@pearl:
Kommt der Satz `das war schon immer so´ wirklich von mir?
Nein. Der Spruch " ... da geht´s immer weiter ... " hatte in meinen Ohren die gleiche Konsequenz und Intention.
Ich will weg von der Willkür, hin zu wissenschaftlich basiertem Naturschutz im Rahmen des möglichen.
Kannst Du das mal an etwas Konkretem festmachen? So etwas können alle gut und gern sagen und dabei doch prima aneinander vorbeireden.
Der "Rahmen des Möglichen" ist doch schon wieder das Tor zur Willkür, zum Beliebigen, zum tagespolitisch verkaufbaren "Light"-Naturschutz.
Naturschutz ist keine Forschung oder Wissenschaft und wird das auch nie werden. Der gesetzliche Auftrag zum Schutz der Artenvielfalt ist klar und umfassend: Populationen von Tieren und Pflanzen entsprechend ihrer Gefährdung sichern. Die Verwirklichung bleibt im Promillebereich, weil den Gefährdungen innerhalb der flächenhaft vorherrschenden Landnutzungen kaum etwas entgegen gesetzt wird.
Der konzeptionelle Naturschutz sucht also nach einer sinnvollen Gliederung der obigen, uferlosen Aufgabe und möchte herausfinden, wofür unsere Region hauptsächlich Verantwortung trägt, welche Arten also in keiner oder nur wenigen anderen Regionen der Welt vergleichbar gut erhalten werden können wie bei uns. Auf die sollten sich, um willkürliche und zufällige Naturschutzpraxis einzuschränken, besondere Anstrengungen beziehen.
Diese so genannten "Arten in besonderer Verantwortung" wurden in den letzten 20 Jahren für viele bedeutendere Artengruppen bestimmt.
Schaut man auf den Acker als wichtigen Lebensraum, so steht der Rotmilan als sehr stark auf Deutschland konzentrierter Brutvogel noch relativ gut da. Wie das mit weiterem Ausbau der Windkraft wird, ist noch nicht bekannt, die Art ist eines der häufigsten Opfer von Vogelschlag an Rotoren. Aus manchen "Abstands-Erlassen" von Bundesländern, mit denen die Zulassung von Windrädern in Hinsicht auf Vorkommen relevanter Tierarten hauptsächlich geregelt wird, ist der Rotmilan trotz der herausragenden Erhaltungsverantwortung herausgestrichen worden, weil er "ja noch nicht gefährdet" sei. Die Frage ist, ob vorsorgende Maßnahmen bei einer Art, die mehr als 50 % ihres weltweiten Brutbestandes in Deutschland hat, nicht weit jenseits der Gefährdungsschwelle greifen müssten.
Nehmen wir eine zweite Art, die viel unscheinbarer ist. Das Lammkraut
(Arnoseris minima) besiedelt hauptsächlich drei Staaten: Frankreich, Deutschland und Polen. Bis in die 1960er Jahre war es vorherrschendes "Unkraut" der armen, sandigen Äcker, bis es durch den Komplex der ackerbaulichen Intensivierungsmaßnahmen rapide zurückging und heute vergleichweise selten auftritt. Es ist völlig klar, dass D eine besondere Erhaltungsverantwortung hat und zudem das Verbreitungszentrum der Pflanze ist. Wir haben also eine Position zu halten, in der die Art ihre stärkste Entfaltung zeigen müsste. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass einzelne (zählbare!) Äcker in ökologischen Betrieben hervorragende Bestände zeigen bzw. diese wieder (unbewusst) entwickelt haben und dass dazwischen eine Reihe kärglicher Restvorkommen an weniger stark begifteten Ackerrändern und -ecken erhalten geblieben ist. Kein regelmäßiger genetischer Austausch der Populationen. Kein feststellbares Ausbreitungsverhalten, keine Dynamik von Neuansiedelungen. Wenn einige der Öko-Betriebe die ihnen durchaus zustehenden Intensivierungspotenziale nutzen würden - zweimal striegeln statt nur einmal; mehr Untersaat und Zwischenfrucht - wäre die kleine Pflanze auch dort bald Geschichte und vielleicht wieder ein ganzer Landschaftsraum "bereinigt". Programme zum ausdrücklichen Schutz von Segetalarten sind in D so gering gehalten, dass sie nicht mehr als ein "Musterbuch" der Segetalgesellschaften bewahren können. In einigen Bundesländern wurden sie finanziell so unattraktiv gemacht, dass die ohnehin geringe Annahmebereitschaft der Landwirtschaftsbetriebe fast auf Null reduziert wird. Eine Pflicht zur Extensivierung weniger Prozente der Gesamtackerfläche, durchaus mit weitem Spielraum der denkbaren Nutzungen und einigen konsequent durchgesetzten Nutzungsbeschränkungen, könnten beim Erhalt dieser Art und vieler weiterer, klassisch mitteleuropäischer Arten, entscheidend helfen.
Das
Bundesprogramm "Biologische Vielfalt" beschränkt sich bei den Pflanzen auf 15! Arten in besonderer deutscher Verantwortung - von mehreren hundert, für die das faktisch und gut begründet festgestellt wurde. Eine konfliktträchtige Art wie das Lammkraut ist selbstverständlich nicht unter den Auserwählten. Ist das der Rahmen des Möglichen oder ist es Willkür aus Angst vor nicht aushaltbaren Konflikten? Soll man die Art "gehen lassen" oder müsste man aufgrund des vorliegenden fachlichen Wissens konsequenter handeln?
Soweit der Versuch, das mal an zwei Fallbeispielen konkret zu machen - Beliebiges und mit bunter Schleife verpackte Kulturlandschafts-Tiraden von Agrarfunktionären gibt´s ja genug.
Mal ne Frage: wer von euch kennt einen regionalen, forschenden Naturschutzverein? Wieviel hört man von ihm in der öffentlichen Diskussion über Glyphosat?
Die meisten regionalen Naturschutzverbände, die ich kenne, positionieren sich nicht ausführlich zu Glyphosat, sondern sehen es - wie weitere Stoffe und Methoden der Agrarindustrie - schlicht und einfach mit großen Bedenken. Das muss kein durch Forschung am Stoff untersetzter Standpunkt sein, fußt aber oft auf sehr umfangreicher persönlicher Erfahrung der verarmten Lebensräume, in denen Glyphosat und anderes angewendet wird.