Fortsetzung I:
Ich habe bei den Wegen meines Gartens einen verblüffenden Effekt festgestellt. Da ich diese Wege aus unbehauenen Basaltsteinen anlegte, ergaben sich mehr oder minder breite Fugen, in den sich sehr rasch Sämlinge von Glockenblumen, Christrosen, Primeln, Alpenveilchen und von sonstigen erwünschten aber auch weniger geliebten Gartenbewohner ansiedelten. Bereits nach wenigen Jahren waren die Zwischenräume so zugewachsen, dass der Weg nur noch erahnbar war. Die Natur hatte ihre Hände ausgestreckt, um sich das zurückzuholen, was ich für meine Idee von ihr abgetrennt hatte. Der Weg war allmählich, geradezu schleichend assimiliert worden. Grün ging in Grün über. Was vorher abgegrenzt war, hatte sich nun verwoben. Dort sollte aber nun nach meinem Willen ein Weg sein. Nicht nur ein befestigter Untergrund, tragfähig für Mensch und Karre, sondern ein deutlich erkennbarer Pfad, als gut sichtbare Grenze zwischen zwei Staudenbeeten, eine Struktur und Perspektive gebende Markierung. Als ich die Fugen vom Wildwuchs befreit hatte, trat der gewollte Effekt wieder ein, sehr zum Vorteil der beiden Beete. Durch die Weg-Achse wurde die Aufmerksamkeit stärker als zuvor auf die beiderseits wachsenden Pflanzen gelenkt.
Derartiges hat sich in meinem Garten in außerordentlich harmloser Weise und in einem recht unbedeutenden Umfang ereignet. Dennoch vermitteln uns englische Hausgärten, so ihr Stil von uns als richtungsweisend verstanden wird, ein vergleichbares Bild: der trennende und damit akzentuierende Rasenstreifen oder Weg. Die englische „Border“ schöpft einen wesentlichen Teil ihrer Schönheit aus eben diesem strengen Gegensatz.
Für mein ästhetisches Empfinden ist es der Höhepunkt der Gartenkultur, wenn sich um diese möglichst „fehlerfreie Ziergras-Steppe“ Stauden- und Rosenbeete gruppieren, die in ihrer Farbenpracht und Pflanzenstruktur so wild sein können, wie die Natur es vermag. An die Stelle des Rasen kann meinetwegen auch eine Kiesfläche, ein Sand- oder Plattenweg treten. Der bekannte, inzwischen verstorbene Clematiszüchter, Christopher Lloyd, seinerzeit Herr auf Great Dixter, einem der berühmten englischen Landhausgärten, hatte die aus ungemähten Wiesen bestehende „Wildnis“, die seinen Garten bedrängten, durch einen breiten Streifen kurz geschorenen Grases abgegrenzt. Dort ungezähmte Natur, hier Staudenkostbarkeiten. Diese Trennung erhöhte die Aufmerksamkeit für die beiden gegensätzlichen Pole. Gleichzeitig hatte das Auge einen Ruhepunkt, um neue Kraft für die Staudenvielfalt zu schöpfen. Welch wundervoller Einfall für Gestaltung und Dramatik.
Obgleich ich ein ausgesprochen fauler Mensch bin – das Leben ließe sich bestens in einer Hängematte liegend genießen, wenn die Neugier einen nicht immer wieder hochtreiben würde –, liegt mir der gepflegte Rasen doch sehr am Herzen. Ich bekenne mich sogar ausdrücklich zu diesem monokulturellen Teppich und bin mir auch nicht zu schade, ihn mehrmals im Jahr mit dem Stecher in der Hand nach Unkräutern abzusuchen. Mein Traum wäre ein englisches Bowling-Green, absolut plan gewalzt und von ganz feiner Gräserstruktur. Die klimatischen Verhältnisse lassen es leider nicht zu. Ebenso muss ich meinem Wunschtraum entsagen, meine Rasenfläche so zu mähen, dass sich durch die gegenläufigen Mähbahnen so herrliche Streifen ergeben. Wir kennen derartiges von Fußballfeldern aus dem Fernsehen. Die Engländer beherrschen diese Mähmethode perfekt.
Die bäuerliche Nachbarschaft verwundert meinen Rasenkult ein wenig. Nicht etwa, weil ich dem Unkraut zu Leibe rücke, sondern wegen des unsäglichen Luxus, einen Teil des Gartens als Rasenfläche zu vergeuden. Gärten haben nach der Meinung meines Umfelds in erster Linie praktisch zu sein und bestehen aus dem schieren Boden (selbstverständlich wildwuchsfrei!), hauptsächlich Nutzpflanzen und ein paar Zierstauden und Rosen, was hier alles mit dem Begriff „Stock“ über einen Kamm geschoren wird. Sobald die Blüten dieser Stöcke jahreszeitlich bedingt Schwächen erkennen lassen, wird alles radikal bis zum Erdboden heruntergeschnitten. Auch scheut man sich nicht, hemmungslos zwischen ihnen zu graben und zu werkeln. Jedes einigermaßen seriöse Gartenbuch stuft diese Behandlungsmethoden als verwerflich, als geradezu naturlästerlich und schädlich für die Pflanzen ein. Aber weil die Nachbarn gar nicht wissen, dass es so etwas Überflüssiges wie Gartenbücher gibt, wachsen ihre Stauden höher, blühen üppiger und sehen deutlich gesünder aus. Das Gärtnerleben kann so fürchterlich ungerecht sein!
Fortsetzung in Antwort 2