(Achtung, wieder ein sehr langer und schwerstverdaulicher Text)
Es gibt einige Tumoren bei Ratten und/oder Mäusen, bei deren Entstehung und Wachstum Prozesse beteiligt sind, die beim Menschen so nicht vorkommen oder von untergeordneter Bedeutung sind. In solchen Fällen kann es sein, dass die im Tierversuch beobachten Tumoren bzw. deren Häufigkeit nicht zur Risikobewertung für den Menschen herangezogen werden können.
Das dürfte bei Glyphosat nicht so sein. Grundsätzlich treten die Arten von Tumoren, die man im Tierversuch bei sehr hohen Dosen gesehen hat, auch beim Menschen auf.
Unterschiedliche Auffassungen gibt es zwischen IARC einerseits und BfR und anderen andererseits darüber, ob diese Tumoren überhaupt vermehrt auftraten, und wenn ja, ob das tatsächlich auf das Glyphosat zurückzuführen sein kann oder ob die Tumorhäufigkeit schlicht und einfach noch im Bereich der Schwankungsbreite liegt, die man bei dem verwendeten Tierstamm kennt.
Schwierige Fragen, die wir hier nicht weiter werden diskutieren können.
Ähnlich ist es mit der Frage nach dem Mechanismus, durch den die Tumoren entstehen können - wenn sie denn durch Glyphosat bedingt sind.
Ganz grob unterscheidet man erstmal, ob ein Stoff oder daraus im Körper gebildete Stoffwechselprodukte unmittelbar und direkt mit der DNA reagieren und so bleibende Schäden, Mutationen, ungeregeltes Zellwachstum und letztlich womöglich Krebs hervorrufen können. So etwas passiert z.B. bei manchen PAK (polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, wie sie auf der angekokelten Grillwurst vorkommen).
Für solche Kanzerogene gibt es nach heutigem Wissen keine Wirkungsschwelle. Prinzipiell kann jede Dosis Krebs hervorrufen: Bei sehr kleinen Dosen trifft es von vielen Menschen, die dieser Dosis ausgesetzt sind, nur einzelne, bei sehr hohen Dosen sehr viele Menschen.
Zu dieser Gruppe gehört Glyphosat auch nach Auffassung des IARC nicht.
Dann gibt es Stoffe, die die DNA-Verdoppelung und/oder die Chromosomenpaarung und -verteilung bei der Zellteilung beeinträchtigen können. Dazu greifen die Stoffe nicht direkt an der DNA selbst an, sondern an dem komplizierten Regelwerk von Proteinen, die für einen reibungslosen Ablauf dieses Vorgangs sorgt. Als Folge einer solchen Störung kommt es z.B. dazu, dass Chromosomen falsch auf die Tochterzellen verteilt werden und eine der Tochterzellen nach der Teilung ein Chromosom oder ein Chromosomenbruchstück zuviel oder zu wenig hat. Das kann dann das weitere Wachstum der Tochterzelle und aller weiterer Zellen aus dem Ruder laufen lassen mit dem Ergebnis, dass die Zelle letztlich zur Krebszelle werden kann.
Für solche Wirkungen gibt es in der Regel eine Schwellenkonzentration, die überschritten werden muss - auch wenn es nicht immer einfach ist, diese Konzentration herauszufinden. Hat man zu wenig Informationen hinsichtlich dieser Schwelle, bleibt man vorsorglich dabei, die Bewertung ohne eine solche vorzunehmen.
Solche Effekte, und da wird's schon komplizierter, können aber im Versuch auch durch zu hohe Konzentrationen vorgetäuscht werden: Wenn die eingesetzte Konzentration so hoch ist, dass die Zelle insgesamt vergiftet wird, kann es eben sein, dass unter den zahllosen verursachten Schäden auch die Zellteilung betroffen ist. Befunde bei derartig hohen Konzentrationen sind daher mit äußerster Vorsicht zu betrachten und meist für eine Bewertung nicht aussagekräftig.
Die IARC sieht für Glyphosat Hinweise aus epidemiologischen Untersuchungen am Menschen, aus Versuchen an Zellkulturen und bei Versuchstieren. Allerdings ist - wie so oft - die Sache kompliziert: Bei epidemiologischen Untersuchungen gibt es viele andere Einflussfaktoren (z.B. Rauchen und Alter), in Zellkulturen wurde hohe Konzentrationen eingesetzt, ebenso im Tierversuch, wo oft auch noch der Verabreichungsweg Aussagen erschwert. Auch hier muss man genau hinschauen, ob die Befunde für die Bewertung aussagekräftig sind.
Ein weiterer Weg besteht darin, dass ein Stoff indirekt die DNA schädigen kann, meist durch so genannten oxidativen Stress. Dabei entstehen durch die Anwesenheit des Stoffs in der Zelle so genannte "Reactive Oxygen Species" (ROS), dazu zählt z.B. Wasserstoffperoxid oder freie Radikale, die sehr reaktiv sind. Diese ROS können die DNA (und andere Moleküle in der Zelle) chemisch angreifen und oxidieren. Die so veränderte DNA kann dann wiederum Anlass für Mutationen sein.
Die Zelle besitzt gegen solche ROS natürliche Schutzmechanismen, denn ROS entstehen auch im ganz normalen Zellstoffwechsel. Zum einen sorgen Schutzstoffe und Proteine in der Zelle dafür, dass die ROS abgebaut werden, bevor sie mit der DNA reagieren können, zum anderen können die dadurch entstandenen DNA-Schäden erkannt und repariert werden.
Erst wenn diese Reparaturmechanismen überfordert werden, häufen sich DNA-Schäden u.U. so stark an, dass die Reparatur nicht mehr nachkommt.
Oft sind dazu Konzentrationen des Schadstoffs erforderlich, die wiederum - wie oben beschrieben - bereits ganz allgemein giftig auf die Zelle wirken.
Auch für diese indirekt DNA-schädigende Wirkung gibt es, wie beim zuvor geschilderten Mechanismus, einen Schwellenwert, der erstmal überschritten werden muss, bevor überhaupt relevante DNA-Schäden auftreten. Unterhalb dieser Schwelle ist ein Krebsrisiko durch ROS nicht Null (schließlich kommen die ja auch natürlicherweise vor), aber das Rsiko lässt sich nicht mehr einfach linear zu immer kleineren Konzentrationen runter berechnen, wie man das ohne Schwellenwert macht.
Die IARC sieht, was Glyphosat angeht, auch für diesen Mechanismus Hinweise aus Zellkulturen und Tierversuchen. Und auch hier gilt aber das oben Gesagte: In Zellkulturen und im Tierversuch können verschiedene Probleme auftreten, die eine Bewertung der Befunde nicht einfach machen.
Grundsätzlich sind diese Mechanismen für alle höheren Lebewesen relevant, die Krebs bekommen können, also auch für den Menschen. Ob sie das auch im Falle von Glyphosat sind, dazu werden wir in den nächsten Monaten etwas hören - spätestens, wenn auf EU-Ebene die Entscheidung über die weitere Zulassung fällt.
Noch etwas zum Schluss: Der vielleicht manchem nahe liegende Gedanke, aus Vorsorgegründen alles an Stoffen vom Menschen fernzuhalten, was Störungen der Zellteilung oder ROS-bedingte Schäden verursachen könnte, ist unmöglich. Sehr sehr viele Stoffe, die ganz normale Bestandteile unserer Umwelt sind, können nämlich solche Wirkungen haben, entsprechend hohe Dosen vorausgesetzt.
Und was ROS angeht: Normaler Sauerstoff tut das auch. Luft anhalten ist keine Lösung.
So, langsam ist das hier zum toxikologischen Kolloqium geworden. Ich denke, wir warten jetzt einfach mal ab, zu welchem Ergebnis BfR und andere in den nächsten Monaten kommen werden, und hören auf, uns bis dahin Sorgen zu machen, durch Glyphosat zu Schaden zu kommen.
Ergänzung: Das BfR schreibt auf seiner Webseite
Toxikologische Beurteilung von chemischen Stoffen:
"Nicht alle gesundheitsschädlichen Wirkungen unterliegen einem Schwellenwertmechanismus. Für erbgutverändernde (genotoxische) Wirkungen wird generell davon ausgegangen, dass sie keinem Schwellenwert unterliegen. Da viele Stoffe, die erbgutverändernd wirken, auch Krebs erzeugen können, wird grundsätzlich auch krebserzeugenden Stoffen sicherheitshalber eine Wirkungsweise ohne Schwellenwert unterstellt. Dies bedeutet, dass auch sehr niedrige Dosierungen eines krebserzeugenden Stoffes ihre schädigende Wirkung entfalten können - wobei die Wahrscheinlichkeit der Wirkung natürlich mit der Dosierung abnimmt. Aus Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die in Tierexperimenten oder epidemiologisch an Menschen erhoben wurden, kann die Stärke der krebserzeugenden Wirkung berechnet werden."
Diese Aussage hat z.B. auch die
TAZ in ihrem Bericht zu Glyphosat verwendet, um daraus zu schließen:
Zunächst zitiert die TAZ IARC: "Es gibt starke Belege, dass die Exposition gegenüber Glyphosat oder auf Glyphosat basierenden Formulierungen genotoxisch [erbgutverändernd] ist".
Und daraus schließt die TAZ: "Diese Einschätzung könnte weitreichende Konsequenzen haben. Denn wenn eine Substanz das Erbgut verändern kann, sollten Menschen am besten gar nicht mit ihr in Kontakt kommen. Die Behörden können in diesen Fällen keine für die Gesundheit unbedenkliche Dosis des Stoffes festlegen."
"Könnte" ist vorsichtig formuliert. Denn so einfach, wie die das TAZ impliziert, ist es nicht. Zum einen ist eben, die Frage, ob etwaige gentoxische Effekte nicht ganz einfach im Gefolge einer ganz allgemein zelltoxischen Wirkung aufgetreten sind, die durch die eingesetzte hohe Konzentration verursacht wurde. Solche Ergebnisse sind kein hinreichender Beweis für Gentoxizität.
Zum zweiten: Wenn man bei einem krebserzeugenden Stoff nichts weiter über seine Wirkungsweise weiß, nimmt man aus Vorsorgegründen selbstverständlich an, dass es keine Wirkungsschwelle gibt. Hat man Daten zum Wirkungsmechanismus, so muss man genau prüfen, ob der diese Annahme stützt oder ob - und da legt man die Hürde hoch - der Wirkungsmechanismus hinreichend sicher einen Schwellenwert aufweist - und damit dann auch die dadurch hervorgerufene Krebsentstehung.
Letzteres ist z.B. der Fall beim Acetaldehyd, einem Abbauprodukt von Alkohol (das u.A. für den Kater mitverantwortlich ist): Dr Stoff ist eindeutig krebserzeugend (auch nach IARC), aber erst in Konzentrationen, die das betroffene Gewebe bereits deutlich schädigen. Ist die Konzentration so niedrig, dass keine Gewebeschädigung entsteht, ist auch kein nennenswertes Krebsrisiko vorhanden (Übrigens: Auch Acetaldehyd kommt in Spuren natürlicherweise in unserem Stoffwechsel vor.).
Ziemlich vertrackt, das alles.