Kamillenteer als universeller Schutz
Verfasst: 1. Apr 2008, 08:36
Ein häufiges Problem bei der Aussaat empfindlicher Blumen- und Gemüsesamen ist die Infektion des Keimlings durch Bakterien oder pathogene Pilze. Die bekannteste Auswirkung ist die sogenannte 'Umfallkrankheit, bei der sich meist zunächst eine Einschnürung am Stengel zeigt, die Pflanze knickt dort ab ('fällt um') und verdorrt.Im Konventionellen Gartenbau wird daher das Saatgut meist mit Chemikalien behandelt (gebeizt). Für den biologischen Anbau stellt das natürlich keine Option dar, es besteht daher eine große Nachfrage nach alternativen Behandlungen. Ein Hausmittel ist Kamillentee. Die darin enthaltenen ätherischen Öle wirken leicht desinfizierend. Oft jedoch reicht die Wirkung nicht aus. Die ätherischen Öle verflüchtigen sich schnell, und andere Inhaltsstoffe des Tees schimmeln sogar mit der Zeit. Gesucht wird daher ein Naturprodukt, das einen etwas länger wirkenden Schutz ergibt.Wie so oft wird man auf der Suche nach praktischen Methoden abseits von eingefahrenen Denkweisen im Osten fündig: Wir haben uns auf ein altes ukrainisches Rezept besonnen: Kamillenteer. Dabei handelt es sich im wesentlichen um z.T. denaturierte, in schwerflüchtige Formen überführte Wirkstoffe aus verschiedenen Kamillenspezies. Teer wurde und wird auch in der Medizin eingesetzt, z.B. als Teersalbe: http://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20070613222538AAouYVK&show=7Für die Anwendung im Gemüsebau ist jedoch nicht jeder Teer geeignet: in vielen Teeren sind wuchshemmende Stoffe enthalten, manche würden die Keimung ganz verhindern oder gar Pflanzen im Wachstum eingehen lassen. Die bekannte Milde der Kamille findet sich dagegen auch in ihrem Teer wieder.Gesammelt wird zunächst ein guter Arm voll Kamillenkraut, welches einen Gutteil Blüten enthalten sollte. Man lässt es zunächst einige Tage lang trocknen, Masse und Volumen nehmen dabei bereits deutlich ab. Durch Stampfen, z.B. mit einem Holzstampfer, verringert sich das Volumen weiter, es sollte sich jetzt um zwei bis fünf Liter Trockenmasse handeln. Das ist der Ausgangsstoff für die Verteerung. Nicht nur aus Kostengründen sammelt man die Kamille am besten selbst: in Importen aus Ägypten oder dem ehemaligen Jugoslawien wurden in der Vergangenheit Schwermetalle gefunden. http://www.heilpflanzen-welt.de/kraeutergarten/2003-11b-wunderheiler-kamille.htmStandardisierte Verfahren zur Kamillenteerherstellung gibt es noch nicht. Zur 'normalen' Teerherstellung und zum prinzipiellen Verfahren kann man hier etwas nachlesen: http://www.dueppel.de/index.php?id=62. Das ist jedoch für den Haushaltsmaßstab inpraktikabel, man wird andere Verahren finden müssen. Traditionell werden die zerbröselten Kamillenpflanzen mit unreifen Kiefernzapfen, je nach Region auch mit Fichtenzweigen oder Wacholder im Verhältnis 3:1 vermischt. Manche geben auch noch ein halbes Glas Honig, vorzugsweise von aromatischen Kräutern (Thymianhonig, Lavendelhonig) hinzu. Das ganze wird in einem großen Topf bei hoher Hitze einige Zeit verkokelt, der entstehende Qualm wird über ein Loch im Deckel durch ein kurzes (ca. 30 cm langes) Kupferrohr abgeleitet. Der Teer kondensiert darin und tropft in eine Tasse daneben. Die Ausbeute ist gering, sie lässt sich stark verbessern, wenn man ein Gefäß mit konischem Boden verwendet (z.B. einen Wok) und den Kamillenteer über in Loch an der tiefsten Stelle abzieht.In der rustikaleren Variante geschieht die Verteerung im Ofen, der Teer wird am Ende von den Wänden gekratzt. Hierzulande versucht man das Verfahren durch die Verwendung von Glaskolben und Destillierkolonne zu professionalisieren, Leute mit Elektroherd werden aber besser bei Metalltöpfen bleiben. (Achtung: keine Antihaftbeschichtung, Emaille dagegen ist gut geeignet.)Je nach Herstellungsverfahren und nach Routine des Teerkochers kann das Produkt sehr unterschiedlich ausfallen. Meist wird es sich um eine braunschwarze Masse von honigartiger Konsistenz handeln. Von hellbraun zu tiefschwarz und von ölig-viskos bis zu praktisch fest wie Asphaltbrocken kann alles vorkommen. Ebenso unterschiedlich ist die Weiterverarbeitung: natürlich lassen sich asphaltartig-feste Brocken weder auf das Saatgut noch auf Pflanzen streichen. Außerdem ist die Ausbeute bei der Herstellung gering und der Kamillenteer daher entsprechend wertvoll. Man wird ihn also eher nicht zu dick auftragen wollen. Durch vorsichtiges Erwärmen und verdünnen mit Sesamöl wird es besser handhabbar. Teer kann die Feuchtigkeitsaufnahme von Samen erheblich behindern. Aus diesem Grund wird das Saatgut zunächst in Wasser eingeweicht, kurz abgetrocknet und dann erst geteert. Interessanterweise ist aber auch gar keine lückenlose Teerung notwendig, denn Kamillenteer wirkt wie ein "Depot-Kamillentee". Im feuchten Substrat werden ständig geringe Mengen an Wirkstoff herausgelöst und in der Umgebung verteilt. Vermutlich beruht darauf auch die äußerst positive Wirkung von Kamillenteer auf die Widerstandsfähigkeit von Gemüsepflanzen gegen Pilzkrankheiten: wird der Stengel regelmäßig frisch geteert, so kann die Pflanze ständig Wirkstoffe aus diesem 'Depot' aufnehmen. Wir werden dieses Jahr die Wirkung gegen Braunfäule testen. Ein besonderer Kniff: einige Bauern in Weißrussland mischen einen kleine Anteil Honig angeblich erst am Schluss in den fertigen Teer. So erhöht sich die Löslichkeit und Atmungsaktivität der Beschichtung.Neben Saatgut profitieren auch Zwiebeln von einer Teerung:
Diese junge Tomatepflanze hat gerade ihre erste Schicht Kamillenteer auf den Stengel bekommen. Eine erneute Anwendung wird erst wieder im Juni nötig sein und dann aufgrund des hohen Befallsdrucks durch Braunfäule alle drei bis vier Wochen wiederholt werden:
Hier nochmal eine größere Aufnahme. Es handelte sich um eine sehr niedrig viskose Zubereitung. Das ganze ist noch in der Erprobung und wird noch einige Übung erfordern. Wie man sieht wurden die Keimblätter mitgeteert, was aber nichts ausmacht, da die Pflanze bereits mehrere adulte Blätter besitzt:
Auch wenn die ersten Versuche noch etwas unbeholfen sind und noch einige Übung und Verbesserung benötigen werden, ich hoffe, der eine oder andere kann von dem neuen Hilfsmittel Kamillenteer profitieren.Viele Grüße,Robert