„Die Weinrebe ist bekanntlich eine Schlingpflanze, braucht also Raum, um zu wachsen und sich entfalten zu können, doch mit den modernen Methoden, die seit ungefähr 50 Jahren weltweit eingeführt wurden und darauf abzielten, möglichst viele Reben in ein und demselben Weingarten zu pflanzen, wird ihr dieser Raum verwehrt“, ergänzt Simonit.
Um ein möglichst langes und gesundes Leben zu führen, müsse der Rebe erlaubt werden, besagte Äste zu entwickeln. Eine ältere Pflanze brauche folglich auch mehr Platz als eine junge. Sie wächst also in die Breite.
Der Artikel kann verschieden interpretiert werden. Das obige Zitat hat mich zur Vermutung geführt, dass hier ein Minimalschnitt gemeint ist.
Beim nochmaligen Durchlesen ist mir folgendes aufgefallen:
Durch den alljährlich wiederholten Schnitt bildet sich bei einer konventionell geschnittenen Rebe ein sogenannter Kopf, also eine Art Knoten mit zahlreichen solcher ausgetrockneten Stellen. „Das blockiert natürlich den Saftfluss. Deswegen streben wir danach, dass sich statt eines Kopfes zwei seitliche Äste bilden – wir nennen sie Kanäle –, auf denen die Triebe wachsen, sodass die Saftströme unter den Schnittwunden hindurch durch die Triebe bis in die Blätter und Trauben fließen können“, betont Simonit.
Da sind mir meine Wanderungen in den Weinbergen Italiens eingefallen. Bei jedem meiner Urlaube in Weinbaugegenden inspiziere ich auch die Weinberge. Dabei ist mir aufgefallen, dass man in zumindest Süditalien kaum an Drahtspalieren erzieht, sondern jede Rebe steht einzeln, meist sogar ohne Pfahl. Während man in D beim Rebschnitt an Drahtspalieren meist eine oder zwei Bogreben schneidet und diese an den Drähten festhaftet, sahen die Weinstöcke da völlig anders aus. Nach dem Rebschnitt existiert keinerlei Rute mehr, nur der kurze Stamm (ca. 30 ... 40 cm) und der Knoten obenauf. Aus diesem Knoten sind dann wieder aus schlafenden Augen Ruten ausgetrieben. Das hatte folgenden Effekt: Ich bin in D losgefahren, als die Knospen an den Reben aufbrachen und erste Blätter entstanden. Ich bin mit dem Womo nach Süditalien gefahren, als gerade Ende April die letzten Blumenkohle für Mittel- und Nordeuropa geerntet wurden. Das hatte mir ein LKW-Fahrer aus Leipzig gesagt. Da müssten doch die Reben einen riesigen Entwicklungsvorsprung zu D haben, aber was sah ich? Lauter Stämme mit einem Knoten und nur an manchen Stellen kamen die ersten Triebe aus dem Knoten heraus. Der Entwicklungsstand der Reben war nicht weiter als in D. Diese Schnitttechnik sorgt dafür, dass nur wenige Fruchtruten entstehen und dadurch der Rebstock ein sehr bescheidenes Blattwerk erhält. Das ist wirklich eine Qualzüchtung der Reben.
Wenn ich den sehr allgemein geschriebenen Artikel nun richtig deute, werden die Knoten nicht mehr kahl geschnitten, sondern es wird auf zwei Bogreben geschnitten. Im folgenden Jahr wird die Fruchtrute, die dem Knoten am nächsten ist, zur Bogrebe. Damit wächst die Rebe jedes Jahr um zwei Internodien (Abstände zwischen zwei Augen) in die Breite. Dadurch entstehen mit der Zeit die beiden Äste links und rechts.
Um ein möglichst langes und gesundes Leben zu führen, müsse der Rebe erlaubt werden, besagte Äste zu entwickeln. Eine ältere Pflanze brauche folglich auch mehr Platz als eine junge. Sie wächst also in die Breite.
Wenn diese Deutung richtig ist, haben die beiden Italiener den in D vorherrschenden Rebschnitt entdeckt.
Die Kunst des Rebschnittes besteht nun darin, das Wachsen der Rebe in die Breite zu begrenzen, indem ein Zapfen an einer Fruchtrute geschnitten wird, die aus dem Knoten gewachsen ist. Das gelingt nicht jedes Jahr, aber dadurch wachsen die beiden Seitenäste nicht ins Unendliche.
Leider ist der Artikel so allgemein geschrieben, dass das alles nur Spekulation ist.