Daß ich zu gerne zuhörte, wenn „von früher“ erzählt wurde, habe ich ja schon erwähnt. Folgende Geschichte hat sich zum Beispiel vor meiner Zeit zugetragen. Und sie stimmt wirklich, denn nachdem Annes Mann Holger sie mir erzählt hatte, wurde sie mir von anderen bestätigt.
.
Früher herrschten strengere Sitten! Da hatte abends um zehn die Hose am Nagel zu hängen, und die Lehrlinge hatten in ihren Betten zu sein. Das kontrollierte Futtermeister Kremer gewissenhaft und unerbittlich, bevor er sich selbst zu Bett begab.
.
Papa Kremer allerdings war noch kaum selbst in der Kiste, da stopften die Herren Lehrlinge das Bettzeug mit Stroh aus und begaben sich auf die Sause – und nur wenige Kundinnen (und deren Töchter!) unterlagen ihrem Charme nicht, wenn man dem Tratsch Glauben schenken darf. Und die Dorfjugend und diverse Reitschüler taten mit. Reitlehrer Wolf mußte davon zumindest gerüchteweise gehört haben, drückte aber wohl auch mal ein Auge zu.
.
Doch der Krug geht so lang zu Wasser, bis er bricht. Mit von der Partie war immer ein junger Reitschüler von der anderen Flußseite, und der war mit verständnislosen Eltern behaftet, die den nächtlichen Umgang ihres Lieblings mit den Lehrlingen, zudem mit Alkohol und diversen Damen, nicht für ratsam hielten. Die Feierei wurde ihm strikt verboten. Er kam trotzdem wieder. Da wurde er doch tatsächlich unter Hausarrest gestellt!
.
Woraufhin der zarte Knabe aus dem zweiten Stock des Elternhauses in die Freiheit kletterte. Und weil die letzte Fähre um acht Uhr abends ging und die nächste Brücke ohne das von den Eltern konfiszierte Auto zu weit weg war, mußte der arme Kerl auch noch bei Nacht und Nebel durch den nicht eben schmalen Fluß zu seinen Kumpels bei van Krachten schwimmen. Und dann wurde vielleicht gefeiert mit dem patschnassen Helden! Es muß eine rauschende Ballnacht gewesen sein!
.
Leider kam die Sache diesmal sofort raus, denn nun hatten sie wirklich übertrieben. Und zu allem Unglück entwickelte der Jüngling eine kräftige Lungenentzündung...
.
Papa Kremer schäumte! Mord und Brand schrie der Futtermeister, und noch in der gleichen Woche wurden die Lehrlingskammern mit Gitterstäben versehen.
.
Wolf - „Der hat die Jungs geliebt, hat der Wolfi, der hat die wirklich geliebt“, erklärte Holger mir dazu ernsthaft, während er ein Glas polierte, – Wolf handhabte das Problem auf seine Weise: Mit einer ebenso kurzen wie ätzenden Bemerkung, die den völlig verkaterten Lehrlingen keinen Hauch von Selbstachtung ließ, wies er den beiden Arbeit zu.
.
Der eine hatte bei sengender Sonne den Damm hinter der alten Halle, den kilometerlangen Damm!, von seinen hundertjährigen Brennnesseln zu befreien, der andere mit dröhnendem Schädel den Springplatz zu harken. Der wurde logischerweise nie geharkt, sondern höchstens ab und an geschleppt. Aber heute wurde er geharkt – mit der kleinsten Kinderharke, die Wolf hatte finden können...