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"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 15:59
von Albizia
Gestern war ich auf der Freundschaftinsel in Potsdam und habe viele Foerster-Phloxe fotografiert.
(Fotos kommen später in einem anderen Thread.)Auf einer Informationstafel fand ich Hinweise über die damals von Foerster gezüchteten Stauden. Diese zeichnen sich laut Infotafel
..durch Schönheit, lange Blühdauer, Widerstandfähigkeit, Standfestigkeit bei Wind und Regen aus. Bei einzelnen Sorten ist die genetische Kraft heute verbraucht, aber eine Vielzahl von Sorten gehört immer noch zu den Eckpfeilern der jeweiligen Sortimente.
In dem Zusammenhang fragte ich mich, was denn ganz allgemein ohne den Bezug auf Foerster die genetische Kraft bei Pflanzen sei und vor allem, wie sich diese bei Sorten "verbraucht"?

Deshalb hier die Frage ans Forum:Muß ich mir den "Verbrauch der genetischen Kraft" so vorstellen, daß z.B. eine alte mehltaufreie Phlox-Sorte nach Jahrzehnten der vegetativen Vermehrung eben nun doch Mehltau bekommt oder ein früher sich als standfest erwiesener Rittersporn nun kippt und gestützt werden muß?
(Was ja letztendlich auch bedeuten könnte, daß diese Pflanzen als Elternteil für eine neu zu züchtende Sorte nicht mehr so unbedingt gut geeignet wären.)Oder ist mit dem Verbrauch der Kraft etwas ganz anderes gemeint?Wer klärt mich denn mal auf?
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 16:26
von Staudo
Diese Formulierung ist meiner Meinung nach Unsinn. Über Jahrzehnte vegetativ vermehrte Pflanzenklone verlieren mitunter ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und büßen an Vitalität ein. Das liegt vor allem daran, dass bestimmte Stämme von Pilzen, Bakterien, Viren u.ä.die Resistenz dieses eines Klones durchbrechen und aus der ehemals so kräftig wachsenden Sorte ein Verreckerle machen. Das muss aber nicht unbedingt sein. Manche jahrzehntealte Sorte ist gesund und vital wie am ersten Tag. Die Staudensichtung bringt es an den Tag. Übrigens lassen sich alte Sorten im Labor „säubern“, also frei von latent vorhandenen Krankheitserregern machen. Diese sauberen Pflanzen wachsen dann überdurchschnittlich gut.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 16:41
von rubin
Es geht hier um Genetik und Umwelt.Organismen haben sich in ihrer Entwicklungsgeschichte über 100 tausende oder Millionen Jahre an ihre Umwelt angepasst und Strategien entwickelt um sich zu ernähren, Fort zu pflanzen und zu überleben.Dabei entstehen immer neue Anpassungen oder Änderungen im Erbgut.Das kann sprunghaft erfolgen oder über einen langen Zeitraum.Kann sich ein Organismus nicht mehr an veränderte Lebensbedingungen anpassen, verschwindet dieser Organismus. Er stirbt aus.Der Mensch hat nun diesen Zeitraum durch Zucht verkürzt.Der Mensch hat durch Selektion von Eigenschaften der Organismen, an denen dem Menschen gelegen war, verstärkt.
Bei einzelnen Sorten ist die genetische Kraft heute verbraucht,
.. völliger Blödsinn Diese Beschreibung ist fern von wissenschaftlichem Verständnis und stammt eher aus populärwissenschaftlichen-religiösen WerkenDiese Pflanzen werden wohl eher über die Jahre verschiedene genetische Veränderungen erfahren haben, in denen die ursprünglichen Eigenschaften der Pflanze verschwunden oder verändert wurden.Selektion ist hier das Stichwort.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 16:44
von Staudo
Die Selektion geht eher anders vonstatten. Sorten, deren Vitalität unbefriedigend war oder geworden ist, lassen sich schlechter vermehren und verschwinden über kurz oder lang von ganz allein aus den Angebotslisten. Übrig bleiben die Harten.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 17:06
von Günther
Auch die generative Vermehrung von Pflanzen geschieht meist über Inzucht - mit allen Vor- und, oft mehr noch, Nachteilen.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 17:10
von oile
Naja, zumindest bei Gehölzen gibt es das Phänomen der Alterung. Hatten wir das nicht hier mal diskutiert? Diese Alterung macht sich z.B. bei der Stecklingsvermehrung bemerkbar. Warum soll es das bei Stauden nicht auch geben?
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 17:20
von Irisfool
Ich habe mir darüber zufällig gestern Gedanken gemacht, als ich meine Tomatenpflanzen ansah. Irgendwie haben die dieses Jahr viel weniger Blütenansätze, sind aber so hoch und gesund wie jedes Jahr und bekommen dieselbe Behandlung. Allerdings nehme ich jedes Jahr Samen von den neuen Pflanzen. Meine Überlegung war nun tatsächlich, ob es damit etwas zu tun haben könnte

oder ob ich da völlig falsch liege.

Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 18:48
von Staudo
Auch die generative Vermehrung von Pflanzen geschieht meist über Inzucht
Das ist Unsinn. In der Züchtung werden für die Hybridzüchtung Inzuchtlinien geschaffen. Das allermeiste, was frei abblüht, hat zumindest die Chance einer Fremdbestäubung.Oile: Ja, diese Alterung gibt es bei Stauden auch. Sämlinge müssen erste ein gewisses Alter haben, bevor sie Blüten bilden. Stecklinge in „Sämlingsgröße“ können sehr wohl blühen. Mit dem Abbau einer alten Staudensorte hat das aber nichts zu tun.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 19:18
von Günther
Auch die generative Vermehrung von Pflanzen geschieht meist über Inzucht
Das ist Unsinn. In der Züchtung werden für die Hybridzüchtung
Inzuchtlinien geschaffen.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 19:53
von Staudo
Die Hybridzüchtung unter kontrollierten Bedingungen ist ein absoluter, menschgemachter Ausnahmefall und keinesfalls die Regel bei der generativen Vermehrung.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 20:10
von rubin
Die Selektion geht eher anders vonstatten. Sorten, deren Vitalität unbefriedigend war oder geworden ist, lassen sich schlechter vermehren und verschwinden über kurz oder lang von ganz allein aus den Angebotslisten.
negative Selektion
Übrig bleiben die Harten
positive Selektion, aber beides Selektion :-)
Auch die generative Vermehrung von Pflanzen geschieht meist über Inzucht - mit allen Vor- und, oft mehr noch, Nachteilen.
Verminderung des Genpools innerhalb der Population und damit der Verlust, auf veränderte Umwelteinflüsse zu reagieren, also Fitnessverlust.. Ausnahmen gibt es auch..
Ich habe mir darüber zufällig gestern Gedanken gemacht, als ich meine Tomatenpflanzen ansah.
vlt unbewust auf geringen Blütenansatz selektiert? Fitnessverlust?
Das ist Unsinn. In der Züchtung werden für die Hybridzüchtung Inzuchtlinien geschaffen.
jain, der Heterosis-Effekt wird in der Zucht häufig eingesetzt. das sind dann die F1 Pflanzen, Tiere ,
Die Hybridzüchtung unter kontrollierten Bedingungen ist ein absoluter, menschgemachter Ausnahmefall und keinesfalls die Regel bei der generativen Vermehrung.
genau... aberIn der industriellen Pflanzenzucht und Tierzucht ist das die Regel.Heterosiseffekt macht dicke Schweine, viel Milch und Riesengurken oder Tomaten u.s.w
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 21:21
von Albizia
Diese Formulierung ist meiner Meinung nach Unsinn. Über Jahrzehnte vegetativ vermehrte Pflanzenklone verlieren mitunter ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und büßen an Vitalität ein. Das liegt vor allem daran, dass bestimmte Stämme von Pilzen, Bakterien, Viren u.ä.die Resistenz dieses eines Klones durchbrechen und aus der ehemals so kräftig wachsenden Sorte ein Verreckerle machen.
Ah, danke für die Erklärung.Dann ist es also doch das, was ich mir darunter vorgestellt hatte, aber ich wußte nicht, wieso und wodurch diverse Pflanzen z.B. ihre Widerstandsfähigkeiten gegen bestimmte Krankheitserreger verlieren.Ich fand die Formulierung "die genetische Kraft ist verbraucht" ziemlich schräg, bzw. eher zumindest mal unglücklich ausgedrückt und wollte einfach sichergehen, daß meine Vermutung, auf was sich das bezog, zutrifft.
Staudo hat geschrieben:Übrigens lassen sich alte Sorten im Labor „säubern“, also frei von latent vorhandenen Krankheitserregern machen. Diese sauberen Pflanzen wachsen dann überdurchschnittlich gut.
Das ist ja eine interessante Info, die mir ganz neu war.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 22:26
von pearl
Staudo hat ja schon alles gesagt.

Fast alles. Die Labormethode um Sorten zu regenerieren besteht in der Vermehrung aus Meristemen – Wachstumsgeweben der Pflanze – Induzieren von Kallusbildung – durch irgendwasbakterium tumifaciens – und testen der Embryonen auf pathogene Organismen. Die Dahlia ‘Bishop of Llandaff‘ ist auf diese Weise wiederbelebt worden. Also was ziemlich normals inzwischen.Wieso allerdings hier mit dem Heterosiseffekt rumgefuchtelt wird ist mir wieder schleierhaft. Dieser Effekt funktioniert nicht bei allen Pflanzen und ist bei den meisten auch gar nicht erwünscht. Bei Phlox sowieso nicht.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 23:05
von pearl
Gestern war ich auf der Freundschaftinsel in Potsdam ...
... Bei einzelnen Sorten ist die genetische Kraft heute verbraucht ...
ah, jetzt! Die haben im Gartenbauamt einen Begriff gesucht, der die alte Formulierung: "die Sorte ist degeneriert" ablöst und irgendwie moderner klingt.

Ganz im Hintergrund scheint die totalitärdarwinistische Vorstellung durch, dass krank und degeneriert irgendwie mit Kraft und Genetik zusammen hängt.
Re:"Genetische Kraft" von Pflanzen - verbraucht sich diese?
Verfasst: 28. Jul 2012, 23:17
von troll13
Staudo hat ja schon alles gesagt.

Fast alles. Die Labormethode um Sorten zu regenerieren besteht in der Vermehrung aus Meristemen – Wachstumsgeweben der Pflanze – Induzieren von Kallusbildung – durch irgendwasbakterium tumifaciens – und testen der Embryonen auf pathogene Organismen.
Noch einmal für einen einfachen "ungebildeten" Gärtner?Wenn ich eine Pflanze über Jahrzehnte vegetativ vermehre, übertrage ich das "biologische" Alter der Ursprungspflanze auf die neuen Pflanzen. Und damit auch die altersbedingten "Wehwehchen". Gibt es eigentlich so etwa wie "Exitus" wegen "Altersschwäche" bei Stauden?Fängt die Pflanze bei der Meristemvermehrung dann wieder im Stadium des Samenkorns an?