Seite 3 von 3

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:07
von lerchenzorn
Erinnert unwillkürlich an die in Zentralanatolien endemische [URL=https://www.google.de/search?q=centaurea+tchihatcheffii&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=1ZTq9raqxX5NtM%253A%252CBOAi5bJj_7dq0M%252C_&usg=__DflO-EhsJ4UadksM8Z6x6rXWzc4%3D&sa=X&ved=0ahUKEwil0ZjisO7ZAhUD3iwKHW-sAE4Q_h0IjAEwDg#imgrc=1ZTq9raqxX5NtM:]Cyanus (Centaurea) tchihatcheffii[/url]. Warum die aber ausgerechnet in Mitteleuropa als Vorlage für ein Kirchenbild gedient haben soll, wüsste ich nicht. (Ich weiß nicht, ob es in Vorderasien weitere, ähnlich leuchtend rote Korn- und Flockenblumen gibt.)

Vielleicht müsste man zeitlich passende Bilddokumente aus dieser Region nach Kleidungsornamenten durchsehen.

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:15
von RosaRot
In der mittelalterlichen Ikonografie spielen(bestimmte)Pflanzen eine große Rolle als allegorische Symbole für dahinter verborgene Geschehnisse.
In Bezug auf die Passionsgeschichte käme eine Anemone in Frage.
Der Untermhäuser Altar ist ein Marienaltar, die verwendete Symbolik nimmt Bezug auf Maria. In Passionsdarstellungen ist sie ein Hinweis auf die "sieben Schmerzen Mariä", die Blütenblätter sind rot von Christi Blut.: entsprechend der Legende wuchsen Anemonen am Abend des Karfreitages auf dem Kalvarienberg.
Interessant ist, das auf dem Kleid des Herodes auch Ähren erscheinen, Ähren sind ein Symbol der Erlösung und werden im Zusammenhang mit "Christus als Schmerzensmann" verwendet.
Auch Mohn gilt als ein Symbol der Passion Christi(wegen der roten Blütenfarbe.)

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:19
von lerchenzorn
Interessante Bezüge.
An Anemone coronaria dachte ich nur wegen ihrer Allgegenwärtigkeit auch, bevor ich das Bild gesehen hatte. Sie hat aber nie gefranste oder zerschlitzte Blütenblätter. (Man darf die Bilder aber sicher nicht zu streng interpretieren.)

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:23
von oile
RosaRot hat geschrieben: 15. Mär 2018, 14:15
In der mittelalterlichen Ikonografie spielen(bestimmte)Pflanzen eine große Rolle als allegorische Symbole für dahinter verborgene Geschehnisse.
In Bezug auf die Passionsgeschichte käme eine Anemone in Frage.
Der Untermhäuser Altar ist ein Marienaltar, die verwendete Symbolik nimmt Bezug auf Maria. In Passionsdarstellungen ist sie ein Hinweis auf die "sieben Schmerzen Mariä", die Blütenblätter sind rot von Christi Blut.: entsprechend der Legende wuchsen Anemonen am Abend des Karfreitages auf dem Kalvarienberg.
Interessant ist, das auf dem Kleid des Herodes auch Ähren erscheinen, Ähren sind ein Symbol der Erlösung und werden im Zusammenhang mit "Christus als Schmerzensmann" verwendet.
Auch Mohn gilt als ein Symbol der Passion Christi(wegen der roten Blütenfarbe.)


@ RosaRot, aber mir leuchtet nicht ein, warum Symbole der Passion auf dem Gewand von Herodes (= Mörder) erscheinen sollen. Gleiches gilt für die Ähren. Irgendetwas stimmt da nicht.

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:25
von oile
lerchenzorn hat geschrieben: 15. Mär 2018, 14:19
Interessante Bezüge.
An Anemone coronaria dachte ich nur wegen ihrer Allgegenwärtigkeit auch, bevor ich das Bild gesehen hatte. Sie hat aber nie gefranste oder zerschlitzte Blütenblätter. (Man darf die Bilder aber sicher nicht zu streng interpretieren.)


Zunächst würde ich die Darstellungen schon ernst nehmen. Sowohl die gefransten Blütenblätter also auch die gelbe Blütenmitte passen nicht zu Anemone coronaria.

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:25
von RosaRot
Nein, zu enge Interpretation ist nicht angebracht. Die Darstellungen wurden im Allgemeinen stilisiert und oft aus Musterbüchern entnommen, was nicht ausschließt, dass es berühmte Darstellungen gibt, auf denen die Pflanzen ganz naturgetreu dargestellt sind.

(Ein weiterer Punkt, der auch immer zu beachten ist und sich nach einem Foto nicht so recht erschließt, ist, ob die gezeigte Pflanzendarstellung tatsächlich der Zeit entstammt oder evtl. eine spätere Zutat ist. Am Original würde der Fachmann dies sehen.)

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:30
von Callis
Kasbek hat geschrieben: 15. Mär 2018, 12:54
Gleich eine neue Frage/Mitdenkbitte. Schaut Euch bitte mal das unter folgendem Link liegende Bild an:
https://photos.google.com/share/AF1QipMx_Kb6PLKTGN47E_0eoQqLsVCqQujZvZokBVT9EBfD1VqaycqbkF7SprXN5jXFdw/photo/AF1QipPsbXO-pETIZ_ITHjrIwFEp_NHnYwf64WoLkdM4?key=cXNDRXoydzRyTFBjWFI5S1VCSEltWHV6dUd6SjdR
Das ist ein Ausschnitt aus einem Altarbild einer Kirche in Gera; er zeigt Herodes, wie dieser gerade den Kindermord zu Bethlehem anordnet. Der Altar und seine Bilder werden entweder auf 1443 (ein angebliches Weihedatum in der Überlieferung) oder um 1500 (von einer Kunsthistorikerin anhand stilkundlicher Überlegungen) datiert. In einer Betrachtung der Bilder ist folgender Satz niedergeschrieben:
„Herodes ist in Palastkleidung abgebildet mit einem Gewand, das ein botanisches Muster, vermutlich Passionsblumen, zeigt.“ Dazu kommt eine Fußnote, die besagt: „Die an eine Kreuzform erinnernden Staubgefäße fehlen jedoch.“
Ich halte die Passionsblumen-Deutung für zweifelhaft, denn die Gattung Passiflora kommt nahezu ausschließlich in Amerika, fokussiert in Mittel- und Südamerika vor (mit einigen wenigen Ausnahmen in Australien und Südostasien), kann also vor 1492 in Europa eigentlich nicht bekannt gewesen sein. ...

Ich denke, dass da das Bedürfnis der Kunsthistorikerin nach symbolischer (ikonografischer) Überhöhung der dargestellten Blüten mit ihr durchgegangen ist. Natürlich war Herodes für die „Passion“ sehr vieler unschuldiger Kinder unter 2 Jahren und das Leid der Eltern verantwortlich, von der allerdings das Jesuskind zu diesem Zeitpunkt noch (nach Warnung durch einen Engel im Traum des Joseph) durch rechtzeitige Flucht mit Maria und Joseph ausgenommen wurde, da der erwachsene Jesus für die spätere Kreuzespassion ausersehen war.

Die gemalten roten Blüten sind sicher von der Form her keine Passionsblumenblüten. Auch das Laub passt nicht dazu.
Dekorativ ist beides allemal, aber die Genauigkeit der Pflanzendarstellung, wie man sie in der Spätgotik z.B. schon bei der Madonna im Rosenhag – einmal von Lochner und einmal von Schongauer - findet, ist hier nicht gegeben.


Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:31
von RosaRot
oile hat geschrieben: 15. Mär 2018, 14:23
@ RosaRot, aber mir leuchtet nicht ein, warum Symbole der Passion auf dem Gewand von Herodes (= Mörder) erscheinen sollen. Gleiches gilt für die Ähren. Irgendetwas stimmt da nicht.


Ja, ich finde die Darstellung auch merkwürdig und etwas unverhältnismäßig grob. Auf sämtlichen anderen Gewändern auf den Altarbildern finden sich keine Blumendekorationen. Deswegen hätte ich gern ein besseres Foto oder das Original vor Augen, dann könnte man einordnen, wann dies Ornamente gemalt wurden(zur Entstehungszeit, also Mitte 15. Jh.) oder später(warum auch immer).

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 14:45
von Kasbek
Callis hat geschrieben: 15. Mär 2018, 14:30
Kasbek hat geschrieben: 15. Mär 2018, 12:54
Gleich eine neue Frage/Mitdenkbitte. Schaut Euch bitte mal das unter folgendem Link liegende Bild an:
https://photos.google.com/share/AF1QipMx_Kb6PLKTGN47E_0eoQqLsVCqQujZvZokBVT9EBfD1VqaycqbkF7SprXN5jXFdw/photo/AF1QipPsbXO-pETIZ_ITHjrIwFEp_NHnYwf64WoLkdM4?key=cXNDRXoydzRyTFBjWFI5S1VCSEltWHV6dUd6SjdR
Das ist ein Ausschnitt aus einem Altarbild einer Kirche in Gera; er zeigt Herodes, wie dieser gerade den Kindermord zu Bethlehem anordnet. Der Altar und seine Bilder werden entweder auf 1443 (ein angebliches Weihedatum in der Überlieferung) oder um 1500 (von einer Kunsthistorikerin anhand stilkundlicher Überlegungen) datiert. In einer Betrachtung der Bilder ist folgender Satz niedergeschrieben:
„Herodes ist in Palastkleidung abgebildet mit einem Gewand, das ein botanisches Muster, vermutlich Passionsblumen, zeigt.“ Dazu kommt eine Fußnote, die besagt: „Die an eine Kreuzform erinnernden Staubgefäße fehlen jedoch.“
Ich halte die Passionsblumen-Deutung für zweifelhaft, denn die Gattung Passiflora kommt nahezu ausschließlich in Amerika, fokussiert in Mittel- und Südamerika vor (mit einigen wenigen Ausnahmen in Australien und Südostasien), kann also vor 1492 in Europa eigentlich nicht bekannt gewesen sein. ...

Ich denke, dass da das Bedürfnis der Kunsthistorikerin nach symbolischer (ikonografischer) Überhöhung der dargestellten Blüten mit ihr durchgegangen ist.


Sorry, das hatte ich nicht ganz eindeutig formuliert :-[ : Die besagte Kunsthistorikerin, von der die Datierung stammt, ist nicht die Person, von der der besagte Passionsblumen-Satz stammt.

An einen Korbblütler hatte ich auch gedacht, aber diese quasi doppelte optische Schlitzung der Blütenblätter (einmal bis zum Kelch hinunter und dann nochmal an der Außenseite) glaube ich irgendwo schon mal in ähnlicher Form gesehen zu haben. Mir fällt nur nicht mehr ein, wo.

Über eine spätere Zutat oder Übermalung habe ich nirgendwo eine Info gefunden, also bleibt erstmal die Vermutung, daß es Originalbestand aus der Entstehungszeit ist. Der Entstehungsort ist noch nicht eindeutig nachgewiesen, als am wahrscheinlichsten gelten die großen Werkstätten jener Zeit in Erfurt, Jena, Saalfeld oder im Vogtland. Wenn man also ein konkretes Pflanzenvorbild außerhalb von Musterbüchern oder anderweitigen Vorlagen annähme, so müßte es irgendwo in diesem Raum anzusiedeln sein.

Hier mal noch ein Bild von der gesamten Szene (Vorsicht, explizite Gewaltdarstellung!):
https://photos.google.com/share/AF1QipMx_Kb6PLKTGN47E_0eoQqLsVCqQujZvZokBVT9EBfD1VqaycqbkF7SprXN5jXFdw/photo/AF1QipMpCUVGalb_jaQttAL3Gub5VKQH4wY8yQhyfeC0?key=cXNDRXoydzRyTFBjWFI5S1VCSEltWHV6dUd6SjdR

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 15:00
von RosaRot
Doch natürlich gibt es einen Zusammenhang. Dargestellt ist ja hier der betlehemitische Kindermord. Jesus ist diesem entgangen durch die Flucht seiner Eltern. Später wird er durch einen anderen Herodes (zur Unterscheidung bisweilen als Herodes Antipas bezeichnet), den Tetrarchen von Galiläa und also für die Gerichtsbarkeit zuständig, an Pilatus zurück überstellt, der das Urteil spricht und vollziehen lässt. Beide Herodes sind also in einem verwobenen bzw. tatsächlichen Sinn für die Passion mitverantwortlich. Der erste Herodes ist sozusagen"der Vorläufer". Die Blumen auf seinem Gewand deuten auf den zweiten. Die Vorher/Nachher -Prinzip als Vorlage für die Verwendung von Symbolen/Allegoreien/ Sprüchen etc. findet sich häufig. Für uns ist es schwierig sich in diese Darstellungsweise hineinzudenken, da uns die Symbole nicht mehr geläufig sind, den mittelalterlichen Betrachtern schon.

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 15:05
von RosaRot
Solche ähnlichen Blumenmotive finden sich immer mal wieder als schabloniertes Muster auf den roten Rahmen von Flügelaltären dieser Zeit(15.Jh.)

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 15:23
von oile
Ich bleibe dabei: auf dem Gewand von Herodes hat weder Passions- noch Erlösungssymbolik etwas zu suchen. Ich kenne diese Art von Symbolik nur so, dass sie auf die Petson selbst hinweist. Weder erleidet Herodes Schmerzen, noch ist mir eine besondere Erlösungsgeschichte in Bezug auf ihn bekannt.

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 15:56
von Gartenplaner
Auch ohne Farblehre schon Rot-Grün-Komplementärkontrast :o

Re: Reine Phantasie oder konkretes Pflanzenvorbild?

Verfasst: 15. Mär 2018, 16:13
von Zwiebeltom
Mir fallen bei den roten Blüten (die wirklich merkwürdig grob gemalt sind) noch Nelkenblüten (die haben oft diesen eingeschnittenen Rand) oder Malven (die gewellten Ränder könnten von einem mäßig talentierten Maler schon wie auf dem Gemälde dargestellt werden) ein.

Ich tippe auch darauf, dass die Blüten keine tiefere Bedeutung haben und einfach exotisch-dekorativ wirken sollten. Bezeichnend ist doch, dass keine einzige Blüte komplett zu sehen ist, sondern alle durch den Rand des Gewandes oder dessen Falten angeschnitten sind. Dabei ist auf dem Gewand genug Platz, um eine Blüte die wirklich Bedeutung haben soll, auch erkennbar und vollständig abzubilden.