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Sortenerhalt (Gelesen 34553 mal)

Obstgehölze, Beerensträucher und Wein (Veredlungen, Unterlagen, Schnitte und Selektionen) sowie Staudenobst (Erdbeeren)

Moderator: cydorian

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bristlecone

Re: Sortenerhalt

bristlecone » Antwort #75 am:

Paradeiserin hat geschrieben: 13. Feb 2018, 09:45
Wenn die Bevölkerung den Bezug dazu hat und weiß, "das wird diese gute Sorte, die ich als Kind bei der Oma gegessen hab", das sind Sorten, die mal nicht mit viel Chemie niedergespritzt werden müssen, ... dann ist mit viel mehr Offenheit und Rückhalt bei solchen Projekten zu rechnen.


An der Stelle steige ich dann aus. Ich kann solche Verbrämungen nicht mehr hören wie diese hier, dass "alte Sorten" nicht gespritzt werden müssen, weil sie ja so robust sind.
Sternrenette

Re: Sortenerhalt

Sternrenette » Antwort #76 am:

Das stimmt aber - für die Herkunftsregion. Eine Sorte, die nur krüppelige Früchte trägt, hätte man umgesägt.

Beispiel: der Apfelbaum bei meiner Freundin hat nur in dem Jahr wirklich gute Früchte getragen, wo es dauernd geregnet hat (2002?). Das ist also eine Sorte für norddeutsches Seeklima. Dort braucht er dann auch keinen Pflanzenschutz.

Oder die Birne Gräfin von Paris als Spalier in Villandry: vor ca 10 Jahren wurde auf Bio umgestellt, diese Sorte hätte dort dringend eine Fungizidbehandlung benötigt. Man sägt aber einen 40 Jahre alten Spalierbaum nicht einfach um.
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Tara2
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Re: Sortenerhalt

Tara2 » Antwort #77 am:

bristlecone hat geschrieben: 13. Feb 2018, 10:06
An der Stelle steige ich dann aus. Ich kann solche Verbrämungen nicht mehr hören wie diese hier, dass "alte Sorten" nicht gespritzt werden müssen, weil sie ja so robust sind.

Aber genau das ist das Problem, die für den Verkauf hauptsächlich angebauten Sorten sind Sorten die früher nicht oder kaum angebaut werden konnten, da sie sehr anfällig für Krankheiten wie Stippe, Mehltau usw, usw waren. Aber sie waren nahezu alle Massenträger siehe Cox Orange, Golden Delicius usw.. Nun wurden in den 50er 60er Jahren aber die Spritzmittel erfunden und verbreitet. Und siehe da die emfindlichkeit für Stippe, Mehltau uns. spielte auf einmal keine Rolle mehr und der Massenertrag war auf einmal viel wichtiger, weil durch die Spritzmittel waren alle Äpfel schön und vermarktbar. Nun ging man hin und züchtete mit diesen Massenträgern neue Sorten, daher sind inzwischen fast 90% der auf dem Markt angebotenen Apfelsorten die genannten wie Golden Delicius, Cox Orange, Red Delicius usw. oder sind Nachfahren dieser. Fast jede neue Sorte hat zumindest eine dieser krankheitsanfälligen Sorten im Stammbaum und damit auch die Krankheitsanfälligkeit.
Viele alte Sorten waren nicht krankheitsanfällig, aber eben keine Massenträger (und daher für die Vermarkter uninteressant) und gerade diese Sorten gilt es vor allem zu erhalten. Eben die genetische Vielfalt.
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cydorian
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Re: Sortenerhalt

cydorian » Antwort #78 am:

hat geschrieben: 1. Jan 1970, 01:00 Ich kann diese Verbrämungen nicht mehr hören wie diese hier, dass "alte Sorten" nicht gespritzt werden müssen, weil sie ja so robust sind.


Es zeigt aber ganz gut, wie romantisierte Vorstellungen den Realismus der Alltäglichkeit ersetzen. Die Kenntnisse darüber sind einfach verloren gegangen.

Im Museum und auf dem Marktstand ist alles sauber. Bis auf den obligatorischen Schorf-Schönheitsfleck, der zum Produkt gehört :-) Die Sortenblätter diverser Publikationen zeigen reife, schöne Früchte. Wunderbar, richtig so. Aber das belebt diese Kultur nicht, sondern versieht sie mit einem prachtvollen Bilderrahmen. Belebt wird eher der Frust, wenn man wirklich die Gummistiefel anzieht und z.B. einen uralten und hochgelobten Ribston Pepping pflanzt. Oder mal selber Kerne aussät und mit den falschen Erwartungen im Hinterkopf guckt, was dabei rauskommt.
mybee

Re: Sortenerhalt

mybee » Antwort #79 am:

moin!
Am Anfang wollte ich diesen Thread Obstbaumkultur benennen. Und dann gehörte das Obst als Kulturgut tätsächlich auch ins Museum. Museen werden aber von Besuchern und Betreibern finanziert. Was mit den staatlichen Erhaltungsgärten passiert ist, wissen die meisten hier.
Obst ist aber ein landwirtschaftliches Produkt. Was da geschieht, sieht man in Supermarkt und auf dem Wochenmarkt. Die Erzeuger werden sehr schlecht bezahlt. Die Auswahl ist winzig. Immerhin gibt es auch noch einige Nischenprodukte. Das kann die Diversität auch nicht retten.
Dann gibt es noch einige Enthusiasten, so wie mich alten Knorz, mit oder ohne grauen Bart, die sich die Freude am Sammeln und Experimentieren bewahrt haben und sowohl alte und neue Sorten suchen und testen. Was mit solchen
privaten Erhaltungsgärten geschieht, wenn sich kein Nachfolger findet, liegt auch klar auf der Hand.
Der Untergang von Sammlungen ist auch keine neue Sache. Schon der Belgier van Mons (1765-1842) mußte wegen der Planung einer Straße, die erst 20 Jahre später gebaut wurde, innerhalb von 6 Wochen seinen Zuchtgarten mit 50.000 ca. 20jährigen Sämlingen räumen.

Also war die Überlegung: Wenn sich über das ganze Land verteilt Erhalter für die eine oder andere Sorte finden, so wäre
für die "Biodiversität" doch schon einiges gewonnen. Der Grund für die Erhaltung kann doch so unterschiedlich sein wie die Menschen selber.
Dieser "dezentrale" (Zitat Hilmar Schwärzel) Sortenerhalt erfordert neben Leuten, die mitmachen, auch die Weitergabe des Wissens über diese Sorten und die Erfassung in einem Kataster. Ja, und dies ist keine Neuerfindung des Rades, das gibt es auch schon, z.B. obstgarten(.)biz.

Wie sagte mein Vater: Kommt Zeit, kommt Rad.
Ist das alles zu theoretisch
Amur
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Re: Sortenerhalt

Amur » Antwort #80 am:

Sternrenette hat geschrieben: 13. Feb 2018, 10:18
Das stimmt aber - für die Herkunftsregion. Eine Sorte, die nur krüppelige Früchte trägt, hätte man umgesägt.

Beispiel: der Apfelbaum bei meiner Freundin hat nur in dem Jahr wirklich gute Früchte getragen, wo es dauernd geregnet hat (2002?). Das ist also eine Sorte für norddeutsches Seeklima. Dort braucht er dann auch keinen Pflanzenschutz....


Schöne Theorie, nur leider selten passend.
Die Veredelung war noch im 19. Jh keineswegs überall der Fall. Da gab es jede Menge Sämlinge und solange die was brachten, völlig egal was, blieben die stehen.
Oft furchtbarer Krempel klein und schorfig.
D. h. so viel Zeit um angepasste Sorten zu entwickeln gab es nicht. Vor allem nicht in den Randgebieten wo die Bäume eh nur als Mostobst genommen wurden.


nördlichstes Oberschwaben, Illertal, Raum Ulm
bristlecone

Re: Sortenerhalt

bristlecone » Antwort #81 am:

Außerdem sollte man nicht übersehen, dass auch die Krankheitserreger sich gewandelt haben und neue dazugekommen sind und immer noch dazukommen.
Warum machen sich die Züchter die ganze Arbeit, widerstandsfähige Sorten zu züchten, wenn sie doch bloß einfach die alten angepassten regionalen Sorten nehmen könnten.

Wobei: Natürlich kann es sein, dass man bei einer alten Sorte eine Resistenz entdeckt, die dringend gesucht wird, um damit weiterzuzüchten. Allein das kann ja durchaus ein Grund sein, eine möglichst hohe Sortenvielfalt zu erhalten.

@mybee: Wüsste nicht, was dagegen spräche. Viel Erfolg - und Freude daran!
Sternrenette

Re: Sortenerhalt

Sternrenette » Antwort #82 am:

Ein Brettacher ist wunderbar robust und zuverlässig, aber als Tafelobst nur begrenzt verkäuflich. Das entspricht nicht den heutigen Kundenwünschen. Der Kunde will meist einen eher süßen Tafelapfel, keinen eher sauer-herben Lager- und Küchenapfel.

Die Zucht paßt sich damals wie heute den Anbau- und Vermarktungsmöglichkeiten an.
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Paradeiserin
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Re: Sortenerhalt

Paradeiserin » Antwort #83 am:

bristlecone hat geschrieben: 13. Feb 2018, 10:06
Paradeiserin hat geschrieben: 13. Feb 2018, 09:45
Wenn die Bevölkerung den Bezug dazu hat und weiß, "das wird diese gute Sorte, die ich als Kind bei der Oma gegessen hab", das sind Sorten, die mal nicht mit viel Chemie niedergespritzt werden müssen, ... dann ist mit viel mehr Offenheit und Rückhalt bei solchen Projekten zu rechnen.


An der Stelle steige ich dann aus. Ich kann solche Verbrämungen nicht mehr hören wie diese hier, dass "alte Sorten" nicht gespritzt werden müssen, weil sie ja so robust sind.


Wenn du meine Aussage so interpretierst, dass jede "alte Sorte" überall gut wächst, dann kann ich auch nix dafür. Es hat einen Grund, warum eine Lokalsorte eine Lokalsorte ist. Weil sie genau dort gut wächst, wo sie eben herkommt. Früher hätten sich die Leute weder die Zeit noch die Spritzmittel leisten können (sofern sie schon verfügbar waren), um krampfhaft über Jahrzehnte Obstsorten zu erhalten die absolut unbefriedigende Ergebnisse liefern. Und das muss auch heute nicht sein. Ich kann nix Schlechtes daran finden, resistente Neuzüchtungen neben alten, bewährten Lokalsorten stehen zu haben.
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Re: Sortenerhalt

Paradeiserin » Antwort #84 am:

Zum Thema Krankheitserreger, die sich wandeln: In unserem Familienbesitz sind über 20 alte Edelkastanienbäume, verschiedenste reichtragende und schmackhafte Sorten (natürlich immer spritzmittelfrei - wüsste auch gar nicht, wie das geehen sollte...🤔), die der Schwiegergrossvater aus der ganzen Steiermark zusammengetragen hatte. Momentan müssen wir zusehen, wie ein Baum nach dem anderen vom Kastanienrindenkrebs heimgesucht wird und vermutlich werden wir in absehbarer Zeit alles gerodet haben. Das Herz blutet uns dabei, aber was soll man machen? So lange es keine effiziente Behandlung gibt werden wir es mit moderneren, angeblich resistenteren Neuzüchtungen versuchen...! Zum Glück sind wir keine Obstbauern und nicht wirtschaftlich abhängig von der Kastanienernte. :-\

:-\
Sternrenette

Re: Sortenerhalt

Sternrenette » Antwort #85 am:

:'(

Mist, wie bei den Birnenhochstämmen und dem Feuerbrand am Bodensee :P
mybee

Re: Sortenerhalt

mybee » Antwort #86 am:

hat geschrieben: 1. Jan 1970, 01:00Ich kann nix Schlechtes daran finden, resistente Neuzüchtungen neben alten, bewährten Lokalsorten stehen zu haben.

Wer soll da was dagegen haben. In meinem Obstgarten herrscht purer Darwinismus. Was mir nicht schmeckt oder den Krankheiten nicht widersteht muß wieder weichen. Die Neuzüchtungen und Marktsorten brauchen jedoch noch keinen Erhalterschutz.
bristlecone

Re: Sortenerhalt

bristlecone » Antwort #87 am:

Paradeiserin hat geschrieben: 13. Feb 2018, 11:09
Momentan müssen wir zusehen, wie ein Baum nach dem anderen vom Kastanienrindenkrebs heimgesucht wird und vermutlich werden wir in absehbarer Zeit alles gerodet haben. Das Herz blutet uns dabei, aber was soll man machen? So lange es keine effiziente Behandlung gibt werden wir es mit moderneren, angeblich resistenteren Neuzüchtungen versuchen...!


OT: Der Kastanienrindenkrebs. Schadsymptome, Biologie und Gegenmassnahmen
Wird diese Art der Gegenmaßnahmen in Deutschland eingesetzt?
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Re: Sortenerhalt

Paradeiserin » Antwort #88 am:

Unsere bisherigen Versuche mit der "Hypovirulenzpaste" sind leider erfolglos geblieben, der Pilz breitet sich leider zu rasch aus. Es wird hier zwar recht viel geforscht (hier ein alter Link http://sciencev1.orf.at/news/46627.html ...und schon wieder ein Projekt zum Thema Sortenerhalt! 😜), für unsere Bäume wird es vermutlich zu spät sein. Wie es bei euch in Deutschland aussieht weiß ich nicht.
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Tara2
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Re: Sortenerhalt

Tara2 » Antwort #89 am:

bristlecone hat geschrieben: 13. Feb 2018, 10:46
Außerdem sollte man nicht übersehen, dass auch die Krankheitserreger sich gewandelt haben und neue dazugekommen sind und immer noch dazukommen.
Warum machen sich die Züchter die ganze Arbeit, widerstandsfähige Sorten zu züchten, wenn sie doch bloß einfach die alten angepassten regionalen Sorten nehmen könnten.

Wobei: Natürlich kann es sein, dass man bei einer alten Sorte eine Resistenz entdeckt, die dringend gesucht wird, um damit weiterzuzüchten. Allein das kann ja durchaus ein Grund sein, eine möglichst hohe Sortenvielfalt zu erhalten.

Komischerweise habe ich ein paar alte Sorten, an die kommt irgendwie keine Krankheit dran auch ohne spritzen!
Und von wegen der Zucht, die züchten ja vor allem, weil so eine Neuzucht ja auch jahrelang Geld bringt, eine alte Sorte bringt sozusagen nichts, oder nicht viel. Daher wird auch immer sehr viel "Schund" gezüchtet, Hauptsache er lässt sich auch verkaufen!
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