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Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 07:37
von Staudo
Durch Zufall fand sich bei meinen Eltern
dieses Buch wieder. Das Buch ist von 1972 und für Kinder von zehn Jahren an. 1972 war ich zehn Jahre alt, dürfte das Buch also auch etwa in dieser Zeit erhalten haben. Was mir zuerst auffiel war, dass die Sprache mit ihren kurzen Sätzen sowohl kindgerecht als auch anspruchsvoll ist. In diesem Buch aus der DDR gibt es noch das Wort Deutschland und schon das Wort Computer. Es geht um die Viehhaltung vom Altertum bis „morgen“. Vieles, was heute als Massentierhaltung verpönt ist, wird in den höchsten Tönen gelobt. Manches, was heute romantisch verklärt wird, wird im Buch als rückständig, aufwändig, unhygienisch und teuer benannt. Ich musste mehr als einmal schmunzeln. Manche Zukunftsvision hat sich nicht erfüllt wie z.B. Viehhaltung in Mehrgeschossern oder intensive Schafhaltung in Ställen. Manches ist in Deutschland mittlerweile schon wieder abgeschafft wie Hühnerhaltung in Käfigbatterien, manches wird arg rosarot beschrieben, manchmal kam ich ins Grübeln. Letztlich macht der Autor deutlich, dass kleinteilige Landwirtschaft teuer, ineffizient und nicht unbedingt tierfreundlich ist.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:17
von lerchenzorn
Zu dieser Zeit passten im Kinderlied auch Naturreichtum und Intensivierung noch ganz wunderbar zusammen:
Lied der jungen Naturforscher.
Dass die großen Niedermoore sich gerade in Kohlendioxid auflösten, dass sich die Artenzahlen des Grünlandes in weniger als 20 Jahren auf ein Zehntel reduzierten und buntes Leben im Acker auf ein paar Quadratmeter im Vorgewende zurückgedrängt wurde, das hatte kaum jemand mitbekommen.
Jede Zeit hat ihre Verklärungen. In den 60er und 70er Jahren war das eine (fast) vorbehaltslose Fortschrittseuphorie. Das funktioniert, solange man
Natur als ausreichend einfaches Bild zeichnet. Sowie der junge Naturforscher oder der junge Landwirt sich auf den Weg machen, entdecken sie zwiespältiges. Gut, wenn sie sich auch mal begegnen und ins Gespräch kommen.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:21
von Staudo
Zum Glück ist bei meinem Rechner der Lautsprecher ausgeschaltet. ;D
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:39
von lerchenzorn
;) Zum Nachlesen:
Unsere Heimat ...
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:42
von Floris
Staudo hat geschrieben: ↑5. Jan 2018, 07:37Was mir zuerst auffiel war, dass die Sprache mit ihren kurzen Sätzen sowohl kindgerecht als auch anspruchsvoll ist.[/quote]
Sowas gibt es zum Glück auch heute noch, man muss aber ein wenig suchen. Meine Frau hat dabei ein gewisses Gespür, zumindest was Kinderbücher zum Thema Literatur, Musik und Natur/Umwelt angeht: Der Buchhändler war so manches Mal begeistert darüber, was er besorgen durfte. Gut möglich, dass diese Bücher auch in der nächsten Generation noch im Schrank stehen werden.
[quote author=Staudo link=topic=61430.msg3004422#msg3004422 date=1515134263]
Letztlich macht der Autor deutlich, dass kleinteilige Landwirtschaft teuer, ineffizient und nicht unbedingt tierfreundlich ist.
Dass sich Rastionalisierung auf die Effektivität auswirkt ist wohl in anderen Gewerken ähnlich.
Und zum Tierwohl: Anfang der 90er Jahre führte ich noch Kontrollen nach Tierkennzeichnungsverordnung (hauptsächlich bei Rindern) durch, einer Zeit, in der gleichzeitig sowohl noch sehr "traditionelle" Haltungsformen in alten Gebäuden als auch neue Laufställe (mit deutlich höheren Tierzahlen darin) existierten. Ich fand den Fortschritt in den Haltungsformen damals durchaus begrüßenswert.
Letztes Jahr las ich im Sachkundebuch des hiesigen Gymnsiums mal das Kapitel zur Landwirtschaft durch: Da existiert immer noch die Unterscheidung in die Heile Welt der (nunmehr) ökologischen Landwirtschaft und das Schreckensbild der konventionellen Betriebe, die mit Massentierhaltung gleichgesetzt werden.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:45
von Staudo
Floris hat geschrieben: ↑5. Jan 2018, 08:42Letztes Jahr las ich im Sachkundebuch des hiesigen Gymnsiums mal das Kapitel zur Landwirtschaft durch: Da existiert immer noch die Unterscheidung in die Heile Welt der (nunmehr) ökologischen Landwirtschaft und das Schreckensbild der konventionellen Betriebe, die mit Massentierhaltung gleichgesetzt werden.
Das finde ich erschreckend.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:54
von bristlecone
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 08:58
von Waldmeisterin
als Kind habe ich immer Milch geholt, auf einem Bauernhof mitten im Dorf. Die Milch habe ich als köstlich in Erinnerung, die Kühe taten mir damals, 1975, schon leid. Es gab derer zehn, sie hatten auch alle Namen, standen aber ihr Leben lang angekettet in einem düsteren Stall und haben wahrscheinlich nie die Sonne gesehen. Die Bäuerin war eine herzensgute Frau, sie wäre aber nie auf die Idee gekommen, sich darüber Gedanken zu machen, dass es ziemlich trostlos sein könnte, bei ihr Kuh zu sein :-\
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 09:03
von RosaRot
Bescheuert, diese ältere Entscheidung in Niedersachsen.
hat geschrieben: ↑1. Jan 1970, 01:00Letztes Jahr las ich im Sachkundebuch des hiesigen Gymnsiums mal das Kapitel zur Landwirtschaft durch: Da existiert immer noch die Unterscheidung in die Heile Welt der (nunmehr) ökologischen Landwirtschaft und das Schreckensbild der konventionellen Betriebe, die mit Massentierhaltung gleichgesetzt werden.
Ist dann ein Ökobetrieb der über dreihundert Kühe hält* dann nun heile Welt oder Massentierhaltung? Ohne eine gewisse Größe ist (auch) Ökolandbau unwirtschaftlich.
(* in der weiteren Verwandschaft, großzügige Ställe, modernste Technik, eigene Energieversorgung etc., gerade wird weiter umgebaut und modernisiert, Weideflächen direkt am Stall- alles sehr beeindruckend. Die einzuhaltenden Richtlinien sind streng)
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 09:05
von Floris
Das ist allerdings einer der Nachteile des Fortschritts: der nächste Kuhstall ist nicht mehr fußläufig erreichbar.
Damit ist auch die Methode, abens eine Schüssel Milch auf den Schrank zu stellen um am Abend drauf Dickmilch mit Pellkartoffeln essen zu können, dahin.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 09:24
von lerchenzorn
Ich grübele immer wieder, warum das mit der Dickmilch vor der Wende mit Milch aus DDR-Massentierhaltung meistens noch funktioniert hat. (Pasteurisierte, aber vermutlich noch nicht homogenisierte Milch)
Wir haben regelmäßig selbst Quark daraus gemacht.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 10:26
von toto
Floris hat geschrieben: ↑5. Jan 2018, 09:05Das ist allerdings einer der Nachteile des Fortschritts: der nächste Kuhstall ist nicht mehr fußläufig erreichbar.
Damit ist auch die Methode, abens eine Schüssel Milch auf den Schrank zu stellen um am Abend drauf Dickmilch mit Pellkartoffeln essen zu können, dahin.
Genau das ist m e i n Problem mit der Milch. Als Kind holte ich (in der Stadt) jeden Tag anderthalb Liter in einer Blechkanne für 1,12 Mark. Dann kamen die Flaschen, später Tüten, später Tetrapack. Mit der Verpackung begann die Tragödie: keine Milch mehr zum aufstellen für dicke Milch... dicke Milch auf dem Teller, ein süßer vergangener Traum!
(Die heute angebotene, Fertig-Dickmilch ist nicht im entferntesten damit vergleichbar! Da fehlt nämlich die Sahneschicht obendrauf, die "Haut", die sich beim aufstellen bildet. Ist alles vermengeliert und "Schrott"... grr...)
Heute wird mir, wenn ich mal im Kuhstall nach frischer Milch frage, erzählt: das geht nicht, da sind Bakterien drin... und es wird mir erklärt, wieviel von welcher Sorte und was mir alles passieren kann... so dass einem echt absolut alles vergeht!
Ich frage mich, wie ich meine Kindheit überlebt habe...
In der Schule gab es 1/4 Liter Milch per Tag in Flaschen. Damals kannte man noch keine Laktoseintoleranz :D . Sowas hatte niemand - warum eigentlich nicht ???
Meine Großmutter (auf dem Land) holte Molke in großen Kannen am Fahrrad für ihre 2 Schweine aus der Molkerei.
Die Molkerei ist jetzt ein "Getränkestützpunkt" und Post.
Das Ergebnis dieser Umstellung auf Industrie erlebe ich täglich an meinem Essen. Zum Glück habe ich noch eigene Kartoffeln und eigenes Gemüse.... ;)... und auf gekauftes Fleisch verzichte ich vor Ekel, das kriegen allenfalls meine Hunde und Katzen.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 10:33
von Callis
lerchenzorn hat geschrieben: ↑5. Jan 2018, 09:24Ich grübele immer wieder, warum das mit der Dickmilch vor der Wende mit Milch aus DDR-Massentierhaltung meistens noch funktioniert hat. (Pasteurisierte, aber vermutlich noch nicht homogenisierte Milch)
Wir haben regelmäßig selbst Quark daraus gemacht.
Ob aus frischer Milch Dickmilch wurde oder nicht, hat sicher nichts mit der Tierhaltung zu tun sondern ausschließlich mit der Behandlung der Milch vor dem Verkauf. Muss ja heute alles länger haltbar sein, und natürlich keimfrei.
Als ich Kind war, wurde die Milch fast ausschließlich vom Bauernhof geholt und wir machten immer selbst Dickmilch und im nächsten Schritt auch manchmal Quark.
1988 erwarb ich ein Häuschen auf einem (westdeutschen) Dorf und holte wieder Milch vom Bauern abends beim Melken. Auch die wurde noch dick. Doch dann gaben im Zuge der BSE-Krise alle Bauern bis auf einen (bis zu dem es mir zu weit war) die Milchwirtschaft auf und ich kaufte die Milch wie auch in der Stadt wieder abgepackt im Supermarkt. Ende der so herrlich schmeckenden selbst produzierten Dickmilch.
toto, du warst schneller. :D
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 10:41
von toto
lerchenzorn hat geschrieben: ↑5. Jan 2018, 09:24Als ich Kind war, wurde die Milch fast ausschließlich vom Bauernhof geholt...
Es war aber auch in der Stadt möglich - und die Milch war in großen Metallbehältern und wurde mit der Kelle abgefüllt in meine Kanne... wie war die denn "haltbar" ??? Mindestens doch vom melken bis in den Laden... ???
Und die wurde eben dick.... MIT Sahnehaut!
Speziell dieser Verlust macht mich (leider) oftmals wütend. Denn Dickmilch gehörte für mich zum Leben dazu.
Heutige Milch ist mehr Wasser als Milch.
Und wenn ich mal beim Bauern einen 5 Liter-Kanister Milch bekomme, mache ich Butter draus. Für meine Tiere scheint es der Himmel zu sein! Die "prügeln" sich um solche frische Milch und schlappern die bis zum umfallen.
Re: Landwirtschaft Dein unbekannter Nachbar.
Verfasst: 5. Jan 2018, 11:40
von toto
...und noch was: falls heute mal eine Flasche (oder Tetrapack) nur e i n e n Tag länger im Kühlschrank steht und man dran riecht, ob noch gut: dann riecht man, was die Kuh zu fressen bekam... und d a s riecht grausam, entweder nach Kuhstall oder nach Silage oder, oder... und damit keinem der Appetit vergeht, will ich das nicht weiter beschreiben.
Wie konnten wir in der Kindheit frische abgefüllte Milch als Dickmilch aufstellen - o h n e diese elenden Gerüche ???