News: Problem bei der Anmeldung? Bitte Mail über das Kontaktformular ganz unten! | garten-pur unterstützen mit einer Spende oder über das Partnerprogramm!

Spezies - Wildart - Definition (Gelesen 3341 mal)

Die Lehre von den Pflanzen - Übersetzungen aus dem Fachchinesischen, Diskussionen um Definitionen, Alltagsphänomene wissenschaftlich erklärt
Antworten
Benutzeravatar
Callis
Beiträge: 7423
Registriert: 20. Mai 2011, 10:58
Wohnort: Berlin
Bodenart: überwiegend sandig
Winterhärtezone: 8a: -12,2 °C bis -9,5 °C

Spezies - Wildart - Definition

Callis »

Ausgelöst durch den Beitrag von Knorbs bei den Päonien-Wildarten #802 stellt sich mir die Frage, wie lange wir eigentlich von Spezies oder Wildarten sprechen können, die in unseren Gärten blühen? Wer garantiert, dass nicht schon am ursprünglichen Naturstandort Zufallsbestäubungen stattfinden, die zu Veränderungen führen?Oder mal ganz simpel gefragt: Sind alle Gänseblümchen oder Löwenzähne in meiner Wiese Wildarten, auch wenn sie ständig von Insekten bestäubt werden und sich weiter vermehren?Sind Spezies oder Wildarten genetisch eindeutig definiert?
Um tolerant zu sein, muß man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen. (Umberto Eco)
Mistakes are the portals of discovery. (James Joyce)
Benutzeravatar
partisanengärtner
Garten-pur Team
Beiträge: 19098
Registriert: 27. Jan 2009, 08:22
Kontaktdaten:

Qualitatives Wachstum hat keine Grenzen. 6b

Re:Spezies - Wildart - Definition

partisanengärtner » Antwort #1 am:

Eine Abgrenzung wird schwierig. Einige Arten sind sicher hybridogenen Ursprungs.An vielen Wildstandorten werden sicher mehr und mehr durch menschlichen Einfluß bestehende Artenschranken (geografischer Natur) aufgehoben.Da gibt es ja auch noch wohlmeinende "Naturschützer" die allerorten was ansalben. Oder entsorgte Gartenabfälle. Ganz abgesehen von Gärten die überall in die Natur wachsen.Bienen fliegen ja auch kilometerweit.Ich glaube das so eine Unterscheidung für Gärtner nicht sinnvoll ist,würde aber schon die Geschichte einer bestimmten Pflanze aufzeichnen und weitergeben.
Wer zuviel jätet raubt sich manche Überraschung.

Axel
raiSCH
Beiträge: 7425
Registriert: 29. Mär 2009, 22:22
Region: Münchner Schotterebene
Höhe über NHN: 560
Bodenart: lehmig über Kies
Winterhärtezone: 7a: -17,7 °C bis -15,0 °C

Re:Spezies - Wildart - Definition

raiSCH » Antwort #2 am:

Es wird sehr schwierig sein, Wildarten und Naturhybriden zu trennen - nicht zu vergessen, dass ja auch Spontanmutationen vorkommen oder nicht wenige Pflanzen Albinos zumindest bei Blüten haben.
Benutzeravatar
lerchenzorn
Beiträge: 18570
Registriert: 4. Apr 2008, 22:21
Kontaktdaten:

Berliner Umland Klimazone 7a (wohl eher 6b)

Re:Spezies - Wildart - Definition

lerchenzorn » Antwort #3 am:

Schon der Begriff "Art" (resp. "species") ist eine Abstraktion. Gegenständlich und am besten fassbar ist die Art wohl in ihren Populationen mit ihrer eigentümlichen Dynamik. Gartenvorkommen sind ja oft nur engste Ausschnitte von Populationen in einem bis wenigen Individuen, losgelöst von ihrem natürlichen Umfeld. Sie sind also bestenfalls ein Beleg einer Art, eine "Demo"-Variante, die uns Gärtnern aber immerhin sehr viel über Gestalt, Ansprüche und Verhalten in wild lebenden Populationen verraten können. Selbst, wenn sich Kulturbestände aus irgend einem Grund auf den Weg machen und tatsächlich Populationen mit einer von unserem Kultureinfluss unabhängigen Dynamik aufbauen, können diese Populationen von ihrer ursprünglichen Herkunft durchaus verschiedene Eigenschaften haben.Nur in seltenen Ausnahmen können solche Kulturbestände für die Wildnis wieder in "vernünftiger" Weise relevant werden. Wenn die wild lebenden Vorkommen vollständig erloschen sind oder an einem so dünnen Faden hängen, dass es nach (ebenso selten gelingender) Wiederherstellung von Lebensräumen sinnvoll ist, aus ihnen neue Wildvorkommen zu begründen oder vorhandene Reste zu stützen. Die Neugründungen werden auch dann nie wieder das sein, was die Art als Gesamtheit ihrer Populationen einmal war.Fazit: Für uns Gärtner ist es für bestimmte Zwecke schön und sinnvoll, ein möglichst getreues "Abbild" der natürlichen Form zu haben. Für die Art ist es in den allermeisten Fällen ziemlich egal, dass wir sie haben. 8)
troll13
Beiträge: 14118
Registriert: 13. Feb 2007, 14:21
Kontaktdaten:

Re:Spezies - Wildart - Definition

troll13 » Antwort #4 am:

Eigentlich dürfte eine Pflanze gärtnerisch nur unter Artnamen verbreitet werden, wenn sie selbst oder aus Saatgut vom Naturstandort stammt. Dann gehört jedoch streng genommen auch der Herkunftort hinter den Artnamen und diese Pflanze dürfte auch nur vegetativ vermehrt angeboten werden. Wie nennen wir jedoch dann Pflanzen, die in gärtnerischer Kultur entstanden sind? Müssen die dann alle einen Sortennamen erhalten? Oder ist es vielleicht sinnvoll, in diesem Fall völlig auf Artnamen zu verzichten und sie grob Gruppen zuzuordnen (z.B. unter der Bezeichnung Paeonia Anomala Group)?
Gartenanarchist aus Überzeugung! Und ich bin kein Experte sondern immer noch neugierig...
Poison Ivy

Re:Spezies - Wildart - Definition

Poison Ivy » Antwort #5 am:

Ausgelöst durch den Beitrag von Knorbs bei den Päonien-Wildarten #802 stellt sich mir die Frage, wie lange wir eigentlich von Spezies oder Wildarten sprechen können, die in unseren Gärten blühen? Wer garantiert, dass nicht schon am ursprünglichen Naturstandort Zufallsbestäubungen stattfinden, die zu Veränderungen führen?Oder mal ganz simpel gefragt: Sind alle Gänseblümchen oder Löwenzähne in meiner Wiese Wildarten, auch wenn sie ständig von Insekten bestäubt werden und sich weiter vermehren?Sind Spezies oder Wildarten genetisch eindeutig definiert?
Die Pflanzen, die natürlicherweise in deinem Garten vorkommen bzw. sich dort ansiedeln, weil sie in der Gegend von Natur aus vorkommen,gehören zur selben Art wie die Pflanzen "draußen" vor deiner Gartentür. Sie stehen mit diesen auch nach wie vor in einem genetischen Austausch. In deinem Beispiel also Gänseblümchen und Löwenzahn. Ansonsten ist der Begriff "Art" in der Botanik anders definiert als in der Zoologie. In der Botanik werden alle Individuen eines Taxons einschließlich ihrer Vorfahren und Nachkommen, die sich in wesentlichen Merkmalen gleichen, als einer Art zugerechnet. Den Begriff "Wildart" gibt es nicht.Nimmt man diese "botanische" Definition, so zählen Gartenpflanzen zu der Art, wenn sie dieser in wesentlichen Merkmalen gleichen. Die Schwierigkeit dieser Definition liegt auf der Hand: Was sind "wesentliche" Merkmale? Gerade Gartenpflanzen können morphologisch so sehr von Wildpflanzen abweichen, dass sie in vielen Merkmalen von diesen abweichen. Und diese Abweichungen sind oft genetisch fixiert und werden dann auf die Nachkommen übertragen.Mir scheint die evolutionsbiologische Definition der Zoologen sinnvoller: Danach umfasst eine Art sämtliche Mitglieder eines Taxons, die sich untereinander fortpflanzen können und fortpflanzungsfähige Nachkommen hervorbringen.Nimmt man diese Definition, so gibt sich in der Botanik oft das Problem, dass einem schlicht und einfach "Felddaten" fehlen, um zu entscheiden, in welchem Maße eine Fortpflanzung zwischen Nachkommen möglich ist. Bei genauerer Untersuchung stellt man möglicherweise fest, dass die Barrieren zwischen 2 vermeintlich "guten", weil morphologisch unterscheidbaren Arten doch nicht so groß sind und Vermischungen eintreten. Umgekehrt kann es Fälle geben, in denen äußerlich äußerst ähnliche Individuen nicht (mehr) miteinander verpaart werden können.Pflanzen, die in gärtnerischer Kultur bestimmte Merkmale aufweisen, die sie von Wildpflanzen unterscheiden, sind gärtnerische Auslesen, die immer noch zur selben Art gehören wie die Wildpflanze.Pflanzen, die durch Kreuzen unterschiedlicher botanischer Arten entstanden sind, sind Hybriden.Man könnte so ketzerisch sein und die evolutionsbiologische Definition konsequent in der Botanik umzusetzen versuchen. Das könnte darauf hinauslaufen, dass diverse Taxa, die bisher als Arten gelten, nur noch als geographisch abgrenzbare Unterarten einer weiter gefassten Art gelten würden.
knorbs
Beiträge: 13280
Registriert: 18. Mär 2004, 16:02
Kontaktdaten:

Re:Spezies - Wildart - Definition

knorbs » Antwort #6 am:

uups...bristlecone hat zwischenzeitlich gepostet...mein beitrag bezieht sich auf troll13 posting davor.ich denke so enge grenzen müssen wir nicht anlegen. wir betreiben unser hobby doch nicht im wissenschaftlich botanischen sinn. natürlich will ich wissen, welche pflanze ich vor mir habe. aber das klappt doch hier auch ganz ordentlich mit der namensfindung. wenn ich eine wildpflanze aus samen vermehre + das ergebnis entspricht dem aussehen der mutterpflanze, dann ist das für mich immer noch die natürliche art. aber lerchenzorn hat natürlich recht. die samennachzucht von wildpflanzen so wie wir das i.d.r. betreiben, also aus einem extrem kleinen genpool (im extremfall aus nur einer pflanze durch selbstung) kann auf längere sicht zu veränderungen der ursprüngl. art führen. fragt sich dann nur, ob diese veränderungen überhaupt auffallen. aber darüber mach ich mir nun wirklich keine gedanken. gerade bei den sensibelchen, die viele jahre brauchen, bis sie mal blühen + deren abkömmlinge dann wieder viele jahre benötigen. da vergehen für 3-4 generationen 15-20 jahre, wenn's langt. hand auf's herz...wer von uns vermehrt wildpflanzen über sagen wir mal 10 generationen? wohl keiner.ergänzung...sehe ich genauso wie bristlecone...der kann's besser ausdrücken. ;D ;)
z6b
sapere aude, incipe
Benutzeravatar
pearl
Beiträge: 43515
Registriert: 28. Aug 2006, 16:09
Kontaktdaten:

Weinbauklima im Neckartal

Re:Spezies - Wildart - Definition

pearl » Antwort #7 am:

wie entstehen Arten? Fasst man das als biologische Frage auf, dann läuft das darauf hinaus, dass man die morphologische Diversität und die reproduktive Isolation während der Evolution erklären muss.Bristlecone benennt beide Pole. In der Zoologie wird reproduktive Isolation als dominantes Kriterium verstanden, in der Botanik wird die morphologische Diversität als Kriterium zu einer Artbestimmung vorwiegend herangezogen. Dann gibt es noch die Verwirrung in den Köpfen der Laien. Dass alles, was die gleichen morphologischen Merkmale hat zu einer Art gehört und alles was sich morphologisch voneinander unterscheidet, das gehört zu verschiedenen Taxons.So ist es aber nicht. Biologisch gesehen. Wenn das so wäre, dann hätte man es mit Klonen zu tun.Manche Pflanzen machen Klone. Selbstklonierung. Ramets bei Leberblümchen durch stufenweises absterben der Verbindungen zwischen den Ramets oder Verrottung der Verbindungen wie bei Haselwurz, Asarum europaeum. Weil solche Fortpflanzungsmuster bei Pflanzen häufig sind hält sich das Vorurteil, dass Mitglieder einer Pflanzen Art praktisch identisch seien, mindestens aber gleich aussehen, also morphologisch nicht zu unterscheiden.Immer wieder gerne zitiere ich Cor van Gelderen, der auf die taxonomische Verwirrung bei den Hydrangea, speziel der Hydrangea aspera bemerkte, das Publikum bestehe ja auch aus Individuen einer einzigen Art. Trotzdem sähen wir alle verschieden aus. So ist das mit Arten. Es gibt also verschiedene Artkonzepte und die werden je nach Kontext und Diskurs, Sinn und Zweck angewendet und eingesetzt. Der Biologe verwendet die Taxons als Termini um sich mit seiner Publikation der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu zeigen. Findet seine Veröffentlichung Anklang, dann werden die Taxons und Termini und das ganze paper zitiert. Jeder Wissenschaftler ist frei dieser oder jener Publikation zu folgen und eine Veröffentlichung ist dann outstanding, wenn eben viele folgen.Dem Linné sind viele gefolgt. Heute in der Botanik zu publizieren ist nicht mehr so prickelnd. Allerdings ist es für diejenigen attraktiv, die unbedingt eine Publikation brauchen. Warum auch immer. Gelegentlich ist es ein Atman-Projekt, egal. Auf jeden Fall haben wir unseren Reichtum an Namen und Umbenennungen solchen Aktivitäten zu verdanken.Ursprünglich hatten wir also einKünstliches, taxonomisches, phänotypisches und morphologisches Artkonzept.Dann hat E. Mayr ein biologisches Artkonzept definiert. Auf der Grundlage der reproduktiven Isolation in topographisch getrennten Vorkommen bilden sich in mehreren Stufen neue Taxons mit ökologischer Diversität, Kreuzungsbarrieren und später dann genetische Diversität heraus.Es gibt noch ein ökologisches Artkonzept. Ein genetisches Artkonzept,ein evolutionäres Artkonzept von G. G. Simpson undein phylogenetisches Artkonzept. Für den Gärtner ist es immer das beste, wenn er die Pflanzen bei dem Namen nennt, der in der Kommunikationsmenge, in der er sich gerade befindet und in der er sich verständigen will, üblich ist. Es geht bei der Nomenklatur nur darum sich auszutauschen und Missverständnisse zu vermeiden.Gut, es gibt da eine Einschränkung. Es gibt auch gärtnernde, die nur "Echte Spezies" haben wollen. ;D Die ganzen "überzüchteten" Kulturpflanzen sind allerdings auch natürlich entstanden. Die Anlagen bringen sie ja selber mit. Das ist anders als beim Plastik. Trotzdem. Zivilisationsmüde Menschen wählen natürlich immer die einfachen Dinge und der geschulte Geschmack wird ganz sicher auch die ursprünglichen, unverfälschten und ungekünstelten Blumen lieben. Art hin oder her.
“I love science, and it pains me to think that so many are terrified of the subject or feel that choosing science means you cannot also choose compassion, or the arts, or be awed by nature. Science is not meant to cure us of mystery, but to reinvent and reinvigorate it.”

— Robert M. Sapolsky
potz
Beiträge: 2969
Registriert: 12. Dez 2003, 18:39
Kontaktdaten:

Re:Spezies - Wildart - Definition

potz » Antwort #8 am:

Kleiner Zwischenapplaus für alle Diskutanten von den Stehplätzen im 3.Rang ;)
Benutzeravatar
pearl
Beiträge: 43515
Registriert: 28. Aug 2006, 16:09
Kontaktdaten:

Weinbauklima im Neckartal

Re:Spezies - Wildart - Definition

pearl » Antwort #9 am:

die Disku-Onkel nicht zu vergessen! ;) ;D
“I love science, and it pains me to think that so many are terrified of the subject or feel that choosing science means you cannot also choose compassion, or the arts, or be awed by nature. Science is not meant to cure us of mystery, but to reinvent and reinvigorate it.”

— Robert M. Sapolsky
Poison Ivy

Re:Spezies - Wildart - Definition

Poison Ivy » Antwort #10 am:

Kleiner Zwischenapplaus für alle Diskutanten von den Stehplätzen im 3.Rang ;)
Aber nicht vor Ende des Spiels aufs Feld stürmen! Auch das Abbrennen bengalischer Fackeln aus Protest oder ob begeisterter Zustimmung bitte unterlassen! ;)
Antworten