen: Warum warst Du in der Halle schnell aus der Puste? Im Gelände, was ich mir wesentlich anstrengender vorstelle, war es doch nicht so, oder?

Deine Ausritte ins Gelände lesen sich wunderschön!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 24. Mai 2020, 14:40:47
Ja  :D  und vielleicht sollte ich im nächsten Winter mal dran denken, vielleicht ist er dann etwas weniger trostlos.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 15:45:45
Dressur reiten ist eine sehr anstrengende Sache, zumal, wenn man sich noch im unteren Bereich bewegt. ;)  *  Dressur vor lästermäuligem Publikum reiten ist noch sehr viel anstrengender.  8) Und draußen konnte ich mir alles einteilen - in der Halle, also im Unterricht, hätte ich mit der Gruppe Schritt halten müssen.

Wobei, wer weiß, vielleicht hätte ich es mit Ti, also meinem maßgeschneiderten Pferd, ja hinbekommen - wenn der was gekonnt hätte; ich hatte nur die Schulpferde im Kopf, die ich definitiv nicht mehr reiten konnte. Ich habe mit meinem Pferd ja Ein- und Mehrtagesritte gemacht, und es ging, und wir waren flott unterwegs. Ich hab's halt nie wieder versucht in der Halle - außer zum Faschingsreiten und dergleichen. :P

* Eine andere Freundin von Freundin B., ebenfalls Reitlehrerin, trat mit ihr zusammen mal bei einer Veranstaltung als "Reitlehrer gibt Anfänger eine Longenstunde" auf.  Die "Anfängerin" führte etwas übertrieben alle typischen Anfängerfehler vor und klagte hinterher tagelang über Muskelkater.  ;D 8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 24. Mai 2020, 15:56:13
Danke, jetzt kann ich es nachvollziehen :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 24. Mai 2020, 16:01:55
Dressurreiten ist - richtig gemacht (und nicht auf einem Pferd mit Riesenübersetzung sitzend) eher anstrengend für den Kopf. Gefordert sind da Präzision, absolute Körperkontrolle, eine erfolgreiche Kommunikation mit dem Pferd.. und ein anständig ausgebildetes Pferd. Reiter, die sich bei der Dressur körperlich abschuften, machen was falsch. „Von außen“ sollte man von der Hilfengebung des Reiters eigentlich kaum was sehen. Das wird oft falsch verstanden.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Secret Garden am 24. Mai 2020, 16:18:11
Von Pferden habe ich absolut keine Ahnung, bin aber sicher dass Dressurreiten sehr schwierig ist. Zuschauen mag ich allerdings nicht, wenn solch edle kraftvolle Tiere herumtrippeln wie Ballerinen. Ein Pferd, das mit wehender Mähne durch die Landschaft galoppiert ist mir wesentlich sympathischer. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 16:51:46
Dressurreiterin ist - richtig gemacht (und nicht auf einem Pferd mit Riesenübersetzung sitzend) eher anstrengend für den Kopf.

Natürlich.  Stimmt alles, was Du sagst. :) Wenn  man es kann, wie gesagt, und wenn das Pferd es kann, und wenn man gesund ist, und wenn man nicht das Abteilungsprogramm mitmachen muß, sondern schön für sich seine Pirouetten reitet.  Ich will nur sagen: Ich habe da wirklich nichts falsch verstanden. ;)

Von Pferden habe ich absolut keine Ahnung, bin aber sicher dass Dressurreiten sehr schwierig ist. Zuschauen mag ich allerdings nicht, wenn solch edle kraftvolle Tiere herumtrippeln wie Ballerinen. Ein Pferd, das mit wehender Mähne durch die Landschaft galoppiert ist mir wesentlich sympathischer. ;)

Secret - die "Tripppelei" - das sind alles natürliche Bewegungen, die das Pferd auch ohne Reiter zeigt, nur jetzt präzise und auf Abruf, es ist nichts Unnatürliches oder dem Pferd Fremdes! Und keine Zirkuslektion! Sondern gemeinsame Arbeit von Pferd und Reiter. Für das Pferd ist Dressur sozusagen gesundheitlich wichtig, wenn es geritten wird. Und es ist bewundernswert, daß der Mensch dies gelernt hat, und es ist Teil unserer Zivilisation und Geschichte.

Ich war begeisterte Geländereiterin und habe später auch den Berittführer gemacht. Aber als, um nur ein Beispiel zu nennen, die Nicole Uphoff bei den Weltreiterspielen in Stockholm die Zickzack-Galopptraversalen ritt, hatte ich tatsächlich Tränen in den Augen. Vor Bewunderung, und so gut konnte ich gerade reiten, daß ich mir vorstellen konnte, wie sich das anfühlen würde, wenn man es könnte. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Secret Garden am 24. Mai 2020, 17:23:18
Du hast bestimmt Recht und ich, wie gesagt, keine Ahnung. Dressurreiten habe ich höchstens bei Medaillenwettkämpfen im Fernsehen gesehen - und finde es sieht (bei allem Respekt für die Leistung) ausgesprochen doof aus. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 24. Mai 2020, 17:26:51
Nochmal zum Herumtrippen: Das ist absoluter Murks. Eine richtig ausgeführte Piaffe ist sowas von kraftvoll und dynamisch!
Das Problem dabei ist einerseits,
dass 98% der gezeigten Piaffen zusammengezogene Krückenlektionen sind - man reitet eine Piaffe eben nicht, indem man das Pferd vorne mit den Zügeln festhält und hinten mit den Schenkeln vorwärts drückt (analog zum Autofahren: Gas geben mit angezogener Handbremse) - sondern das Pferd zur Lastaufnahme der Hinterhand veranlasst, wobei die Vorhand frei agieren kann. Aus einer gut gerittenen Piaffe kann das Pferd jederzeit kraftvoll nach vorne starten (das sind dann die berühmten Pi-Pa-Lektionen).
Das 2. Problem ist, dass die heutigen Dressurpferde auf „große Bewegungen“ gezüchtet werden, mit einem relativ langen Rücken, und somit größere Schwierigkeiten mit der Versammlung haben als kompakte Pferde, die dafür weniger Raumgriff haben.
Bei einer guten Piaffe wird das Pferd gefühlt vorne größer. Ein gei.les Gefühl  :D!
*Schluss des Vortrags* :-[
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 18:06:35
 ;)

Das Problem dabei ist einerseits,
dass 98% der gezeigten Piaffen zusammengezogene Krückenlektionen sind - man reitet eine Piaffe eben nicht, indem man das Pferd vorne mit den Zügeln festhält und hinten mit den Schenkeln vorwärts drückt (analog zum Autofahren: Gas geben mit angezogener Handbremse)

Das geht auch kürzer:

"Vorne roppe, hinne kloppe."  8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 24. Mai 2020, 22:10:55


Das geht auch kürzer:

"Vorne roppe, hinne kloppe."  8)
Ja  :-[. Bei dem Thema geh ich ab wie Schmidt‘s Katze. Was hab ich schon für Scheixx-Piaffen gesehen... >:(!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 22:35:46
Ja. Und Scheixx-alles mögliche andere. :P Das ist nunmal so, die allerwenigsten Menschen sind Naturtalente. Wer so reitet, daß sein Pferd gesund bleibt, daß es froh bleibt und gerne und eifrig mitarbeitet, der tut doch schon nicht wenig. Ich spreche auch zur eigenen Verteidigung - ich sagte es ja schonmal, Piaffen waren mir eine Nummer zu groß. ;)

Dazu habe ich zwei Zitate. Eines gehört zu einem großartigen alten Herrn, ein großer Pferdemann, über den ich später vielleicht mal was erzählen werde, das andere von unserem Ober-Reitlehrer bei van Krachten. Ich bin sehr froh, daß ich den noch kennenlernen durfte; er trennte sich später vom Institut, nachdem er seit seiner Lehrzeit dort gearbeitet hatte.

Der sagte eines Tages zu mir: "Reiten sie erstmal wie ich dreißig Jahre lang jeden Tag sieben Pferde, Tara. Dann fangen sie an zu wissen, was sie alles falsch machen!"  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 23:03:50
Der Herr Wolf, alias Wolfi, aber nur hinter seinem Rücken - sprach normalerweise übrigens nicht mit mir. Ich war nicht seine Klasse. :P Ich hatte vielleicht zwei-, dreimal bei ihm Springunterricht; seine Talente als Dressur-Ausbilder verschwendete er nicht an mich; im Casino war er selten, und wenn, dann mit den Alten am Stammtisch. Ich war überrascht und geehrt, daß er überhaupt meinen Namen kannte.

Als ich den Reitunfall mit anschließender Operation hatte, brachte ich mein Konto arg in die Miesen, weil ich fast jeden Tag zum Zuschauen kam, wenn er guten Reitern Privatunterricht gab. Und zwar kam ich die zehn Kilometer mit dem Taxi, weil ich nicht selbst fahren konnte. Nach zehn, zwölf Tagen sprach er mich an - und zwar mit Lob: Man könne so viel lernen beim Zusehen, er nannte das "mit den Augen stehlen", das sollten die Leute viel öfter tun. Und es stimmt, ich habe immer sehr profitiert vom Zusehen.

Nach weiteren zwei Wochen nahm er mich übrigens nochmal beiseite: "Tara, sie wohnen doch in X, das ist doch viel zu teuer mit dem Taxi. Also - es wird nicht jeden Tag gehen, aber sagen sie mir bescheid, ich schicke ihnen einen Lehrling oder meine Frau."

Und das tat er dann auch. Und wenn er, dem Sicherheit im Betrieb über alles ging (denn er war schon einmal vor dem Kadi gestanden: Ein Kind war vom Pferd gefallen, als er nur eben den Rücken wandte, um das Licht anzumachen!), wenn er also je davon wußte, das Birte mich nebenan trotz der Beinschiene longierte - und eigentlich wußte er alles, was in seinem Betrieb vorging: Dann sagte er jedenfalls nie etwas.

Das ginge übrigens heute nicht mehr: Weder "Lehrling" noch "schicken", noch auch "Frau schicken" ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Alstertalflora am 24. Mai 2020, 23:38:58
Ja, die kamen noch aus einer anderen Liga, die alten Rittmeister. Hart, aber gerecht, und ein von ihnen geäußertes Lob war schon etwas wert  :D!
Ich hab übrigens auch viel zugeschaut bei guten Reitern und guten Ausbildern, da kann man wirklich viel lernen (oder auch manchmal feststellen, dass man es SO nicht nachmachen möchte).
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 24. Mai 2020, 23:54:25
Oder das, ja. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 26. Mai 2020, 20:52:30
Folgendes habe ich schon einmal im Café erzählt, aber falsch – jetzt habe ich die Notiz von damals gefunden:
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Auf dem ganzen Gelände gab es nicht ein Blümchen, wenn man vom Casino absah. Anne liebte Blumen, und nachdem sie irgendwann kackfrech Bierbänke am Hinterausgang aufgestellt hatte, kam im Jahr darauf sogar eine Weinlaube dazu. Aber sonst – nichts. Schade! Wir bedauerten das immer, aber das Personal dachte nicht an so was – warum auch?, und dem alten van Krachten war es wohl egal. Ihm lag nur an einer einzigen Pflanze: An dem stattlichen Kastanienbaum, der mitten im Gutshof stand. Das war sein ganzer Stolz. Doch wehe! dem Pfleger, der hier im Herbst nicht anständig kehrte! Kein Blättlein durfte den Platz verunzieren. Die Pfleger haßten die Kastanie geradezu.
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 Als ich einmal auf den Hof kam, sah ich als erstes Anne, neben einer Leiter an die Kastanie gelehnt und in einem fürchterlichen Lachkrampf befangen.
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„Was ist los?“ Anne rang nach Luft.
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“Hej! Ich will mitlachen!“ Anne gluckste nur hilflos.
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Ich lachte schon mit, obwohl ich keine Ahnung hatte, warum. „Was ist denn nur los?!“ Anne wischte sich ohne viel Erfolg die Lachtränen ab und zeigte nach oben: „Schau doch mal!“
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Ich schaute. Da krauchten Rolf und Jörg in der Kastanie rum, beide bewaffnet mit großen Müllsäcken. Ich verstand den Witz nicht.
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„Die pflücken die Blätter ab“, japste Anne, „damit sie die Sache auf einmal – hihihihaha - auf einmal – oh nein – damit sie das Ganze – hahahahihihi - auf einmal erledigen können und nicht jeden Tag die Blätter fegen müssen.“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 26. Mai 2020, 21:09:12
Das ist jetzt nicht wahr, oder? ;D ;D ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 26. Mai 2020, 21:24:53
Ist das nun Autumnale Phyllophobie oder Besenphobie?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 26. Mai 2020, 22:05:31
Kehrphobie. ;) Gekehrt werden muß auf so einem Hof ja dauernd. In den Stallgassen, auf dem Platz, auf dem Weg zur Miste, in diesem Fall auch noch die Straße  zu den Reithallen. Und dann noch jeden Tag die elende verdammte Kastanie - das war einfach zu viel! ;).

Doch, es ist wahr, ich schwöre es. :) Bis auf Lämmchen waren die alle nicht so arg helle. Helle Leute hätten für das bißchen Geld plus kleiner karger Kammer auch nicht gearbeitet. Und getrunken haben sie ausnahmslos alle. Zu dem einen erzähle ich vielleicht später nochmal was... Zum anderen gleich.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 26. Mai 2020, 22:25:01
Man hörte bei uns so Sachen wie "Do hawwe merr die Rolfs uffem Finanzamd doch allen Ernschtes erklärd, deß isch..." oder "Da hasde disch ja werklisch wie e Rolf benomme!", oder "Du Rolf, du!"
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Da war der Rolf nämlich mal zwei Tage lang verschwunden. "Sein" Stall war nicht gemacht, die Pferde nicht gefüttert... Man klopfte an die Kammertür, kein Rolf.
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Die Vorgesetzten nahmen an, daß er sich auf Sauftour begeben und den Weg heim nicht gefunden hatte. Aber er kam nicht wieder. Man suchte ihn überall. Er kam auch den nächsten Tag nicht. Hatte er - sowas passierte manchmal - einfach sein Bündel geschnürt und war vertragswidrig weitergezogen? Hatte er etwa einen Unfall gehabt? Man hämmerte erneut an die Zimmertür. Kein Rolf. Endlich öffnete man sie mit Gewalt.
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Da lag der Rolf ganz unversehrt im Bett und lächelte die Eindringlinge lieb an: "Ey, des haut voll rein, Mann!"
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Und was hatte da so voll reingehauen? Das Vetranquil. Das ist ein Sedativum für Pferde (auch Hunde und Katzen), und er hatte mehrere Meßlöffel davon geschluckt, weil es doch bei den Pferden immer so toll wirkte... Nur, daß er halt etwas weniger auf die Waage brachte als ein Pferd.
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Hinfort war ein Depp nur noch ein Rolf.  ;D

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 27. Mai 2020, 12:17:05
das darf doch nicht wahr sein  ;D ;D ;D ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Gudy am 01. Juni 2020, 11:58:50
Hallo liebe Tara,

ich hab mich hier angemeldet, weil ich über eine Google Suche auf Deine Beiträge gestoßen bin. Ich habe vor 35 Jahren auch beim Reitinstitut A.v.K. Reiten gelernt und ich kenne auch die Schulpferde noch  :D
Diese hier fallen mir noch ein:

Ilscha und Wendy in den Boxen
-Duplo
-Kira
-Arpad,mein Liebling
-Zoro
-Charly
-Dorina
-Resina
-Hansi
-Savann
-Dally, die Fuchsstute mit Senkrücken, die nicht durch die enge Tür in die Halle gehen wollte.
-Waldfee
-Jodler
-Gambrino
-Robby
-Herby

Später dann noch:
-Lear
-Jonathan
-Jack
-Hanno

Nun bin ich 41 und erinnere mich sehr gern an die Zeit zurück. Leider findet man nicht viel im Netz dazu.

Grüße

Gudy
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. Juni 2020, 17:22:52
Ich glaub', mich tritt ein Pferd...  Ein Gruß aus der Vergangenheit! :P  ;D  ;D  :D

Tut mir leid, daß ich jetzt erst reagiere, ich habe die ganze Zeit hier nicht mehr reingesehen. Du kennst sie ja fast alle noch!  Von dem einen oder anderen erzähle ich bestimmt nochmal. Aber psssst - Hansi ist jetzt Hanko, und Kira Kora...  Ich gebe mir große Mühe, nicht zu sagen, wo das war, und alle Namen zu ändern; nur den Namen der Zeitung mußte ich erwähnen. Aber laß uns schnell wieder vergessen, wo das alles stattgefunden hat, sonst traue ich mich nicht weiterzuschreiben. ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 06. Juni 2020, 22:22:28
Daß ich zu gerne zuhörte, wenn „von früher“ erzählt wurde, habe ich ja schon erwähnt. Folgende Geschichte hat sich zum Beispiel vor meiner Zeit zugetragen. Und sie stimmt wirklich, denn nachdem Annes Mann Holger sie mir erzählt hatte, wurde sie mir von anderen bestätigt.
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Früher herrschten strengere Sitten! Da hatte abends um zehn die Hose am Nagel zu hängen, und die Lehrlinge hatten in ihren Betten zu sein. Das kontrollierte Futtermeister Kremer gewissenhaft und unerbittlich, bevor er sich selbst zu Bett begab.
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Papa Kremer allerdings war noch kaum selbst in der Kiste, da stopften die Herren Lehrlinge das Bettzeug mit Stroh aus und begaben sich auf die Sause – und nur wenige Kundinnen (und deren Töchter!) unterlagen ihrem Charme nicht, wenn man dem Tratsch Glauben schenken darf. Und die Dorfjugend und diverse Reitschüler taten mit. Reitlehrer Wolf mußte davon zumindest gerüchteweise gehört haben, drückte aber wohl auch mal ein Auge zu.
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 Doch der Krug geht so lang zu Wasser, bis er bricht. Mit von der Partie war immer ein junger Reitschüler von der anderen Flußseite, und der war mit verständnislosen Eltern behaftet, die den nächtlichen Umgang ihres Lieblings mit den Lehrlingen, zudem mit Alkohol und diversen Damen, nicht für ratsam hielten. Die Feierei wurde ihm strikt verboten. Er kam trotzdem wieder. Da wurde er doch tatsächlich unter Hausarrest gestellt!
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Woraufhin der zarte Knabe aus dem zweiten Stock des Elternhauses in die Freiheit kletterte. Und weil die letzte Fähre um acht Uhr abends ging und die nächste Brücke ohne das von den Eltern konfiszierte Auto zu weit weg war, mußte der arme Kerl auch noch bei Nacht und Nebel durch den nicht eben schmalen Fluß zu seinen Kumpels bei van Krachten schwimmen. Und dann wurde vielleicht gefeiert mit dem patschnassen Helden! Es muß eine rauschende Ballnacht gewesen sein!
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Leider kam die Sache diesmal sofort raus, denn nun hatten sie wirklich übertrieben. Und zu allem Unglück entwickelte der Jüngling eine kräftige Lungenentzündung...
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Papa Kremer schäumte! Mord und Brand schrie der Futtermeister, und noch in der gleichen Woche wurden die Lehrlingskammern mit Gitterstäben versehen.
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Wolf - „Der hat die Jungs geliebt, hat der Wolfi, der hat die wirklich geliebt“, erklärte Holger mir dazu ernsthaft, während er ein Glas polierte, – Wolf handhabte das Problem auf seine Weise: Mit einer ebenso kurzen wie ätzenden Bemerkung, die den völlig verkaterten Lehrlingen keinen Hauch von Selbstachtung ließ, wies er den beiden Arbeit zu.
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 Der eine hatte bei sengender Sonne den Damm hinter der alten Halle, den kilometerlangen Damm!, von seinen hundertjährigen Brennnesseln zu befreien, der andere mit dröhnendem Schädel den Springplatz zu harken. Der wurde logischerweise nie geharkt, sondern höchstens ab und an geschleppt. Aber heute wurde er geharkt – mit der kleinsten Kinderharke, die Wolf hatte finden können...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 06. Juni 2020, 23:16:36
Weia ...  :-\
 ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 07. Juni 2020, 06:21:58
Tja - verdient ist verdient  ;D :-\
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 07. Juni 2020, 14:17:03
Großartig ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. Juni 2020, 22:19:36
Wir hatten da ein Ausflugslokal mit Biergarten 10 Kilometer vom Stall, wo wir ständig hinritten. Wie wollen wir das denn nennen? Es war einmal eine Mühle gewesen und lag ganz für sich einsam am Waldrand. Mir will eben nichts einfallen. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 07. Juni 2020, 22:54:12
Wart ihr dort im "Biergarten zum Rösselsprung"?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. Juni 2020, 23:02:10
Das klingt schon mal nett! :) Allerdings kann ein Reiter bei "Pferd" und "Sprung" andere Assoziationen haben, also solche, die mit Vermehrung zu tun haben. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 07. Juni 2020, 23:30:31
Zu den Gäulsleut – nicht, daß sie einen solchen Dialektausdruck je in den Mund genommen hätten - gehörten Frau und Herr Dr. Kamphausen. Ihr Pferd war Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln.
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Frau Kamphausen war die perfekte Doktorsfrau, immer dabei, doch immer im Hintergrund. Sehr hübsch, sehr zurückhaltend, sehr nett und freundlich. Das perfekte Gegenstück zu Herrn Dr. Kamphausen, auch optisch: sie klein, zierlich, sehr weiblich und schwarz, er lang und schlank, aber kräftig, irgendwie militärisch und blond.
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Was mir imponierte: Kamphausens hatten für ihren Carthago – das proletarische „Kalle“ hatte Lämmchen aufgebracht; der ganze Reitstall sagte daraufhin stets „Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln“, nur Kamphausens selbst blieben bei Carthago – Kamphausens hatten für Kalle gleich zwei Boxen gemietet und die Trennwand herausnehmen lassen. Und die Boxen waren mit Gummimatten ausgeschlagen. Und das in einer Zeit, in der in normalen Reitställen kein Mensch groß über den Platzbedarf eines Pferdes nachdachte.
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Für die Tarahausener machte das allein schon die Kamphausens so ein klein wenig verdächtig. Es war ganz einfach außerhalb der Norm, sowas mochten sie nicht.
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Birte schwärmt heute noch von Kalle, den sie nach Wolfs Weggang dann statt seiner in Beritt hatte. Was ein tolles Pferd! – Birte kann sich bis heute kaum einkriegen. Sie mochte ihn sehr leiden, obwohl sie ganz schön zu tun hatte, um den temperamentvollen, imposanten Schimmel soweit hinzukriegen, daß sich auch die zarte Frau Kamphausen ohne Gefahr für Leib und Leben draufsetzen konnte.
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Der mächtige Kalle konnte viel und war wirklich begabt – ein anderes Pferd wäre für Herrn Dr. Kamphausen auch nicht in Frage gekommen. Herr Dr. Kamphausen nämlich war Perfektionist. Perfektion in allen Lebenslagen!
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Herr Dr. Kamphausen war von stets perfekter, wenn auch knappster und leicht frostiger Höflichkeit. Herr Dr. Kamphausen sah immer aus wie der perfekte Reiter und Gentleman, einer von der niemals transpirierenden Sorte. Herr Dr. Kamphausen ritt perfekt bis Klasse M. Herr Dr. Kamphausen hatte einen perfekt erzogenen Hund, eine perfekte Ausrüstung, einen perfekten Hänger und eine perfekte Gattin; er erwartete perfekten Service im Stall – niemand, der dem Personal perfektere Anweisungen gegeben hätte, und sie wurden auch perfekt befolgt - , und es wäre gut gewesen, hätte man ihn, was er wohl sehr begehrte, tatsächlich zum Ersten Vorsitzenden gewählt. Etwas Perfektion hätte uns allen nämlich sehr gut getan.
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Perfektion! Perfektion vor allem und zuvörderst beim Pferd. Leider hatte der ansonsten kerngesunde Kalle schlechte Hufe. Immer wieder zog er sich die Eisen aus. Als die ersten Hufschuhe aufkamen, kriegte Kalle prompt welche verpaßt. Das ging damals nur in Gießen in der Tierklinik, hundert Kilometer entfernt. Regelmäßig verlor er sie nach ein paar Tagen. Ohne Murren verlud Herr Dr. Kamphausen seinen Carthago und fuhr wieder nach Gießen. Freitag hatte Kalle seine neuen Schuhe gekriegt, montags wartete man in der veterinärmedizinischen Abteilung schon wieder auf ihn. Das, bitteschön, das soll den  Kamphausens erst mal einer nachmachen...
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Aber verpimpelt wurde das Pferd bei aller Sorge nicht. Kalle mußte schon was arbeiten bei seinen Besitzern! Aber immer mit Maßen. Nach perfektem Plan!
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Unter der Woche ritt Herr Dr. Kamphausen Carthago nur in der Halle. Sonntags ging es dann ins Gelände. Kalle mußte die ganze Woche aufgefüttert werden, damit er den Sonntagsritt überstand. Aber das sagten nur sehr mißgünstige Leute!
.
Sonntags sah man Herrn Dr. Kamphausen, Frau Kamphausen, Kalle Kamphausen und Dogge Kamphausen regelmäßig auf dem Military-Platz des Vereins. Nach vier bis fünf Runden auf der schweren Sandbahn – sie war wirklich schwer, und Tignous haßte sie - war allerdings ein Stop angesagt. Auftritt: Frau Kamphausen, bewaffnet mit Wasserschüssel und Wasserflasche. Frau Kamphausen tränkte Kalle Kamphausen, Dogge Kamphausen und Herrn Dr. Kamphausen, in dieser Reihenfolge und wie es sich gehört.
.
Nach diesem Ritual wechselte Herr Dr. Kamphausen erst das Hemd, dann die Hand, und nun ging es wieder fünf Runden um die Sandbahn, in der anderen Richtung.
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Danach war Kalle so weit weichgekocht, daß man sich mit ihm ins Gelände begeben konnte. Auf Höhe unseres allsonntäglichen Ziels, XXX,  überholte Kalle dann regelmäßig die Schulstall-Reiter. Die verblüffte er jedes Mal aufs Neue: Sie galoppierten viel, die Kamphausener aber sah man nie anders als im Schritt. Einen allerdings raumgreifenden Schritt, aber doch eben Schritt.
.
Und wenn man nach einem Gespritzten im Ausflugslokal und herzerfrischend schnellen Galopps zurück zu van Krachten kam, stand Kalle Kamphausen schon längst, perfekt von oben bis unten abgespritzt, in seiner perfekten Box und spielte mit seinem perfekt zusammengestellten Zusatzfutter...
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Es blieb unerklärlich. Drum hieß Carthago bei allen nur „Kalle Kamphausen mit den Siebenmeilenstiefeln“.


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 08. Juni 2020, 12:07:03
Ich kann mir die Dr. Kamphausens so richtig gut vorstellen :D Danke für die bild- und lebhafte Geschichte.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 08. Juni 2020, 15:46:50
Ja, ganz wunderbar  ;D
Allerdings frage ich mich, wie Frau Kamphausen bepferdet war - ein zweiter Kalle oder ist sie wie die anderen zur Kneipe etc. galoppiert?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 08. Juni 2020, 16:34:40
Sie ritt Kalle nur abwechselnd mit dem Gatten in der Halle, draußen hätte sie ihn wohl nicht halten können. Und zur Kneipe selbst ritt auch Herr Dr. Kamphausen nie, immer nur bis ca. 100 Meter ran. ;)

Nachtrag: Da hatte ich doch wieder mal einen wirklichen Namen stehenlassen... :P man kann gar nicht genug aufpassen!  :-X
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 08. Juni 2020, 18:45:35
Ah ja, danke
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Jule69 am 17. Juni 2020, 14:11:23
Tara:
Bitte weiter so...hör nicht auf! Ich bin ja selten im Keller, aber Deine Geschichten lese ich soooo gerne...sind sie doch irgendwo Ähnlich dessen, was ich hier in den Reitställen als Jugendliche mit Pflegepferd erlebt habe, da werden so viele Erinnerungen wach, auch dafür Danke!
Wenn ich da nur an unseren bornierten Lehrer denke...und wie ihm die Augen aus dem Kopf geflogen sind, als meine Freundin und ich einfach mal wild übers Feld (hinter dem Reitstall) gerast sind...freihändig natürlich!!!! ;D
Was dann folgte, will ich jetzt nicht erzählen, ist Taras Geschichte.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. September 2021, 23:15:26
Es herbstelt, und mir wird ganz wehmütig. Wie jeden Herbst. Da hole ich wie jedes Jahr die Jagdmusik der Rallye Trompes Moselle-Sarre heraus (großartige deutsch-französische Trompe de Chasse-Bläser, vor allem aber kenne ich sie persönlich, auch, wenn sie mich nicht mehr kennen) und denke an die Schleppjagd. Im Herbst muß das sein.
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Nicht, daß nun wer denkt, ich wäre eine Jagdreiterin gewesen – ich bin eine einzige Schleppjagd mitgeritten in meinem Leben, und das im zweiten Feld, das nicht springt. Eine! Das reichte aber, um lebenslang infiziert zu sein.
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Richtige Jagdreiter trainieren ihre Pferde von Anfang an, suchen sich meist eine Meute (sagen wir mal: einen Jagdhundeverein), die sie gut finden, und folgen dann deren Terminkalender, Wochenende für Wochenende in der Saison, haben oft zwei Pferde, falls eines ausfällt, und verladen ohne Murren auch für 300 Kilometer und oft noch wesentlich mehr. 
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Sowohl mein Tierarzt als auch „unser“ Unfallchirurg – Doc Dostenfelder und Doc Habermas – waren solche Verrückte. Doc Dosti hatte allein vier Schlüsselbeinbrüche bei Jagden hinter sich, und Doc Habi erlaubte mir nach einer üblen Knieprellung (auf dem Weg zur Mühle, die letzten 400 Meter ein Zickzack, bei dem die Bäume sehr eng standen, wer da galoppierte, wußte, was möglich war) das Reiten bei Krankschreibung, sofern ich ihm auf Ehre versicherte, ohne Steigbügel zu reiten.  Damals lernte ich das richtige Leichttraben, denn ich hielt mein Wort, aber das ist eine andere Geschichte. Die waren jedenfalls Jagdreiter. Die wurden sogar immer wieder aufgefordert, mit (!!!) der Equipage zu reiten! 
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In Tarahausen veranstalteten wir keine Jagd. Unsere alten Herren waren allerdings im Umland so einige mitgeritten, die hatten alle ihren roten Rock im Schrank, den der Herr erst frühestens nach der zehnten bis zu Ende gerittenen Jagd (oder nach dem zehnten S-Springen, also Schwere Klasse), trägt - er sollte allerdings noch besser warten, bis ein alter Hase irgendwann sagt: „Na, wollen sie sich nicht doch mal einen roten Rock anschaffen?“ Zurückhaltung wird traditionell geschätzt.
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Damen trugen keinen roten Rock, tun es heute allerdings, wie ich eben entdeckte, weswegen ich sie nicht für Damen halte, sondern für deppert. Welche weißrosa Frau zum Teufel trägt freiwillig scharlachrot? Ich jedenfalls bin für die Tradition und gönne den Herren ihren kleinen Prunkauftritt. Außerdem war mein eigener auf Taille geschnittener schwarzer Jagdrock sowas von kleidsam! Lang ist’s her (ich meine vor allem die Tallje).
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. September 2021, 23:21:55
Allerdings gab’s in Tarahausen die alljährliche Damenjagd, da ritt ich natürlich immer mit. Das war eine Idee unserer Casinobetreiberin Anne gewesen, die, wie ich dabei herausfand, übrigens selbst sehr passabel zu Pferd saß! Sie war eines der seltenen Naturtalente, hatte leider nur kaum je Zeit dazu.  Als sie damit ankam, eine Damenjagd zu veranstalten, schnaubten die Männer im Verein. Damenjagd, ha, das sollte was sein; keine Hunde, keine Sprünge! Das war also keine Jagd, das war Pipifax, das würde man nicht machen. 
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Also malte Anne, die eine Idee nie so leicht aufgeben wollte, wenn sie sie einmal hatte, ein Plakat:
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Die Damen jagen nicht.
Die Herren halten die Pferde!
Datum, Uhrzeit.
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Es gab sofort zig Anmeldungen. Und es wurde ein Riesenerfolg.
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Die Strecke war nicht viel länger als das, was manche Tarahausener (*flöt*) sonst für einen Äppelwoi zu reiten bereit waren – zur Mühle, das waren 20 km hin und zurück, hier mit einigen Schlenkern - , aber sehr flott geritten und mit zwei Stops, bei denen die Herren tatsächlich sehr charmant die Pferde versorgten, damit die Damen die Hände für Häppchen und Sektglas freihatten. Nun wurde auch Anne endlich mal umsorgt: Hier stand nämlich ihr Holger hinterm Tisch mit diversen Köstlichkeiten.

  Die Tarahausener Damenjagd mit der schönen Strecke, die die Mainwege, Wald und große freie Wiesen einschloß, bekam also einen festen Platz im alljährlichen Terminkalender und zog auch immer mal Reiterinnen von auswärts an. Und sie hieß überall „Die Damen jagen nicht“.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. September 2021, 23:24:38
Eine richtige Schleppjagd veranstaltete jedes Jahr unser Kreisreiterbund. Das war eine ganz, ganz  große Sache. Vielleicht kurz zur Erklärung (falls das kurz geht):
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Seit 1936 ist die Hetzjagd zu Pferd, die in Deutschland schon vorher kaum je noch ausgeübt wurde, verboten. Da es aber ein wirklich großartiger, fordernder Sport ist, behalfen sich die Reiter, indem sie eine künstliche Duftspur legten (anfangs schleppte man eine mit Fuchslosung getränkte Kugel hinter sich her, heute hat der Schleppenleger einen kleinen Kanister am Sattel, neu ist Eukalyptusöl auf den Hufen des Schleppenleger-Pferdes; der Name Schleppe ist geblieben). Im vorgesehenen Gelände werden Sprünge aufgebaut, das Geschehen wird zum großen Teil von den Hunden bestimmt.
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Voran reitet - tunlichst außer Sicht der Hunde, denn die sollen ausschließlich der Duftspur folgen - also der Schleppenleger der Meute, begleitet von einem ortskundigen Reiter des Jagdherren, der dem Schleppenleger den Weg weist.  Die Meute folgt der Duftspur (oder manchmal auch nicht), die sie betreuende Equipage (Master und Piköre, denen die Hunde gehören) folgt den Hunden, darauf kommt das erste – springende - Feld, das nie-nie-nie-niemals jemals die Equipage auch nur um eine Nasenlänge überholen darf, und seien die Pferde auch noch so toll, dann kommt meist ein zweites Feld, das nicht oder nicht alles springt. Heute führt man oft noch ein Schritt- oder Zuschauerfeld zum Eingewöhnen für junge Pferde und Reiter auf verkürzter Strecke mit.
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 Die Felder haben einen Feldführer (der ebenfalls nicht überholt werden darf), beidseits je einen Pikör und hinten einen Schlußpikör (despektierlich Lumpensammler), die sorgen im Zweifelsfall etwas für Ordnung und veranlassen bei Unfällen das weitere.
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Es gibt einige traditionelle Regeln und Bräuche rund um die Jagd, die teils bis ins Mittelalter zurückreichen, was zu ihrem Zauber beiträgt. Man trifft sich zu einer bestimmten Zeit am Start - das „Stelldichein“ -, der Jagdherr hält eine Ansprache, Bläser blasen, dann geht das los, am Ende werden die Hunde mit Pansen belohnt (das "Curée"), dabei blasen wie schon unterwegs die Bläser, und es brennt ein großes Feuer, dann gibt’s Kartoffelsuppe oder sowas, und wenn man noch halbwegs heil ist, erscheint man am Abend zum festlichen Beisammensein, meist mit Tanz, oft in Abendkleidung. Das steht in der Einladung, die zum Beispiel so aussehen kann.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. September 2021, 23:28:45
Zum Thema Springen:
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Frau Winterling, die ja nur noch Dressur ritt, aber alles andere auch schon gemacht hatte, war von ihrem früheren Verein einmal dazu verdonnert worden, einen Pikör im Springfeld zu geben, weil einer ausgefallen war. Da sie damals ihr Pferd verkaufen mußte – es gab einen ernsthaften Interessenten – und Angst hatte, es könne ihm bei der Jagd in letzter Minute etwas passieren, sagte sie unter der Bedingung zu, selbst nicht springen zu müssen.
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Leider schaffte sie es dann nach einer Weile gar nicht mehr, ihr Pferd vom Springen abzuhalten (man kann sich kaum vorstellen, wie der Herdentrieb bei so einer Massenveranstaltung wirkt). Beim abschließenden Jagdgericht - eine lustige Sache für die, die nicht vor Gericht kommen - sollte sie dann ungerechterweise bestraft werden, weil sie „einige Sprünge ausgelassen“ hatte.  Frau Winterling sprang auf und rief zornig: „Ich wäre sie alle nicht gesprungen, wenn ich gekonnt hätte!“

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 20. September 2021, 23:29:22
Die Jagd des Kreisreiterbundes mit der im Kreis ansässigen Meute - ich nenne sie jetzt einfach mal „Unsere Meute“ – war eine so großartige Sache, daß nicht nur Reitern das Herz dabei aufging. Zwanzig Schlepper schleppten auf Ackerwagen jede Menge Zuschauer mit, die an klug ausgewählten Stellen das Geschehen einsehen konnten. Und ich war jedes Jahr dabei. Einmal zu Pferd dabei sein…! Ein Traum.
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Nachdem Schumi, der natürlich auch im Vorstand des Kreisreiterbundes war, mich dazu  verdonnert hatte, dem KRB als Schriftführer zu dienen – ja, wirklich, eine Wahl hatte ich nicht gehabt (und schreiben ist für viele Leute ja schreiben, ich tat mir da aber immer sehr schwer mit den ganzen Sportregeln) – bekam ich tieferen Einblick ins Jagdreiten, denn zu meiner großen Freude gehörte der Vorsitzende des Kreisreiterbundes Unserer Meute an, und so konnte ich zweimal die Jagd mit den Hundeleuten begleiten, die alles vorbereitet hatten, Wasser für die Hunde zu den Stops brachten und so weiter. Und da war’s endgültig um mich geschehen. Ich mußte da mit.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 21. September 2021, 09:33:33
Ein großartiger Einblick in eine für mich völlig unbekannte Welt!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Henriette am 21. September 2021, 16:25:43
Tara, das ist wieder so toll geschrieben, ein richtiger Roman.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 21. September 2021, 17:46:57
Ja - vielleicht wird es doch noch ein Buch  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Luckymom am 21. September 2021, 17:56:28
Wie witzig, gerade lese ich einen schon älteren Krimi, der eigentlich mehr von der Jagd berichtet als vom eigentlichen "Fall". Besonders auf das Thema "Meuten" wird dort sehr speziell eingegangen. Gefällt mir gerade deshalb gut, bin aber auch schon gespannt auf Deine Fortsetzung  :).
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. September 2021, 22:37:16
Als ich die nächste Einladung des Kreisreiterbundes zur Jagd schriftführte, war ich entschlossen. Ich hatte zwar Manschetten, aber ich mußte da jetzt endlich mal mit. Theoretisch wußte ich ja längst bescheid; ausreichend Kondition hatten sowohl Tignous als auch ich – ich war ja jeden Tag mindestens 10, oft 20 Kilometer, am Wochenende meist noch mehr unterwegs - es war Zeit. Und, juhu, ich hatte moralische Unterstützung: Freundin Birte absolvierte eben ihre zweite Tour als Bereiterin bei van Krachten und lechzte selbst danach, wieder mal eine Jagd mitzureiten. Der kam mein Wunsch gerade recht. Es fehlte ihr nur ein Pferd. Mein Liebster würde ihr seines geben.
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Den Pferdehänger – zum Stelldichein auf Schloß Friedrichstann waren es zwanzig Kilometer - lieh uns wie schon mehrmals zuvor der liebenswerte Vereinsvorsitzende Klaus Obermann, wieder mit dem strengen Hinweis, ihm diesmal nicht mit einer Flasche Sekt und Blümchen  dafür zu danken, was ich beim erstenmal getan hatte. Mehr brauchten wir nicht; schwarz-weiß hatte ich natürlich für festliche Anlässe sowieso im Schrank, und für Birte gehörte das zur Berufskleidung.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. September 2021, 22:40:33
Den Kunerts – Gernot und ich gehörten längst beide dem Breitensportausschuß an, aus dem der große Zeppelinreiter mich gerne ausgebootet hätte, weil er so etwas lieber diktatorisch anging und gerne Schumanns Nachfolger geworden wäre, wir waren uns drum nicht mehr ganz grün – den Kunerts ließ es keine Ruhe, daß wir jagen wollten. Auch sie erklärten, an der Jagd teilnehmen zu wollen, natürlich wegen der ängstlichen Marie erstmal im Schrittfeld, wobei sie annahmen, daß auch wir dort reiten würden.
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Die beiden hatten vor kurzem aufs Westernreiten umgestellt, also nun ja, sie begannen damit, hatten aber schon die komplette Garnitur, und Gernot tönte laut, sie würden selbstverständlich in Western-Ausstaffierung reiten. Bei einer Schleppjagd! Mit Westernsattel, Cowboyhut und Chaps?! Es war unfaßbar. Natürlich war mein Zeug auch nicht richtig - hatte ich doch einen Trekkingsattel, aber der war wenigstens kaum größer als mein Hintern und störte optisch nicht, wohingegen ein Westernsattel ein Riesending ist. Und ich hatte mein Parade-Hackamore, das mit Neusilber beschlagen war, aber doch dezent. Und natürlich würde ich schwarz-weiß reiten und mit einem grauen Woilach als Satteldecke statt mit meinen üblichen Indianerdecken. Nicht einmal Erika Schumann, die streng auf Etikette hielt, hätte letztlich etwas dagegen einzuwenden (wenngleich ihr „englisch“ natürlich doch wesentlich lieber gewesen wäre, aber sie wußte, wo ihre Grenzen lagen).
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„Des woll’n merr doch erstemol sehe, wer mich do nach Haus schickt!“ tönte Gernot, als ihm davon abgeraten wurde. Natürlich ging es nicht ums „nach Hause schicken“, wobei – merr waaßes nedd, bei einer Jagd hat allein der Master zu bestimmen, nicht einmal der Veranstalter oder reiche Gönner… Aber es ging um die Tradition, und darum, daß zwei Möchtegern-Cowboys das Bild für hunderte von Leuten verdarben. Daß man das überhaupt erklären mußte… Doch die Kunerts blieben dabei, sie ritten jetzt Western, und niemand könne ihnen verbieten, an einer Jagd teilzunehmen. Des wolle merr doch emol sehe!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. September 2021, 23:08:01
Na, sollten sie. Ich hatte mit mir selbst zu tun.  Nahm Sattel- und Zaumzeuge auseinander, reinigte und ölte und polierte. Kontrollierte jeden Riemen und jede Schnalle auf Reiß- und Bruchfestigkeit. Kontrollierte nochmal, ob alles richtig zusammengesetzt war. Faltete den Woilach. Entfaltete ihn. Faltete ihn neu. Kontrollierte, ob auch wirklich nirgends ein Fältchen versteckt war (das könnte zu wunden Stellen am Pferderücken führen). Holte die Reitstiefel hervor und polierte sie (beim Alltagsreiten trug ich sie schon lange nicht mehr, sondern so eine Art Wanderschuh und Gamaschen). Legte Stiefelanzieher und Stiefelknecht zurecht. Plättete die weiße Reitbluse und das Plastron, entstaubte den schwarzsamtenen Helm… Und wurde immer aufgeregter. „Komm runter!“, meine Birte, „das schaffst du. Wir springen doch nichtmal.“ Jahaha, ein Profi wie Birte konnte da leicht reden!
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 Birte bekam also Franks Arturo. Unser Turi hatte mehr als genug Jagderfahrung: Sein verstorbener erster Besitzer, einer der Vereinsgründer, hatte ihn seinerzeit als Jagdpferd erworben und trainiert. Und für Frank, der noch nicht so viel Erfahrung hatte, war Arturo das, was man unter Reitern „eine Lebensversicherung“ nennt, ein Pferd, das kaum je etwas aus der Ruhe bringen kann. Birte freute sich also zu recht auf unbeschwerte, berauschende Stunden mit einem kultivierten, gut ausgebildeten Pferd, mit dem sie wenig Arbeit, aber viel Genuß haben würde. Ich bekam die Erlaubnis, sie beziehungsweise Turi als Bremsbock zu benutzen, falls Ti durchdrehte, was leider nicht ganz auszuschließen war. Sollte meine kleine Knalltüte natürlich wirklich irre werden, so memorierte ich, galt es, in weitem Bogen aus dem Feld herauszureiten. Und bedröppelt den Heimweg anzutreten.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. September 2021, 23:10:05
Der große Tag kam. Wir polierten, Birte frohgemut pfeifend, ich mit zunehmendem Magenflattern, unsere beiden schon ganz leicht aufgeregten und mißtrauischen Zossen auf Höchstglanz – natürlich war ihnen nicht entgangen, daß wir mit Hänger an Birtes uraltem Benz gekommen waren. Und Hänger bedeutete jedesmal erst ungeliebtes Autofahren, dann aber allerlei neues und erregendes am Ziel. Wir sattelten, kontrollierten jede Schnalle und jeden Riemen zweimal und legten die Kopfstücke und die Fräcke ins Auto.
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Nach den Pferden machten wir uns selbst jagdfein. Vorsichtshalber breitete ich eine Decke auf dem staubigen Boden aus, damit die weißen Reithosen kein Stäubchen abbekamen. Die weißen Blusen angezogen, die Plastrons umgelegt, gegenseitig steckten wir uns die Plastronnadeln fest (natürlich hatten wir keine „echten“ Plastrons für diesen einen Tag, richtige Plastrons sind zwei Meter lange Schals, die auf bestimmte Weise mehrmals gewickelt und gebunden und gefaltet werden. Die haben ihren Sinn – man kann sie im Zweifelsfall als Hundeleine oder als Verband verwenden oder auch mal ein kaputtgegangenes Ausrüstungsstück behelfsmäßig ersetzen oder zusammenhalten -, aber wir hatten nur unsere dreiteiligen vorgefertigten, die wir auch sonst zu schwarz-weiß trugen, wir waren ja keine richtigen Jagdreiter.)
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Fertig, Kontrolle. Wir hatten alles beisammen, bis – wo zum Teufel – das kann doch nicht wahr sein – wo sind denn die Himmelherrgottsackzement – die Handschuhe! Ich hatte meine Handschuhe vergessen! Das ging nicht, das war unmöglich, ich konnte doch eine Jagd nicht ohne Handschuhe reiten, Handschuhe mußten her! 
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Wir lagen zwar gut in der Zeit, aber es hätte nie gereicht, um nochmal nach Hause zu fahren. Was tun? „Anne“, meinte Birte. Klar. Anne im Casino fiel bestimmt etwas ein.  Wir luden also die Pferde auf den Hänger und fuhren ins Dorf. Ich sprang aus dem Wagen,  rannte die Treppe zum Reiterstübchen hoch, das proppevoll war – in der Halle war Musikreiten, das immer viele Zuschauer anzog. Anne war voll im Streß. Ich schrie aufgeregt schon auf halbem Weg zur Bar „Handschuhe!“, und Anne erfaßte die Sache wie die Zeitnot mit einem Blick: „Bärbel!“ Gelobt seien Leute, die in Notlagen mitdenken! Auch, wenn der andere nur stammelt. Ich lächelte ihr etwas verkrampft zu und rannte wieder hinaus.
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„Zum Bastl!“ rief ich, als ich wieder ins Auto hechtete. Die Pferde waren vermutlich irritiert, daß sie ein zweites Mal im Ort spazierengefahren wurden. Ich klingelte an der Bäckerei Sturm. Bärbel sah oben aus dem Fenster. „Weiße Handschuhe!“ rief ich nur in meiner Not, und keine zwei Minuten später drückte mir Bärbel ihre Handschuhe in die Hand und wünschte „Gute Jagd!“  Ich hätte sie knutschen können.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 21. September 2021, 23:14:07
Jetzt aber! Birte nahm Kurs auf Schloß Friedrichstann. Wir lagen immer noch gut in der Zeit. Eigentlich sehr gut. Bis, ja, bis zu Straßensperrung, Umleitung und Stau. Nun wurde auch Birte ein klein wenig nervös. Ich war sowieso am Flattern. Und mit Pferden im Stau stehen, ist kein Spaß. Wenn der geneigte Leser sich je hinter einem Pferdehänger im Stau befinden sollte – es wäre nett, wenn er dann ein wenig Abstand halten würde, danke!
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Doch wir schafften es, knapp, aber wir schafften es. Als wir aus dem Wagen sprangen, ertönte von fern ein Hornsignal – das Hohe Wecken. Ein aufgeregter Arturo schnaubte laut. Einmal Jagdpferd, immer Jagdpferd!
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Wir ließen die Pferde erst einmal auf dem Hänger und rannten im Schweinsgalopp zum Hofgut des Schlosses, wir hatten ja noch unser Jagdgeld zu bezahlen und uns ins Jagdbuch einzutragen (prominentere Reiter als wir begrüßen auch den Gastgeber). Auf dem Gutshof wimmelte es vor Leuten, Reitern, Zuschauern, Dackeln (haben  bei einer Schleppjagd nix zu suchen). Viele rote Röcke, auch viele ausgeblichene, was viele Jahre Erfahrung bedeutet, mit vielen Meuteknöpfen am Revers (die vergeben manche Meuten als Andenken, vor allem an verdiente Reiter). Ich war voller Ehrfurcht. Einige rote Röcke übrigens hatten sichtbare Flecken: Es war aber wohl mehr augenzwinkernde Traditionspflege als tatsächlicher Aberglaube, daß der Rock während der Saison nicht gereinigt wurde. In einer Ecke standen die Parforcehornbläser, die die Jagd begleiten würden.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 22. September 2021, 10:06:49
Die Spannung überträgt sich immer mehr!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 10:56:49
Ich ziere mich aber nicht um der Spannung wegen - es fällt mir nur sehr schwer zu vermitteln, warum ein Ritt von 20 Kilometern, was für mich ja alltäglich war, in diesem Rahmen etwas so gänzlich anderes war.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 22. September 2021, 11:37:05
Aber die Spannung und Aufregung überträgt sich auf den Leser! Bitte lass uns nicht zu lange warten  ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 12:31:32
Im Schweinsgalopp zurück zum Hänger. Die Pferde standen drauf wie elektrisiert. Oho, Turi wußte, was kam, und Tignous war verunsichert, spürte aber natürlich die Gegenwart vieler anderer Pferde – große Herde! Ein Zittern lief den beiden übers Fell. Jagd! Jagd! Jagd!
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 Trense und Hackamore drauf, Stallhalfter runter, kaum je waren Pferde schneller vom Hänger. Vom Schloß tönten die Hörner zum Sammeln. Mit fliegenden Fingern überprüfte ich zum letzten Male jede Schnalle und jeden Riemen, wobei Birte mir sorgfältig zusah (als meine erste Reitlehrerin wird sie sich immer verantwortlich fühlen). Aufgesessen! Da kam auch das Hornsignal dazu. Um uns herum geschäftiges Treiben, aufgeregte Pferde, ich bekam schlecht Luft. Ausreichend Zeit zum Warmreiten hatten wir kaum mehr.
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Wir machten uns auf zum Schloßhof. Gurteten nach. „Na, der weiß aber, was kommt!“ kommentierte Birte den tänzelnden Arturo, was für die schweigsame Birte schon eine ziemlich lange Rede darstellte. Sie hatte schon ganz gut zu tun mit unserem Turi! Auf ihrem Gesicht schien mir ein erster leichter Zweifel bezüglich des „unbeschwert und wenig Arbeit mit einer Lebensversicherung“ zu liegen.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 13:00:04
Im Gutshof stellten wir uns im Dreiviertelkreis auf. Ich hatte noch nie so viele Pferde auf einem Haufen gesehen. Wir waren etwas über siebzig Teilnehmer. Siebzig! Himmel, war das großartig. Die schönen alten schwarz-weißen Fachwerkgebäude mit den Weinranken,  das schwarz-weiß-rot der Reiter, die aufgeregt prustenden, schnaubenden Pferde, die angespannte Erwartung allenthalben…
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Ich gab mir alle Mühe, meinen Ti ruhig zu halten. Birte mit Turi stand wie eine Eins, war aber unablässig am Arbeiten, damit das so blieb (nein, man zieht nicht am Zügel, damit ein Pferd stehenbleibt, man zieht eigentlich nie am Zügel). „Reiterfehler und Rücksichtslosigkeit können direkt ins Krankenhaus führen oder sogar noch darüber hinaus.“ memorierte ich. Wo hatte ich das gelesen? Meute24? Was hatte ich angst, einen Reiterfehler zu begehen und einen anderen ins Krankenhaus zu schicken!
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Ich hielt Ausschau nach den Kunerts, aber die waren nirgends zu sehen. Vielleicht hatten sie ihren seltsamen Plan ja aufgegeben.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 13:02:31
„Die Hunde!“ rief es da, und ein weiteres Hornsignal ertönte.
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Da kam die Meute feierlich durch den Torbogen, von der Equipage zusammengehalten, der Master of Hounds vorneweg. Alle Herren zogen mit Schwung die Kappe, die Hunde ehrfurchtsvoll grüßend, die Damen nahmen den rechten Arm nach unten, als hätten sie ebenfalls die Kappe in der Hand, und neigten den Kopf.  „Den Hunden immer den Pferdekopf zuwenden. Nie zu nahe an die Hunde heranreiten… Einen Hund zu verletzen, ist die größte Todsünde…“ hämmerte es in meinem Hirn. Das war allerdings im Moment mein kleinstes Problem. Niemals hätte Ti den Hunden freiwillig den Hintern zugedreht! Man läßt doch keine Pferdefresser aus den Augen!
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Die bösen bösen Köter waren hier auch im Wortsinn  der Mittelpunkt des ganzen, sie wußten, daß sie dort in der Mitte zu bleiben hatten, und wenn doch einer abenteuerlustig wurde, war sofort eine Hetzpeitsche da (nein, nein, die Hunde werden nicht gepeitscht).
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Der Jagdherr stellte den Master und die Armbinden tragenden Feldführer und Piköre namentlich vor, die daraufhin kurz die Hand hoben und „hier!“ riefen, damit die Reiter wußten, wem sie sich später zugesellen mußten. Die Strecke wurde erklärt – wir würden knapp 30 Kilometer reiten, mit zwei eingeplanten Stops zur Erholung für die Tiere -, die Anzahl der Hindernisse und so weiter. 

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 13:11:44
„Gute Jagd!!“ wünschte der Jagdherr sodann, die Hörner schmetterten, und die Equipage machte kehrt und schritt mit den Hunden wieder zum Tor hinaus. Wir Reiter ordneten uns hinter den jeweiligen Feldführern ein; ein wenig auf Zack mußte man dabei schon sein, es war doch ein bißchen schwieriger als das Einfädeln auf der Autobahn, was ja schon viele Leute nicht hinbekommen. Ich hielt mich dicht bei Birte.
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Die Wege durchs Schloßgelände waren Schulter an Schulter von erwartungsfrohen Zuschauern gesäumt, wir ritten vorbei an den zwanzig tuckernden Schleppern, die sie transportieren würden. An einem Seitenweg stand aufgereiht, was nach allen Kutschen des Landkreises aussah, alle feingemacht mit feingemachten Insassen. In der ersten der Jagdherr, der alte Herr Jagott, der in seinen jüngeren Jahren das erste Feld direkt hinter der Equipage angeführt hätte. Die Fahrer würden wie das Schrittfeld eine verkürzte Strecke nehmen und uns unterwegs immer wieder einmal treffen.
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Dann das freie Feld - an seinem Ende schon der erste Sprung, damit die Zuschauer noch was davon hatten - und Halt. Ich erschrak bis ins Mark. Das freie Feld war ein Sturzacker, etwas, was man sonst tunlichst vermeidet. Tiefer Boden ist des Teufels. Tiefer Boden für einen halb durchgedrehten Tignous war der Teufel im Quadrat.
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Horngeschmetter, „Schleppe ab!“ Der Schleppenleger vorn galoppierte los und legte die erste Schleppe. Man wartete, bis er außer Sicht war. Die Anspannung der „Herde“ wuchs. Ehrfurchtsvolles Schweigen der Reiter, als die Hunde angelegt wurden. Der Master gab die Hunde frei; sie bellten, als sie die Spur erschnüffelt hatten - es heißt aber hier nicht Bellen, sondern Geläut, in meinem Kopf spulte sich nach wie vor jede Menge Jagdliteratur ab. Hocherregtes Schnauben und Prusten und Wiehern und Scharren von siebzig Pferden, das eine oder andere stand schon auf den Hinterbeinen. Mein Ti war kurz davor, es ihnen gleichzutun, ich spürte sein Herz schnell schlagen, durch den linken Stiefel hindurch, so erregt war der Kerl. Aber ich kaum minder, vermutlich spürte er meinen Herzschlag ebenso…
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 22. September 2021, 14:45:45
Boah - wie im Fernsehen - immer, wenn es spannend wird, kommt eine (Werbe)pause  :(
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 14:49:13
Ich bin doch am Putzen! Vermutlich hätte ich warten sollen, bis ich's fertiggeschrieben habe, aber da wäre mir vielleicht wieder die Motivation flötengegangen. Schrittweis zerlegt ist es für mich leichter. Heute abend kommt mehr. Dafür ist die nächste lange Geschichte dann schon fix und fertig. *versprech*  ;)

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 22. September 2021, 14:58:24
 :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Bufo am 22. September 2021, 15:30:47
Wenn der geneigte Leser sich je hinter einem Pferdehänger im Stau befinden sollte – es wäre nett, wenn er dann ein wenig Abstand halten würde, danke!

 ;D

Wenn der Autofahrer auf der Autobahn einen Pferdeanhänger vor sich hat, dann ist immer Abstand geboten.

Ganz besonders dann, wenn das Pferd genauso gemütlich sitzt wie vorne der Fahrer - und zwar mit dem Hintern auf der Klappe. Der Schweif weht im Winde und der Po hängt so weit draußen, dass man als Hinterherfahrer nur hoffen kann, dass die Verriegelung nicht bricht.

Da kommt man ins Grübeln, ob der Fahrer die tiefenentspannte Reisehaltung seines Pferdes kennt und die Riegel vor Antritt der Fahrt besonders gründlich prüft.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Jule69 am 22. September 2021, 17:41:15
Tara:
Mach bitte weiter! Du kannst doch nicht mittendrin aufhören  :o
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 22:07:40
Ganz besonders dann, wenn das Pferd genauso gemütlich sitzt wie vorne der Fahrer - und zwar mit dem Hintern auf der Klappe. Der Schweif weht im Winde und der Po hängt so weit draußen, dass man als Hinterherfahrer nur hoffen kann, dass die Verriegelung nicht bricht.

Jessas. Ich wäre zu Tode erschrocken. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, ob ich versucht hätte, den Fahrer zum Anhalten zu bewegen, andererseits könnte ihn genau das zu einem Fahrfehler veranlassen. Gesund ist das jedenfalls nicht. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 22:08:37
Mit einem „Gute Jagd“ gab der Master endlich die Schleppe für die Reiter frei. „Gute Jagd!“ kam es aus siebzig Kehlen zurück. Siebzig Pferden schoß eine Woge von Adrenalin in den Schädel und in die Beine (Zwischenrufe von Biologen und Chemikern nicht erwünscht). O Schitte, wenn das mal gutging, ruhig, Brauner!
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Die Equipage zog an und galoppierte aus dem Stand hinter den Hunden her. Und schon übern Sprung. Das erste Feld zog an. Mit Abstand das zweite. Birte vor mir, ich würde mich hinter und rechts von ihr halten. „Strich reiten, auf Lücke reiten, einmal eingenommene Position nicht mehr aufgeben, um Unfälle zu vermeiden “ sagte mein Hirn ungefragt. Und weiter sagte mein Hirn ungefragt, daß mein Ti sich schon hier auf diesem elenden Acker alle vier Beine brechen würde, und ich konnte ihn nicht mal mehr davon abhalten.
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Die groben Schollen sahen ja sowas von tückisch aus. Ich blickte zum Vordermannn, um sie nicht sehen zu müssen. Aber nein, wir überlebten den verdammten Acker, ich hatte sogar das Gefühl, es wüchsen meinem Ti noch vier Beine dazu und er tanzte da wie Sleipnir drüber, fast ohne den Boden zu berühren… Haha, nur wollte er mit diesen acht Beinen mindestens doppelt so schnell wie angesagt zu Turi aufschließen und sich am liebsten an die Spitze des ganzen setzen. Himmel, was hatte ich ein Schaff‘! Und so von schräg hinten sah es aus, als ob es Birte mit Arturo nicht viel besser erging. Vorne sprangen sie in einer großen Welle, unser Feldführer manövrierte uns mit Sicherheitsabstand am Sprung vorbei.
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Ein großes Stoppelfeld - wie ich von den Vorstandssitzungen wußte, bezahlte der Kreisreiterbund die Bauern dafür, mit dem Pflügen bis nach unserer Jagd zu warten -, hier war besser laufen, die Hunde weit vorne waren nun in voller Jagd, wir gewannen an Tempo. Es gibt nichts schöneres, als auf einem Stoppelfeld zu galoppieren! Allerdings wäre es noch schöner, wenn das eigene Pferd etwas weniger ehrgeizig wäre…! Nach geschätzten zwei Kilometern Galopp war die erste Schleppe zu Ende, und meine Nerven auch; es ging eine Weile zum Ausschnaufen (für die Hunde, die waren alles, was heute zählte) im Schritt weiter, dann ein kurzer Aufenthalt, als die Hunde erneut angelegt wurden – Birte, das Gesicht gerötet, ritt ein, zwei Volten, um Arturo wieder besser in die Hand zu bekommen, - und - Gib ihm! Weiter gings schon wieder im vollen Galopp.
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20 oder mehr Hunde läuteten, der Wind sang mir in den Ohren, Erdklümpchen von den Hufen des Vordervorderpferdes trafen mich im Gesicht, immer wieder Hörnerklang, wir galoppierten und galoppierten; durch eine Lücke in der Hecke sah ich kurz die Gespanne, auch sie aufgeregt, und schon vorbei.
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 „Pferd und Reiter werden zum Kentauren,“, spuckte mein Hirn aus, „So kann der Reiter erfahren, dass sich sein Wille aufs Pferd überträgt, daß er eins wird mit ihm....“
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Hähä. Kentaur? Tignous und ich wurden nicht nur nicht eins, nein, wir sollten zweimal in Gefahr stehen, uns körperlich ganz und gar voneinander zu trennen. Und wenn sich ein Wille auf den anderen übertrug, dann der meines Pferdes auf mich, nämlich: allen Verstand in den Wind schießen, quietschen, Augen zu und durch!
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Noch ein gepflügter Acker, und drüber, Dreckklumpen flogen, und Schritt, zweite Schleppe vorbei. Die Bläser blusen. Hatte ich vorher schon Mühe gehabt, mein Tier zu halten, so wurde es jetzt erst recht schwierig, er hatte „Rennen Herde Rennen“ im Kopf und fand Schritt unnötig, Erholung unnötig, los, weiter, weiter! Ich hörte Birte leise fluchen, der ging‘s mit Arturo ebenso. Ich versuchte, mir den Dreck von der Backe zu wischen.
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Hinter der Hecke zur Rechten ertönte das Rufhorn, die Meute mußte einen halben Kreis geschlagen haben. Ti tat einen riesigen Satz zur Seite wie ein aufgeschrecktes Karnickel und rempelte fast ein anderes Pferd an, ich konnte mich gerade eben so halten. Ich begann, mich wortreich zu entschuldigen, aber da ging’s auch schon weiter.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 22:11:19
Nach der dritten Schleppe war auf einer großen Wiese am Waldrand der erste von zwei Stops
angesagt. Hier trafen alle drei Felder, die Kutschen und die Zuschauer aufeinander, es war ein unbeschreibliches Gewusel; am Rand standen große Wannen mit Wasser, damit sich die Hunde mit einem kurzen Bad abkühlen konnten, das kannte ich ja schon. Man mußte absitzen, und wer wollte, konnte sich etwas zu trinken besorgen. Wir wollten, und belegte Brote gab es auch, und die wollten wir ebenso – ich hatte vorher vor Aufregung überhaupt nichts gegessen -, aber das gestaltete sich insofern als schwierig, als das alte Jagdpferd Arturo kaum noch zu halten war.
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Birte saß also leise fluchend wieder auf die vor Aufregung klatschnasse „gemütliche Lebensversicherung“ auf und ritt, in der linken die Zügel, in der rechten das Leberwurstbrot, einen Kringel nach dem anderen, um ihn besser kontrollieren zu können. Die Gurke fiel runter, das Schwätzchen mit Bekannten – Auch hier? Haben wir nicht bestes Wetter!? (es war nebelig-feucht, wie es für die Hundenasen sein soll) und dergleichen, gestaltete sich so ein wenig schwierig, um nicht zu sagen einsilbig. Ich trottete ihr mit meinem Salamibrot hinterher wie Sancho Pansa dem Don Quichotte, und wir schlugen Volte um Volte - wir waren übrigens nicht die einzigen! Nur die alten Hasen aus dem ersten Feld sahen völlig lässig aus -, ängstlich darauf bedacht, nur niemanden zu stören, und vor allem von den Hunden fortzubleiben. Und *räusper* von umherlaufenden kleinen Kindern. In einem Melée von siebzig und mehr Pferden und so weiter ist so ein kleines Kind schon sehr klein.
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Die Bläser brachten ein Ständchen. Dann plötzlich das Signal „Aufsitzen!“, der Schleppenleger war schon längst fort, alles schwang sich in den Sattel, und weiter ging‘s in vollem Galopp, und es fällt hoffentlich auf, daß ich noch nicht „über Stock und Stein“ geschrieben habe, und das werde ich auch nicht, denn das steht in jedem Zeitungsartikel über jede Jagd, und nix regt die Jagdreiter mehr auf! Denn natürlich ritten wir, solange wir unsere Pferde im Griff hatten, eben nicht über Stock und Stein, sondern über eine in mühevoller Arbeit mit viel Überlegung sorgfältigst ausgearbeitete und präparierte Strecke. Es gab eigentlich ja sogar vier Strecken: Erstes Feld, zweites Feld (wir mußten ja umgeleitet werden, wo etwa ein Sprung auf schmalen Wegen den ganzen Weg für Nichtspringer sperrte), Schrittfeld, Kutschen/Schlepper.
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Ab und an verloren die Hunde den Scent und mußten suchen, da hielten sich die Reiter weitab, um sie nicht zu stören – es wäre ein großer Gesichtsverlust gewesen, etwa die Spur zu kreuzen!  Und sehr spannend, wie so ein Hundepack dabei vorgeht! Wenn sie sie wiederhatten, gaben sie laut Hals, und begeistert flitzten die Hunde wieder davon, die Felder setzten sich in Bewegung, und der nächste Galopp!
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Ein Kieselstein traf mich schmerzhaft auf die Lippen, aber egal, besser als auf die Brille, zum Glück war mir der Mund nicht offengestanden (der blaue Fleck auf der Oberlippe trug mir die nächsten Tage in der Redaktion allerlei Bemerkungen ein). Ein zweites Mal ging ich fast koppheister: Plötzlich hatte ich kein Pferd mehr vor mir, das war ein gemeiner Rumpler – doch Ti mit den acht Beinen fing sich zum Glück wieder, ehe er ganz zu Boden ging, und kam sofort wieder hoch, und ich konnte es aussitzen.
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Birte und ich waren übrigens nicht die einzigen, die eeeeeeeetwas Mühe mit ihren Pferden hatten: Von hinten wollte ein Pferd überholen, und Ti schlug heftig aus. Auch das saß ich aus, aber au weia, da würde ich mich nochmals entschuldigen müssen – „ein Schläger hat im Jagdfeld nichts zu suchen, er hat eine rote Schleife zu tragen und am hinteren Feldrand zu bleiben“. Nur hatte ich bis dato nie erlebt, daß Ti ausschlug! Vermutlich war es „Wenn hier einer rennt, dann ich!“, und der andere war wirklich viel zu nahe aufgeritten, aber es war trotzdem arg peinlich, weil gefährlich.
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Beim zweiten Stop – Procedere wie gehabt – sahen wir dann doch noch die Kunerts. Gernot machte ein sehr langes Gesicht, und er hatte Grund dazu. Nein, sie waren nicht als Cowboys erschienen; wer immer es ihnen ausgeredet haben mochte, hatte meinen Respekt. Sie trugen schwarzweiß. Aber halsstarrig, wie Gernot war, hatten sie tatsächlich die Westernsättel genommen. Dabei hatten sie eine halbe Kammer voll feinstem englischen Leder zu Hause! Und wenn sie wenigstens zurückhaltende Satteldecken genommen hätten! Aber die wirklich geschmacklosen Pads aus dickem Plüsch leuchteten weithin – maisgelb, babyblau und knallerot. Da war nun Gernot um Maries willen im Schrittfeld (er selbst hätte im zweiten Feld gut mithalten können), und die Tara war im Galoppierfeld! Zwar hatte nicht ich ihn ins Schrittfeld gesteckt, aber ich wußte, das würde ihn heftig wurmen. Und weil der Dussel diese fürchterlichen Pads aufgelegt hatte, sah es früher oder später auch jeder: Da, schaut mal, der Kunert reitet im Spazierfeld, und was sieht das komisch aus, oben schwarzweiß und unten so bunt! Die Sache sollte unserem Verhältnis nicht dienlich sein.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 22:17:20
Egal, wir kreiselten wieder, die Signale ertönten, und, horridoh! ging’s zum letzten Abschnitt wieder auf die Piste. Die Strecke führte in den Wald, da stand noch Wasser auf den Wegen, und jetzt flogen die Dreckbatzen vielleicht! Auf dem rechten Auge konnte ich plötzlich nicht mehr viel sehen. Es ging eine kleine Anhöhe hoch, wieder raus aus dem Wald – und da brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete wie ein Himmelsfinger die Meute und die Rotröcke im  springenden Feld unter uns. Herrgott. Mich durchfuhr jäh das Glück.
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Man sollte sich ja hüten, tiefe Gefühle beschreiben zu wollen, wenn man kein Schriftsteller ist, denn das kippt ja immer viel zu leicht ins lächerliche, aber ich habe nun mal angefangen, also…
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 Es war die reine, schiere Glückseligkeit.
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Das war es. So mußte das Leben sein und nicht anders. Ja, klar, ich mußte reiten mit allem, was ich hatte  – Himmel, was mußte ich reiten, jede Sekunde mußte ich hochkonzentriert reiten, um meinen kleinen Feuerstuhl unter Kontrolle zu behalten, aber verdammt, ich konnte es ja doch auch! Und jawohl, wir wurden eins, wir zwei sehr verschiedenen Kreaturen, und viel mehr noch, jetzt verstand ich es – es lösten sich alle Grenzen auf, ich war auch Herbstlaub und Hörnerklang und Matsch und schwarzweißrot und Geläut und Nebel und der Jubel, und alles verschmolz zu einem, war einfach nur tiefe reine Seligkeit, wir flogen endlos dahin, und ich zog im Galopp den rechten Handschuh aus, als hätte ich nie etwas anderes getan, und rief mit siebzig anderen „Halali!“, denn da waren wir jetzt, am Halaliplatz, einer großen Waldlichtung beim Schloß, wo ein riesiger Holzstoß brannte, und jetzt war es fast vorbei.
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Aber nichts geht beim Jagdreiten ohne Zeremoniell, und so dankten wir den nächst erreichbaren Reitern mit einem Händedruck für das gemeinsame Erlebnis, dann stellten wir uns im Kreis um die Meute beim Halali-Feuer herum auf, hinter uns am Waldsaum der Ring der Zuschauer, und warteten, daß Absitzen geblasen wurde und der Master zum Curée absaß. Nun erst saßen wir ebenfalls ab, schoben die Bügel hoch und lockerten die Sattelgurte, was für die Pferde vermutlich ist, als wenn unsereins enge Schuhe auszieht.
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Die Herren zogen feierlich die Kappe, die Damen neigten den Kopf: Der Hunderuf ertönte, der Master rief das traditionelle „Unser Dank an die Hunde“, und die Hunde bekamen ihren Pansen. Man stelle sich vor, wie zwanzig Hunde an so einem (sehr übelriechenden) Ding zerren, es ging sehr lebhaft zu. Bis sie fertig waren, standen wir so.
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Dann brachte der Master ein dreifach kräftiges Horridoh! aus – „Auf die Hunde! Auf die Pferde! Auf die edle Jagdreiterei!“, und nachdem wir als Antwort alle dreimal „Joho!“ gebrüllt und die Bläser „Jagd vorbei“ geblasen hatten, saß die Equipage wieder auf und verließ zum „Abrücken der Meute“ gemessen den Platz. Man wartete respektvoll, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
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Birte und ich sahen einander an, immer noch atemlos vor Glück, und lachten: die Stiefel nicht mehr schwarz, sondern braun, die weißen Hosen bis oben dreckbespritzt, Birte hatte getrockneten Matsch an der Backe, ich auf Stirn und Brillenglas. Wir sahen aus wie die Clowns. Jetzt mußten wir unsere Brüche abholen, aber erst entschuldigte ich mich bei dem Mann, dessen Pferd Tignous eins verpaßt hatte, doch hoppla, der sah mich verständnislos an, es war der falsche, dafür entschuldigte sich einer bei mir für etwas, was ich gar nicht bemerkt hatte. Man half einander, die Pferde zu halten, damit jeder zum Jagdherrn stiefeln und seinen Bruch abholen konnte (ein Eichenzweig, nach dem Hubertustag am 3. November Nadelbaum; nach Hubertus übrigens werden auch keine roten Röcke mehr getragen). „Waidmannsheil!“ „Waidmannsdank!“, der Herr Jagott hatte gut zu tun.
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Wir steckten den Bruch ins Knopfloch – natürlich schnappte Ti danach, so aufgeregt und müde konnte er überhaupt nicht sein, daß er etwas Eßbares nicht zu essen versuchte, aber ich rettete ihn - und führten die Pferde einige Runden zum Abregen und Abtrocknen – nun ja, also nicht wenige Runden; dann sattelten wir ab, packten sie ausnahmsweise in Decken und stellten sie auf den Hänger, hängten die Heunetze auf und machten uns selbst auf zum Schüsseltreiben. Ich hatte einen Riesenhunger; Kartoffelsuppe aus der Gulaschkanone hatte niemals besser geschmeckt.
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Jagd vorbei. Einerseits. Andererseits kann etwas so tief empfundenes ja eigentlich  nie ganz vorbei sein. Niemals habe ich mich so lebendig gefühlt wie bei meiner ersten und einzigen Schleppjagd.
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Ich habe meinen Eichenbruch heute noch – er hängt im Schlafzimmer am Regal und hat schon zwei Umzüge überstanden, ohne ein Blatt zu verlieren. Albern natürlich, nicht? Und meistens nehme ich ihn gar nicht mehr wahr. Manchmal aber doch – also so um diese Jahreszeit herum… Und dann sehe ich wieder die siebzig dampfenden, bis in die letzte Faser wachen Pferde, donnere einen Waldweg entlang, rieche das Feuer, höre die Hunde… Und dann spiele ich Jagdmusik.



Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 22. September 2021, 22:28:56
*umarmt Tara ganz fest*

Danke, danke, danke für dieses Wunderbare, an dem Du uns hast teilhaben lassen. Ich habe fast atemlos gelesen bis zum letzten Wort. Morgen werde ich noch einmal lesen, ganz in Ruhe, jedes Wort genießen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 22. September 2021, 22:50:57
 :-[ :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 23. September 2021, 08:34:09
*umarmt Tara ganz fest*

Danke, danke, danke für dieses Wunderbare, an dem Du uns hast teilhaben lassen. Ich habe fast atemlos gelesen bis zum letzten Wort. Morgen werde ich noch einmal lesen, ganz in Ruhe, jedes Wort genießen.

*schließt sich vorbehaltlos an* - es muss ein grandioses Erlebnis gewesen sein  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Henriette am 23. September 2021, 10:01:29
Es ist so schön dieses zu lesen! Ich konnte es erst heute geniessen.

Pferde sind immer wieder tolle Lebewesen. So etwas Schönes wie Du kann nicht jeder erleben. Vielen lieben Dank für Deine Texte.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Luckymom am 23. September 2021, 10:53:24
Vielen Dank, ich bin förmlich mitgeritten!  :) Hat mich an so viele Ausritte durch den Wald erinnert, Hände tief und durch!  ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Quendula am 23. September 2021, 12:09:32
 :D :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 23. September 2021, 14:08:00
Danke, Tara, für dieses mitreißende Jagderlebnis.

Ich kann überhaupt nicht reiten, aber mein Traum ist es, im gestreckten Galopp am Strand zu reiten :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 23. September 2021, 14:49:41
Der feuchte Sand am Strand ist noch besser als Stoppelfeld.  :D Oben hatte ich ja irgendwo beschrieben, wie wir mal zu dritt nach St. Peter Ording fuhren, nur um das auszuprobieren.  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Luckymom am 23. September 2021, 16:35:27
Strand ist ein Traum, Stoppelfeld hab ich mich nie getraut, ich hatte zuviel Angst. Mauselöcher und Pferdebeine sind keine guten Partner  :(.

Mein Traum war, in der Camargue am Mittelmeer auf einem Camargue-Pferd im flachen Wasser am Strand zu galoppieren und ich hab ihn mir erfüllen können  :D. Hach... lang ists her..
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 23. September 2021, 16:43:58
 :D Ja, das habe ich auch, Hand in Hand mit dem Liebsten (also nicht im Galopp, das Hand in Hand). Da habe ich noch geträumt.  8)  ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:28:46
Jagden haben es aus diversen Gründen zunehmend schwer, vor allem die kleinen Meuten haben mit Problemen zu kämpfen. In ganz Deutschland gibt es nur noch knapp zwanzig.  Wenn Regen angesagt (oder anderswo mehr Party) ist, bleibt man zum Beispiel zunehmend gerne zu Hause. Woraufhin der Veranstalter zwanzig oder mehr gute Abendessen in die Tonne kippt, von einem halben Kessel Gulasch zu schweigen, und wer kann sich das schon leisten? Und eine Jagd zu acht kann vielleicht auch Spaß machen, aber so ganz im Sinne des Erfinders ist es nicht.
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Und wieviel Tradition wird wohl eine junge Frau weitertragen wollen, der ein Frack „wie die Männer auch“ wichtiger ist als die Überlegungen, die einst dahinterstanden? Zunehmend viele wollen Spaß haben, aber bittschön ohne viel Anstrengung und Nachdenken. Und die Strecken sollen immer kürzer werden. Vielleicht liegt’s auch an der Aufmerksamkeitsspanne, und es würde manchen reichen, einmal um den eigenen Springplatz zu reiten, halt mit Hunden und Musik. „Wichtig genommen werden dagegen verstärkt das Sandkastenreiten und besonders geschätzt sind Jagden wo die Hindernisse nicht höher als ein Kochtopf sind. Eine bedauerliche Entwicklung“ ätzt „schleppjagd 24“.
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Drum versucht man heute zum Beispiel, Nachwuchs zu gewinnen, indem man Lehrjagden für die Jugend veranstaltet. Das ist eine prima Sache. Das weiß ich zufälligerweise genau, denn die allererste Jugendjagd in Deutschland, das muß einmal gesagt werden, ist auf unserem Mist gewachsen, jawohl!, und die kam richtig groß raus. Und das kam so...

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:29:54
Die Damenjagd hatten wir hinter uns und nun sogar eine richtige Schleppjagd. Jetzt kam noch der Martinsritt – der traditionelle Ganztagesritt zum Abschluß der Saison, danach gab’s keine Ausritte mehr für die Schulreiter bis zum Frühjahr -, und das war`s dann überhaupt an Veranstaltungen für dieses Jahr.
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Daß es dann doch noch ein bißchen mehr wurde, war eigentlich die Schuld von Karl Rodenleit. Die Hauptschuldige aber war Birte! Der derzeitige Betriebsleiter Rodenleit, dem es an guten Einfällen ja nicht mangelte, der nur leider alkoholkrank war, hatte in einem klaren Moment mal wieder große Pläne geschmiedet. Und Birte, angeregt vermutlich durch die Damenjagd und vom glühenden Wunsche beseelt, sich nochmals auf dem zackelnden Porter präsentieren zu können (sie hatte bei der Damenjagd schwer gelitten mit diesem Schulpferd, dagegen war die Schleppjagd mit unserem Arturo fast harmlos gewesen), machte den Rodenleitschen Vorschlag zu ihrem eigenen.
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 „Wir könnten eigentlich eine Jugendjagd machen“, murmelte Birte also eines Abends im Casino über ihren Spaghetti.
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„Wir könnten was machen?“
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Birte schluckte runter. „Wir könnten ’ne Jugendjagd machen. Hat der Karl vorgeschlagen. Käm’ echt gut.“
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Rodenleit! Den hatte ich heute abend getroffen, schwankend, wie immer nach 12 Uhr mittags. Ich rollte die Augen, meine Nudeln flutschten von der Gabel.
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Birte, die Rodenleit wegen alter Zeiten schätzte – ich glaube, sie hatte mal unter ihm gelernt -, mißverstand das und ging sofort in Verteidigungsstellung: „Der Karl hat wirklich gute Ideen. Und der kann was.“
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„Bin überzeugt davon, aber er macht halt nix.“ Birte übernahm bereits einen großen Teil seiner Aufgaben, weil er immer wieder ausfiel.
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Birte blieb am Ball: „Was hältst du davon, wenn wir ’ne Jugendjagd machen? Also ‘ne Schnitzeljagd?“
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Ich überhörte das wiederholte „wir“ durchaus nicht. Die praktische Ausführung der zugegebenermaßen nicht ganz schlechten Idee würde keineswegs bei Rodenleit liegen, sondern bei Birte und denen, die sich sonst noch bemühten, das Institut zu retten. Also auch bei mir. „Wer ist wir?“
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„Ich brauch‘ doch ’nen Fuchs. Also ‘nen Schnitzelmenschen. Zur Mühle und zurück. Und du“, sagte Birte und wickelte und wickelte ihre Spaghetti, „du hast doch die großen Satteltaschen. Also für die Schnitzel.“
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Ja, ich hatte diese wahnsinnig teuren ledernen Dinger, in Frankreich für Wanderritte gekauft und bisher noch nicht einmal benutzt. Der Gedanke an die Satteltaschen, die ich nun erstmals würde publikumswirksam präsentieren können, köderte mich natürlich sofort. Das würde mein schlechtes Gewissen beruhigen, daß ich mir diese Taschen überhaupt geleistet hatte.
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Und außerdem war ich, glühend begeistert vom Jagdreiten nach meiner glücklich überstandenen ersten Schleppjagd, sozusagen absolut auf dem Jagdtrip. Einen halben Meter Bücher über’s Jagdreiten hatte ich mir zugelegt in meinem Überschwang, und ich hatte sogar für die Wochenendausgabe der Zeitung eine sehr gelungene Sonderseite fabriziert, an der ich mühevoll gebastelt hatte (ich hatte, obwohl ich ein Kürzungstalent bin, viel zu viel Text, und die Seite erschien einen halben Punkt kleiner und mit geringerem Zeilenabstand als der Rest, da hatte sich mein guter Draht zur Technik bezahlt gemacht). An dieser Seite hatten sogar die Jagdreiter selbst nichts auszusetzen - beim Chefredakteur war ich mir da nicht so sicher. „Stimmt alles!“ war das große Lob, das sie mir zollten. Passierte ihnen wohl nicht allzu oft.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:31:24
So erwärmte ich mich für die Idee einer Schnitzeljagd für die Jugend nicht nur auf der Stelle, sondern setzte mit einem klitzekleinen Vorschlag noch eins drauf: „Birte, was hältst’n davon, wenn jemand von der Meute kommt. Nur so mit einer Koppel“ – nach meiner vielen Lektüre war ich voll der Fachsprache (eine Koppel sind zwei Hunde) – „und vorführt, wie man mit den Hunden arbeitet?“
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„Au ja.“ Birte war Feuer und Flamme. Und nun sollte die Sache irgendwie leider eine gewisse Eigendynamik entwickeln. 
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Ich bestand darauf, daß diese Veranstaltung werbemäßig auszuschlachten sei: Das angestaubte Institut mußte nämlich ganz dringend mal wieder Schlagzeilen machen. Die Konkurrenz mochte zweit- oder auch drittklassig sein, aber schlafmützig war sie im Gegensatz zum alten van Krachten leider ganz und gar nicht, im Gegenteil, sie wollte – und das auch noch direkt neben dem Militaryplatz unseres Vereins, das würde viele Reiter zu ihnen locken - ein „modernes Pferdeleistungszentrum“ bauen, was immer man darunter verstehen mochte.  Es mußte also getrommelt werden.
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 „Wir machen den Alt zum Jagdherrn,“ schlug ich vor.  Das war mein oberster Chef, was gute Publicity garantierte und vielleicht Ausgang für eine generell bessere Berichterstattung über den Pferdesport im allgemeinen und den Stall van Krachten im besonderen werden konnte.
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„Willste den auch aufs Pferd setzen?“ grinste Birte.
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„Au ja, auf den Elch!“ Der Elan war unser Menschenfresser. Der Gedanke, wie der Elch den Chefredakteur am Arm in seine Box zerren – nein, nein, vergessen wir das. „Nee, der muß in ’ne Kutsche.“
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„Macht Speichenrieder“, schlug Birte vor. Tatsächlich, einen besseren Fahrer gab es nicht – so viel Stil wie Egon Speichenrieder, von Beruf Schrotthändler und aus ganz ärmlichen Verhältnissen zum mehrfachen Millionär hochgearbeitet, hatte niemand. Also wirklich niemand im halben Kreis.
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„Und das Cap...“
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Eine richtige Jagd mitgeritten in ihrem Leben“, höhnte meine Freundin, „und das im Galoppierfeld und nichtmal im Springfeld, und schwebt in höheren Sphären.“
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Ich kriegte einen roten Kopf. „Das Jagdgeld. Kommt einem guten Zweck zu.“
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Die Schulpferde würden den Kindern kostenlos zur Verfügung gestellt.
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„Autsch. Au-au-au-au. Macht der Krachten nie.“
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„Das werden wir ihm schon beibringen“, meinte ich hoffnungsvoll.
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„Das mußt du zuerst der Elvira Laube beibringen, sonst wirst du gar nicht erst vorgelassen.“ Das war van Krachtens allmächtige Sekretärin.
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„Ich?!! Spinnst du jetzt komplett??!!!“
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„Wenn du schon so irrwitzige Vorschläge machst!“ rief Birte, schob ihren Teller weg und spintisierte weiter: „Die Eltern backen Kuchen, der wird auch für den guten Zweck verkauft. Das bring’ ich denen bei.“
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„Was haben wir eigentlich für einen guten Zweck?“
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Die stets in den Miesen steckende Birte – sie hatte zu jener Zeit von ihrem mageren Bereitergehalt den alten Araber Hengsti, zwei Trakehnerstuten plus zweimal Nachwuchs, die riesige Schogge (Schäferhund-Dogge) Bossi und den Kater zu versorgen - überlegte: „Also, wenn du meine Bank fragst, wär’ mein Konto ein guter Zweck.“
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Mir fiel die alljährliche Spenden-Aktion der Tageszeitung ein, diesmal für das örtliche Kinderkrankenhaus. „Kinder helfen Kindern. Ist immer gut!“, meinte Birte anerkennend.
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Strecke: Zur Mühle und zurück – zwanzig Kilometer - mit einem Extra-Schlenker um die Große Wiese. Ich würde den Fuchsschwanz an der linken Schulter tragen, selten mal weit vorne verlockend zu sehen sein, die Spur mit Hackschnitzeln legen und mir zum Abschluß sehr große Mühe geben, mir von einem der Kinder im Galopp die Rute von der Schulter reißen zu lassen. Anschließend Hunde-Vorführung auf dem Tempel, unserem Vielseitigkeitsplatz, und dann Bewirtung durch Anne im Casino.
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Irgendwie war das aber doch schon etwas mehr Arbeit als nur die kleine Schnitzeljagd, von der Birte erst gesprochen hatte. Vor allem für mich, denn ich hätte hinterher auch noch die Berichterstattung am Hals, so sicher wie das Amen in der Kirche. In all den Jahren bei van Krachten verstand nie jemand, daß Schreiben tatsächlich eine ernstzunehmende, zeitfressende und anstrengende Arbeit ist. Mein Chefredakteur übrigens kapierte das auch nicht. :P
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Jedenfalls hatten wir da einen feinen Plan, klopften wir uns gegenseitig auf die Schulter. Auf auf, zum fröhlichen Schnitzeljagen!
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Wir sollten es bitter bereuen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:32:32
Mit Anne fingen die Schwierigkeiten schon an: „Anne, wir brauchen dich!“
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Sie fragte nicht „Wobei?“, sondern nur „Wann?“
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„14. Oktober, haben wir gedacht.“
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„Am 14. Oktober bin ich auf Djerba. Eine Woche“, Anne drehte hinter der Bar eine kleine Pirouette, „da könnt ihr mich brauchen, soviel ihr wollt.“
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„Anne, wir machen ’ne Jugendjagd.“
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„Einmal im Leben ’ne Jagd mitgeritten...“ begann Anne sarkastisch. „Hast wohl Blut geleckt?“
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„Verschon’ mich. Das hör’ ich schon dauernd von Birte.“
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Anne fand die Sache klasse. Immerhin hing ihr Lebensunterhalt vom weiteren Bestehen des Reitinstituts ab.  „Aber nicht am 14. Oder ohne mich.“
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„Wir müssen sowieso erst mal schauen, ob wir die zwei Hunde bekommen und wann“, meinte Birte.
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Aber erst einmal mußten wir Elviras Zustimmung bekommen. „Die Stimme ihres Herrn“ wurde sie oft genannt. Aber wer so sprach, lag komplett daneben – sie hielt sich nämlich für den Chef vons Janze, mehr als der Betriebsleiter, und je weniger der Alte sich blicken ließ, umso überzeugter.
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Die Sekretärin seiner Majestät war wider Erwarten entzückt, obwohl der Plan nicht von ihr stammte, stellte aber eine Bedingung: van Krachten hatte im Rahmen der Veranstaltung öffentlich ausgezeichnet zu werden, und zwar durch den Hessischen Reit- und Fahrverband. Ohne Ehrung keine Jugendjagd.
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„Der wird in diesem Jahr siebzig, der Stall besteht seit vierzig Jahren, und wir haben hier schon fünfunddreißig Lehrlinge ausgebildet“, meinte Elvira kämpferisch.
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Schön und gut, wir hatten ja auch nichts dagegen, aber Birtes und mein Einfluß auf den HRFV war bislang doch eher gering gewesen...
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Elvira preßte das Kinn in Falten: „Und dann muß natürlich noch ein Fotograf von ‚Unser Pferd’ dabei sein.“ Unser Pferd, die bekannteste Fachzeitschrift?! Wie sollten wir die denn rumkriegen? Zu einer Schnitzeljagd für Jugendliche?! Die würden uns einen Vogel zeigen, und das zu recht.
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Ohweh, ohweh, worauf hatte ich mich da eingelassen?
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Mir fiel auch wieder mal auf, daß der Urheber der schönen Idee niemals mehr zu sehen war. Also nicht ab dem späteren Vormittag.
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Nun ja. Was auch immer wir da für Hirngespinste hatten – das wichtigste, Fachmagazin hin, Ehrung her, waren die Pferde. Also mußte erstmal mit van Krachten gesprochen werden. „Dann mach du mal“, sagte Birte feige, „du hast doch gesagt, das bringst du dem bei.“ „Wir“ hatte ich zwar gesagt, aber nein, ich sollte.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:33:27
Am nächsten Morgen um zehn – auf die Sekunde, ich wußte, wie der tickte! - stand ich also zum ersten Mal in all diesen Jahren in van Krachtens Büro im Herrenhaus. Van Krachten -  klein, vierschrötig, ohne Hals, kalt blickend wie stets - saß hinter seinem Schreibtisch und blieb dort genau so lange sitzen, bis er wußte, daß ich wußte, daß er hier der Herr und ich bestenfalls ein Bittsteller war. Dann erhob er sich, schritt um den Schreibtisch herum und bot mir einen Sessel an, einen kleinen, woraufhin er in einem großen Platz nahm.
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Das tat er mit jedem, auch wenn er mich besonders nicht ausstehen konnte (kurze Haare, Trekkingsattel, Hackamore, außerdem hatte ich ja schon lange meinen eigenen Stall und war keine Kundin von ihm mehr, ja, buchte nicht einmal Hallenbenutzung, obwohl ich quasi auf seinem Hof lebte). Zumindest war mir das berichtet worden, wobei mich sehr wunderte, daß er mich überhaupt kannte, denn er kam ja nur noch sehr selten auf den Hof, „wir“ hatten ja den Betriebsleiter und zur Kontrolle noch van Krachtens Adlatus Schweinsberger, auch der kam nur selten.
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Van Krachten blickte mich feindselig an. Allerdings taute er merklich auf, als ich bewundernd von der riesigen Tapisserie sprach, die die Wand hinter dem Schreibtisch schmückte. „Frau Laube hat mich schon aufgeklärt. Wir wollen nur noch auf Herrn Rodenleit warten“, sprach der Allmächtige.
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Wir warteten eine ganze Weile, die Zeit mit einer vor allem auf meiner Seite etwas arg angestrengten Plauderei über die flämische Bildwirkerei und deren Einfluß auf die gesamteuropäische Kunst füllend, ehe Rodenleit erschien, nicht ganz sicher auf den Beinen – morgens um viertel nach zehn - und umschwebt von einer kräftigen Jägermeister-Wolke. Ihm wurde herablassend ebenfalls ein kleiner Sessel angeboten.
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Da tat er mir leid, und ich vergaß nicht, hervorzuheben, daß die Idee von Rodenleit stammte. Der nickte mir dankbar zu und achtete sorgsam darauf, immer nur in meine Richtung auszuatmen. Weiter tat er nichts. Aber gut, er war ja in die Sache auch gar nicht mehr eingebunden, denn von ihm hatte nur die ursprüngliche Idee gestammt.
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Also ließ sich van Krachten von mir alles erklären. Und zwar mehrmals; so richtig gesund konnte er wirklich nicht mehr sein. Abschließend tat er sehr von oben herab seine großmütige Billigung unserer Pläne kund, die ja, bitteschön, SEIN Institut retten helfen sollten – und machte deutlich, daß er gedachte, die Jagd per Kutsche zu begleiten. Er hatte übrigens keine Kutsche. Und für’s Organisatorische fühlte er sich natürlich in keiner Weise zuständig. Fingerschnipp, Kutsche da.
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O Gott, dachte ich, und der Verbandsheini und der Fotograf – da muß eine zweite Kutsche her, da muß ich Obermann zu überreden, vielleicht brauchen wir sogar noch eine dritte, und dabei habe ich noch nicht mal Speichenrieder für den Chefredakteur gefragt...
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„Wären sie mir freundlicherweise behilflich, den Brief an ihren Herrn Chefredakteur aufzusetzen?“ fragte der Alte, nachdem er Rodenleit verabschiedet hatte, der kräftigen Jägermeisterduft hinterließ.
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„Heute ging es doch mit ihm, nicht?“ nickte van Krachten, auf einmal vertraulich geworden,  hinter seinem Betriebsleiter her. Er hatte also nicht mal was gemerkt. Ich gab ihm gleisnerisch recht und kam mir vor wie im falschen Film, als ich Elvira für ihren Chef den Brief an meinen Chef in die Schreibmaschine diktierte. Nur bei den „freundlichen Grüßen“ verweigerte seine Majestät: „Mit vorzüglicher Hochachtung, Frau Tara! Denken sie immer daran: Mit vorzüglicher Hochachtung.“ Ich denke immer daran, Herr van Krachten, jawohl, und vielleicht antworte ich demnächst mal so, wenn mich wieder mal ein Fremder formlos mit „Hallo Frau Tara“ anspricht.
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Elvira war in Hochstimmung; sie hatte angeblich schon zwei Stunden lang, und zwar erfolgreich, mit dem hessischen Verband telefoniert. Gertrud, der zweiten Sekretärin, die sich wieder mal den Anschein gab, in allerlei Papierkram zu ertrinken – nicht ein persönliches Wort konnte man ihr mehr hervorlocken, seitdem sie hier arbeitete, es war geradezu albern -, drückte ich schnell noch die VIP-Betreuung aufs Auge.
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„Ich?! Nee. Ich hab’ keine Zeit.“ Trudi, Stirn in Falten, wieselte zum nächsten Aktenschrank, um ihre Zeitnot bildlich darzustellen.
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„Machen wir die Schnitzeljagd eigentlich für mich oder für euch?! Und außerdem ist mein Chefredakteur ein hochwichtiger Mann. Der muß bedient und betreut werden. Und du hast die besten Manieren von uns allen.“ Das stimmte tatsächlich – Gertrud kam aus gutem Hause, sie hatten in der Familie sogar einen „Schwarzen Opa“, der in Berlin als Denkmal stand --, und das zog.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:34:14
Um eine Sorge leichter, bat ich um Audienz beim Chefredakteur und bekam sie tatsächlich sofort. Er sah mich ähnlich kalt an wie van Krachten (ich drehe bis heute nicht die Hand zwischen ihnen um). Ich holte tief Luft, setzte mein charmantestes Lächeln auf und blickte ihm halbtief in die Augen. „Herr Alt, ich bin nicht dienstlich hier. Ich komme sozusagen als reitender Bote...“ Alt, gesangvereinsgeschädigt, was seine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen betraf, bockte.
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Und du kommst doch, dachte ich bei mir, diesmal machst du, was ich will. Ich versprach ihm eine Kutschfahrt vor Publikum mit dem hübschesten Haflinger-Gespann im Landkreis, und Geld für die Spendenaktion der Zeitung, die er ja immer als seine Idee verkaufte, die aber natürlich ein anderer gehabt hatte, und dann die Publicity für den Verlag: Ich redete mit Engelszungen.
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Seine Begeisterung wuchs merklich. Schließlich stimmte er zu. Selbstverständlich wäre er sehr gern unser Jagdherr! Natürlich nur um der Jugend willen.  Dann fragte er noch, sich sichtlich überwindend: Was zog man dazu wohl an? Ich erklärte, der Landrat habe als Schirmherr der Friedrichstanner Jagd einen beigen Windblouson getragen, was allgemein als underdressed betrachtet worden sei. Was stimmte, nur hatte der Landrat natürlich niemanden besonders interessiert, was ist schon ein Landrat bei einer Jagd? Mit einem Lodenjanker oder ähnlichem könne man aber nichts falsch machen, versicherte ich dem Chefredakteur. Der würde jetzt vermutlich mit der Gattin den nächsten Frankonia-Laden stürmen.
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So, wieder eine Hürde genommen! Sofort ging die Antwort an van Krachten raus. Alts Sekretärin, die mir gut war, legte Schmackes hinein.
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Der Vormittag war rum, ich arbeitete wie rasend, um die verlorene Zeit aufzuholen. Und abends mußte ich auch noch früher weg – wir hatten ja noch beim Master der Meute vorzusprechen wegen der Hunde. Der betrieb in der Straße neben dem Verlagsgebäude ein großes Geschäft.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:35:19
Birte holte mich ab. Uns war beiden etwas mulmig. Immerhin: Heinrich Stein, M. H. (Master of Hounds). Der. Master. Der. Meute. Der allmächtig war. Den man bei Strafe nicht überholen durfte. Dem alles ehrfürchtig begegnete. Wir waren ganz klein mit Hut.
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 Zwei gutgeschulte Verkäufer schossen auf uns zu, als wir den Laden betraten. „Wir wollen nichts kaufen, wir möchten nur mit Herrn Stein sprechen. Privat sozusagen“, erklärte ich und nannte unsere Namen. Die Verkäufer hoben die Brauen und baten um Geduld. Einer trabte ins Obergeschoß, der andere bot uns zwei Stühle an und hielt uns diskret unter Beobachtung. Beim Warten wurden wir immer kleiner.
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Der Master erschien! Freundlich herablassend erkundigte er sich bei Birte zunächst nach van Krachtenschen Neuigkeiten – er hatte seine Pferde selbst einmal „bei uns“ stehen gehabt – und fragte nach Rodenleit, den er vor Jahrzehnten noch als vielversprechenden Lehrling kennengelernt hatte und dessen Krankheit ihm bekannt war. Offensichtlich wußte der ganze Landkreis mittlerweile bereits, dass unser im Untergang begriffener Betrieb jetzt von einem schweren Alkoholiker geleitet wurde. Beziehungsweise leider nicht geleitet wurde.
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„Und was bringt euch her?“ fragte schließlich der Master.
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Wir erklärten, von vielen bellenden „Ja! Ja!“ begleitet, wie sehr wir von der Jagd des Kreisreiterbundes begeistert gewesen seien. Birte wies darauf hin, daß man doch dringend was für die Jugend tun müsse. Und für einen guten Zweck. „Und wir wollen also für die Jugendlichen eine Schnit...“ „Und da wollt ihr also eine Schleppjagd veranstalten“, unterbrach der Master Birtes ungewohnten Redefluß freundlich.
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Eiskalt durchfuhr es mich, ich wagte nicht, Birte anzusehen. Die schnappte hörbar nach Luft. Wir saßen beide wie gelähmt, keines Protestes fähig. Schleppjagd! Das war zehn Nummern zu groß für uns. Das war unser Untergang.
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„Also versprechen kann ich ohne die Zustimmung der anderen nichts, aber am 14. hätten wir Zeit, weil ein Termin geplatzt ist. Wir haben heute abend sowieso eine Versammlung. Seid ihr nachher beim Krachten? Um zehn ruf’ ich an“, sagte der Master und erhob sich zum Zeichen, daß die Audienz beendet war.
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„Aber... also Herr Stein, wir haben aber kein Geld“, stotterte ich abwehrend. So eine Meute kostet den Veranstalter ja ordentlich, denn die will wenigstens ihre nicht unerheblichen Unkosten reinbekommen.
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„Für die Jugend...“ wischte der Master den Einwand beiseite. Wir waren entlassen.
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Auf dem Weg zum Wagen sagten wir erst mal lange kein Wort. Dann meinte Birte: „Das wär’ schon toll. Bundesweit einmalig wär’ das. Lehrjagd für die Jugend.“ Ganz offensichtlich konnte sie im Geiste bereits lebhaft die Berichterstattung in sämtlichen Fachzeitschriften sehen, mit vielen Farbfotos - Hunde, rote Röcke, Kutschen, Jagdhornbläser, das komplette Paket, und mittendrin die van Krachtenschen Schulpferde.
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„Aber... O Gott. Schleppjagd!“ brachte ich gequält hervor. „Ist dir klar, was da alles dranhängt? Das schaffen wir nie. Unmöglich…!“ Und dann auch noch gerade am 14., wo Anne nicht konnte!
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„Na laß’ mal, vermutlich sagen seine Kollegen ja nein. Wär‘ doch Pipifax für die, sowas für Kinder, da bleiben die doch lieber zu Hause.“ Doch Birte hoffte auf was großes, das sah ich ihr deutlich an. Ich dagegen hatte Magenweh. Böses Magenweh. Aber vielleicht hatten ja wenigstens die anderen Equipagenmitglieder wirklich ihren Verstand noch beisammen und würden ablehnen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:36:10
Der nächste Weg führte zum alten Egon Speichenrieder. Der saß wie jeden Abend in seinem Museum, wie ich es nannte – die schönste und sauberste Kammer mit einer großen Auswahl von Geschirren und allem möglichen, was mit dem Fahrsport zusammenhing - und wienerte an seinem Lederzeug.
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„Un, wie? Un wos bringt disch her? Du kommst doch immer nur, wenn de wos willst!“
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Das stimmte jetzt aber wirklich nicht! – wir hatten schon so manchen Abend auf Futterkisten sitzend verbracht, wo er Döneken erzählte und ich ehrfurchtsvoll lauschte, ohne irgendetwas zu wollen als seine Gesellschaft. Aber auf diesen Mann konnte man sich immer verlassen. Natürlich machte er mit! Zutiefst dankbar, fragte ich mich, warum er überall als harter Knochen verschrien war.
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Schon fünf Minuten vor zehn scharten sich Birte, Anne, Elvira und ich im Casino ums Wandtelefon. Punkt zweiundzwanzig Uhr teilte mir Heinrich Stein M. H. in dürren Worten mit, daß uns Unsere Meute mit allem, was dazugehörte, am 14. Oktober für die Schleppjagd zur Verfügung stehe. Stelldichein: elf Uhr Mainwiese.
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O Gott. O Allmächt‘! Ich dankte atemlos - die Verzweiflung schnürte mir schier die Kehle zu - und unterdrückte den starken Drang, einen Knicks zu machen. „Wer ist Schleppenbegleiter?“ fragte der Master noch.
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Der Schleppenbegleiter zeigt dem Schleppenleger der Meute den Weg. Weil wir darüber noch gar nicht nachgedacht hatten und ich dem Master auch nicht mit Ähs und Öhms und Weißnochnich kommen wollte, rutschte mir heraus „Ich!“.
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„Gut. Bis dann.“
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Also nix Schnitzel-, sondern tatsächlich Schleppjagd! Mit Hunden und roten Röcken und allem Trara! O Himmel hilf. Und ich, ich wäre nicht nur mitverantwortlich, ich sollte dem Schleppenleger auch noch den Weg weisen?! Vor den Hunden reiten?! Ich?!!! Vor den Hunden???!!! Ti würde durchdrehen.
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Wir brachen in sehr zaghaften Jubel aus, ehe wir auf den nächsten Stühlen zusammensackten.
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Schleppjagd! Nach all meiner Jagdliteratur schoß mir zuerst die Meute durch den Kopf. Was brauchte die? Wasser, zu transportieren wie? Pansen!
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„Anne, wo krieg’ ich Pansen her?“

„Du hast Probleme! Der Stein macht das ja wohl nicht zum ersten Mal! Aber wo krieg ich Erbsensuppe für hundert Leute her?“
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Wir waren unendlich erleichtert. Das war Anne: Sie wurde gebraucht, und sofort schoß sie die Insel Djerba in den Wind, obwohl sie den Urlaub weiß Gott dringend nötig hatte.
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Mehrere Kutschen würden notwendig sein. Straßensperrungen! O Gott. Die Landwirte! Pferdehalter für die Equipage bei den Stops. Hufschmied für alle Fälle, Krankenwagen! Bläser! Man konnte doch keine Schleppjagd ohne Jagdsignale haben! Diese Jagd zog einen wahren Rattenschwanz von organisatorischen Problemen nach sich.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:36:58
Klar war, daß das ohne den Verein nun nicht mehr zu schaffen war. Auf uns allein gestellt, würden wir gnadenlos absaufen.
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Wir faßten uns ein Herz und sprachen mit Klaus Obermann. Der half. Küßchen, Dank und Lobpreisungen! Ein schlechtes Gewissen hatten wir schon, denn die große und sehr liebenswerte Schwäche unseres Ersten Sitzenden war es ja, eine Bitte einfach nicht abschlagen zu können. Und Klaus Obermann mußte nicht nur für die Sache geradestehen, sondern auch seine Schwatten vor die Kutsche spannen und die Zeitungsleute und den Verbandsmenschen transportieren. Auch das sagte er zu.
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„Der Reit- und Fahrverein hatte sich der vom van Krachtenschen Bereiterteam initiierten guten Sache als Mitveranstalter angeschlossen“, schrieb ich hinterher für die Zeitung. Ganz so einfach war das allerdings nicht gewesen. Der Rest des Vorstandes war nämlich aus wesentlich härterem Holz geschnitzt als der Herr Obermann. Und das dicke Ende kam auch gleich nach: Ich wurde zur Vorstandssitzung zitiert. Ich wieder mal! Als wäre ich die Alleinschuldige!
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Wie ein armes Sünderlein stand ich vor dem Vorstand, und so sollte ich mich auch fühlen. Ein Stuhl wurde nicht angeboten. Wäre ja noch schöner, wenn jedes Mitglied einfach eine Veranstaltung organisieren wollte!
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Vor allem die Hauptmannsgattin konnte sich mit allerlei spitzen Bemerkungen gar nicht genug tun. Die Dame war vielleicht sieben Jahre älter als ich, aber ich hatte Herzklopfen und kam mir zu meinem Ärger vor wie eine Konfirmandin. Ich mußte kräftig mit mir ringen, nicht auch so auszusehen.
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In Rührt euch!-Stellung stand ich vor dem grimmig blickenden Gremium. Das heißt, Klaus Obermann und der Bastl blickten nicht unfreundlich. Albert auch nicht. Aber leider blickten sie auch nicht mich an, sondern die Zimmerdecke. Sie hielten sich also raus.
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Ich schwitzte. Aber da es kein Zurück gab – denn ich würde es nie wagen, die Meute nach deren großherziger Zustimmung wieder auszuladen, eher sollte mich dieser Vereinsvorstand hier bis ans Lebensende hassen -, zog ich alle Register und hob vor allem die ja tatsächlich gegebenen Vorteile für den Verein hervor. Der Vorstand machte sehr klar, daß er auf Vorteile jeglicher Art gern verzichten wolle, wenn er nicht als erster gefragt wurde.
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Man hatte sogar unseren Ehrenvorsitzenden wieder ausgegraben, den ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte und der sich ob „meiner“ Eigenmächtigkeit so zornig gab – immerhin hatte bitteschön ja der amtierende Vereinsvorsitzende bereits zugesagt! -, daß ich am liebsten aus der Tür gewitscht wäre.
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Aber ich blieb heldenhaft stehen. Als ihm schließlich klar wurde, daß es kein Entkommen gab – der Verband und die Fachpresse waren ja leider bereits eingeladen, allerdings nicht von mir, sondern von van Krachtens Elvira -, sah der Ehrenvorsitzende dem Unabwendbaren allerdings sofort mannhaft ins Auge, löste blitzschnell einige Probleme und stellte uns sogar einen großen Lieferwagen zur Verfügung.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:39:08
Es begann eine wirklich fürchterliche Zeit.
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„Die eine hat nur noch Kopfschmerzen. Die zweite hantiert wir irr mit allerlei Zettelchen, die dritte kreischt irgendwas von der Bar her dazwischen. Die vierte wankt ins Reiterstübchen und braucht erst mal einen Cognac“, erklärte Caro Seeberger abends ihrem Mann. Das stimmte zwar, aber wir hielten durch und ließen uns nicht beirren.
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„Und beim Halali muss ein Feuer brennen“, dozierte die dicke Elvira. Die übrigens noch keine Schleppjagd mitgeritten war.
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„Es heißt HaLAli! HaLAli!“ HaLAli wurde der neue Gruß im Casino, bis wir nur noch „Helau“ herausbrachten.
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Und nächtens flehten wir fast auf Knien um gutes Wetter. An dem hing alles. Es regnete seit Tagen! Zwar wurde eine Jagd bei jedem Wetter geritten, aber ganz bestimmt nicht diese. Wir wollten den Himmeln danken, wenn der Boden abtrocknete.
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Ich, Schleppenbegleiterin in spe, erwachte mehrere Nächte nacheinander schweißgebadet bei dem verzweifelten Versuch, die Meute um besonders verzwickte Ecken herumzudirigieren – immerhin hatten wir hier nicht die Schorfheide, sondern das dichtestbesiedelte Rhein-Main-Gebiet, und unsere Reitwege hatten trotz Schumis Lebensarbeit diverse Tücken, zumal es hier für mehrere Pulks Reiter vielbefahrene Straßen zu überqueren galt - , und erwog für mich selbst wie für mein Schleppenbegleiterin-Pferd in spe abwechselnd Baldrian und Vetranquil, wobei mir schon herzlich gleichgültig war, wer was einnehmen sollte. Tignous VOR den Hunden! Mir graute.
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Letztlich starteten wir dennoch beide ungedopt, was aber vielleicht doch keine so gute Idee war... Rohypnol für beide würde ich bei einer Wiederholung der Sache kaltblütig in Betracht ziehen.
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Elvira in ihrem Herrschaftswahn unternahm es – ungebeten -, weitere Ehrengäste einzuladen – unter anderem unseren früheren Betriebsleiter Siegfried Wolf, der sich im Unfrieden von van Krachten getrennt hatte -, und wir anderen überredeten die älteren Reiter im Verein zum Mitmachen, Schumi, Bastl, Albert & Co., damit neben der Equipage wenigstens auch im Feld noch einige rote Röcke zu sehen waren. Die trägt man wie gesagt traditionell nach frühestens der zehnten Jagd oder dem zehnten S-Springen, und die zehn hatte von den Schulpferdereitern noch kein einziger hinter sich, die ritten also wie ich auch allesamt schwarz-weiß. Unsere alten Herren aber – die hatten alles und konnten alles. Deren Problem war höchstens, daß der eine oder andere rote Rock mittlerweile etwas, nun, sehr körpernah saß.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:39:54
Wegen der Erwachsenen brauchten wir nun allerdings ein zweites Feld. Im ersten Feld direkt hinter der Equipage, normalerweise das Feld der besten Reiter, die alle Sprünge mitnehmen, sollten die Jugendlichen reiten. Weil wir ein zweites Feld hatten, mußten weitere Freiwillige (Feldführer, Piköre, Schlußpiköre) überredet werden. Es nahm kein Ende. Sprünge wurden ganz gestrichen, die Strecke kürzte man uns um die Hälfte.
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Während Birte den Nachwuchs theoretisch auf seinen großen Tag vorbereitete, sammelten wir anderen Krankenschwestern, Flüstertüte, Bläser (auch sie mußten kostenlos auftreten) und Plakate zusammen, Tierarzt, DRK, Schmied (alle ohne Bezahlung) für alle Fälle, Holz fürs Halalifeuer… Und Steine auf den Galoppstrecken! Gustav Schumann, der quasi im Alleingang das örtliche Reitwegenetz geschaffen hatte, kamen wir nämlich wie gerufen; die Reitwege in der näheren Umgebung mußten sowieso dringend mal wieder instandgesetzt werden, meinte Schumi. Wir hatten eine sehr schlechte Verhandlungsposition, zumal wir ihn als Feldführer brauchten.
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Wir fluchten. Das hatte uns gerade noch gefehlt! „Sollten wir aber machen“, überlegte Anne, sich wie immer schnell ins Unausweichliche fügend. „Stellt euch mal vor, ein Kindlein stolpert über ein Steinlein. Und bricht sich ein Beinlein. Das kann zwar immer passieren, aber wenn das uns passiert, werden wir geteert und gefedert.“ Da hatte sie allerdings recht – wir würden als Kindermörder in die Dorfannalen eingehen. Also auch das noch.
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Zu meinem Erstaunen hatte sich zu diesem Arbeitsdienst, der uns einen Urlaubstag kostete, tatsächlich sogar der Hauptmann eingefunden! Er verschwand allerdings wieder, nachdem er eine aufmunternde, nicht allzu schwungvolle Rede gehalten und einen symbolischen, nicht allzu großen Stein aufgehoben hatte.
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Gottseidank hatten sofort viele Helfer zugesagt – als erster natürlich wieder einmal Hermann Ay. Ich hatte ewig auf ihn eingeredet, ich hob alle Vorteile hervor, die sich aus dieser Jagd für alle ergeben würden, ich sprach um der Kindlein willen, ach, ich war in meinen eigenen Überredungskünsten so verfangen, daß ich völlig verdutzt war, als Manni etwas lauter sagte: „Ja! Ich hab’ doch sofort Ja gesagt! Ich sag’ schon seit einer halben Stunde Ja!“
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Aber noch am Freitag war uns nicht so recht klar, wer am Tage X nun letztlich was übernehmen sollte. Unverzichtbar in dieser Phase wieder mal Anne, die nicht nur das Problem mit der Erbsensuppe, dem Kuchen und allem anderen Eß- und Trinkbaren hervorragend gelöst hatte, sondern deren nicht unwichtigste Aufgabe darin bestand, uns andere davon abzuhalten, einander an die Gurgel zu gehen.
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Zwar mit flatternden Nerven, aber doch zumindest äußerlich unverletzt, überlebten wir tatsächlich bis zum Stelldichein. Und siehe da, wir hatten das allerbeste Jagdwetter!  Feucht und neblig, wie es sein sollte, perfekt. Geschlafen hatten wir wenig; nachts hatten wir noch die Brüche basteln müssen. Gar nicht so einfach war es gewesen, halbwegs ansehnliche Eichenblätter zu finden. Die Eichenwickler waren in diesem Jahr kräftig an der Arbeit gewesen. Außerdem hinderte uns die Aufregung am Schlummern, ohne Ausnahme.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:41:16
Und die übertrug sich am großen Tag natürlich auf die Pferde – ich denke, sie sahen schon an unserer Körperhaltung, daß etwas außergewöhnliches bevorstand! Für die Strecke von unserem Stall zu den Reithallen und zur Mainwiese, sonst knapp 20 Minuten, brauchten wir diesmal keine 15.  Pferde nehmen sich auf sehr große Entfernungen wahr, und Ti und Turi waren schon auf halber Strecke am Prusten und Schnauben. Pferde waren dort, wo wir hingingen, ja immer, aber heute waren es aufgeregte Pferde! Da wartet man nicht, bis man genau weiß, was los ist, da tanzt man gleich mit! Schon die Mainfähre, an der sie fast jeden Tag vorbeikamen, fanden beide heute überaus aufregend.
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Auf der großen Wiese waren fast alle Mitreiter schon versammelt. Frank gesellte sich ihnen zu; ich hielt mich zu Tis ganz großem Mißvergnügen etwas abseits, weil ich ja nicht im Feld, sondern, gruselgrusel, vor allen reiten mußte. Drüben schien es irgendeine Unstimmigkeit zu geben:  Es waren aber nur noch einige Diskussionen bezüglich der selbstgenähten Armbinden zu führen – Gustav als Feldführer der Erwachsenen wollte sich partout nicht mit Grün anfreunden, während Birte vom ersten Feld, die es besser wußte als Schumann, mürrisch die versehentlich angebotene rote des Schlußpikörs in Empfang nahm, aber auch das wurde noch geregelt. Birte ritt heute Wilander, das Paradepferd von van Krachtens Gattin. Den hatte sie in Beritt, aber dressurmäßig… So ein Getümmel wie das hier war der Willi nicht gewohnt. Auch bei dieser Jagd würde Birte einiges zu tun haben.
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Die Reiter sortierten sich in zwei Felder und kreiselten zum Warmwerden. Ti wollte zu seinen Kumpels, aber da gehörte er ja heute nicht hin.  Das Fette Pony wollte drum kaum stillstehen.  Er fühlte sich deswegen sehr ungerecht behandelt!
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Vom dreihundert Meter entfernten Springplatz her kam durch den Nebel langsam und gänsehauterregend die Equipage - Beagles, Pferde, rotweiß, versammelt und voller Spannung, ein eindrucksvolles Bild. Ich hatte nur Augen für die Meute. Doch da stieg mein Chefredakteur von Speichenrieders wunderschöner, sehr dezent geschmückter Prunkkutsche. Er trug einen grauen Lodenmantel und am Ärmel die weiß-schwarz-weiße Jagdherren-Armbinde (oh, wir trugen dick auf, wir ließen nichts aus!); auch seine Frau war in Loden gekleidet, und zwar in Rot, sah nett aus, man hatte sie im Laden gut beraten. Todsicher Frankonia, todsicher sehr teuer, ich gönnte ihm die Ausgabe sehr. 
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Ich hatte übrigens eben eigentlich weiß Gott was anderes im Kopf als meinen Chefredakteur! Aber nein, er mußte natürlich zu mir kommen. Auch noch zusammen mit van Krachten.
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Seine Majestät geruhten tatsächlich das tadellose Aussehen meines Pferdes zu loben! Dieser alberne Heini, als ob das nicht immer tadellos aussah! Ich war sogar nochmal mit einem feuchten Tuch drübergegangen, um die letzten Stäublein aufzunehmen, denn als Offenstall-Pferd brauchte er seine schützenden Hautschuppen ja, zu sehr durfte man da nicht putzen, da mußte man tricksen. Und der Chefredakteur fühlte sich, um Heldenmut zu beweisen, natürlich bemüßigt, den darob zu Recht sehr verärgerten Ti kräftig auf seinen glänzenden Hintern zu klatschen, worauf die beiden Herren in ihrem feinen Zwirn leiderleider in einer Staubwolke standen.
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Mir fiel nichts zu sagen ein. Der Master kam auf mich zu!
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„Guten Morgen!“ grüßte der, und als ich ihn nur anlächelte, mir mit der Hetzpeitsche auf die Schulter klopfend, nochmals: „Guten Morgen!“ Er war schon fünf Meter weit weg, als mir einfiel, dass ich korrekterweise hätte „Guten Morgen, Master!“ antworten müssen, auch, wenn es schon auf Mittag zuging. Sogar am Nachmittag hätte ich ihn so grüßen müssen. Es ist mir heute noch peinlich, Jahrzehnte später.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:42:00
Schon längst hätten Signale ertönen müssen. Die Bläser! Wo in Dreiteufelsnamen waren die Bläser!!!!?? "Bläser“ formte ich lautlos mit den Lippen und sah Elvira dabei mit einem gleich-stirbst-du-Blick an. „Ich hab’ schon zweimal telefoniert“, flüsterte die hilflos. Wie sich später herausstellte, waren sie auf dem wegen der Jagd heute menschenleeren Gutshof herumgeirrt, bis ihnen endlich eine hilfreiche Seele den Weg zu den Reithallen und zum Fluß gewiesen hatte. Sie wollten sich heute allerdings noch mehrmals verlaufen.
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Acht Kutschen – acht! - und unzählbare Reiter hatten sich eingefunden - die Schätzungen schwankten zwischen zwanzig und sechzig; nach dem Jagdbuch müssen es 38 gewesen sein, wenn sich alle eingetragen haben. Unter ihnen war zu meiner Überraschung auch die bekannte Distanzreiterin Gebauer von „dribbdebach“ (der anderen Mainseite) mit einigen ihrer Norwegerkinder, was mich ganz besonders freute. Ich kannte sie vom Berittführerlehrgang. Sie lobte unsere Idee so, daß mir ganz warm uns Herz wurde.
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Ein Gewusel von Zuschauern, Sekt, Begrüßung, der Chefredakteur hielt seine Ansprache, eine sehr nette, wurde mir hinterher berichtet (vermutlich von der Sekretärin entworfen) – ich hörte sie allerdings nicht, denn die Flüstertüte war seltsamerweise verschwunden. Trotz fieberhafter Suche war die Tröte nicht wieder aufgetaucht, so daß Alts „Gute Jagd!“ leider ziemlich schwindsüchtig zu mir herüberwehte.
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Halleluja, die Bläser! Sie kamen im Schweinsgalopp und etwas außer Atem von der Reithalle her, nahmen Aufstellung, tuteten das Signal „Aufbruch zur Jagd“: tatamtataaa, tatamtataaa, tatamtuuuuuuuuuu!, zweimal wiederholt - los ging’s!
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Das heißt, los ging die Equipage... Die Schleppenbegleiterin, also ich, war leider kalt erwischt worden. Da ich respektvollen Abstand zur Equipage mit den wuselnden Hunden hielt, hatte ich das Kommando „Schleppe ab!“ nicht gehört. Allerdings hatten auch die Feldführer vergessen, daß sie nicht nur zu führen, sondern auch zu folgen haben, der Equipage nämlich. Sie standen halt alle noch so rum. Als ich im kurzen Galopp zum Schleppenleger aufschloß, hörte ich den Master gutmütig sagen: „Kehren wir halt noch mal um!“ Den beiden Feldern entgegen, wieder kehrt. Aber nun ging’s wirklich los!

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:43:12
Die erste Schleppe, der erste Galopp über die taufrischen Mainwiesen! Tignous zischte ab wie mit Düsenantrieb, aber ich bekam ihn zum Glück gleich wieder in die Hand. Er hatte zwar die Ohren mißtrauisch zurückgelegt und war wild entschlossen, sich von diesen Pferdefresser-Kötern hinter ihm nicht fangen zu lassen, aber der gleichmütige Schimmel des Schleppenlegers gab ihm doch etwas Sicherheit, und ich konnte ihn gut kontrollieren.
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Und jetzt kam Schwung in die Sache. Auf dem kürzeren Asphaltweg neben der Wiese überholten uns im Trab die Kutschen. Und ich traute Augen und Ohren nicht, als ich Klaus Obermanns Zweispänner erblickte. Auf dem hatte, neben dem hessischen Verbandsvorsitzenden – jawohl, der HRFV hatte seinen Vorsitzenden geschickt! - unser früherer Betriebsleiter Siegfried Wolf Platz gefunden, der stets unterkühlte, beherrschte, trockene und ironische Wolf, der Halbgott, vor dem wir jüngeren alle in Ehrfurcht erstarben. Es muß die in langen Jahren des aus Versicherungsgründen pianissimo-Faschingsreitens im Stalle van Krachten angestaute Bewegungsfrustration gewesen sein, die sich hier entlud, das, und daß er wieder Bekannte von früher traf: Wolfi war in der Kutsche aufgesprungen; er tanzte auf einem Bein, und ein Urschrei entriß sich ihm, was die Lungen hergaben: „Laß’ - knacken!!!“
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Und wir ließen knacken! Enten erschraken vor Ti und flogen auf, woraufhin Ti vor den Enten erschrak und einen kleinen Haken schlug, wir wurden ein wenig schneller.
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Natürlich nicht annähernd so schnell wie auf Friedrichstann. Und auch nicht lange. In Birtes erstem Feld stimmte was nicht; es muß sie hart angekommen sein, aber sie hielt ihr Feld an (das zweite Feld konnte gerade noch rechtzeitig bremsen): Es war ein Zügel defekt, erster Aufenthalt. Wir vorne merkten es und hielten ebenfalls an. Hilfe in der Not von Bastl, dem Bösen Bäcker (ein grundgütiger Mann, den wir liebten, er hatte uns nur mal erschreckt, als wir noch blutige Anfänger waren). Der Bastl hatte schon viele Jagden und diverse damit verbundene Mißgeschicke hinter sich und in weiser Voraussicht unterm Rock einen Ersatzzügel um den Leib geschlungen. Da wäre ich nie drauf gekommen.
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„Laß’ knacken!“ jubelte es noch einmal hinter mir.
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Nur allzu gern nahm der Walkepaule dies wörtlich. Von der wohligen Wärme der Mitreiter dann auf allen Seiten umgeben, grinste der Schlußpikör des zweiten Feldes (der hinten zu bleiben hatte, als der „Lumpensammler“, aber eben nicht blieb, weil sein Pferd lieber tot als zweiter sein wollte) nur selig: „It’s cool, man!“ Ha, Paul, der erste Kandidat fürs Jagdgericht!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:44:02
Nächste Schleppe. Im Jugendfeld die ersten Abgänge, Birte die ersten Anfälle. Zum Glück keine Knochenbrüche oder sowas! Und die Mädels waren tapfer. Die Equipage, von der Meier-Koppel zum Springplatz spähend (Distanz ein guter Kilometer), war etwas ratlos: „Wo reiten sie denn?“ Beide Jagdfelder waren uns erst mal abhandengekommen.
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Nie werde ich den Klang des Rufhorns vergessen – ich hörte es allein an dieser Stelle wohl gute vierzig Mal. Denn auch die Hunde wußten nicht recht, was hier eigentlich los war, sie wollten weiter.
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Doch dann kamen sie, die Jugendlichen. Und wie sie kamen! Hier offenbarte sich der Equipage, warum eine Jugendjagd „Jugendjagd“ heißt: Weil es gilt, die Jugend zu jagen! Da waren nämlich einigen die Pferde durchgegangen.
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Man hatte augenscheinlich die Aufgaben vorher aufgeteilt; Pikör Susanne Budig fing mit einem geradezu blendenden Sliding Stop, der US-Championship würdig, das erste Kind ein, Pikör Peter Kurz stellte sich dem zweiten in den Weg, die anderen kümmerten sich um die Hunde, und Master Stein kümmerte sich um alles, tröstete die zitternden Reiterlein und brachte Ordnung ins Chaos.
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Während sich alles erneut sortierte, zog sich die Equipage hinter ein Gebüsch zurück – es steht zu vermuten, um ungehört fluchen und den Tag beweinen zu können, an dem sie ihre Zusage gegeben hatte.
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Ich selbst hatte mit einem Fetten Pony zu tun, das sich schon als Hundefutter enden sah, aber offensichtlich vorhatte, sein Leben sehr teuer zu verkaufen, und war meinerseits mittlerweile so verwirrt und alle, daß ich fast das Abbiegen zum Campingplatz hinunter vergessen hätte.
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Seitdem werde ich von einem wiederkehrenden Alptraum geplagt: Auf dem schnurgeraden Hauptweg kommen wir so richtig in Schwung, die Jugendlichen vorneweg, entzückte Hunde und schweißbedeckte Equipagenpferde hinterher, gefolgt von Birte, die schreit: „Warum bin ich nicht Verkäuferin im Supermarkt geworden!“, auf Willi, der das alles nicht so richtig einsieht. Dahinter das zweite Feld, angeführt vom Schlußpikör Walkepaule.
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Die Jagdgesellschaft überrennt mühelos mehrere Busse und bricht endlich mit Schmackes durch die Mauern des großen Chemieunternehmens am Wegende. Paul, während von weither „Absitzen“ geblasen wird, selig aus einem dampfenden Kessel schauend: „It’s cool, man!“
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:44:54
Danach schoß ich alle Bedenken in den Wind und lachte nur noch, es war alles so herrlich absurd. Unten am Main nochmals kurzes Sortieren. Seeberg meldete sich hier ordnungsgemäß und klugerweise bei seinem Feldführer ab – er hätte mit seiner alten Dame, deren Aufregung nicht mehr beherrschbar war, wohl sonst „die Jagd gewonnen“. Die Hunde nutzten die Gelegenheit, sich im Fluß abzukühlen und die Nasen zu befeuchten.
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 Die lange Main-Promenade ging es zusammen mit den Kutschen weiter; den vielen Zuschauern – die halbe Stadt war am Mainkai zusammengelaufen - bot sich nun ein wunderschönes Bild, zumal hier, wo nur Schritt geritten werden durfte, auch nichts mehr durcheinandergeriet.
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Oben hingen die Anwohner aus den Fenstern; die Bläser, von der VIP-Betreuungskomitee-Obervorsitzenden Gertrud rechtzeitig irgendwo eingefangen und auf dem Maindamm postiert, jubilierten, die Sonne brach durch, und von der anderen Mainseite schallte der Hörnerklang zurück, daß einem das Herz aufging.
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Für das Fette Pony allerdings war dies der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte – links das Gerassel der Kutschen und die Bläser, rechts das Echo, hinter ihm die Meute! Zirkusreif galoppierte er fast auf der Stelle; in weißen Schwaden saß ihm der Schweiß auf dem Fell. Künftig: Baldrian und Vetranquil, nahm ich mir vor! „Der is‘ uffgereescht, grad wie sei‘ Herrin!“ rief Speichenrieder, als er mit seinem Jagdwagen auf gleicher Höhe war, aber ich rief zurück „Ich bin nicht mehr aufgeregt, jetzt kann ich eh nichts mehr machen!“, was den Chefredakteur sehr verblüffte, denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß ich mit der Sache irgendetwas zu tun gehabt hatte, außer ihm einen Brief zu überbringen.
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Beim ersten Stop wuselte alles durcheinander. Gertrud betüdelte die Ehrengäste, der leibhaftig gewordene Charme. Ich, meine Niederlagen beim Stelldichein vor Augen (nicht „Guten Morgen, Master!“ gesagt, nicht von Anbeginn direkt neben dem Schleppenleger gewesen) und den Master über mein Sektglas hinweg mit Adlerblicken beobachtend – Stein sah den Sekt mit offensichtlichem Mißfallen –, ich war diesmal gottlob auf Zack. Das Glas irgendeinem Fremden in die Hand drückend, war ich mit einem Hechtsprung – nie zuvor war mir das gelungen, die Angst vor einer erneuten Blamage verlieh mir Flügel -, mit einem Hechtsprung also war ich zu Pferd, mit drei Galoppsprüngen beim Schleppenleger; und die Equipage war schon wieder auf dem Weg, als die Feldführer noch verzweifelt versuchten, ihre Felder wieder einzusammeln – doch verständlicherweise hatte man Mütter, Väter, Tanten und Onkel zu umarmen und mit Eßbarem zu versorgen.
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Eine kurze Showeinlage bot kurz darauf dann der Förster-Otto, der mit seiner Kutsche fast verhindert hätte, daß die Nachwelt von der Tarahausener Jugendjägerei erfuhr: Ihm rissen nämlich gleich beide Leinen, und sein Fuchs nahm Kurs auf die Fotografin der Tageszeitung. Die, selbst erprobte Jagdreiterin, hatte ihr Leben zwar durch einen beherzten Sprung in die Brombeeren retten können, doch sie zitterte noch zwei Stunden später.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:45:37
Die nächste Wiese hinunter ein wunderschöner Galopp – für die Equipage. Als sie die Hunde ablegte, rätselte man wieder: „Ja, wo reiten sie denn?“
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Die Antwort ließ diesmal nicht allzulange auf sich warten: Rasend schnell näherten sich drei kleine Punkte, die sich blitzschnell als ausgewachsene Schulpferde entpuppten – im gestreckten Galopp auf den vielbefahrenen Belzweg zu!
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Mir wurde ganz schlecht. Unter Aufbietung aller Kräfte hatte Birte verhindern können, daß der Rest des Feldes sich an den dreien ein Beispiel nahm, und die Equipage, eben noch plaudernd im Wartestand, vollbrachte hier ihre Meisterleistung: Während ich im Geiste zitternd die Toten zählte, hatten Master und Piköre von Null auf hundertachtzig beschleunigt und die Jugendlichen noch vor der Straße zur Strecke gebracht!
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Die besten Cowboys waren ein schlapper, müder Haufen gegen unsere Jugendjäger!
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Ich wischte mir den Angstschweiß von der Stirn, doch danach wurde es geradezu langweilig. Um die Sache etwas aufzulockern, baute Schumi im zweiten Feld kurz die große Abseits-Falle auf: In breiter Front galoppierend, zogen die Rotröcke vorn kurz die Bremse an, und natürlich wurden sie überholt von Reitern, die nicht so schnell durchparieren konnten - und wieder hatte man einige Kandidaten für das Jagdgericht...
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Auf der Strecke zum zweiten Stop am Tempel, unserem Vielseitigkeits-Platz, legte der Schleppenleger noch einige kurze Kringel an, worauf sich die Meute aber, nicht doof, mal gerade ein Ei backte. Pfeilgerade schoß sie auf den Tempel zu, egal, was der Scent – jaja, heißt so, also was die Duftspur sagte. Und endlich bekamen auch unsere bis dahin blütenweißen Hosen die richtige Farbe: Einige große Pfützen waren nach den Regentagen nämlich doch noch übriggeblieben.
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Und zu meiner ganz, ganz großen Befriedigung sah ich aus dem Augenwinkel, daß auch ein Master manchmal Mühe hat, sein Pferd durch so eine Pfütze zu bringen... „Hast du das gesehen?“ sprach Stein daraufhin empört zu mir. Es muß ihn gewurmt haben, daß ich das mitbekommen hatte.
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Auf dem Tempel wieder großes Gewimmel rund um Sekt und Brötchen. Gernot, der großherzig erst einmal dafür sorgte, daß die Reiter was bekamen, starb fast Hungers und klagte noch nach Tagen, daß jemand ihm das letzte Brötchen geklaut habe. Unsere liebe Equipage legte auf der 500-Meter-Sandbahn rund um den Tempel noch eine Schleppe an, damit die Zuschauer was zu schauen hatten, und nach dem Stop setzten sich die Erwachsenen mit ihrem Wunsch durch, nun auch einmal hinter den Hunden reiten zu dürfen.
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Bei einer Runde um die nächste Wiese kam es leider zu einem kleinen Mißverständnis zwischen Schleppenleger und Schleppenbegleiterin, und so legte ich denn mit einem sehr verblüfften Tignous mutterseelenallein und vor vielen ebenfalls verblüfften Zuschauern noch eine Ehrenrunde in der falschen Richtung ein. :P
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:46:40
Halali! Halali! Halali! Schon waren wir wieder auf der großen Mainwiese vor van Krachten, auf der tatsächlich das Feuer brannte! Gelobt sei Manni. Die meisten Erwachsenen machten alles falsch. Außer den Schoppereitern – Albert, Schumi, Bastl, die alle schon viele richtige Jagden mitgemacht hatten –, Birte und mir hatte nicht ein Erwachsener den rechten Handschuh ausgezogen! „Halali“ rief kaum einer.
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Die Jugendlichen allerdings, von Birte präpariert, machten alles richtig. Ebenfalls richtig machten es die ebenfalls präparierten brücheverteilenden Damen. Zur Unterstützung der Chefredakteursgattin hatten wir noch van Krachtens Angetraute rekrutiert: „Waidmannsheil!“ „Waidmannsdank!“ – vierundvierzigmal, die Equipage eingeschlossen.
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Unser Hausherr wurde geehrt, und dann zeigte uns Master Stein – ohne Flüstertüte, der Mann brauchte keine Flüstertüte -, wie ein anständiges Horrido! auszusehen hat.
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„Auf die Hunde! Auf die Pferde! Auf die Jagdreiterei - ein dreifach kräftiges: Horridoh!“
„Joho!“ antwortete es aus dreiundvierzig Kehlen.
Der Master brauchte wirklich keine Flüstertüte. „Horridoh!!“
„Joho!!“
„Horridoh!!!“
„Joho!!!“
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Dem Herrn Chefredakteur, der neben mir stand, lief ein sichtbarer Schauer über den Rücken. Das hatte er nicht beim Gesangverein! Und Stein – war’s Überanstrengung, war’s wahre Größe? – versprach, wiederzukommen!
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Zu meiner riesigen Freude überreichte mir Speichenrieder coram publico einen Blumenstrauß. Die kleine Anerkennung tat so gut nach all dem Geschimpfe des Vorstandes! Und es gab wirklich im ganzen Ort keinen, wirklich niemanden, der so viel selbstverständlichen, zurückhaltenden Stil hatte wie dieser Mann aus kleinsten Verhältnissen.
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Jetzt war von Schimpfen allerdings nichts mehr zu merken. Überall nur begeisterte Gesichter! Elvira und Trudi wuselten um Chefredakteur, Verbandsmenschen und ihren allmächtigen van Krachten rum. Das war Birte und mir sehr recht – endlich konnten wir uns um uns selber kümmern.
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Beim Abmarsch sahen wir eben den Bastl Richtung Bäckerei verschwinden – sein roter Rock war auf dem Rücken mitten entzwei gerissen, das weiße Hemd rüschte sich dazwischen. Nun ja, er war in den letzten Jahren etwas stärker geworden, und den roten Rock hatte er sich schon vor über dreißig Jahren verdient.
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Birte half, die Schulpferde zu Bett zu bringen, Frank und ich stellten Turi und Ti erstmal in leere Boxen auf dem Gutshof, weil uns der Heimritt zu viel Zeit gekostet hätte. Eigentlich verboten, doch heute durfte sogar Elvira das sehen: Sie war uns äußerst gnädig gestimmt.
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Das klatschnasse Fette Pony schien mir vor Stolz fast zu platzen. Richtig gut kam sich Tignous offensichtlich vor, wie er da neben mir über den Hof tänzelte. Klar: War er doch, natürlich nur dank seiner stetigen Schläue, Wachsamkeit und Wendigkeit, diesem gefährlichen Hundepack entwischt, das er da zwei Stunden lang auf den Hacken gehabt hatte!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:48:14
Auf in die Reithalle zum Schüsseltreiben! Die Wilhelm Milkereit-Gedächtnishalle hatte noch selten so schön ausgesehen. Vor allem war sie auch endlich einmal wieder gründlich abgestaubt. Anne hatte alles geradezu generalstabsmäßig vorbereitet. Die Tische mit – natürlich ebenfalls gespendeten - Blumen (in so einem Verein gibt es ja vom Miele-Mann bis zum Zahnarzt so gut wie alles, und Berthold besaß einen Blumenladen, wie gut sich das traf) und – von mir – gemalten Reserviert-Schildern geschmückt... Zeitungen mit meinen Sonderseiten über das Jagdreiten und den berühmten Vierspänner-Fahrer Michael Freund lagen hübsch drapiert aus… Während die Halle den Aktiven vorbehalten war, standen sich die Eltern und die anderen Zuschauer auf der Tribüne und im vollgepackten Casino oben gegenseitig auf den Füßen und drückten sich die Nase an den Scheiben platt. Erbsensuppe gab’s oben wie unten, sie schmeckte wunderbar.
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Ich weiß nicht, ob van Krachten daran dachte – vermutlich nicht! -, aber Birte und ich knöpften uns nochmal ordentlich zu, stiefelten zum Tisch der Meute und statteten der Equipage unseren förmlichen und sehr tief empfundenen Dank ab. Für die Jugendjagd und für das Jagen der Jugend.  Nein, wir knicksten nicht, höchstens innerlich.
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Und dann zur allgemeinen Gaudi: das Jagdgericht! Das Jagdgericht ahndet Regelverstöße und Reiterfehler (auch dazu können Piköre also da sein: zum Verpfeifen); im einfallslosen Fall werden nur Runden gezahlt, im besseren gibt’s manchmal Geldstrafen, die dem Personal zukommen, oder Kniebeugen oder ähnliches; im besten Fall ist es eine wunderbare Parodie.
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Jagdgericht lehne er generell ab, hatte uns der Master vorher wissen lassen, wie sich Unsere Meute überhaupt strengstens an die reine hehre Lehre hielt: Sofort nach Jagdende wurde zum Beispiel der rote Rock abgelegt und die schicke graue Vereinstracht angezogen, es gab keine Meutenknöpfe, Rundenzahlen und Alkohol überhaupt wurden abgelehnt. Also jedenfalls vom gestrengen Master.
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Folgerichtig das Jagdgericht auch. Aber vielleicht würde sich der Erhard Baumgartner, ebenfalls Mitglied der Equipage und Vorsitzender des Kreisreiterbundes, dazu hergeben: „Der macht so was ganz gerne,“ hatte Stein gemeint und es uns wenigstens nicht verboten. Baumgärtner hatte dann auch gleich zugesagt. Birte und Monika, die bedauernswerte Lebensgefährtin unseres Betriebsleiters, die auch mitgeritten war, würden ihm zur Seite stehen.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:49:08
Die beiden Frauen, die Reitkappen falschherum auf dem Kopf, trugen nun also den Baumgartner Erhard als den Vorsitzenden Richter in die Halle. Der mimte sehr überzeugend einen Besoffenen, hatte wie seine Mit-Richterinnen den Helm verkehrt herum aufgesetzt, zudem den Rock (wieder rot, beim Meutengrau zum Jagdgericht hätte der Master vermutlich einen Anfall bekommen) falschherum angezogen und hinten halb zugeknöpft, und lallte nur. Die drei setzten sich an den „Richtertisch“. Alles lauschte in ehrfürchtigem Schweigen.
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Birte deutete die ersten Delinquenten aus.
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„Elke!“
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„Warum ich?“ Die zehnjährige Elke bildete sich was darauf ein, daß sie im Gegensatz zu anderen ihr Pferd immer unter Kontrolle gehabt hatte. Gerade darum war sie jetzt aber dran, wegen ihrer Übervorsichtigkeit nämlich und weil sie dabei anderen im Weg herumgestanden war: „Du bist rückwärts geritten!“
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Elke mußte in die Bahn. „Anreiten!“ Elke ritt brav an, formvollendet. Ohne Pferd natürlich. „Bei F: Mittelpass!“ Elke tat ihr Bestes, nicht einfach mit nur zwei Beinen. „Bei H: Jagdgalopp!“ Elke galoppierte, was das Zeug hielt. Selbst das letzte Kommando führte sie noch mit Bravour aus: „Bei M: Sliding Stop mit Handstand-Überschlag!“ Das Mädel spielte wirklich prima mit (und konnte Handstand-Überschlag), und Birte lief mit ihren komplett irren Kommandos zu großer Form auf; die Reithalle brüllte vor Lachen.
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Paul Walke, schließender Pikeur im zweiten Feld, wieherte lauthals mit, bis ihm was klarwurde und er bedenklich das Gesicht verzog – jawohl, da war er auch schon selbst dran. Monika bestrafte ihn mit einer Geißbock-Piaffe, einer Hinterhandwendung auf dem rechten Bein und einer Runde versammeltem Schweinepaß auf dem oberen Zirkel. It’s cool, Walkepaule!
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Der Vorsitzende Richter brabbelte, schwankte auf seinem Stuhl und bekam Schluckauf.
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Dann kamen zweie dran, denen die Pferde durchgegangen waren. Diese beiden armen Kinder werden gewiß im ganzen Leben keine Equipage mehr überholen!
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Sie hatten einen Pas de deux vorzuführen. Birte war einfach klasse: „Kreuzgalopp!“ (ist ein ganz falscher Galopp) - „Rückwärtsvolte im versammelten Kreuzgalopp!“ Hände verschränkt, kreuzgaloppierten die Mädels brav rückwärts. „Durch die Länge der Bahn: Fliegende Wechsel von Kreuzgalopp zu Kreuzgalopp!“ Karin und Johanna stolperten fast über ihre Füße.
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Erlöst waren sie dann aber noch immer nicht, denn eben erblickte der Baumgartner Erhard unseren Ersten Sitzenden: „Den Klaus kauf’ ich mir!“ hörte ich ihn murmeln. Baumgartner hatte ein tückisches Leuchten im Auge – da war wohl eine alte Rechnung zu begleichen.
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Der arme Klaus Obermann habe, mit eisenharter Kralle kutschierend (nun ja, die leichteste Hand hatte er vielleicht wirklich nicht, aber so schlimm war’s nun auch wieder nicht), seinem Gespann völlig unnötiger- und ungerechterweise einen kräftigen Insterburger verpaßt, behauptete Baumgartner lallend. Obermann mußte ran – zu seiner Ehre muß betont werden, daß er sich nicht eine Sekunde lang zierte, Vereinsvorsitzender hin, Riesenpublikum her. Jagdgericht war Jagdgericht!
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Was jetzt kam, war umso gemeiner, als es einfach hinreißend komisch war: Karin und Johanna bekamen Baumgartners Hosenträger verpaßt und stellten Obermanns Rappen dar. Und Klaus Obermann mußte sie fahren, mit den Hosenträgern als Zügeln!
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Der arme Herr Obermann in seinen altmodisch ballonweiten weißen Reithosen und dem schwarzen Jackett, den steifen runden Hut auf dem Kopf, nicht der Jüngste, auch nicht mehr der Schlankste, ergriff sehr achtsam die Hosenträger, vergaß nicht, wie bei einer Fahrprüfung grüßend die Melone vor dem Richter zu ziehen (vermutlich knirschte er dabei mit den Zähnen), und trippelte zierlich hinter seinem Gespann her. Und er hatte im tiefen Hallensand einige Runden zu traben!
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Die Fahreinlage war wirklich allerliebst. Ab und an fielen seine Pferde in Galopp, woraufhin er sie sanft, oh, so sachte wieder durchparierte, oder kickten hinten aus, daß er das Kinn einziehen mußte. Und noch selten habe ich einen Fahrer mit derart seidigweicher Zügelführung gesehen!  Er bekam Riesenapplaus.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 20:50:35
Es war einfach alles nur großartig, soviel Stimmung war selten gewesen. Unsere Jugendjagd war ein wahnsinniger Erfolg! Auch wenn unsere große Zeit sichtbar vorbei war und sehr viel ja absolut nicht geklappt hatte, von der verschwundenen Tröte bis zu den nicht ausgezogenen Handschuhen – Stil und Ideen hatten wir bei van Krachten immer noch, und alles – also wirklich jeder! – war voll des Lobes.
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Birte und ich strahlten zwar alle selbstsicher an – wir hatten ja natürlich immer gewußt, daß alles klappen würde, haha -, doch wir hatten uns von diversen Schrecken noch keineswegs erholt.
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„Mann du, wie die mir nach dem ersten Stop durchgegangen sind – ich dachte, jetzt laß’ ich mich umschulen!“
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Ich drückte Birte verstohlen die Hand. „Mir war sterbensschlecht!“ gab ich zu, „ich wußte ja nicht, daß Manni den Belzweg schon gesperrt hatte!“ Bei der Erinnerung wurde mir immer noch ganz kalt. „Und als die Bläser da am Kai lostuteten, dachte ich, der Ti geht mir durch und ich kriege ihn erst auf der Frankfurter Messe wieder zum Stehen!“ Viel hatte auch nicht gefehlt. Punkt für Punkt gingen wir alles durch. Aber erst zuhause zitterte ich langsam aus.
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Gegen Mitternacht kam ein Anruf von Anne, ganz aufgeregt: „Stell’ dir vor, wir haben fast zweitausendfünfhundert Mark eingenommen!“
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„Brutto oder netto?”
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„Quatschkopf! War doch alles gespendet! Also, wenn ich mich nicht verzählt hab’, und ich verzähl’ mich eigentlich nie, und ich hab‘ jetzt dreimal gezählt, dann haben wir zweitausendvierhundertundfünfzig Mark. Und den einen Fuffi wird ja wohl noch wer drauflegen. Dann können wir deinem Alt zweitausendfünfhundert Emm überreichen!“
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Maaaann!!! Zweitausendfünfhundertmark!!! Einsam und aufrecht im Schlafzimmer stehend, brachte ich ein dreifach kräftiges Horrido! aus: Auf die Hunde! Auf die Pferde! Auf die Jugendjägerei! Hussassa!
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Und alle Spender, Helfer und stillen Dulder, vor allem aber die tapferen Jugendjäger Unserer Meute, schloß ich in mein Nachtgebet ein. Ganz ehrlich. Also fast ganz. 😉
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Die Sache erschien in mehreren Fachzeitschriften, mit wunderbaren Fotos – Equipage und Kinder, Hunde, Bläser, Alt, van Krachtens Ehrung, alles dabei, und die Texte lasen sich so, als ob alles hervorragend geklappt hätte. Alles freute sich. Nur bei der nächsten Jahreshauptversammlung wurden wir vor versammelter Mannschaft wegen Eigenmächtigkeit noch mal kräftig abgekanzelt, zur Abschreckung eventueller Nachahmer, ansonsten aber allerorten sehr gelobt.
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Monate später bekamen wir offizielle Post, auf schwerem Bütten: Der Schleppjagdverein, der einmal im Jahr alle gehabten Jagdherren zu einem schönen gemeinsamen Abend einlud, bat netterweise und vermutlich augenzwinkernd um die Ehre, Birte und mich – nicht den Chefredakteur oder van Krachten – zum Saisonabschluß auf seinem Kennelgelände begrüßen zu dürfen. In den stilvollen Vereinsräumen am Schloß Soundso waren da lauter gestandene und gewesene Jagdreiter beisammen, aber mit ungezwungener Höflichkeit ließ niemand merken, daß wir kleinen Lichter in einer anderen Liga spielten. Allerdings hörten wir auch meist nur zu. Da gab’s Geschichten! Schön war’s.
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Mir aber steckt die Aufregung heute noch in den Knochen. Und schuld, daran führt kein Weg vorbei, war nur Birte! Und die schuldet mir zum Ausgleich heute noch eine Musik-Kür der Klasse S, zu Fuß selbstverständlich, mit den Pflichtteilen Jagdgalopp, Arbeitstölt und Rückwärtsvolte im versammelten Kreuzgalopp.
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Und ich weiß auch, wer dann mitten in der Bahn steht... mit der Longierpitsch!  :P


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 28. September 2021, 21:47:26
Ach Tara, Du hast ein unschlagbares Talent für spannende (Pferde-)geschichten!!! Ich hab die Jugendjagd aufgeregt mitfiebernd genossen :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Quendula am 28. September 2021, 21:55:35
Herrlich :D!
Lieben Dank für die schöne Geschichte :-*.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 28. September 2021, 22:06:49
 :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 29. September 2021, 11:04:05
Ich hab heute Nacht tatsächlich von der Jugendschleppjagd geträumt ;D ;)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 29. September 2021, 12:33:02
Ich hab heute Nacht tatsächlich von der Jugendschleppjagd geträumt ;D ;)

Na, hoffentlich von einem der funktionierenden Aspekte! ;)  ;D ;D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 02. Oktober 2021, 20:57:17
Herrlich, Tara, einfach herrlich! Auch wenn ich von Pferden und Jagden und alldem keine Ahnung habe - aber Du schreibst einfach mitreißend!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 03. Oktober 2021, 12:06:54
Na, das Kompliment kann ich pingpong zurückgeben, Schriftstellerin!  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 03. Oktober 2021, 17:34:59
Danke  :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: nordmay0 am 09. März 2022, 16:51:46
Reiten lernen, mein Traum, ich hoffe er wird bald wahr
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Januar 2023, 18:10:00
Ich war schon am Sonntag aufgeregt: Faschingsdienstag gab’s abends wieder Reiterspiele in der Halle. Es handelte sich zwar nicht um eine offizielle Prüfung, aber hibbelig war ich trotzdem - denn auch wenn es dabei vor allem um den Spaß ging, war es doch ein Wettbewerb, und zwar einer, bei dem ich den nicht immer ganz unarroganten Dressurreitern durchaus mal zeigen konnte, was eine Harke ist!
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Und immerhin hatte man sich zu kostümieren, und dann mußte ich ja erstmal zum Krachten reiten, und ich stünde wie immer unter Zeitdruck, und es würden viele Zuschauer da sein.
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Und vor denen, das war Gesetz, würde ich mich bei der abschließenden „Reise nach Jerusalem“ dann doch noch blamieren, obwohl ich bei Aufgaben wie durch-Luftballons-galoppieren, Besen-Polo und Kartoffellauf meiner Mannschaft sehr nützlich war! Und gar beim „Gegenstand von der Bande holen nach Zeit“!  Während die Dressurreiter vorsichtig schon drei Längen vor der Bande zum Schritt durchparierten, galoppierte ich volle Lotte auf die Wand zu – Ti war ja nicht blöde, der würde natürlich in der letzten Sekunde einen Haken schlagen; es sah schon eindrucksvoll aus.
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Und dann aber, ach, die Reise nach Jerusalem! Bis zum zweiten Platz schaffte ich es fast immer, denn ich war schnell, und mein Pferdchen schien das Spiel zu begreifen und Spaß daran zu haben. Aber zum Schluß dann eierten wir zwei vor aller Augen immer hilflos um die Strohballen herum. Fix genug waren wir, also bin ich offensichtlich ganz einfach zu doof dafür. Ich hatte jetzt schon Herzklopfen.
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Diesmal war alles noch schlimmer als sonst; ich mußte Sonntag und Montag vorarbeiten wie verrückt und mir den Nachmittag frei nehmen - Dienstag! Mein Hauptproduktionstag!
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Und schuld war Anne. Anne letztendlich ist schuld, daß mir das Kuchenproduzieren etwas verleidet wurde. Das sei hier ein für allemal festgehalten!
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Nach den Reiterspielen würde es nämlich im Reiterstübchen diesmal ein Büffet geben. Und dazu mußte jeder etwas beitragen, hatte unsere Casino-Wirtin beschlossen. Das sollte uns im Gemeinschaftsgefühl bestärken! Wo immer sie das gelesen hatte. Mich allerdings bestärkte der schöne Plan nicht im Gemeinschaftsgefühl, sondern vor allem  in der Ansicht, daß Kochen und Backen des Teufels sind.

Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Januar 2023, 18:11:47
Anne wollte Kartoffelsalat. Ich hätte ihr den Gefallen gern getan: Zwar gibt es, so eine der wenigen richtigen Ansichten meines Ex-Mannes, so viele Kartoffelsalat-Rezepte wie deutsche Frauen, und alle sind sie gut. Doch bleibt in aller Bescheidenheit festzuhalten, daß mein Kartoffelsalat einfach der beste ist. Zumindest der beste der westlichen Hemisphäre. Auch wenn mein Bruder meint, seiner sei einen Tick besser. Das kann aber gar nicht sein, weil er keinen Curry dazutut.
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Aber Kartoffelsalat! Montag kam ich nicht vor zwei Uhr früh von der Arbeit nach Hause – wann sollte ich den denn wohl schnippeln?
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Ich schlug die berühmte Fünf-Minuten-Quark-Schoko-Mousse a la Hofgut Appelswerth vor (alle Zutaten in einen Pott, kräftig rühren, Lob von allen Seiten). Anne lehnte ab – für Mousse hatte sich schon jemand eingetragen.
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„Aber nicht für Mousse à la Hofgut Appelswerth“, wandte ich ein.
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„Appelswerth hin, Appelswerth her. Von Mousse wird nach dem dritten Bier bestimmt jemandem schlecht, und ich hab’ keine Lust, in dem Getümmel noch mit Eimer und Schrubber ‘rumzusausen. Kartoffelsalat“, bestimmte Anne kategorisch. „Es sei denn, du hättest Lust, ’nen Kuchen zu backen?“
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Also das war nun wirklich gemein, denn meine Qualitäten als Kuchenbäckerin waren allseitig bekannt, nachdem das letzte Produkt meiner Konditorskunst mir beim Servieren von der Platte gerutscht war und zum allgemeinen Erstaunen, wie ein Gummiball, unversehrt zwei halbmeterhohe Hüpfer getan hatte.
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Anne machte einen Vorschlag zur Güte: „Kuchen brauchen wir noch. Aber du kannst doch so ’nen Fix-und-Easy-Kuchen basteln, Kekse und Kuvertüre in Schichten. Oder Löffelbiskuits und Sahne. Kannst noch ’n bisschen Eierlikör auf die Biskuits geben. Und Marmelade, fertig.“ Das hörte sich nun wirklich so an, als sei es auch von mir zu bewerkstelligen.
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Ich flitzte also mittags in den Supermarkt und kaufte Löffelbiskuits und süße Sahne. Marmelade hatte ich. Eierlikör. Eierlikör! Wo zum Teufel hatte man hier den Eierlikör versteckt! Ich suchte eine ganze Weile, denn wann, bitte, wann braucht der Mensch schon mal Eierlikör? Endlich hatte ich alles beisammen.
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Ich pfefferte die Sachen auf den Küchentisch, bat die Biskuits, sich anständig zu benehmen, und hastete erst mal ins Bad, denn ich hatte noch zwei Ladungen Wäsche zu waschen. Emma hatte sich beim Schleudern in den letzten Wochen fast selbst zum Fenster hinausgeschleudert, doch nach einer größeren – und teuren – Reparatur funktionierte die Waschmaschine seit Freitag wieder, wie es sich gehörte -  dem Miele-Mann sei Dank; man hätte ein Baby darauf schlafen legen können.
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Tatsächlich: Anne hatte recht gehabt. So ein Löffelbiskuit-Kuchen war gar nicht so wahnsinnig schwer. Also schon schwerer als Kartoffelsalat, aber es ging so.  Selbst die Sahne zeigte sich kooperativ. Nachdem ich das ganze mit Schlagsahne verkleidet und mit Marmeladen-Tupfen garniert hatte, sah es wie eine richtige Torte aus.
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Uff!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Januar 2023, 18:14:43
Abwaschen würde ich morgen. Die Torte mußte kühl stehen – also am besten ins Bad damit. Ich stellte die Platte auf den einzig vorhandenen Platz, die Waschmaschine, und Emma, die meine Weißwäsche im Bauch hatte, auf „Schleudern“.
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Das Kostüm fürs Musikreiten am Sonntag war aufwendig gewesen – da war es ja auch um den Kostümpreis gegangen! –, aber heute abend war das Kostüm nicht so wichtig, und ich hatte mir, weil ich ja hatte vorarbeiten müssen, noch nichts zurechtgemacht. Es war gerade eben noch Zeit dazu.
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Ich sortierte die Altkleider aus der Bangladesh-Tüte: Die alten Latzhosen, die konnte ich abschneiden. Links einen weißen Kniestrumpf drunter, rechts einen schwarzen. Zwei alte T-Shirts durchgeschnitten: rechts ein gelber Ärmel, links ein blaugestreifter. Links den schwarzen Turnschuh, rechts den weißen, schon fast fertig.
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Aus Kreppapier bastelte ich mir eine große Fliege und eine ganz große für Tignous. Zwei kleine Papphütchen für Pferd und Reiter und eine Pappnase für mich hatte ich gekauft. Am Schlafzimmerspiegel malte ich mir schnell eine Clownsmaske, setzte Nase und Hütchen auf und band die Fliege um. Hach, fertig.
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Eben da rumpelte es schrecklich. Die ganze Wohnung bebte…!
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Emma!!! Mit einem Sprung war ich an der offenen Badezimmertür, als eben meine kostbare Torte mit einem satten „Platsch“ im Waschbecken landete. Die Sahne spritzte durchs ganze Bad, ein dicker Klecks ließ sich auf meiner Fliege nieder. Emma war sehr lebendig geworden; die Waschmaschine rüttelte und schüttelte wie toll. Von wegen repariert! Mit dem Miele-Fritzen würde ich  morgen ein ernstes Wort reden müssen!
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Aber jetzt hatte ich erst mal andere Sorgen. Traurig windschief lag das Ergebnis meiner hausfraulichen Bemühungen auf der Keramik. Und keine Zeit für einen zweiten Versuch. Zum Glück war wenigstens die Platte heilgeblieben. Ich warf wilde Blicke um mich, als könne ich jeden Moment Publikum bekommen. Keiner da.
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Schnell holte ich meine größten Messer und hebelte den Easy-Fix-Kuchen zurück auf die Tortenplatte. Aber nein - es war zum Weinen. So ging das nicht, das Ding war ja zum Fürchten! Die Torte sah aus wie besoffen. Ach was, ein bißchen mehr Sahne drauf... Aber erst mal mußte sie wieder rund werden. Ich schnippelte hier was ab, klatschte da was dazu.
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Zum Kühlschrank. Zum Glück hatte ich Extra-Sahne gekauft. Wo. War. Die. Sahne!!! Ein Blick zur Uhr, ohweh ohweh, und nochmal den Kühlschrank durchgeschaut: Die Sahne hat sich versteckt, keine Sahne zu finden, keine Zeit mehr. Sahne, verdammt! Frau Eckart mußte Sahne haben. Meine Hauswirtin hatte ja immer den ganzen Keller voller Vorräte...
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Januar 2023, 18:17:45
Ich raste die Treppe hinunter und klingelte Sturm. Die nette Frau Eckart öffnete. Sie lächelte gar nicht, wie sonst immer. Egal!
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Ich schoß zur Tür hinein wie ein Kastenteufel und schob die arme Frau mit der Schulter halb zur Seite, schon auf dem Weg zur Küche: „Frau Eckart, ich hab’ ’nen Unfall gehabt. Ich brauch’ ’nen Viertelliter Sahne. Dringend! Bitte!“ Ich hatte mittelschwere Hysterie in der Stimme und bekam kaum Luft vor Streß.
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Frau Eckart öffnete ihren selbstverständlich blitzsauberen Kühlschrank und überreichte mir, starr auf mein Hütchen blickend, wortlos einen Becher Sahne. „Danke!“
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Schon war ich wieder in meiner Küche, warf das Messer auf den Tisch, schnappte mir die Rührschüssel... Oh nein. Das Messer! Ich hatte das Messer noch in der Hand gehabt! Es war mein größtes Fleischmesser…
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„Löffelbiskuit“, sagte Anne mit Kennerblick, als ich eine Stunde später die Torte überreichte. Sie stellte sie auf den Tisch. „Na also, geht doch. Sag’ ich dir doch, fix und easy! Du hast Sahne auf der Fliege.“
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„Ich hab’ Sahne in der ganzen Wohnung! Easy-Fix! Am Arsch die Räuber! Dafür komm’ ich in den Knast!“ Ich schilderte meinen Überfall, mit Mühe ein Schluchzen unterdrückend.
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Anne rückte etwas von mir ab. „Du meinst, du hast bei der Frau geklingelt...“
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„Wie eine Irre hab’ ich geschellt, ja.“
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„In dem Kostüm – mit Pappnase und allem? Und in der Hand das Fleischmesser? Du siehst eh wie ’ne Irre aus, auch ohne Messer.“
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Mir war ganz schlecht. Ich sah mich deutlich mit Frau Eckarts Augen, ein weiblicher Jack Nicholson. Morgen würde ich mich gewaltig entschuldigen müssen.
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„Ich kann die Polizeimeldung schon lesen“, schnarrte Anne, „Durchgeknallte Redakteurin, als Clown getarnt, bedroht Hauswirtin mit Schlachtermesser und raubt Vorräte.“
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„Wenn du nicht die Idee mit dem Büffet…“ versuchte ich einen zarten Hinweis auf die wirklich schuldige zu geben, doch Anne unterbrach mich: „Also, wenn ich die Frau Eckart wär’, ich würd’ dich vielleicht nicht in den Knast bringen“, beruhigte sie mich großmütig. „Aber in die Klappse ganz bestimmt. Hermann!“
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Hermann inspizierte gerade das Büffet.
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„Hermann! Wenn’s heut’ Nacht an der Hintertür klopft, sind das nur die Typen von der Nervenheilanstalt! Laß’ sie ruhig rein, die kommen nur für Tara.“
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Es ist mir nicht bestimmt, Kuchen zu backen. Ich soll einfach nicht. Auch für diesen sah das Schicksal den Mülleimer vor.
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„Ist gut“, sagte gleichmütig Hermann und drehte sich um, „Irrenwärter für Tara.“
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Mit dem Hintern erwischte er beim Umdrehen die Tortenplatte. Ich schloß die Augen. Sahne spritzte mir ans Kinn. Der einzige Laut war ein rülpsendes „Klatsch“.
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Aber mein Kartoffelsalat ist wirklich gut.  8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Waldschrat am 02. Januar 2023, 19:44:24
 ;D ;D ;D Sehr schön. Ich dachte schon, Du machst garnicht weiter. *lobt*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Rosenfee am 02. Januar 2023, 22:21:04
Ich habe gerade in den letzten Tagen an Deine herrlichen Geschichten gedacht und überlegt, wann wohl was Neues kommt :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Januar 2023, 22:26:46
 :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Schnefrin am 03. Januar 2023, 19:40:11
Danke, Tara! Endlich wieder was vom Pferd!  :-* :-* :-*
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Asinella am 04. Januar 2023, 20:01:55
Ja, das Pferd ist wieder da, der Abend ist gerettet  :D!
Danke für die Geschichten!
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: fips am 04. Januar 2023, 20:09:02

Tara, auch von mir vielen Dank! Ich hatte das Gefühl, ich wäre dabei :-* :D
Einen kurzen Moment dachte ich, Du reitest wieder  ;D 8)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 04. Januar 2023, 20:53:59
Das geht leider schon lange nicht mehr. Aber Pferde sind mir nach wie vor eine große Freude. :)
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: LadyinBlack am 13. Mai 2023, 19:34:32
Tara, leider bin ich eher ein Zahlenmensch . Meine Geschichten möchte keiner hören. :o :D
Dass ich hier trotzdem etwas poste , hat einen aktuellen Anlass. Ich bin beim Stöbern hier im Forum auf das Thema " Hier bin ich zuhause" gestoßen. Nun, mein Zuhause ist dort ,wo meine Pferde sind  :)

Ich bin in Celle aufgewachsen. Celle kannte man für seine Fachwerkhäuser, das OLG und das Landgestüt. Ich musste auf dem Weg zur Klavierstunde immer am Landgestüt vorbei. Tja, Klavier spielen wurde nie meine Leidenschaft , die Pferde sind es bis heute.
Aktuell wohnen hier noch 5 Pferde, die älteste ist gestern gerade 28 geworden.
Mitgebracht habe ich aber Robert, der hier vor 20 Jahren zur Welt kam.
(https://up.picr.de/45647077xh.jpg)

Seine Mutter ist eine Trakehnerstute , die  auf das Hauptgestüt Trakehnen zurückgeht. Sein Vater ein Oldenburger. Gebrannt ist Robert mecklenburgisch.
(https://up.picr.de/45646719oj.jpg)

Also schreib gerne weiter vom Pferd  :)


Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 30. September 2023, 16:59:28
Liebe LadyinBlack, ich habe seit langem immer nur kurz zu den Haustieren geschaut - und eben offensichtlich erstmals seit langem in der Übersicht weiter runtergescrollt als zu "dreimal Flöhen" - und deswegen auch eben erst gesehen, was Du schon im Mai  :-[ :-[ :-[ eingestellt hast. Es tut mir leid, daß ich erst jetzt darauf eingehe!

Roberts Mama ist ja eine sehr sehr hübsche!

28 ist schon ein schönes Alter. 😊

Bei folgendem bin ich mir nicht sicher, ob ich es richtig verstehe:

Zitat
Aktuell wohnen hier noch 5 Pferde … Mitgebracht habe ich aber Robert, der hier vor 20 Jahren zur Welt kam.

Du hast jetzt fünf Pferde? Robert ist einer davon, und den hast Du von Celle an Deinen derzeitigen Wohnort mitgebracht?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: LadyinBlack am 30. September 2023, 20:15:07
Liebe Tara, kein Problem.-  :) Wir Pferdefreunde finden uns immer, egal in welchem Thread :D Und ich bin sehr froh, dass etwa Alstertalflora uns in der "Wolfsrunde" sehr ruhig vertritt. Mein Blut kocht jedenfalls ;D und daher reden ich  lieber hier  vom Pferd.

Aus Celle habe ich zum Studium mein erstes eigenes Pferd, ein ehemaliges Rennpferd, mitgenommen. Mit 16 fragte der Reitstallbesitzer , ob ich die Vollblutstute haben möchte. Angeblich soll ich zu meinem Vater gesagt haben: Entweder zahlst du die monatliche Pension oder ich bringe dich um  :D Ich bezweifele die Version, wir können ihn leider nicht mehr fragen.
Also Pferde haben mein Leben seit etwa dem 8. Lebensjahr begleitet. Ansonsten hast du meine Familie/ meine Herkunft gar nicht so verkehrt beschrieben. Auch wenn ich Portwein nicht so schätze und Loden auch nicht so mein Fall ist  ;D
Die Vollblutstute war ein Jahr älter als ich . Daher trat nach dem Examen eine junge Stute in mein Leben. Auch über GG gab es sehr intensive Kontakte nach Verden, er hat dort als Auktionsreiter in den Semesterferien ausgeholfen. Mein Blick fiel auf eine Halbblutstute, die allerdings keine guten Bilder hatte und auch preislich aus dem Ruder lief. Aber in dem Dunstkreis der Auktion habe ich meine Dubarry gefunden, Hannoveraner Dressurblut und Stammmutter meiner kleinen Pferdezucht, die ich dann später hier in MeckPomm begonnen  habe.
(https://up.picr.de/46409008fj.jpg)

Ganz aktuell von heute Abend ist hier ihre Tochter, mittlerweile 28 Jahre alt , zu sehen. Das kecke Köpfchen dahinter gehört ihrer Tochter.

(https://up.picr.de/46409011tb.jpg)
Eine weitere Enkelin von Dubarry und Robert, der wie üblich seine Nase überall reinstecken muss. Robert ist hier in unserem Stall geboren. Seine Mutter ist eine Art deutsche Kulturgeschichte.Ich schreib dazu noch mal was.

(https://up.picr.de/46409010ws.jpg)
Natürlich prüft Robert auch das Handy

Ansonsten sind die 5 Pferde sichr gut zu erkennen.

(https://up.picr.de/46409009ad.jpg)
Nur Roy Black, genannt Kerli, mittlerweile auch 26 Jahre, haben wir als Hengstanwärter zugekauft.
Dieses Pferd  hätte wohl ein ganz Großer im Dressursport werden können. Und genau deswegen haben wir ihn nie verkauft. Das waren einfach  unbeschreibliche Glücksmomente auf ihm über den Reitplatz schweben zu dürfen :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 30. September 2023, 21:44:35
Kann ich mir denken, auch wenn aus mir kein Dressurreiter wurde.

Jetzt verstehe ich's. Feine Tiere, schöne Koppel! Und die laufen alle als Mecklenburger?
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: LadyinBlack am 01. Oktober 2023, 19:25:31
Ja , alle sind mecklenburgisch gebrannt. Drin ist natürlich ein europäisches Sportpferd ;D Aber in einem so kleinen Zuchtverband sollten aus meiner Sicht alle zusammenhalten , auch wenn gerade bei den Dressurpferden der hiesige Brand nicht unbedingt verkaufsfördernd ist. Bei den Springpferden sieht es anders aus.
Nach der Wende gab es hier natürlich auch eine Suche nach Orientierung. Bei Robert etwa, Mutter Trakehner und Vater Oldenburger , wurde überprüft , ob er zumindest einen Mindestanteil Hannoveraner Blut enthält. Hat er, sonst wäre er aber als Zuchtversuch auch ein Mecklenburger geworden. :D
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: LadyinBlack am 01. Oktober 2023, 19:30:36
Zitat von: Tara
Roberts Mama ist ja eine sehr sehr hübsche!

Ja, Hauptgestüt Trakehnen grüßt. Seine Mutter wurde 1990 hier im Gestüt Ganschow geboren. Sie trägt bereits wieder die Elchschaufel, das alte Brandeisen wurde sofort Anfang 1990 wieder vorgeholt.
Titel: Re: Was vom Pferd
Beitrag von: Tara am 02. Oktober 2023, 21:36:59
Ja. Unser Trakehner hatte noch den "Honecker-Brand".