"Wandern in der Normallandschaft" ist was tolles, Rosenfee. :) Wir lernen das immer mehr zu schätzen. Die Bremer Gegend lockt vielleicht nicht auf den ersten Blick aus der Ferne, aber das Entdecken kleiner und größerer Besonderheiten im Alltäglichen macht es ganz sicher auch dort spannend.
Spatenpaulchen, schon immer wollte ich mal den Eisgang auf der Oder sehen - wieder verpasst. Mist!
"Geh aus mein Herz und suche Freud" war das passende Lied zur heutigen Wanderung. Der Bewohner der Landeshauptstadt steigt zusammen mit höchstens ein oder zwei weiteren Fahrgästen in die frühmorgendliche Regionalbahn zum Großflughafen. Wie zur Belohnung wird man erst weit nach Süden in die endlosen Wälder der Beelitzer Heide verfrachtet und wendet dann im scharfen Looping nach Norden und Osten in Richtung Schönefeld. Wer dort aber gar nicht fliegen will und sitzen bleibt, gelangt wenig später zur Endstation im schönen Städtchen Königs Wusterhausen.
Vom Bahnhof sind wir mit wenigen Schritten über den Nottekanal im Park und stehen vor dem
Schloss. Älter als die bekannteren friederizianischen Bauten in und um Berlin und doch geschichtsträchtig. Ich hab´s vergessen, Fotos zu machen. Aufgefallen sind uns die zwei
Fensterchen im Giebelturm, die vermutlich ein Architekten-Spiel mit Perspektiven und optischer Täuschung sind. Weiß jemand, was genau dahinter steckt? Ich konnte es nicht herausfinden.
Der durch den Schlosspark laufende Nottekanal führt als grüne Achse nach Südwesten aus der Stadt. Schwäne balgen sich um Revier oder Partner. Mindestens hier hat ein Eisvogel die Kälte überlebt. Wir stellen fest, dass wir auf dem
Paul-Gerhardt-Weg unterwegs sind. Er verbindet die drei wichtigsten Wirkungsstätten des Kirchenlieddichters und führt von Berlins Mitte über Mittenwalde nach Lübben.

Wir hatten uns eine "landesgeschichtliche Perle" in den Weg gefädelt. Das Dorf Diepensee ist beim Bau des neuen BER-Großflughafens 10 km nach Süden verrutscht. Der erst nach 1945 vom Vorwerk zum Neubauerndorf gewachsene Ort wurde für die Betroffenen zu gleichen Bedingungen wieder aufgebaut, heißt auch Diepensee, nicht etwa Neu-Diepensee.
(Das Schleifen des Dorfes, an dessen Stelle jetzt Terminal und südliche Startbahn liegen, war für die Archäologen eine einmalige Gelegenheit. Neben einer
mittelalterlichen, später wüst gefallenen Dorfanlage konnte der komplette, mittelalterliche Friedhof mit mehreren hundert Bestattungen geborgen werden. Außerdem wurden noch ältere Reste der
slawischen Vorgängersiedlung belegt. Nun gibt es also nicht mehr nur "die" aus mageren Quellen zusammengestoppelte Geschichte von Diepensee, sondern es wurde buchstäblich "das" ganze Geschichte feinsäuberlich abgetragen, freigepinselt und -gepustet.)

Hinter dem Dorf, nördlich von Deutsch Wusterhausen, liegen die südlichsten Teile der ehemaligen Berliner Rieselfelder. Auf der Höhe singt für uns am letzten Februartag
Paul Gerhardts Lerche vom hohen Himmel (... für Euch ersatzweise der MDR-Rundfunkchor, in einer zauberhaften, coronazeitlichen "Homeoffice-Einspielung".) Eine wundervolle Gegend mit letzten Resten der alten Einlaufbauwerke, Hecken, Wällen, Rainen und weitem Blick. Feldwege mit mächtigen Alleen. Goldammern in den Sträuchern, sonst Einsamkeit und Ruhe - wäre da nicht das brandungsähnliche Rauschen zweier Autobahnen. Die Morgensonne schwindet. Von Norden zieht es rasch heran und hüllt die Landschaft in grauen Dunst.


Wir überlaufen und umlaufen A10, A13 und das Schönefelder Kreuz auf Feldwegen und Pflasterstraßen und kommen in die weiten Felder vor Rotberg.

Die lehmig-sandigen Grundmoränenböden des Teltow sind vergleichsweise fruchtbar. Es wird durchgeackert, bis zum Horizont. Rotberg hieß bis 1938 Rotzis. Viele Dörfer in den trockenen Ackerplatten liegen an kleinen, eingesenkten Wiesengründen mit Erlenreihen, die über Gräben und kleine Bäche in die großen Schmelzwassertäler entwässern. Die Rotberger Kirche hat keinen Turm, nur einen kleinen Glockenstuhl auf dem Westgiebel.

Wenig nördlich lenkt uns der Zaun des Flufhafens nach Westen, zum Dörfchen Glasow. Letzte Rast am Kirchhof und zwei Busse bringen uns wieder in einer guten Stunde nach Hause. Vom zweiten Bus nicht ganz warm gehalten geht´s ran an die Buletten. Die stehen nach einer weiteren knappen Stunde dampfend und duftend samt Kartoffeln und heißer Butter auf dem Tisch.

