Interessanter und wesentlicher als die Frage, ob und wie große Pflanzenfresser verschwunden sind, finde ich, dass sich in der historischen Weide- und Agrarlandschaft nahezu der gesamte Artenreichtum der prähistorischen Landschaften erhalten konnte. Das Landschaftsmosaik änderte sich zwar drastisch, die gehölzfreien und -armen Flächen wurden überdehnt. Die Vielfalt und Qualität der Strukturen und der Prozesse war aber derjenigen der prähistorischen Landschaft sehr ähnlich. Die historische Art der Haustierhaltung ersetzte offenbar perfekt die Wirkung der zuvor - wie auch immer - verloren gegangenen wilden Weidetiere.
Sie hat aber auch vielen noch ansässigen Wildtieren den Lebensraum entzogen - sobald sie zum Nahrungskonkurrenten des Menschen wurde, hat man sie gnadenlos bejagt und ausgerottet. Ganz so idyllisch sehe ich diese Entwicklung nicht - auch wenn Du einie Aspekte hier korrekt beschreibst. Die historische Art der Nutztierhaltung mit Weiden/Zäunen hat zudem die Zugbewegungen der Hirsche verunmöglicht, die recht bald in hochalpine unzugängliche Gebiete verdrängt worden sind.
Dieser Reichtum ist erst in den letzten 300 Jahren - also in der Phase, in der so genannte Nachhaltigkeit Einzug gehalten hat und in der Nutzfläche zunehmend auf einen Nettoertrag hin bewirtschaftet wird, zusammengebrochen. Es gibt da offensichtlich einen Zusammenhang.
Die Bevölkerugnszunahme und der Anstieg der Lebenserwartung in Mitteleuropa steht damit in direktem Zusammenhang. Die aktuell ansässige Population könnte mit historischen Anbaumethoden nicht genug Lebensmittel produzieren, um sich zu ernähren.
Viele Tiere und Pflanzen, die heute rückblickend gern in "kleinste Nischen für Spezialisten" gesteckt werden, waren prähistorisch sicher auf kleine Flächen beschränkt, was aber nicht heißt, dass diese kleinflächigen Nischen nicht doch in größerer Häufigkeit und guter Vernetzung vorhanden waren. Anders wäre kaum zu erklären, dass alle diese Arten mehrere tausend Jahre üppiger Waldentwicklung in Mitteleuropa überdauert haben.
Es haben nicht alle dieser Arten überdauert und vor allem nicht überregional. Erst die Landschaftsnutzung durch den Menschen hat größere Verbreitungsgebiete entstehen lassen.
Was nun unter diesen Voraussetzungen "Kulturlandschaft" ist, das ist eine spannende Diskussion und es gibt davon vermutlich ebenso viele Begriffe und Auffassungen, wie es verschiedene Nutzungsinteressen und -ansprüche an die Landschaft gibt. Das kann sehr weit auseinander klaffen.
Ich sehe das recht nüchtern. Wenn Kulturlandschaft konserviert werden soll, muß man sich sinnvollerweise zuerst einmal darauf einigen, die Kulturlandschaft welche Epocher denn schützenswert ist um dann mit den in dieser Epoche üblichen Methoden arbeiten zu können. Das wäre dann eine Art Freilichtmuseum für Kulturlanschaften - beginnend mit dem frühren Ackerbau in der Bronzezeit (und den damals üblichen Kulturpflanzen) bis hin zur Kulturlandschaft unserer Urgroßväter, die hier offenbar viele als Ideal definieren. Alles was dazwischen liegt, wäre eigentlich auch interessant, um die Entwicklung dokumentieren zu können.
Mir läge echte Renaturierung mehr am Herzen - wenn man größere Areale in Ruhe läßt und die aktuell dort fehlenden Tierarten wieder ansiedelt, hat man innerhalb von einigen Jahrzehnten wieder ein natürliches Biotop mit sinnvoll besetzten Nischen - dann gibt es auch die hier dauernd strapazierten Spezialisten, eben in den dafür vorgesehenen kleinen Nischen und in geringer Stückzahl.
Das kann man aber schlecht verkaufen - ein Naturparadies, das man nicht besuchen darf und mit dem kein Geld verdient werden kann, ist Luxus, für den niemand zahlt. Rational betrachtet tut man mehr für eine artenreiche Kulturlandschaft, wenn man konsequent Bio-Produkte (aus regionaler Herkunft, mit artgerechter Tierhaltung - also Weidehaltung anstatt Massenstall mit Bio-Futter-Mast) kauft und so seinen Beitrag zur Erhaltung dieser Flächen leistet. Je mehr Landwirte so produzieren, desto größere Flächen werden geschützt.
In Österreich ist inzwischen ein großer Prozentsatz der Bevölkerung bereit, für bessere Lebensmittel mehr Geld auszugeben. Deutsche Masthähnchen (hier als klassisches abschreckendes Beispiel in aller Munde) bringt man hier kaum an den Mann/die Frau, egal wie billig sie verschleudert werden. Deutschland hat mehr landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung und ebenso sehr viel mehr Käuferpotential - hier könnte man dementsprechend mehr bewegen.
Passiert aber offenbar nicht. Ich war vor wenigen Wochen wieder mal in Norddeutschland. Beim letzten Besuch vor einigen Jahren standen noch überall hübsche weiß-schwarz gefleckte Kühe auf den Weiden. Diesmal hab ich das nur ein einziges Mal gesehen und nachgefragt, was denn mit den vielen Kühen passiert ist. Mir wurde erklärt, daß die jetzt alle in großen Ställen stehen und auf den Wiesen nur noch Futter gewonnen wird.
Bei dieser Einstellung braucht man sich nicht zu wundern, daß die Kulturlandschaften vergangener Zeiten verschwunden sind.